Wikipedia:Café/Phantastischer Ausblick - der Roman zur Enzyklopädie



Arbeitstitel „Der letzte Wikipedianer“ – Kapitel 1

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Arbeitseinheit Germ34left im Jahre 2050, bis 2041 ’’Köln’’ genannt.

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Er trat bewusst langsam über die Schwelle seiner ehemaligen Wohnung, ständig darauf bedacht, keinen Lärm zu machen. Die HumanGeneticsAlert-Sensoren würden es melden, sein Kampf wäre augenblicklich verloren, wenn die BOTS und WiBORGS ihn hier entdecken sollten. Langsam lief er Richtung seines Arbeitszimmers, zwischen Müll, Glasscherben und Papierfetzen. Sein Blick fiel in den Raum, er erstarrte. Dort stand noch immer sein Laptop, vor mehr als vierzig Jahren hatte er Nächte an diesem Rechner verbracht, Artikel geschrieben, diskutiert und gelacht. Fast war es ihm, als hätte er noch den Geschmack der Zigaretten im Mund, die er hier stangenweise geraucht hatte. Vor mehr als zwanzig Jahren hatte das WORLDGovernment entschieden, ehemalige Raucher mittels DNA- Abgleich und monatlichem Screening zu überwachen. Beim leisesten Verdacht, abermals Nikotin zu sich genommen zu haben, drohte eine Arbeitsstrafe auf der berüchtigten Marsstation 13.886.551 von mehr als 5 Lebensarbeitseinheiten. Die Station wurde benannt nach der Anzahl der Artikel und Dateien, die zum Zeitpunkt des Überführens in die biogenetischen Stammdaten der WiBORGS vorhanden waren. Danach wurden keine mehr geschrieben. Er seufzte und betrachtete sich seinen alten Computer erneut. Das fahle Licht der Nachtdämmerung durch die zerbrochenen Fenster ließ das Logo des Herstellers trotz der dünnen Staubschicht aufleuchten. Er sah auf seinen Armcomp, noch zwanzig 10.000tif- Einheiten, dann würden die riesigen Spiegel ihre relativ richtige Umlaufbahn zu seiner Stadt erreichen und sie in fünf Minuten in hellstes Sonnenlicht tauchen. Die wenigen hundert Lebewesen in Germ34left, die immer noch nur aus humaner DNA bestanden, würden sich waschen, ihre Arbeitskleidung überziehen und arbeiten. Sie mussten sich nicht mehr ernähren, während des Schlafs hatten automatische Systeme ihnen mit Injektionen die Nährstoffe zugeführt, die je nach Arbeitsauftrag notwendig waren. Die WiBORGS und BOTS waren schlafunabhängig, ihre Programmierung folgte den 10.000tif- Einheiten. Ihre Reste an humanoider DNA enthielten keine Sequenzen mehr, die den Schlaf gesteuert hätten. Er hob den Kopf und sah sich im Raum um. Auf einer staubbedeckten Kommode (er konnte sich nicht mehr daran erinnern, woher sie stammte) fand er noch ein aufrecht stehendes Bruchstück eines Spiegels. Er trat leise darauf zu und betrachtete sich selbst. Er war einer der letzten. Von den 24345 Wikipedianern (allein das Wort auszusprechen stand unter schwersten Strafen), die den ’’Great Human Relaunch’’ und die anschließenden Massaker vom 20.04.2041 überlebt hatten, waren noch 245 übriggeblieben, die, wie er, in ständiger Angst vor ihrer Entdeckung lebten. Sie lebten versteckt in aller Welt, nur die Kanäle der SODFROG und Teile des WPoldNW standen zur Kommunikation zur Verfügung, weil Bruchstücke der einstmals weltweiten Netze noch nicht vom WORLDGov. gescreent waren. Auch das, wusste er, war nur eine Frage der Zeit. Sie waren zu wenige, die besten Programmierer und Communicationexperts waren längst festgenommen und auf die Arbeitsplaneten verteilt worden.

Einige von ihnen waren noch rechtzeitig vor dem großen Börsencrash von 40/41 nach Altair 4 ausgewandert. Dort, sagte man ihnen, sei die Luft gut, es gebe Essen und reichlich Arbeit. Das mit der Arbeit stimmte, das mit dem Essen eher nicht. Immerhin waren in der Emigrantengruppe aber auch ein paar attraktive junge Frauen so um die 70, mit intaktem Gebiss und guter Krankenversicherung. Der Vorteil dieses doch etwas abgelegenen Planeten war, dass er nicht zur Zentralmacht gehörte und eine Invasion daher unwahrscheinlich war. Die Arbeitsbedingungen in den Minen der Ureinwohner von Altair 4 waren zwar hart, aber erträglich, man bekam immerhin zu essen. Allerdings wusste man nur wenig über sie, nur dass sie sehr zurückhaltend waren, und sich meistens damit beschäftigten in einem großen Buch zu schreiben, das in einer Art Tempel aufbewahrt wurde.

Widerstrebend riss er sich von seinen sentimentalen Gedanken los und sah sich noch einmal um. Obwohl noch alles so war, wie er es vor vier Jahrzehnten verlassen hatte, war doch ein entscheidender Aspekt anders geworden... Die Luft. Irgendwie war die Luft anders, als man es aus den Germ34lefter Wohnungen kannte. Obwohl sie stickig war und nach Moder und Abgasen roch, lag ein unidentifizierbarer Unterton darin, fast als ob... Nein. Das konnte nicht sein. Kaum war ihm der gleichermassen erschreckende als auch bizarr unmöglich scheinende Gedanke gekommen, als sich auch schon etwas hinter in den Schatten hinter der Couch regte. "Eine Bewegung, und du bist ein totes Was-auch-immer", zischte eine Stimme. Eine unverkennbar weibliche Stimme.

Er rührte sich nicht. Wenn das ein WiBORG mit weiblicher Rest-DNA war, dann konnte die Stimme passen. Das Timbre etwas metallisch, die Aussage rational und logisch, ohne jedes Gefühl. Er fühlte, daß ihn das Wesen beobachtete und sich langsam aufrichtete. Die Schritte hinter ihm waren genauso geräuschlos wie seine und damit wurde ihm bewusst, daß es kein WiBORG sein konnte. Die hätten keinen Wert auf geräuschlose Bewegung gelegt. Zwei Hände legten sich von hinten um seinen Hals, langsam und ohne Druck. Er spürte einen Atem in seinem rechten Ohr und kurz darauf hörte er ein leises Flüstern "Du bist in Gefahr. Ich war früher Flobber123, eine der 245, du weißt, wovon ich rede. Hör' mir gut zu. Du bist einer von uns, ich weiß auch das. Wir sind uns vor vielen Jahren in den Commons und der englischen Wikipedia mal begegnet. Versuche nicht, dich umzudrehen, für diesen Fall werde ich deine Hauptschlagadern abdrücken. Es ist besser, wenn wir uns nicht sehen, bei vielen Freunden wurde das Gehirn gescreent, ob dort Erinnerungen an die Gesichter der anderen vorhanden sind."

Hannelore und Karlheinz sahen, beziehungsweise spürten sich zum ersten Mal in dem dunklen, überhitzten Container, in dem außer ihnen noch etwa 150 weitere Leute eingepfercht waren. Sie hatten ihre letzten Wertsachen dieser Halsabschneiderbande gegeben, die sie über die Grenze nach Baikonur-Ost, dem eigentlich stillgelegten Weltraumbahnhof, bringen sollte. Der Trip war höllisch, alle hatten Angst davor entdeckt zu werden und viele gerieten in Panik, aber nach zwei Tagen hatten sie es geschafft, sie waren in der Zone. Ein altes verbeultes und verrostetes Schiff vom Typ "Протон-Энергия", mit dem schwer leserlichen Namen ЮКОС stand an der Startvorrichtung. Karlheinz sagte: "Scheiße, das kann nicht gutgehen, wir werden verglühen und atomisiert im Orbit kreisen." Blankes Entsetzen stand in seinen blauen, unschuldigen Augen. Hannelore lächelte ihn nur an: "Haste Schiss oder was?" Und zeigte ihm ihr giftigstes Lächeln. Drei Monate später waren sie auf Altair 4 gelandet, und ihnen war klar, jetzt hilft nur noch Liebe auf den letzten Blick oder so was ähnliches.

Die Arbeit in dem riesigen Tagebau war in erster Linie anstrengend und unendlich eintönig. Allen war auf geheimnisvolle Weise klar, was sie zu tun hatten. Sie mussten mit Schaufeln und Hacken eine lehmartige rote Substanz in Eimer füllen und diese in einen der zahlreichen im Boden eingelassenen Trichter entleeren. Es gab keine Aufseher, überhaupt hatte noch keiner von ihnen jemals einen der Ureinwohner zu Gesicht bekommen. Viele Legenden rankten sich um sie. Hartnäckig hielt sich beispielsweise der Glaube, dass sie ehemalige Erdbewohner seien, die bereits lange Zeit vor dem Auftauchen der BOTS und WiBORGS ausgewandert seien. Gegen Abend, wenn sich der Himmel über Altair4 rot verfärbte und man die Substanz nicht mehr sehen konnte, machten sich die Emigraten auf den Weg in ihr Lager. Dort stand an langen Tischen das Essen für sie bereit, eine Art fader Suppe ohne Geschmack. Diese Suppe musste gesund sein, denn Kranke gab es im Lager nie. Verletzungen heilten in kurzer Zeit von selbst. Todesfälle gab es natürlich auch, aber die Körper lösten sich innerhalb weniger Stunden auf. Nach dem Essen machten sich die Neulinge daran die Umgebung zu erkunden, denn einen Zaun um das Lager gab es nicht und keiner hinderte sie. Auch Hannelore und Karlheinz wollten noch einen Abendspaziergang machen, doch seine Hoffnungen wurden enttäuscht, Hannelore sagte nur: Kalle, isch will hier wech.

Karlheinz war nicht klar, warum Hannelore so dringend weg wollte. Zugegeben, sehr idyllisch war es nicht auf Altair 4, aber sie hatten zu essen, eine Arbeit und einander, also hätte es schlechter sein können. Auch Hannelore sah nach einiger Zeit der fieberhaften Aktivität ein, dass sie wohl oder übel auf das nächste Schiff würde warten müssen, das den Weg bis hinter die zweite Sonne des Systems finden und hier anlanden würde, obwohl sie sich zunehmend unwohl fühlte. Sie wusste nicht, ob es der ungewohnte Planet mit den neuen klimatischen Bedingungen war, die seltsame Suppe oder die rote Substanz, die sie abbauen mussten – morgens musste sie sich jetzt jedenfalls häufig übergeben, sie wurde schwerfällig und langsam und ihre Essvorlieben wurden so seltsam, dass sie neben der allabendlichen Suppe mit beinahe allen entfernt essbar wirkenden Gegenständen und/oder Lebenwesen experimentierte, die sie in der karten Umgebung finden konnte – bloß von den sechzehnbeinigen Wüstenspinnen ließ sie vorsichtshalber die Finger; es war nicht anzunehmen, dass sie zufälligerweise für den größten Teil der Todesfälle im Lager verantwortlich waren. Seltsamerweise kamen einige Arbeiter zu Schaden, die ihre eigene Ernährung etwas abwechslungsreicher gestalten wollten und bei denen der Verzehr von von Hannelore wirkungslos verschlungenen Köstlichkeiten zu den seltsamsten Körperreaktionen führe (hier erwähnt seien lediglich das Wachsen eines unkontrollierbaren, nicht unbedingt wohlmeinenden Tentakels auf Höhe des Schulterblatts oder unkontrollierte Schweissausbrüche, die zu einer tödlichen Dehydration führten). Auch ihr Wesen änderte sich, sie wurde schweigsam und nachdenklich. Eines Abends, als es Karlheinz gelungen war, sowohl seine Scheu vor der neuen Hannelore zu überwinden als auch ihre Zurückgezogenheit, und sie nach einigen anstrengenden Minuten zufrieden nebeneinander in ihrem Zelt lagen, fielen ihm Pusteln an Hannelores Oberkörper auf, die vor einigen Wochen noch nicht da gewesen waren.

Kalle dagegen roch unangenehm. zum ersten Mal fiel ihr auf, dass sie eigentlich die Nase voll von ihm hatte. Der Tag begann wie immer, der rote Nachthimmel änderte sich in ein milchig trübes Licht, und die Scharen der Arbeiter bewegten sich in langen Kolonnen in die riesge Grube. Hannelore schlug das Herz bis in den Hals, sie vermied Gespräche mit den anderen und dachte immer wieder an ihr Vorhaben. Würde sie den Mut dazu haben? Kalle war ihr egal, aber was war mit den Anderen? Die rote Masse sah sie heute mit anderen Augen, und Angst begann in ihr aufzusteigen. Doch dann sah sie Kalle und ihr war klar, jetzt oder nie. Sie sprang in einen der riesigen Trichter, in die die Arbeiter die Substanz schütteten. Sie hörte noch die aufgeregten Stimmen der anderen, dann wurde es dunkel um sie. Sie hatte zwar seit Wochen die Öffnung immer wieder genau in Augenschein genommen und festgestellt, dass die Substanz träge in einer Art Rohr weiter rutschte, und dass der dunkle Schlund nicht völlig gefüllt war, es gab also etwa eine Handbreit Luft zum Atmen. Sie rechnete außerdem damit, dass die Anderen nichts mehr hier hineinschütteten. Langsam wurde sie nass, Wasser schwemmte die rote Masse, die nun zu einer Art Schlamm wurde, weiter. Immer wieder aufkommende Panik konnte sie überwinden, wenn sie kurz an Kalle dachte. Es war nicht einfach, an der Oberfläche dieses dickflüssigen Stromes zu bleiben und Luft zu bekommen, zumal die Geschwindigkeit deutlich größer wurde. Jetzt gab es nur noch Angst, wie wild ruderte sie mit Armen und Beinen in dieser zähen Masse, doch es half nichts, sie gab auf. Doch dann kam der Strom fast zum Stillstand, mit letzter Kraft kam sie noch einmal an die Oberfläche und merkte, dass sie in einem großen Becken in einer Art Halle lag, dann wurde ihr schwarz vor Augen. Kräftige Arme zogen sie heraus, und sie vernahm, wie aus weiter Ferne Stimmen, die in einer ihr unverständlichen Sprache auf sie einredeten.


Als Hannelore in dem Trichter verschwand, war es Kalle, als würde er von einem grossen Klumpen roter Masse genau in den Solarplexus getroffen. Er rang nach Luft und ging in die Knie; die Gedanken überschlugen sich in seinem Kopf. Kurz versuchte er, an ein Leben ohne Hannelore zu denken, und sofort musste er sich auf den Boden setzen. Jeden Gedanken an Hannelore zwanghaft vermeidend liess er sich langsam wieder zu Atem kommen, dachte nur daran, was er jetzt tun könte, nicht daran, was sein würde. Schliesslich stand er vorsichtig auf und sah sich um. Niemand beachtete ihn, und das erleichterte seine Entscheidung. Langsam ging er zu dem Trichter und stellte sich an seinen Rand. Kalle sah hinunter und kämpfte noch mit den letzten Zweifeln, als er wieder an Hannelore denken musste – die Frau, die er liebte. Sofort musste er sich irgendwo festhalten, aber weil da nichts war, kippte er langsam nach vorne und knallte (zugegebenermassen um einiges spektakulärer als Hannelore) in den Trichter. Er kam unsanft auf der harten, roten Masse auf und durchlebte noch einmal das ganze Gefühlsszenario, das ihn überkommen hatte, als sie in den Trichter gesprungen war. Roter Klumpen => Solarplexus => Nach Atem Ringen. Nur eines war jetzt anders, nämlich dass er langsam sank. Sofort schlug er hastig um sich und versuchte, an der Oberfläche zu bleiben. Als Nichtschwimmer fiel ihm das ziemlich schwer, doch irgendwie schaffte er es trotzdem, oben zu bleiben, bis er in eine unterirdische Höhle kam. Niemand war zu sehen, und er kletterte vorsichtig ans Ufer, nachdem er sich noch einmal umgesehen hatte. Ein Zurück gab es nicht, ihm blieb der Angriff als einzige Verteidigung.

 

Währenddessen tauchten, wie aus dem Nichts, um die Heliosphäre der irdischen Sonne herum, quaderförmige Materieansammlungen in den Raum des Normalen. Mit Überlichtgeschwindigkeit drangen sie in das Sonnensystem ein und überwanden die Distanz zur Erde, bevor sie auf dieser von irgendjemandem bemerkt wurden. Und dann waren sie plötzlich da. Von einem Moment zum anderen. Aus irdischer Sicht. Unermesslich der Lohn der vergangenen Zeiten, als fürwahr das Bild der Götter im fernen {Alraunen ...(SyntaxError)} Nebel der Milkyway-Galaxie flackerte. Geisterreiter wandern durch die Nacht, verschwinden im Dezembernebel......beobachten aus dem Geisterschiff...den Aufgang des blutroten Fixsterns hinter dem Horizont.... bevor alles auf Erden Wichtige sich ins Unendliche entfernt, nichts als schwarze Löcher und rote Riesen in den fernen Galaxien anderer Milchstrassen.... denn von der Himmelperspektive aus ist unser blauer Planet so winzig klein, so unbedeutend, da lösen Raum und Zeit sich auf....

Nichts als endlose Weiten. Öder Sand bis drei meter vorm Horizont. Es war nicht auszuhalten. Die Luft roch nach Kakteenmilch.