Wikipedia:Wikipedistik/Soziologie/Gender Studies
Nach dem Programm des Gender Mainstreaming sollen alle gesellschaftlichen Bereiche auf die Gleichstellung von Männern und Frauen durchleuchtet und Maßnahmen ergriffen werden, die Gesellschaft auf allen Ebenen und in allen Bereichen Geschlechter-gerechter zu gestalten. Wie sieht es damit in der de.Wikipedia aus?
Zahlen: Mai 2004
BearbeitenZahlen sagen inhaltlich nicht viel, können aber doch einige Hinweise geben. Das Verhältnis von männlichen und weiblichen Benutzer kann bei anonymen Benutzer nicht festgestellt werden. Auch bei angemeldeten Benutzern ist über den Nickname eine eindeutige Zuordnung nicht immer möglich, bzw. kann nichts darüber ausgesagt werden, ob Benutzername und Geschlecht identisch sind. Eine Aussage lässt sich nur über entsprechende Angaben zur Person auf der Benutzerseite treffen.
Folgende Zahlen beziehen sich auf Benutzer mit Admin-Funktion. Admins, die aufgrund von Aussagen auf der Benutzerseite nicht eindeutig zugeordnet werden können, sind extra ausgewiesen, wobei aus den Diskussionen eine Zuordnung vermutet werden kann (Benutzername, Ansprache usw.).
Geschlechterverteilung von Benutzern mit Admin-Funktion
BearbeitenGesamt: a) aktiv: 70 Administratoren b) inaktiv: 2 c) Status zurückgegeben: 1 (Stand Mai 2004)
a) 55 männlich, 3 weiblich, 12 nicht eindeutig aus der Benutzerseite erkennbar, vermutlich männlich
b) 1 männlich, 1 weiblich
c) 1 männlich
zusammen 73, davon sicher 55, wahrscheinlich 69 männlich und 4 weiblich
Erklärungsansätze
BearbeitenInteressant ist hierbei vermutlich das Zusammenwirken von zwei Faktoren: sowohl "Technik" als auch "Macht" (im Sinne von Teilhabe an Entscheidungsprozessen) werden heute immer noch männlich konnotiert. So sind Frauen bei der Nutzung von Computerkommunikation noch immer unterrepräsentiert. Eine Begründungslinie dafür differenziert zwischen einem "männlichen" spielerisch-sinnfreien Umgang mit Technik und einem "weiblichen" auf Nutzen ausgerichteten Umgang mit Technik, möglicherweise durch unterschiedliche Zeitbudgets und Sozialisationen verursacht. Die Geschlechterverteilung gleicht sich hier zur Zeit an, zu bedenken sind immer auch kulturspezifische Unterschiede. Zum anderen beteiligen sich Frauen ebenfalls noch immer deutlich seltener als Männer an formalisierten politischen Entscheidungsstrukturen. So sind deutlich weniger Frauen als Männer Mitglied in Parteien; dies ist selbst in Parteien mit einer Frauenquote der Fall. Im Fall der Geschlechterverteilung bei den Benutzern mit Admin-Funktion dürfte beides zusammenkommen: Wikipedia selbst fällt sicherlich, gerade bei einem zeitlich intensiven Engagement, in den Bereich einer spielerisch-sinnfreien Techniknutzung. Bezogen auf die Beteiligung an der Administration kommt die damit verbundene relativ verbindliche Einbindung in formalisierte Strukturen hinzu: um Admin zu werden, muss die NutzerIn sich zur Wahl stellen und erhält einen mit Verbindlichkeitsforderungen versehenen "Posten". Interessant unter der Annahme von kulturellen Besonderheiten wäre der Vergleich der Geschlechterverhältnisse mit der anderer Wikipedias (vgl. etwa [1]).
Zusätzlich zu den angeführten Erklärungsansätzen können im Projekt wirksame Selektionskriterien in Betracht gezogen werden. Diese sind entweder a) kulturspezifischer und/oder b) projektspezifischer und/oder c) geschlechtspezifischer Natur.
Zu a: ein Vergleich mit der en.wikipedia steht aus, siehe oben.
Zu b: Selektionskriterien innerhalb eines Projektes wirken in gleicher Weise wie Selektion innerhalb eines Unternehmens. Durch eine spezielle Unternehmenskultur (Corporate Identity), spezielle Bedingungen der Arbeits- und Verantwortungsverteilung, der Informationsleitung, Kontrollsysteme, kollegialen und fachlichen Kommunikationsweisen werden solche Mitarbeiter in ein System integriert (und andere abgewiesen), die diesen etablierten Funktions- und Kommunikationsweisen entsprechen. Einzelne Personen mit Entscheidungsbefugnis und Machtfunktionen (wie z.B. Personalchefs) können durch Auswahl von Mitarbeitern einen entscheidenden Einfluss auf die gesamte Unternehmenskultur ausüben. Frage in Bezug auf die de.wikipedia: selektieren sich Freiwillige für Admin-Funktionen nach dem stillen Einverständnis mir den vorherrschenden Kommunikations- und Funktionsregeln?
zu c: Bei diesen Selektionsmechanismen können geschlechtsbezogene Aspekte eine Rolle spielen. Wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen "Seilschaften" dafür sorgen, dass Gleichgesinnte in entscheidende Stellungen gelangen, so könnte dieser Mechanismus dafür sorgen, dass mann in einem männerdominierten Projekt weiterhin unter sich bleibt. Vorgeschlagen und gewählt werden Gleichgesinnte, in der Regel männliche Benutzer. Weiterhin kann die gegebene "Projektkultur" des Miteinander Umgehens und der Regelfindung und -kontrolle, typisch männlich geprägt, Frauen eher abschrecken als dazu ermuntern, sich aktiv zu beteiligen. Konkurrenzkämpfe, verbale Schlachten und Edit-Wars sind für eher kooperativ sozialisierte und eingestellte Frauen kein Anreiz, freie Zeit in ein Projekt zu investieren.
Bewertung
BearbeitenWie lässt sich nun eine solche Aussage wie das hier festgestellte -- und möglicherweise plausibel erklärte -- Missverhältnis zwischen Männern und Frauen bei der Zahl der Wikipedia-Admins bewerten? Was für Schlussfolgerungen sollen daraus gezogen werden?
Einsichtig ist, dass dies abhängig ist vom jeweiligen normativen Rahmen: Wer -- wie es die Orientierung an Gender Mainstreaming wohl voraussetzt -- der Meinung ist, dass gesellschaftliche Bereiche, in denen Frauen und Männer sich nicht annäherend gleichverteilen, Bereiche sind, in denen etwas falsch läuft; dass eine solche Ungleichverteilung jedenfalls begründungsbedürftig ist, wird die hier festgestellten Zahlen mit Sorge betrachten und darüber nachdenken, was sich dagegen tun lässt. Wer hingegen der Meinung ist, dass es sich dabei nur um ein Artefakt individueller freier Entscheidungen handelt, und nicht um das Ergebnis tieferliegender, struktureller gesellschaftlicher Missverhältnisse, wird sich eher an den Kopf langen und fragen, wozu denn die ganze Aufregung notwendig sei. Eine dritte Position bestünde darin, auf einen essentialistischen (bzw. biologistischen) Erkläransatz zu verfallen: Frauen interessierten sich halt nicht für Computer, nur Männer seien in der Lage, Enzyklopädien zusammenzustellen.
Aus Sicht der ersten Position kann es nicht beim bloßen Zu-Kenntnis-Nehmen dieser Zahlen bleiben. Vielmehr stellt sich die Frage danach, warum es zu diesem Ungleichverhältnis kommt und was dagegen kurz- und langfristig zu tun ist. Wenn hier nun allerdings der oben skizzierte Erkläransatz stimmt, dass auch heute noch ansozialisierte und durch ungleiche Zeitverfügbarkeiten Hemmschwellen gegenüber technischen Spielereien und der Teilhabe an Entscheidungsprozessen wirksam sind, ist die Frage nach Lösungsansätzen gar nicht so einfach zu beantworten.
Kurzfristig könnte es darum gehen, individuelle Hemmschwellen zu senken: durch das aktive Ansprechen von Nutzerinnen daraufhin, ob sie sich an der Administration beteiligen wollen (vgl. hier allerdings auch die Diskussion um Geschlechter-Quoten und "Quotenfrauen"), in Bezug auf die Technizität der Wikipedia vielleicht auch durch ein stärkeres Herausstellen der Nützlichkeitsaspekte. Es müsste allerdings -- ebenfalls in einer kurzfristigen Zeitperspektive -- auch darüber nachgedacht werden, wie soziabel, also gesellschaftsverträglich die Wikipedia in ihrer jetztigen Form ist: Stichworte wären hier etwa der bei intensiver Mitarbeit doch recht große Zeitaufwand (mit entsprechenden individuellen Prioritätssetzungen), oder auch der hohe Anteil möglicherweise vermeidbare Konflikte jenseits der eigentlichen enzyklopädischen Arbeit oder weniger konflikthafter Formen des Community-Building. Die Frage einer geringeren Beteiligung von Frauen als von Männern an der Wikipedia darf also nicht nur in den individuellen Entscheidungen der Frauen gesucht werden, sondern muss auch an der Gestaltung der Wikipedia ansetzen.
Längerfristig stellt sich die Frage, warum unsere Gesellschaft immer noch Frauen so sozialisiert, dass sie der Reproduktionsarbeit eine höhere Priorität zuweisen als ihren "eigenen" Interessen, während dies bei Männern häufig andersherum ist. Es stellt sich auch die Frage, wie unterschiedliche Zeitbudgets zustande kommen, letztlich also die Frage, woher die mehrheitlich männlichen Aktiven in der Wikipedia die Zeit nehmen, sich intensiv damit zu befassen, und woran es liegt, dass sie dem eine höhere Priorität zuweisen als anderen Tätigkeiten. Letztlich also die Frage, worauf aktive Wikipedia-NutzerInnen durch ihre aktive Wikipedia-Nutzung verzichten. Daran schließen dann grundlegendere Überlegungen zur gesellschaftlichen Arbeitsteilung (nicht nur der Erwerbsarbeit, sondern auch reproduktiver und "privater" Tätigkeiten) sowie zur sozialisierenden Weitergabe von Geschlechterrollen an.
Inhalte: Mai bis Dez. 2004
BearbeitenÜber eine geschlechtsspezfische Prägung der Themenauswahl und Darstellungsweise lässt sich ohne eine intensive (und umfangreiche) Inhaltsanalyse keine Aussage treffen. Zu vermuten ist, dass es aufgrund des Verhältnisses von User und Userinnen sowie der Dominanz des technischen Mediums zu einem Überhang an bestimmten Themen kommt, die sich im Umfeld neuer Medien und Informatiksachverhalten bewegen. Auch gewisse Spielwiesen im Bereich Fantasyliteratur und Computerspiele sind zu beobachten. Andere Bereiche, die typische Freizeitbeschäftigungen für Frauen darstellen oder auch allgemeinbildende Anteile mögen bisher fehlen, bzw. unterrepräsentiert sein. Dies ist aber aufgrund des prinzipiell offenen Charakters der Wikipedia zunächst kein Problem.
Interessanter hingegen ist die Frage nach einer möglichen gender- spezifischen Darstellungsweise und der Umgang mit Artikeln, die direkt mit dem Thema Geschlechtsidentität und in diesem Zusammenhang auftretenden Problemen zu tun haben.
Geschlechtsspezifische Darstellung?
Bearbeitensiehe zum Thema: Androzentrismus
Artikel mit Bezug zur Gender-Thematik
BearbeitenIm folgenden einige Hinweise zu ausgewählten Beispielen mit Problemcharakter, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Repräsentativität. Einzelfälle oder Systemlogik?
Weiblichkeit
Der Artikel wurde von einer anonymen Benutzerin (wahrscheinlich weiblich) eingestellt und mit einem Löschantrag versehen, weil er esoterische Anklänge hatte und das Thema nicht in der geforderten "Wissenschaftlichkeit" abhandelte. Anlässlich des Antrags ergab sich eine Diskussion, in deren Verlauf mehrere männliche Benutzer einer weiblichen Benutzerin erklärten, was in einem Artikel über Weiblichkeit zu stehen hat; dies bis hin zur Aussage, das Männer die besten Bücher über Frauenheilkunde geschrieben hätten. Zur Diskussion siehe: [2] Der Artikel wurde nach Ablauf der Frist gelöscht. Am 14. Mai wurde ein neuer Artikel eingestellt, der von einem an dieser Diskussion nicht beteiligten männlichen Benutzer verfasst wurde. Er enthält in der neuen Form ausschließlich männliche Beschreibungen von Weiblichkeit. Beispiel: einzige Kennzeichnung von (weiblichem) Verhalten: Gehorsam)
Gender Mainstreaming
In diesem Artikel ist richtig bemerkt, dass sich das Programm auf die Erforschung und Beseitigung von Benachteiligung beider Geschlechter bezíeht. Allerdings ist hier ausschließlich das Defizit aus männlicher Sicht thematisiert. Die tatsächliche gesellschaftliche Situation ist allerdings eine andere und wird in diesem Artikel schief abgebildet.
Nachbemerkung: 17. Mai 2004: Der Artikel wurde komplett überarbeitet und ist in der neuen Form nicht mehr einseitig. Zum Vergleich findet sich hier die alte Fassung des Artikels Gender Mainstreaming.
Weitere Artikel zur Gender-Thematik
Heftig gestritten wurde auch um die Artikel Feminismus, Frauenbewegung, Frauenrecht, Maskulismus und Männerbewegung wobei der Widerstand gegen den Feminismus vor allem aus Richtung der sog. Neuen Männerbewegung formuliert wurde. Hier verläuft die Trennungslinie nicht zwischen den (biologischen) Geschlechtern. Der Maskuslismus wird sowohl von feministischer Seite kritisiert wie auch aus den Reihen der Männerbewegung.
Sexueller Missbrauch von Kindern und zugehörige Diskussion [3] auch: [4] u.a., sowie weitere Artikel im thematischen Umfeld
Dieses Thema bezieht sich auf die Geschlechteridentität insofern Opfer sexuellen Missbrauchs überwiegend Mädchen sind, die auch (vermeintlich immer) in einem weit höheren Maße Folgeschäden davon tragen als Jungen. Seit Monaten wird um diese Thematik gestritten, wobei eine offensichtlich pädophile Argumentation durchgesetzt wird gegen jeden Versuch, eine auch offiziell von der Regierung und dem Gesetzgeber vertretene Sichtweise in den Artikel einzubringen oder in einem gesonderten Artikel zu formulieren. Zur Zeit wird nach massiver Intervention nicht nur weiblicher Benutzer unter Aufsicht von zwei Admins der Versuch unternommen, zu neutralen Formulierungen in diesem Artikel zu kommen. Es diskutieren hier aber weiterhin Männer unter sich. Leider haben beide Admins - ein Mann und eine Frau - inzwischen aufgrund anderer Querelen ihren Adminstatus aufgegeben bzw. inaktiviert. Bei dieser Thematik verschiebt sich die Trennungslinie der Geschlechter und Widerstand gegen eine solcher Vereinnahmung der Wikipedia geht nicht nur von Frauen aus. Dennoch sind es männliche Teilnehmer, die mit immer neuen Strategien versuchen, ihre Position der Verharmlosung und Rechtfertigung von sexuellem Missbrauch durchzusetzen. In der immer wieder in Einzelheiten zerfledderten Diskussion von Argumenten und Gegenargumenten wurden bisher von weiblichen Benutzern (und Admin) überwiegend wertbegründete Aussagen eingebracht, die trotz nachgelieferter Begründungen bisher unter dem Anspruch (oder dem Diktat) der "Wissenschaftlichkeit" kein Gehör fanden.
Transgender
Eine Reihe weiterer Artikel befasst sich mit Transgender-Themen, die ebenfalls die Geschlechtsidentität betreffen.
Siehe Liste der Transgender-Themen
Kategorien: Kategorie:Feminismus; Kategorie:Frauengeschichte; Personen siehe Kategorie:Frau (achtung, lange Ladezeit)