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Kollaboration

Die verheerende Niederlage der französischen Truppen gegen die deutsche Wehrmacht hat entscheidende Folgen für den Ablauf des Zweiten Weltkriegs und die deutsch-französischen Beziehungen dieser Jahre. Im Juni 1940 setzten sich in Frankreich die Befürworter eines raschen Waffenstillstands, angeführt von Philippe Pétain, gegen diejenigen durch, welche eine Fortführung der Kampfhandlungen bevorzugen. Dies hat bedeutende Konsequenzen. Zum einen die Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens mit Regelungen zur Besatzung des Großteils des französischen Staatsgebiets durch die deutsche Armee, zur Verbringung französischer Soldaten als Kriegsgefangene nach Deutschland und zur Verpflichtung der Auslieferung der in französischen Lagern internierten Kritiker des Deutschen Reiches. Eine weitere Konsequenz der Niederlage ist die Einsetzung des Regimes von Vichy, welches sich selbst als Wiederherstellung von Ordnung und Moral sieht und sich der Kollaboration verschreibt. Der Begriff Kollaboration wird von Pétain zur Beschreibung der Zusammenarbeit in Verwaltung, Polizei und Politik zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und dem Regime von Vichy verwendet. Er bezeichnet später aber auch ganz andere, unterschiedliche Aspekte: Dazu zählen die seit 1930 zu beobachtende Übernahme der nationalsozialistischen Doktrin durch Intellektuelle (collaborationnisme), die Aufnahme von Wirtschaftsbeziehungen zwischen Besatzern und Besetzten oder die Liebesbeziehungen, die sich zwischen Französinnen und in Frankreich stationierten deutschen Soldaten entwickelten. Dies erscheint insofern problematisch als genannten Handlungen vielfältige Beweggründe, Formen und Akteure zugrundeliegen.

Die Kollaboration steht zum einen für einen besonderen Typ der deutschfranzösischen Beziehungen, geprägt durch seinen umfassenden und unnatürlichen Charakter. Dabei handelt sich gerade nach 1940 um eine äußerst unausgewogene Beziehung, die aber von der Vorstellung einer freiwilligen Zusammenarbeit zweier Länder beeinflusst wird. Es erscheint daher durchaus angreifbar, das Phänomen, welches Stanley Hoffmann in den 1970er Jahren als „Staatskollaboration“ bezeichnete und die Umsetzung, der durch das Deutsche Reich mit dem Waffenstillstand auferlegten Vereinbarungen, unter ein und denselben Begriff zu fassen. Die Abgrenzung ist nicht immer eindeutig: Auch wenn dem französischen Staat die Verpflichtung zu Kriegsleistungen auferlegt wurde und Plünderungen stattfanden, ist andererseits auch bekannt, dass französische Unternehmer, insbesondere aus dem Schlüsselbereich Luftfahrt, von der freiwilligen Zusammenarbeit mit dem Deutschen Reich profitierten. Und auch wenn, laut Waffenstillstandsvertrag, die französischen Kriegsgefangenen ins Deutsche Reich zu verbringen sind, so ist es formal doch das Vichy- Regime, welches Zwangsarbeit einführt, hunderttausende von Franzosen zur Arbeit im Deutschen Reich zwingt und dabei das Entstehen des Maquis, welcher später zum Sammelbecken für die Widerstandskämpfer werden sollte bedingt. Außerdem birgt die wissenschaftliche Fokussierung auf die Staatskollaboration die Gefahr, die Frage nach der Rolle der Intellektuellen und der Bedeutung der ideologischen Kollaboration, welche als erste auftrat, auszublenden. Die kollaborationistische Strömung ist Teil einer Antwort auf Pazifismus, Parlamentarismus und Republikanismus, welche auf die Aufklärung und die Französische Revolution zurückgehen. Sie wird von Charles Maurras getragen und betrachtet in der Niederlage Frankreichs eine „göttliche Überraschung“ und ideologische historische Vergeltung und betrachtet das aufsteigende Dritte Reich als ideologisches Bollwerk gegen die kommunstische Gefahr. Robert Brasillach steht F ebenso wie Robert Denoël, Herausgeber der Besatzungsautoren Céline und Rebatet Fbeispielhaft für jene Schriftsteller, welche diese Haltung teilen. Diese Form der Kollaboration beginnt deutlich vor 1940 und die Fürsprecher des nationalsozialistischen Deutschland in Frankreich, unter ihnen der spätere Botschafter Otto Abetz, bemühen sich, diese zur Rechtfertigung und Begründung der Nationalsozialistischen Thesen anzukurbeln. Abetz organisiert für Pierre Drieu la Rochelle 1934 eine Konferenz in Berlin und knüpft Kontakte mit Jean Luchaire, herausragende Persönlichkeit der Kollaboration, Verantwortlicher für die Zeitschrift Notre Temps und seit dem Krieg auch Chef der Zeitschrift Les Nouveaux Temps. Abetz begründet ebenfalls das Comité France-Allemagne und die (nicht mit der gleichnamigen Organisation der 1920er Jahre gleichzusetzende) Deutsch-Französische Gesellschaft in Berlin, welche die Zusammenarbeit auf intellektueller Ebene zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und Frankreich erleichtern sollen.

Die Vorgehensweise Abetz’ zielte, über die Cahiers franco-allemands, in denen zahlreiche französische Schriftsteller in deutscher Übersetzung erschienen, einerseits auf eine friedliche ideologische Kollaboration und andererseits auf die Strukturierung des pronationalsozialistischen Netzwerks französischer Intellektueller. Es gibt rechtsextreme, die Kollaboration-befürwortende Zirkel wie den Cercle Rive Gauche und das zweiwöchig erscheinende Informationsblatt Goethe zu den deutsch-französischen Beziehungen. Während der Besatzung werden diese Netzwerke immer wichtiger und auch Politiker schließen sich zu dieser Zeit der ideologischen Kollaboration an und unterstützen die vom Deutschen Reich gestellten Forderungen. Unter ihnen ist auch Marcel Déat, welcher in den 1930er Jahren verschiedene Wahlmandate errang, Chef der Parti national populaire wurde und schließlich 1944 Minister für Arbeit. Sie überboten sich geradezu in ihren Bemühungen um die Gunst der Nationalsozialisten, inbesondere durch ihren Einsatz für die Waffen SS (gerade in der Division Charlemange, welche allerdings keine bedeutende Rolle innerhalb der Waffen SS spielte) oder die Gestapo.

Die Staatskollaboration, wie im Vichy-Regime umgesetzt, ist eine Idee des französischen Regierungschefs Pierre Laval, welcher im Dezember 1940 entlassen wurde, jedoch im April 1942 sein Amt zurückkehrt. Laval ist überzeugt von der Kollaboration und einer ihrer wichtigsten Vertreter. Er setzt die kollaborationistischen Thesen in die Tat um. Es handelt sich dabei um verschiedene Bewegunggründe, die alle freiwillig verfolgt wurden: Es galt günstige Bedingungen für einen möglichen Frieden (den „unvermeidlichen“, späteren deutschen Sieg vorausgesetzt) zu erhalten, den Platz Frankreichs innerhalb der neuen europäischen Ordnung zu bewahren und die mehr oder weniger auferlegte, nationalsozialistische Ideologie umzusetzen. Beim Treffen Adolf Hitlers mit Ministerpräsident Philippe Pétain in Montoire am 24. Oktober 1940, organisiert von Laval und Abetz handelt es sich um einen Vorschlag des Vichy-Regimes. Es geht über die nach dem Waffenstillstand von den deutschen Besatzern erhobenen Forderungen hinaus. In den Prozessen, in welchen die Amtsträger des Vichy-Regimes nach 1945 angeklagt wurden, wurde dies ebenfalls angeführt. In der Anhörung vom 23. Juli 1945, Prozess gegen Philippe Pétain, heißt es, dass die Übereinkunft von Montoire „nicht nur einer beschämenden Zusammenarbeit gewidmet war, sondern der Unterwerfung Frankreichs unter Deutschland, einer Unterwerfung an der die Regierung von Vichy auf gesetzgeberischer Ebene teilgenommen hat, indem seine Gesetzgebung derjenigen das Reiches zugeschlagen wurde, indem man sich nicht allein darauf beschränkte, indem ganze Gruppen der französischen Bevölkerung vom Recht ausgeschlossen wurden und indem die Verfolgung dieser, dem Beispiel des Hitler-Regimes folgend, organisiert wurde und schließlich indem sie selbst (die Vichy-Regierung), die vom Reich geforderten Opfer diesem auslieferte – wie um die Demütigung noch deutlicher zu machen“. Joseph Darnand, welcher am 30. Dezember 1930 zum „Staatssekretär zur Aufrechterhaltung der Ordnung“ wird, treibt die Logik von Montoire an die Spitze. Er führt am 21. November 1942 eine Einberufung für die Phalanges africaines (dt. afrikanische Front) aus und fasst im Rahmen des Kolonialreiches eine Zusammenarbeit zwischen deutschen Streitkräften und den französischen Streitkräften in Afrika ins Auge, um gegen die britischen Truppen zu kämpfen. Als deutlichstes Beispiel steht jedoch wahrscheinlich die Zusammenarbeit der französischen und deutschen Polizei bei den Massenverhaftungen der Juden, darunter diejenige vom 17. Juli 1942, welche unter dem Begriff Vélo d’Hiv oder Vélodrôme d’Hiver (benannt nach dem Stadion, in welches diese gebracht wurden) bekannt ist. Das Vichy-Regime erlässt antijüdische Rassengesetze (per Gesetz vom 11. Dezember 1942, welches die Bezeichnung „Jude“ auf den ausgehändigten Ausweisen anordnet) und beschränkt sich nicht, wie vom Dritten Reich gefordert, auf die Auslieferung von Erwachsenen, sondern liefert diesem auch Kinder aus. Das Lager Drancy im Norden von Paris war ein Durchgangslager zur Weiterleitung der in Frankreich festgenommenen Juden in Konzentrations- und Vernichtungslager, welches zwischen 1941 bis 1944. Unter deutscher Kontrolle stehend, wird es von der Polizeipräfektur verwaltet, der eine Bereitschaft der Gendarmerie untersteht. 75.000 Juden wurden so von Frankreich ins nationalsozialistische Deutschland deportiert. Die Landung der Alliierten in der Normandie und die Befreiung Frankreichs beenden 1944 die deutsche Besatzung und das Vichy-Regime und führen zur Einsetzung einer vorläufigen Regierung (Gouvernement provisoire de la République française). Céline berichtet, wie danach (im August 1944) auch zahlreiche Kollaborateure nach Sigmaringen fliehen.

Der Begriff „Kollaborateur“ wird von da an zur Anklage und Verurteilung der auf den unterschiedlichen Ebenen mitwirkenden Akteure verwendet. Die verhängten Strafen weisen verschiedene Formen auf, ebenso wie die vielfältigen Tatsachen, welche mit dem Begriff „Kollaboration“ gefasst werden: Die Eil-Hinrichtungen von 10.000 Personen in den ersten Tagen, die juristischen und beruflichen Säuberungen, welche bis zur Verhängung von Todesstrafen gehen (insgesamt 125.000 Urteile). Die Kollaboration bleibt in Frankreich aus zwei Gründen eine äußerst sensible Angelegenheit: Zum einen aufgrund des Klimas, welches vom Wunsch, Rechnungen zu begleichen, geprägt war und zum anderen aufgrund einiger, straffrei ausgehender Kollaborateure sowie kompromittierter Mitglieder der Verwaltungseliten, welche nach 1945 erneut Posten erhalten. Die Frage der Einstellungen und Handlungen, welche tatsächlich den Bestand der Kollaboration erfüllen, ist seit Jahrzehnten umstritten. Die Zwangsrasur und Ausgrenzung der Frauen, welche Liebesbeziehungen mit einem Deutschen unterhielten wie die Verurteilung der „Malgré-nous“ wurden später als ungerecht beurteilt (bei diesen handelt es sich um jene Franzosen aus Elsass und Mosel, welche zum Dienst in der deutschen Wehrmacht gezwungen wurden und z.B. an der Zerstörung des Dorfes Oradour-sur-Glane und der Hinrichtung seiner Bewohner durch die deutsche Wehrmacht am 10. Juni 1944, beteiligt waren). Umgekehrt dauerte es allerdings bis zur Wahl Jacques Chiracs als französischer Präsident 1995 ehe ein Verfahren gegen Maurice Papon eingeleitet wurde, um über dessen Rolle im System von Vichy zu urteilen.


  • Delpla François, 1996, Montoire. Les premiers jours de la collaboration, Paris: Albin Michel.
  • Meyer Ahlrich, 2002, L’occupation allemande en France 1940-1944, Paris: Privat.
  • Ory Pascal, 1977, La France allemande, Paroles du collaborationnisme français (1933-1945), Paris, Gallimard, Julliard.
  • Paxton Robert O., 1973, La France de Vichy 1940-1944. Vichy et la collaboration: un bilan, Paris, Seuil.
  • Richard Lionel, 1988, Le nazisme et la culture, Paris, éditions Complexe.
  • Rousso Henry, 1992, „L´épuration en France: une histoire inachevée“, in: Vingtième Siècle, vol. 33, S. 78-105.
  • Rousso Henry, 1993, „Une justice impossible. L´épuration et la politique antijuive de Vichy“, in: Annales, Économies, Sociétés, Civilisations, vol. 48, nº3, S. 745-770.