Wikipedia:Zedler-Preis/Zedler-Medaille 2009/Prismatisieren in therapeutischen und Beratungsgesprächen

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Prismatisieren in therapeutischen und Beratungsgesprächen

Inhaltsverzeichnis

        Einleitung

I Theoretische Vorbemerkungen

        Deutungsfreie Phantasien
        Die körperlich-sinnliche Erlebensbereitschaft
        Vergleiche mit religiösen und spirituellen Praktiken
        Psychoanalyse
        Die Vernetzung familiär gebundener Erlebensbereiche
        Seit der Aufklärung
        Hirnphysiologische Forschungen

II Anwendungsbeispiele

       Psychiatrie
       Eine akute Psychose im Aufnahmegespräch
       Prismatische Patientenrunden
       Emigranten
       Prismatische Arbeit mit Gewaltopfern
       Eine Prismentagung in Kuwait
       Die prismatische Lösung von Trauerfixierungen
       Eine Hospizgruppe in Lindau
        Prismatische Stationsvisite bei einer sterbenden Patientin
        Prismatische Schmerzentlastung
        Literatur

Einleitung

Prismatisieren beinhaltet die Mobilisierung beziehungsübergreifender Ge-fühle. Hierbei werden Überlegungen und Emotionen sowie beziehungsbe-zogene Gefühle zurückgelassen, um Empfindungen und Stimmungen bes-ser wahrnehmen zu können und um damit ganzheitliche Erlebensbereiche zu öffnen. Lebensfreude, akzeptierende Weltoffenheit, aesthetische Ge-nussfähigkeit, religiöse und spirituelle Erlebenswünsche, sportliche und künstlerische Tätigkeiten sowie konfliktfreie Kommunikationsmöglichkeiten können damit Toleranz und beziehungsübergreifende Glücksgefühle er-möglichen.

Anfang der 70er Jahren gelang in der Medizinischen Hochschule Hannover die bahnbrechende Entwicklung der prismatischen Gesprächsform. In ei-nem weitgehend hierarchiefreien, quasi basisdemokratischen Arbeitsfeld, konnten sozialpsychiatrische Strukturen in der Gemeinde sowie partner-schaftliche Begegnungsformen mit psychotischen Patienten entwickelt werden. Auf diesem Weg wurden u.a. spezifische Einfühlungsfähigkeiten bei psychotischen Patienten entdeckt und psychotische Symptome als Ausdruck ihrer kreativen Gestaltungsfähigkeit verstanden. In einem nächs-ten Schritt gelang es, diese Erfahrungen auf andere Behandlungsbereiche zu übertragen. So wurden in der Onkologie, in der Dialyse sowie auf Inten-sivstationen nach Wegen gesucht, wie sich Gespräche mit Sterbenden und ihren Angehörigen entlastend verändern lassen. Hierbei konnten Übertra-gungsphänomene auf Zeit zurücktreten, um vorhandene Ängste zu reduzie-ren und kreative Resourcen zu mobilisieren. Gesprächsblockaden und Lernstörungen sowie burn-out-Symptome ließen sich auflösen. Posttrauma-tische Belastungsstörungen konnten in prismatischen Kurztherapien verrin-gert werden.

Prismatische Gespräche wurden mit Patienten und Klienten, mit unter-schiedlichen psychosozialen Berufsgruppen sowie mit Lehrkräften und Schülern erprobt. Der Name Prisma entstand im Vergleich mit dem Son-nenlicht, dass auf dem Weg durch ein Prisma die Vielfalt seines Farbspekt-rums öffnet. Damit konnte die Identitätsvielfalt des Menschen geöffnet wer-den. Die Methode wurde inzwischen weltweit in Prismengruppen erprobt.

I Theoretische Vorbemerkungen

Durch das Anreichern der Gespräche mit sozialen, kulturellen und Sinnfragen lassen sich Gesprächs- und Gefühlsblockaden auflösen. Das beinhaltet ein Umschalten auf körperlich-sinnliche Resonanzprozesse zwischen den Gesprächspartnern. Hiermit wird die Entfaltung intuitiver Wahrnehmungen und deutungsfreier Phantasien ermöglicht. Die Bereitschaft, eigene Empfindungen, Stimmungen und Phantasien als intuitiv und resonant gewonnene Erlebensbereiche des Gesprächspartners zu verstehen, erfordert jedoch eine veränderte Gesprächseinstellung.

Prismatische Gespräche entfalten Erlebensbereiche, wie sie Winnicott (1984) für den Übergangsraum beschreibt, in dem soziale, kulturelle und psychische Phänomene miteinander vernetzt sind. Entspannende Kontakte mit Freunden und gemeinsame Aktivitäten in Vereinen sowie vor allem in deutungsfreien Selbsthilfegruppen enthalten prismatische Qualitäten. Kulturelle Veranstaltungen haben eine vergleichbare Funktion. Gestalt- und kunsttherapeutische Aktivitäten ermöglichen ebenfalls Einsichten in ganzheitliche Erlebensprozesse. Thure von Uexküll suchte theoretische Antworten für die erstaunlichen Prozesse in Prismengruppen. (1982)

Unsere gewohnte Reagibilität und Deutungskompetenz lassen wir Prismen-orientiert, kurzfristig zurück, um intuitiv Elemente unserer Identitätsvielfalt wahrnehmen zu kön-nen. Hierbei gewinnen wir sinnliche Resonanz und deutungsfreie Phantasien, die eine Entfaltung freier Assoziationen ermöglichen. Hieran anknüpfend lassen sich dann Ein-sichten in die Vernetzung und Komplexität individueller und sozio-kulturellen Abhän-gigkeiten und Lebensgestaltungsmöglichkeiten ins Gespräch einbringen und damit Leidenszustände und Symptom-Fixierungen defokussieren. Diese Einsicht beinhaltet eine erhebliche Erweiterung unserer Reaktions- und Wahrnehmungskompetenz. Die Entfaltung sinnlicher Resonanz ist jedoch für Deutungsspezialisten ebenso wie für übertragungsorientierte Therapeuten anfangs schwierig. Patienten gewinnen damit eine erstaunlich rasche Entlastung ihrer Leidenszustände.

Deutungsfreie Phantasien Die psychotherapeutische Mobilisierung von Phantasien ist eine bis ins Altertum zu-rückrei¬chende Be¬handlungsmethode. Die Heilkraft von Phanta¬sien im Rahmen sinnli-cher Erle¬bensoffenheit wird in den heutigen Therapien jedoch nur unzureichend in ih-rem Eigenwert verstanden. Wäh¬rend zum Beispiel für die Musiktherapie, die eben¬falls bereits im Altertum als Heilmethode anerkannt war, die therapeutische Wirksamkeit bestimmter Musikstücke, Instrumente, Rhythmen, Tonfolgen und Klangfarben belegt werden kann, las¬sen sich die sinnlich ge¬stimmten Phantasie¬welten vorerst nur schwer-lich lösen aus tradierten spirituellen und neore¬ligiösen Vorstel¬lungen sowie aus den modernen Symboltheorien zum individuellen und kollekti¬ven Unbewußten. Jerome L. Singer beschreibt bereits 1978 über 200 unterschiedliche Phantasie- Tagtraum- und Imaginationstechniken. Wir haben die mehrdeutigen öffnenden Metaphern als „deu-tungsfreie Phantasie“ beschrieben. Wenn Pati¬enten und The¬rapeuten sich für sinn¬lich-narratives Erleben öffnen können und wenn sie Fan¬ta¬sien frei in sich ausgestalten und be¬wegen, ohne sie deutend zu fixie¬ren, so wird dank differenter und wech¬selnder Stimmungsbilder der einzelnen Ge¬sprächsteil¬nehmer ein vielfältiges Spek¬trum mögli-cher Sinnantworten ent¬stehen.

Die körperlich sinnliche Erlebensbereitschaft ist eine Voraussetzung, um reso¬nant em-pathisch den jeweils Anderen zu erreichen und metaphorische Aus¬tauschprozesse zu ermöglichen. Sie ist Vorrausetzung für die Entfaltung deutungsfreier Phantasien. Kör-perlich-sinnliches Erleben als psychotherapeu¬tisches Begegnungsszena¬rium hat in den letzten Jahrzehnten eine Flut neuer Therapieschulen und Methoden ins Leben gerufen. In Psychothe¬rapien werden damit ge¬wohnte subjektzentrierte Orientie¬rungen relativiert und der Therapeutik neue Wahrnehmungs- und Handlungsbereiche eröff¬net. Freud´s Hinweis, daß der Thera¬peut dem Patienten sein Unbewusstes wie ein Instrument zur Verfü¬gung stellen solle, lässt sich auf die körperlich-sinnliche In¬strumen-talisierbarkeit des Menschen über¬tragen und therapeutisch nut¬zen.

Vergleiche mit religiösen und spirituellen Praktiken. In Supervisionsgruppen mit Seelsorgern und Hospizhelfern sowie mit Patienten und Betreuern in spirituell getragenen Behandlungs- und Betreuungssystemen läßt sich die entlastende Funktion spiritueller Grundvorstellungen erleben. Prismatische und spiritu-elle Behandlungs- Betreuungs- und Kommunikationsformen enthalten zum Teil ver-gleichbare Praktiken. Im Unterschied zu spirituell vertiefenden Gesprächen und Ver-senkungsstrategien sucht die Prismatik jedoch spielerisch und humorvoll ganzheitliches Terrain zu öffnen. Auch die Homöopathie gewinnt mit ihrem Anspruch auf eine ganzheitliche Medizin zunehmend an Bedeutung. In der wachsenden Anzahl naturheil-kundlicher Behandlungsverfahren erleben Patienten mehr Autonomie in ihrer Ent-scheidungsfindung.

Die Psychoanalyse

mit ihren Vorstellungen zur projektiven Identifikation sowie zur Gegenübertragung wur-den eine wichtige Brücke zur Prismatik. Die projektive Identifikation beinhaltet abge-wehrte Ichbereiche auf den Therapeuten zu übertragen, während die Gegenübertra-gung das Wachrufen von Beziehungsgefühlen im Therapeuten beschreibt. Vor allem lähmende und aggressive Gegenübertragungen von Therapeuten lassen sich durch das Fokussieren auf sinnlich-körperliches Erleben und damit auf das Zurücklassen von Beziehungsdeutungen auflösen. Die Psychoanalyse vermittelt, wie sich Leidenszu-stände im Rahmen von Übertragungsvorstellungen als Ergebnis frühkindlicher Bezie-hungsprobleme verstehen und aufarbeiten lassen. Es zeigten sich jedoch immer wieder Grenzen dieser Behandlungsorientierung. Es wurde erprobt, wie sich Leidenszustände rascher verringern und Konflikte reduzieren lassen, wenn gesunde Erlebensbereiche eines Patienten über intuitiv gewonnene Einfälle reaktiviert werden.

Die Ich-zentrierte Fixierung auf Übertragungsphänomene blockiert vor allem die Arbeit mit psychotischen, gefolterten und sterbenden Patienten. Freud (1975) hatte unbe-wusste Prozesse bereits in ihrer irrationalen Komplexität beschrieben und dabei dem Ich nur eine Rahmenfunktion zugestanden. Da er jedoch, trotz seiner Einsichten in die Bedeutung kultureller und historischer Wirkfaktoren, den archaischen Triebimpulsen und den Übertragungsprozessen in ihren familiären Ich-Du-Beziehung verhaftet blieb, konnte bis heute dieser einengende Vorstellungsrahmen nur unzureichend zurückge-lassen werden. Freuds Vorstellungen zum Primärprozess, in dem unbewusstes Denken von gegensätzlichen Impulsen und Aussagen getragen wird, wurde zum wichtigsten Ausgangspunkt für die prismatisch orientierte Psychiatrie. Die von Analytikern be-schriebene Überforderung durch psychotisch bedingte Gegenübertragung ließen sich spielerisch in prismatischen Gesprächen auflösen und damit Patienten und Therapeu-ten entlasten.

Die Vernetzung familiär gebundener Ichbereiche, mit sozialen, kulturellen und religiösen Vorstellungen sowie mit gruppendynamisch erklärbaren Rollenzuschreibungen lassen sich als unbewusste Aufladungen verstehen. Sie sind Ausdruck unserer komplex strukturierten Individualität. Mit dieser Einsicht in die vielfarbige Abhängigkeit gewinnt unser Ich erweiterte Wahrnehmungs- und Handlungskompetenzen. Auf der einen Seite ist das Ich also eingebunden in eine Vielzahl von Abhängigkeiten, auf der anderen Seite ist das Ich Träger unserer gesamten Gefühlswelt, unserer Bindungsfähigkeiten und unserer Entscheidungsfindungen. Prismatisch werden unsere familiär gebundenen Gefühle durch beziehungsübergreifende Gefühle erweitert.

Seit der Aufklärung gewann unser Ich durch die Befreiung von weltlichen und religiösen Mächten seine exklusive Rolle. Es wurde damit jedoch überfordert und Quelle einer Vielzahl psychischer Dekompensationen. Erst Einsichten in seine Vernetzungsvielfalt können das Ich entlasten, seine Vorstellungswelt erweitern helfen, um damit eine humane Grundeinstellung zu gewinnen. Während etwa 65 % der Erdbevölkerung von der westlichen Ich-Zentrierung nicht eingefangen wurden und ihren kulturellen Fixie-rungen weitgehend verhaftet blieb, gelang es dem westlichen Ich, sich von gesell-schaftlichen Abhängigkeiten zu lösen. Die Prismatik konnte hieran anknüpfen, Indem sie Konflikte und Leidensfixierungen zu defokussieren lernte. Mit Hilfe deutungsfreier Phantasien gewinnt unser Ich erweiterte Wahrnehmungskompetenzen und bindungs-entlastende Beziehungsfähigkeiten sowie Begegnungsformen, die Toleranz sowie hu-morvolle Akzeptanz des jeweils anderen ermöglichen.

Hirnphysiologische Forschungen belegen, dass ein Informationsaustausch über averbale Signale zwischen Gesprächs-partnern stattfindet, ohne bewusst wahrgenommen zu werden. Die erstaunliche Vielfalt von Placebo-Effekten wird inzwischen ebenfalls hirnphysiologisch untersucht. G. Roth (2000) beschreibt detailliert Beispiele der heutigen Hirnforschung, mit denen sich u.a. die prismatische Orientierung begründen läßt.

II Anwendungsbeispiele

Psychiatrie

Die prismatische Einsicht in die erstaunliche Einfühlungsfähigkeit psychotischer Pati-enten beinhaltet eine Erweiterung vorherrschender biologisch und familiär bedingter Vorstellungen zur Genese der Psychose als Verarbeitung, der von seinen Bezie-hungspersonen übernommenen primärprozesshaften Chaotik. Deshalb sucht er in seinen akuten Phasen Distanz zu seinen engen Beziehungspersonen sowie zur Be-ziehungs-zentrierter Therapeutik. Es gelingt prismatisch seine Wahnvorstellungen als künstlerische Verarbeitung seiner Wahrnehmungskompetenz zu verstehen. Das hatte eine entlastende Funktion. Hierauf antwortete er nicht selten mit freien Phantasien. Diese primärprozesshafte Gesprächsorientierung wurde die Basis für alle weiteren prismatischen Anwendungsbereiche.

Drees schildert ein Gespräch mit einem schizophrenen Patienten, in dem er erstmals erlebte, wie neugieriges Fragen bereits psychotische Ängste auflösen können:

„Sie glauben es nicht Herr Doktor, wie sehr sich die Welt verändert hat“ „Wirklich?... das interessiert mich. Schildern Sie doch mal, wie und wo hat sich die Welt verän-dert?“ „Also ... die Strassen sind ganz anders geworden.“ „Sagen sie, wie haben sich denn die Strassen verändert?“ „Also ... die Farben der Häuser sind ganz anders ge-worden.“ „Können Sie mir das genauer beschreiben. Wie sehen die Strassen jetzt aus.“ „Also .... das Untergeschoss der Häuser hat ein knalliges Rot.“ Und auf weite-res Nachfragen: „Der erste Stock trägt ein giftiges Grün und das Obergeschoss, das ist jetzt ganz dunkel blau.“ „Mein Gott, welch eine Farbenpracht!“ „Und ausserdem ... die Häuser, die fallen aufeinander zu.“ „Das ist ja interessant. Um wieviel Grad denn?“ „Also ... Grad?“ „Ja.“ Ich zeige ihm mit den Händen wieviel 45 Grad und wie-viel 30 Grad sein können. Wir haben uns schließlich auf 32 Grad geeinigt. Ich frage ihn danach: „Und wie hängen die Gardinen bei dieser Schräglage, hängen die gerade herunter oder hängen sie auch schräg und... fallen bei dieser Schieflage die Blu-menkästen nicht herunter?“ Darauf blickt mich der Patient dankbar und liebvoll an und äußert. „Sie sind aber komisch Herr Doktor.“

Dieses Kurzgespräch ermöglichte dem Patienten, seine Ängste über die Verlegung in ein Wohnheim zurückzulassen, wie seine Bezugsschwester am nächsten Tag verblüfft schildert. Drees hatte keine Ahnung von der geplanten Verlegung. Den therapeutischen Sinn dieser Detailbefragung hatt er erst später verstanden. Er war am Beginn seiner Facharztausbildung und hatte kaum Ahnung von psychiatrischen Einordnungs-kriterien und psychotherapeutischen Übertragungsdeutungen. Seine weitgehend naiv neugierige Grundhaltung hat er beibehalten können. Er machte sie zur Grundlage der prismatischen Gesprächsführung. Es gelang ihm, partnerschaftlich getragene prismati-sche Gesprächsformen zu entwickeln, mit denen in Therapien, Beratungen und Super-visionen, die prismatische Lösung von Leidenssymptomen, Konflikten und Gesprächs-blockaden möglich wurde.

Das Beispiel einer akuten Psychose im Aufnahmegespräch soll zeigen, dass auch in Situationen, in denen ein Pati¬ent noch nicht in der Lage zu sein scheint, ein geordnetes Gespräch zu führen und seinen augen¬blicklichen Zustand zu schildern, der Therapeut, sinnlich und Phantasie orientiert, psychotische Ge-sprächsblockaden im Einzelgespräch aufzulösen vermag:

Ein 24jähriger Wohnheimpatient kommt in einem akut psychotischen Zu¬stand mit angst¬voll-auti¬stischer Abwehr zur Auf¬nahme. Der Therapeut kann im Erstkontakt den starren Blick des Patien¬ten nur schwer aushalten. Ein Gespräch ist nicht mög-lich. Er versucht sich sinnlich auf den Pati¬enten einzu¬stellen und fühlt mich dabei unsicher, wie schwimmend oder schwe¬bend, ohne Halt. Es ist ihm, als ob irgend etwas in ihm, wie wild hin und her jage. Relativ rasch entsteht in ihm das Bild ei¬nes Scheibenwischers, der gegen die Re¬genma¬ssen auf der Frontscheibe eines Autos ankämpft. Er schildert dem Patienten seine Empfindungen und seine Phantasie und bringt die¬ses Bild sofort in ein Halt gebendes Ge¬sprächsange¬bot an den Patienten:

"Also, eigenartig, ich habe das Ge¬fühl, wir zwei sitzen gemeinsam in einem Auto. Es regnet in Strömen. Die Scheibenwischer ra¬sen wie wild über die Scheiben. Das Auto steht jedoch sicher. Wir sind an die Seite ge¬fahren. Aber die aufblitzenden Lich¬ter des Gegenverkehrs wirken weiterhin beängsti¬gend." Hier¬nach entkrampft sich der Blick und die Haltung des Patien¬ten und er fragt überraschend: „Woher wissen Sie, dass ich zu Haus eine Auto¬sammlung habe?“ Er beginnt dann stoc-kend zu er¬zählen, dass er viele kleine Autos und Auto¬bilder im Wohnheim in sei-nem Zimmer habe. Eigentlich habe er jedoch Angst um sein Ka¬ninchen, das er im Garten halte. Er wolle doch gern im Zoo oder im Zirkus Tier¬wärter werden, am liebsten für Löwen. Die Stimmung wird wär¬mend ver¬trau¬ens¬voll.

Prismatische Patientenrunden

wurden in der psychiatrischen Klinik in Duisburg/ Rheinhausen etwa 8 Jahre lang, 1x wöchentlich, auf allen Stationen durchgeführt. Sie beginnen mit einem Kurzinterview eines Patienten. Die hierüber bei Patienten und Mitarbeitern wachwerdenden Empfin-dungen wurden dann in Phantasieein¬fällen verbalisiert. Diese in der Gruppe wachwer-denden Phantasien wurden nicht gedeutet. Vor al¬lem schwerst depressive und andere sich phantasiearm erlebende Patienten konnten mit dieser Me¬thode therapeutisch er-reicht werden. Schizophrene Patienten gewannen über diese Methode entängsti¬gende Verbalisierungsmöglichkeiten, mit denen sie frei flottierende Ängste und Phantasien spielerisch gestalten konnten, ohne sie in ihre Symptome oder an familiale Gefühls-muster einbinden zu müssen. Diese Patienten-zentrierten Gruppenverfahren werden getragen von der Vorstellung, dass Mitarbeiter ebenso wie Patienten, ihr Erleben in-strumentell in Ab¬hängigkeit von der jeweiligen Gruppenstimmung bewerten lernen, darüber Beweglichkeit gewinnen und aus ihrer Symptom-fixierten Ich-Zentrierung her-ausfinden.

Emigranten

sowie ihre Kinder und Enkel leiden nicht selten unter Konflikten und Schmerzzuständen, die ihren Ursprung haben in der unzureichenden Integration ihrer sozialen, kulturellen und religiösen Vorstellungen. Prismatische Gespräche helfen erstaunlich rasch entsprechende Blockaden und Leidenszustände zu lösen. Ein Beispiel:

Eine 26jährige arabisch-islamische Patientin mit Panikzuständen und psychosenahen Verfolgungs- und Entfremdungserlebnissen schildert, wie sehr sie von ihrer Mutter bereits in ihrer Kindheit auf ihre Rolle als muslimische Frau fixiert worden sei. Ihre Haltungen und Einstellungen wurden entsprechend festgelegt. Das hieß 11jährig, keine Tampons, um die Schamlippen nicht zu verletzen und später, auf keinem Fall einen Ausländer oder einen Nichtgläubigen lieben oder heiraten. Vor einigen Jahren sei sie nach Frankreich geflohen, um sich dem Druck ihren Eltern zu entziehen. Als Sie denen jedoch von ihrer Liebesbeziehung zu einem christlichen Franzosen berichtet habe, hätten das in ihr chaotische Ängste ausgelöst. Sie habe sich vor bewaffneten Banden bedroht gefühlt, die sie in die Heimat ihrer Eltern entführen wollten. Der Bürgermeister der Stadt sei in ihren Vor-stellungen aufgetaucht, um ihre Aufenthaltsberechtigung und Ihre Einstellung zu überprüfen. Die Detailschilderungen ihrer Panikzustände enthielten regelhaft das Gefühl eines schlechten Gewissens. Geringste Infragestellungen ihres Selbstwert-gefühls lösten in ihr Panikzustände aus.

Der Therapeut schildert der Patientin in einer Sitzung eine erstaunlich lustvolle Stimmung, die eine Schilderung ihrer Panikzustände in ihm ausgelöst hätten und dass dabei das Bild eines riesigen bunt bemalten Topfes in ihm wachgeworden sei, auf dem ein kleiner nackter Po krampfhaft Halt zu finden sucht. Der Patientin fallen darüber hilflose Situationen aus ihrer Kindheit ein, vor allem bei Konflikten der Eltern. Sie habe sich dabei wohl mit ihrem Vater gegen die ständig dominierende Mutter verbündet. Hiernach bringt sie Gedanken der Mutter zur gegenwärtigen Situation ihres bedrohten Heimatlandes und abwertende Vorstellungen gegenüber einem Nachbarland. Daraufhin diskutieren sie die politische Situation in ihrem Land. Von diesen politischen Problemen werde sie noch immer sehr stark beeinflusst, von den aktuellen Geschehnissen und den unterschiedlichen Bewertungen der Eltern hierzu. Im Anschluss hieran diskutieren sie die Vorstellung, ob ihr Leiden möglicherweise eine Entlastung der Eltern und deren unbewusste Verarbeitung gesellschaftlicher Ängste und religiöser Abwehrhaltungen sei. Vergleichbare Erlebenskomplexen finden sich bei Flüchtlin-gen, vor allem der zweiten Generation.

Ihre immer wieder auftretenden Beziehungsängste wurden vor allem von einem dominierenden Chef beängstigend ausgelöst, bis sie schließlich, prismatisch ge-schult, in einer entsprechenden Angstszene begann sich eine wunderschöne Bauchtänzerin auszumalen. Seit dieser Zeit ist sie von psychosenahen Bezie-hungsängsten befreit.

Die Prismentherapie, mit ihren Verknüpfungen von familialen, religiösen und gesell-schaftlichen Wirkfaktoren, verstärken Vorstellungen, die sich bei psychotischen, neuro-tischen und gewalttraumatisierten Patienten finden. Fixierte Leidenszustände lassen sich nicht selten als individualisierte Ausdrucksformen gesellschaftlich tabuierter Zu-stände verstehen. Diese Individualisierungsprozesse haben eine entlastende Funktion für Beziehungssysteme, für familiäre und Arbeitsplatzprobleme, sowie generell für ge-sellschaftlichen Prozesse. Systemische Familientherapeuten und Psychoanalytiker nä-hern sich diesen Vorstellungen, wenn auch weitgehend begrenzt auf duale Bezie-hungsmuster.

Prismatische Arbeit mit Gewaltopfern

Die Bedeutung prismatisch gewonnener deutungsfreier Phantasien lässt sich in der Behandlung einer gefolterten kurdischen Patientin schildern.

Die Patientin ist seit 6 Monaten in Deutschland. In der zweiten Stunde der Prismentherapie berichtet sie von der Folter eines 10jährigen Mitpatienten, die sie miterleben musste. Es wurde vereinbart, dass heute Phantasie-orientiert ihre Foltererlebnisse besprochen würden. Die Patientin sitzt bei ihrem Bericht total verspannt in ihrem Sessel. Der Therapeut schildert Ihr, das er nach der anfänglichen Überforderung durch ihren Bericht jetzt auf die Phantasieebene umschalten würde. Er fühle sich entspannt und schildert ihr, dass er eine herrliche Hügellandschaft ausmalen würde. Weiße Schwäne zögen darüber hinweg. Ein blauer Himmel. Es sei vielleicht Hochsommer. Eigenartige Bäume an den Hängen. Auf dem Höhenweg eines Hügels gingen Menschen spazieren. Darauf unterbricht ihn die Patienten mit einer erstaunlich veränderten Stimme und Haltung, das sei ja wirklich toll, das sei wie ihre Heimat. Sie beschreibt jetzt im Detail, woher sie komme und dass ihr Dorf in einer Hügellandschaft liege und dass sie zum Einkaufen mit ihrer Schwester immer über einen Hügel, den er geschildert hätte, zum Nachbardorf gegangen seien. Er war überrascht von ihrer Stimmungsänderung und über die detaillierten Schilderungen, die sie jetzt von ihren Eltern und ihrer Kindheit berichten konnte. Ihre Traumafixierung konnte nach 7 weiteren Prismen-Sitzungen aufgelöst werden und der Therapeut konnte sich der Einladung zu ihrer Hochzeit, die vor der Therapie Trauma-bedingt blockiert war, nicht entziehen.

Prismengespräche mit gewalttraumatisierten Patienten besitzen eine entlastende Be-deutung, da Patienten hiermit wieder Zugang zu ihren prätraumatischer Gefühlen und Erlebensbereichen zurückgewinnen und ihre traumatischen Erlebnisse distanzierter abspeichern können. Diese Problematik läßt sich aus

Eine Prismentagung in Kuwait

Traumatische Leidenszustände von Gruppenmitgliedern, die sich nach dem barbari-schen Einfall der Iraker in Kuwait einstellten, ließen sich prismatisch aufarbeiten.

Als Beispiel kann die Symptomlinderung eines Gruppenmitgliedes gleich zu Beginn der Tagung in Kuwait dienen. Er berichtete, dass er als Sozialarbeiter zahlreiche Patienten betreue, die seit dem Krieg unter ausgeprägten depressiven und Angst-symptomen sowie unter Schlafstörungen und Antriebslähmungen litten. Er schildert dabei die Qualen einer etwa 50jährigen Frau, die erleben musste, wie vor ihren Augen ihr Mann und ihr 16jähriger Neffe mit dem Beil erschlagen wurden. Das Blut, der Anblick und ihre läh¬mende Verzweiflung gingen ihr wohl nicht mehr aus dem Kopf. An dieser Stelle beginnt er stockend in arabischer Sprache von seinem eigenen Leiden zu berichten. Er habe seit vielen Monaten starke Magenschmerzen und Schlafstörungen. Bei ihm sei es wohl der Verlust der Mutter während des Krie-ges. Darüber wolle er hier jedoch nicht reden. Ihm ging es darum - und jetzt wieder in englischer Sprache - er wolle fit sein für seine Auf¬gabe. "My job is my life, you know“, und energisch: „you have to know doctor."

Die Gruppe reagiert betroffen, stellt sich jedoch rasch auf das bereits trainierte sinnliche und Phantasie-Setting ein. Lähmende, lustlose und ekelerregende Emp-findungen und Stimmungsbilder werden wach. Eine abgeschlagene blutende Hand tanzt durch ein Gewirr von Schiffsmasten, "wie ein Derwisch mit wehendem Schweif.“ „ Die Blutstropfen tanzen mit, färben das Meer". Kopfschmerzen und Ma-genbeschwerden stellen sich ein. Dann folgen Erlebnisse und Bilder von brennen-den Ölfeldern, "die wie Kerzen eine Hochzeits¬feier beleuchten". Viel Volk, Tanz und lustige Musik. Die Stim-mung öffnet sich jetzt für friedliche Kamelkaravanen im Gegenlicht der untergehenden Sonne. Verträumte Meeres¬stimmungen und zärtli-ches Wiegen eines Säuglings kontrastieren mit grauen Nebelfel¬dern. Eine riesige Moschee ragt in den Himmel, in vorbeijagende Wolken, "ist’s like a sword, or a bow of a ship". "On the trip in a nowhere land" ergänzt lachend eine Psychologin, die als Religionslehrerin tätig ist.

Der Sozialarbeiter greift die einzelnen Stimmungsbilder auf und sucht sie assozia-tiv mit eigenen sozio-familiären Erlebnisfeldern zu verknüpfen. Im Sinne prismati-scher Selbsterfahrung, gelingt es dem Gruppenmitglied, das wechselseitig sich tragende Leiden zwischen seiner 50jährigen Klientin und dem eigenen familiären Bela¬stungshintergrund zu verstehen und es im Kontext eines gemeinsamen sozio-kulturellen und religiösen Eingebundenseins zu mildern. In der letzten Gruppensit-zung, vier Tage später, berichtet der Sozialarbeiter, dass seine Magenschmerzen bereits seit Tagen ver¬schwunden seien. "They just flew away." Wichtig sei ihm je-doch zu berichten, dass er bei seiner Klientin eine ganz neue Gesprächsbasis ge-funden habe. Er sei jetzt lockerer und könne mit ihr über familiäre und lebensprak-tische Fragen sprechen.

In seinem Buch „Folter, Opfer, Täter, Therapeuten“ beschreibt Drees (1996) die spezi-fische Problematik von Gewalt und Folter in unserer Gesellschaft. Er zeigt darin, wie entlastend prismatische Defokussierungsprozesse sind. T. Moser beschrieb u.a. kör-perbezogen die Verarbeitung politischer Gewalt. (1993)

Die prismatische Lösung von Trauerfixierungen

bei Angehörigen, Ärzten, Pflegegruppen, Seelsorgern, Betreuern und Helfern wurde in den letzten Jahren ein besonderes Anliegen prismatisch-defokussierender Aktivitäten. Ärzte und Psychologen tun sich noch immer schwer mit Sterbenden zu sprechen. Die große Mehrzahl der Bevölkerung in unseren Breiten stirbt deshalb weiterhin in den Krankenhäusern unter zum Teil infantilisierenden inhumanen Bedingungen. Durch die Hospiz Bewegung angestoßen, wagen sich aber zunehmend mehr organmedizinische wie psychologische Therapeuten in ein für sie ungewohntes Feld hinein, für das es in ihrer jeweiligen Ausbildung keinen Platz gab. Entsprechende Weiterbildungsinhalte werden auch heute noch zu wenig angeboten.

Die Palliativmedizin sucht dieses Dilemma in leider noch kleinen Schritten zu überwin-den Auch Psychotherapeuten tun sich noch schwer mit dem Trauma des "sterben müssen". Dieses Trauma zu überwinden, gelingt im Rahmen prismatisch orientierter Gespräche, mit deren Hilfe Facetten gelebten Lebens wieder erinnert und den Patien-ten „erwachsenes Sterben“ ermöglicht wird. Hierüber läßt sich die blockierte Kom-munikation zwischen Patienten, Angehörigen, Therapeuten, Seelsorgern und Helfern in der Sterbeszene auflösen. Der Horizont bisher gelebten Lebens sterbender Patienten kann sich entfalten. Die prismatische Gesprächsorientierung kann darüber hinaus Kon-fliktspannungen und „burn-out-Sympto-me“ bei Mitar¬beitern verringern helfen und hierbei Einsichten in sinnlich imaginative Kommunikati¬onsformen vermitteln. In der Supervision von Sterbehelfern sowie von Angehörigen sterbender und verstorbener Patienten gelingt es rascher, prismatische Einstellungsänderungen zu vermitteln, als bei Fachkräften, die sich in der Umsetzung prismatischer Gruppenerfahrung in Einzel-gespräche nur schwer von ihrem spezifischen Rollenverhalten lösen können.

Eine Hospizgruppe in Lindau.

Bereits 1986 lernte Drees eine engagierte Gruppe Lindauer Bürger kennen, die Allein-sterbende in Lindauer Krankenhäusern besu¬chten und Ge¬spräche anboten. Er erlebte hierbei das große Engagement aber auch die Überforderung dieser freiwilligen Helfer. Sie hatten nicht selten zu leiden unter den ver¬einsamt dahinsie¬chenden Pati¬enten und gleichzeitig unter dem Unmut einiger Pfle¬gekräfte, die sich gestört fühlten, durch das Einmischen in ihre klinische Arbeit. Er konnte mit den Helfern in den letzten 22 Jahren jeweils 2-3 mal im Jahr Supervisionen durchführen. Nachfolgend eine Gruppenstunde aus der Anfangszeit: Eine Teilnehmerin berichtete über ihre Gespräche mit einer krebskranken älteren Frau im Fi¬nalstadium. Ihr bitterer Kommentar: "die ist nur ins Krankenhaus ge¬bracht wor¬den, um dort zu kre¬pieren". Die Vortragende schilderte dann ihre Schuldgefühle. Sie wisse nicht, wie sie den Kontakt wieder aufnehmen solle. Sie habe vorher eine gute Be¬ziehung zu der Frau gehabt. Sie habe sie regelmä¬ßig besucht und habe ge-meinsam mit ihr Kaf¬fee getrunken. Jetzt, bei der Verschlimme¬rung des Lei¬dens, habe man die Patientin unsinnigerweise noch einer medizinischen Inten¬sivthe¬rapie unterworfen. Die Aggres¬sionen gegen das Kranken¬haus klingen nur un¬ter¬schwellig an. Hilflosigkeit und Schuldgefühle stehen ganz im Vor¬dergrund ihres Erle¬bens. Die Gruppen¬mitglieder reagie¬ren nach diesem Bericht mit zahlreichen körperlichen Missempfindungen:

"Mir liegt ein schwerer Stein auf dem Magen..." „es ist so, als ob mein Bauch quillt und quillt, auseinander¬treibt..." „...nagende, fressende Kopfschmerzen..." „ich kann nicht rich¬tig durchat¬men..." „die Brust ist wie zugeschnürt". Das erste Vorstel-lungsbild zu dieser beengenden Stim¬mungsphase schildert eine Teilnehmerin, die sich wie unbeweglich in einem Zimmer eingesperrt erlebt: "Halbdunkel...keine Fenster...keine Türen...kalt, keine Kontu¬ren zu sehen, keine Hoff¬nung" „Ich kann mich da nicht fühlen. Ich kann mich nicht be¬wegen." Ich selbst war überrascht von der Fülle der Körpermissempfindungen am Beginn der Sitzung. Die Vortragende schildert dann im einzelnen die desolate Situation der Krebspati¬en¬tin, die wie apa-thisch bewegungslos in ih¬rem Bett an Schläuchen festgehalten werde und nicht aufste¬hen könne. Sie sei erstaunt über die körperlichen Beschwerden der einzelnen Gruppenmitglieder. Sie entsprä¬chen genau den Schmerzen der Patientin.

Hiernach wird eine zweite Stimmungsphase in der Gruppe eingeleitet durch ein Gruppenmit¬glied, das noch immer über Luftnot und Brustenge klagt. Im Vorder¬grund steht bei dieser Laienhelferin ein de¬pressiv verzwei¬feltes Gefühl, das sie den übrigen Grup¬pen¬mitgliedern vermittelt und das in dem Vorstellungsbild einer grie¬chi¬schen Land¬schaft Ausdruck findet, in der ein Einzelner tieftraurig, alleingelassen keine Bezie¬hung zur Welt aufzunehmen vermag.

In der Gruppe werden jetzt aggressiv ge¬tönte Bilder frei: flammend brennende Land-schaf¬ten, Explosionen, blitzende Messer. Bei einigen tritt quälende Müdigkeit auf. Andere versu¬chen mit Ratschlägen und Erklärun¬gen Halt in der Gruppe zu finden. Die Vortra¬gende erinnert sich an ärgerlich und hilflosmachende Si¬tuationen mit dieser Patientin. Hierüber habe sie jedoch verstanden, wie notwendig die regelmäßige Aussprache sei. Hiernach tritt nach ei¬ner länge¬ren Pause, eine deutliche Stim-mungsänderung in Form einer tragen¬den, zum Teil weihevollen Stim¬mung ein. Die Körpermissempfindungen sind völlig ab¬geklungen. Eine Teilnehmerin hatte über ein Folgebild den Duft der umgebenden Natur wahr¬nehmen können. Sie fühlte sich jetzt völlig ge¬löst, entspannt und in der Gruppe wieder eingebunden. Eine Teilnehmerin schildert, dass sie ge¬betet habe und dass ihr das Ruhe und Kraft gegeben habe, ähnliche Situationen bes¬ser durchzustehen. Die Stimmungsbil¬der und Empfindun¬gen kreisen abschließend um ent¬spannte und schwebend leichte Gefühle, weiße Wolken, die über eine er¬habene Land¬schaft kreisen, ein Floß, das auf einem breiten Strom still dahingleitet, eine spiegelnde Vielfalt.

Im abschließenden Gespräch über die Erlebnisse, Stimmungen und Gefühle in der Gruppe wurde verstanden, welche Gefühlsvielfalt in der Beziehung zwischen der vor-tra¬genden Teilnehmerin und ihrer Krebspatientin enthalten ist und dass erst nach dem Zulas¬sen der einzelnen Facetten dieser quälenden Gefühlsmischung aus Angst, Trauer, Schuldgefühlen und Ag¬gressio¬nen auch die tragen¬den Gefühle und die Aspekte des "Sterben-Lassen-Könnens" Raum gewinnen und sich darüber mit reli¬giösen Vor-stellungen verbinden können. Die nächste Gruppensitzung eröffnet eine Teilnehmerin mit der Bemerkung, die wichtigste Hilfe, die sie durch diese Gruppenmethode erfahren habe, sei die Vorstellung und das Erleben, dass die in ihr wachgewordenen Empfin-dungen und Phantasieein¬fälle während des Gruppenprozesses nicht die ihren seien, sondern spiegelnd, vom Patienten kom¬mend, von ihr nur ausgestaltet. Sie könne sich auf diese Weise der jeweiligen Erlebenswelt eines Pa¬tienten öffnen, ohne dass ihre eigene religiös getragene Vorstellungswelt davon beeinträchtigt würde.

Die Teilnahme von Angehörigen sterbender Patienten an der Lindauer prismatischen Hospizgruppe zeigte sich als beson¬ders hilfreich. Ausgeprägte Beziehungsprobleme zwischen Angehörigen blockieren nicht selten den Prozess des Abschiednehmens. Sie werden zur Quelle von quälend er¬lebten einsamen Sterben, von häufigen Vermitt-lungsgesprächen durch die Sterbehelfer sowie von länger anhal¬tenden Schuldgefühlen bei den Angehörigen. Gruppenmitglieder, die erstmals teilnahmen, waren vor allem verblüfft über die Vielfalt von zum Teil eigenartigen Phantasien sowie von körperlichen Reaktionen und ihre Wirkung auf den Gruppenprozess und auf Problem-belastete Teilnehmer.

Prismatische Stationsvisite bei einer sterbenden Patientin.

Ein Stationsarzt schildert, es ginge um eine 54-jährige krebskranke Patienten, die seit 3 Wochen nicht mehr sprechen würde. Er habe alles versucht. Die Patientin wisse um ihre unheilbare Erkrankung. Sie habe je¬doch noch mit niemandem über ihre Ängste sprechen können. Auch die An¬ge¬höri¬gen hät¬ten Angst vor dieser Aussprache. Er sei re-gelrecht gehemmt "bei dieser sprach¬losen Frau, eine Visite zu machen". Nachfolgend der Bericht des eingeladenen prismatischen Supervisors mit einer prismatisch-defokussierend trainierten Kran¬ken¬schwester:

„Der Stationsarzt versucht mich der Patientin vorzustellen. Ich suchte den Blick der Pati¬entin und fragte, wie es ihr gehe, wie sie sich fühle. Die Patientin starrt mit lee-rem Blick wie ins nichts. Keine Ant¬wort. Es folgt eine bedrückende Stille. Ich äu-ßere mein Er¬schrecken über die Kargheit des Zim¬mers und meine Ratlosigkeit. Keine Bilder, nicht einmal Blumen, es sei alles trostlos. Auch draußen sei das Wet-ter trostlos und traurig. Ich erkläre der Patientin, daß ich von der Schwere ihrer Krankheit er¬fah¬ren habe und auch von ihrer Sprachlosigkeit und deshalb sei ich hier. Ich sähe, wie blass und grau und erstarrt ihr Gesicht sei. Ich fühlte mich da¬von regelrecht ange¬steckt. Und nach einer kurzen Pause: „Ich möchte Ihnen meine Phantasieeinfälle schildern, die durch diese Stimmung hier in mir wach geworden sind. Ich sähe in meiner Phan¬ta¬sie einen langen Zug von Men¬schen in grauen Kutten durch eine weite Ebene zie¬hen, vielleicht wie ein Wallfahrts¬zug. Beim ge-naue¬ren Hinse¬hen sähe ich, daß sie an ei¬nem langen Sta¬chel¬drahtzaun vorbei zie-hen würden. Dahin¬ter ständen Holz¬kreuze, ohne Namen, grau. Eine Un¬zahl von Holzkreuzen, ganz ungeordnet.“

An dieser Stelle un¬terbricht mich die Kran¬ken¬schwe¬ster. In einem fröhlichen, fast sprudelndem Ton bringt sie sich ein: Eigenartig. Bei ihr sei es am An¬fang auch dunkel und grau und neblig ver¬han¬gen gewe¬sen. Dann habe sie sich jedoch an ih-ren letzten Urlaub erin¬nert. Sie sei damals mit ihrem Mann und ih¬ren zwei Kin¬dern im Gebirge in ein Gewit¬ter geraten und sie hätten Schutz unter ei¬nem Felsvor¬hang ge-sucht. Es sei wirklich be¬drohlich gewesen. Sie hät¬ten sich aneinander gepresst. Aber nach wenigen Minuten sei das Gewitter vorbeige¬zogen. Sie seien nur we¬nig nass geworden und sie hät¬ten dann einen herrlichen Blick tief in das Tal gehabt. Sie hät¬ten.....An dieser Stelle beginnt die Patientin zu sprechen. Ihr laufen die Tränen her¬un¬ter und gleichzeitig lächelt sie. Sie be¬richtet, wie sie mit ihrem Mann jedes Jahr in die Berge gefahren sei: "Ja, damals - bis vor vier Jahren..."

Auf Nach¬frage er¬zählt sie, daß ihr Mann vor vier Jahren an ei¬nem Herzin¬farkt ge-storben sei. Seit die¬ser Zeit sei sie nicht mehr in den Bergen gewesen. Sie habe hier noch mit niemanden darüber sprechen können. Sie habe seinen Tod wohl noch nicht richtig verarbeitet. Sie schil¬dert jetzt zu¬neh¬mend le¬bendiger ihre Er¬lebnisse in Udorf. Sie beschreibt im einzelnen ihre gute Be¬zie¬hung zu der Wirtin, zu der sie seit Jahren gefahren seien. Der müsse sie endlich einmal schrei¬ben. Noch immer laufen die Tränen über ihre Wangen. Gleich¬zeitig strahlt ihr Ge¬sicht in glück¬lichen Er-innerungen. Dem Stations¬arzt fällt vor Überra¬schung der Schlüssel¬bund auf den Boden. Daraufhin lächelt die Pa¬ti¬entin und berichtet, wie ihr Mann bei einer Berg-wanderung die Autoschlüssel in eine Schlucht habe hinun¬ter¬fal¬len lassen. Das hätte den Urlaub um zwei Tage ver¬längern helfen. Die Stimmung im Kran¬kenzimmer hat sich fühlbar entspannt. Die Pati¬entin wirkt erschöpft, aber dank¬bar. Sie bittet den Stations¬arzt, er könne ihr doch den Priester schicken: "Wissen Sie, den Kurz-haarigen, der immer so ein ver¬schmitztes Lä¬cheln im Gesicht hat".

Der Stationsarzt berichtet später, er sei schon erstaunt über unsere Phantasie Me-thode. Er habe auf die Uhr geschaut. Es habe genau 7 Minuten gedauert, bis die Patientin zu spre¬chen begonnen habe. Er könne das noch immer nicht richtig ver-stehen. Er habe übri¬gens in den nachfolgenden Gesprächen mit der Patientin den Tod ihres Mannes bespre¬chen kön¬nen. Die dort frei werdende Trauer habe dann den Weg gebahnt, für ein Ge¬spräch über den eigenen Tod. Vor allem jedoch, das Gespräch sei in Gang gekommen. Auch die Angehöri¬gen seien entlastet.

Prismatische Gespräche ermöglichen es inzwischen Hausärzten kulturell-ästhetische Erle¬bensprozesse anzustoßen und Ge¬fühlsverstric¬kungen zwischen Patienten, Ange-hörigen und Ärzten zu verringern und aufzulö¬sen. Hierbei entwickeln sich Ge-sprächsformen, in denen unterschiedliche Erlebnisse der Patienten aus zum Teil länger zurückliegenden Zeiten wach werden, über die Patienten wie Angehörige aus ihrer passiv-hilflosen Haltung herauskommen und ungeahnte Aktivitäten entfalten mit denen "erwachsene" Prozesse des Abschiednehmens möglich werden.

Prismatische Schmerzentlastung

Körperliche Verspannungen und Schmerzen sind nicht selten Ausdruck seelischer Leidenszustände, die ins Körperliche abgedrängt wurden. Aber auch organisch bedingte Schmerzen werden nicht selten zusätzlich aufgeladen mit abgewehrten Trauer und Angstzuständen. Aus der nachfolgenden Schilderung einer prismatischen Kurztherapie eines Magenpatienten lässt sich eine Facette der sinnlich-resonanten, intuitiv und imaginativ orientierten Schmerz-entlastenden Gesprächsform darstellen:

„Ein Patient berichtete über erhebliche Magenbeschwerden, die sich erneut einge-stellt hätten, nachdem seine Mutter wieder verstärkt in sein Leben eingegriffen ha-be. Auf der Frage nach dem wie und wo seiner Schmerzen, schildert der Patient detailliert die Quali¬tät und den Aus¬tragungsort seiner Beschwerden. Durch detail-liertes Nachfragen über die Form seiner Schmerzen schildert er schließlich, dass auf seinem Ma¬gen etwas liege wie ein kalter, ekeliger grün-grauer Stein mit rauer, glitschiger Oberfläche, der unter dem Rippenbogen nach oben drücken würde. Nachdem sich beim Therapeuten ein unangenehmer Magendruck und eine er-staunlicherweise beruhigende, beinahe weihevolle Stimmung eingestellt hat, ge-winnt er intuitiv das Bild einer Kirche. Er formt das Bild einer kleinen Wall-fahrtskirche und schildert dem Pati¬enten detailliert die Landschaft, eine kleine An-höhe und eine breite Wiese, auf der ein Prozessi¬onszug mit schwarz gekleideten Nonnen und einem Priester im weißen Kleid zur Kirche empor¬steigt. Es sei sonnig und Herbst.

Der Patient berichtet daraufhin, dass seine Magenbeschwerden weniger ge¬worden seien, nach¬dem er seinen ekeligen Stein auf einer Wiese abgelegt habe. Er sei aber wirklich erstaunt darüber, wie der Therapeut zu seiner Phantasie gekommen sei. Er habe vor etwa 4 Jahren auch unter erhebli¬chen Magen¬beschwerden gelitten. Aber damals habe seine Mutter überhaupt keinen Anteil daran gehabt. Er wolle über die Zusam¬menhänge ein anderes Mal sprechen. Wichtig sei ihm, dass er da-mals über eine Or¬densschwester zu einer kleinen Wallfahrtskirche gekommen sei und eine Wall¬fahrt mitgemacht habe. Diese Kirche, in der Nähe von Koblenz, sei so ähnlich gewesen, wie der Therapeut sie ge¬schildert habe. Auf Nachfrage schildert er, dass er dort seine Beschwer¬den verlo¬ren habe. Er habe seinen Glau-ben in der letzten Zeit wohl vernachlässigt. Vielleicht solle er erneut eine Wall-fahrtskirche besuchen, die hier im Rheinland von dem gleichen Orden unterhalten werde. Seine Magenpro¬bleme seien wohl nicht nur Mutter bedingt. In den nachfol-genden zwei Stunden ließen sich Sinnfragen, seine religiös getragene Kindheit und seine religiösen und Selbstwert¬zweifel ins Gespräch bringen:“

Erstaunt werden die befreienden Phantasien registriert, die sich einstell¬en, wenn kör-perlich-sinnliche Resonanz zum Patienten gewonnen werden konnte. Patienten finden auf diesem Wege wieder Zugang zu vergessenen bzw. abgewehrten Anteilen ihres Erlebens. Sie finden Zugang zu ihrem „in der Welt sein“. In Krisen-Interventionen kön-nen auf diese Weise Symptome, zum Teil wie durch Zauberhand, beseitigt werden. Therapeuten, die diese Ergebnisse erstmals erlebt haben, berichten nicht selten voller Begeisterung von ihrer neu gewonnenen intuitiven und defokussierenden Kompetenz.

Literatur

  • Balint, E. : (1975) Fünf Minuten pro Patient. Frankfurt
  • Freud, S.: (1975) Gesamtausgabe S. Fischer Frankfurt
  • Leuner, H.C.: (1980) Katathymes Bilderleben. Huber, Bern
  • Moser, T.: (1993) Politik und seelischer Untergrund. Suhrkamp Tb 2258
  • Roth, G.: (2000) Aus Sicht des Gehirns. Frankfurt, Suhrkamp,
  • Schmid W.: (1998) Philosophie der Lebenskunst. Suhrkamp Tb.
  • Singer J.L.: (1978) Phantasie und Tagtraum, Pfeifer München
  • Uexküll, v. Th.: (1982) Sprechen und Sprachformen in der Medizin: In: A. Drees Patientenbez. Medizin,5
  • Winnicott, D.W.: (1984) Reifungsprozesse und fördernde Umwelt. Fischer Tb. Frankfurt.

Anwendungsbeispiele prismatischer Gespräche und ihre theoretische Fundierung finden sich in zahlreichen Veröffentlichungen von Drees, über seine homepage abrufbar sowie in den nachfolgenden Büchern:

  • Drees, A.: (1995) Freie Phantasien. Vandenhoeck u. Ruprecht Göttingen
  • Drees, A.: (1996) Folter: Opfer, Täter, Therapeuten. Psychosozialverlag Gießen
  • Drees, A.: (1997) Innovative Wege in der Psychiatrie. Psychosozialverlag Gießen
  • Drees, A.: (2001) Intuition in der Sterbebegleitung. Pabst Science Publishers Lengerich
  • Drees, A.: (2002) Prismatische Balintgruppen. Pabst Science Publishers Lengerich
  • Drees, A.: (2004) Prismatische Poesie. Pro Business GmbH
  • Drees, A.: (2004) Prismatisch-defokussierende Gespräche in der Psychiatrie. Pabst Science
  • Drees, A.: (2006) Prismatisieren. Eigenverlag: Prismengespräche
  • Drees, A.: (2008) Du kannst Deine Türen öffnen. Verlag: book-on-demand
  • Drees. A.: (2009) Ich Erweiterung im integrativen Zeitalter. Im Druck