Wilhelm Karl Gerst

deutscher Journalist, Mitgründer der Frankfurter Rundschau

Wilhelm Karl Gerst (auch Wilhelm Carl) (* 28. März 1887 in Frankfurt am Main; † 25. März 1968) war ein deutscher Journalist, Kulturfunktionär, Manager, Verleger und Aktivist im Umfeld der katholischen Sozialpolitik.

Wilhelm Karl Gerst, auf dem 6. CDU-Parteitag, 1952

Werdegang

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Als Sohn eines Maurermeisters und Bauleiters begann Gerst nach dem Besuch einer katholischen Mittelschule in Frankfurt zunächst eine dreijährige Maurerlehre mit anschließendem Besuch der Gewerbeschule zur Architektenausbildung.[1][2] Im Jahre 1907 zog er als Sozius des Architekten Otto Haesler nach Celle und war an der Planung mehrerer Bauten beteiligt, unter anderem am Trüller-Haus. 1910 zog er nach Hannover, arbeitete an kleineren Bauprojekten und engagierte sich vor allem in der sozial-karitativen Arbeit der Caritas.[3] Ab 1912 arbeitete Gerst als politischer Redakteur und später als Chefredakteur bei der dem Zentrum nahestehenden Hildesheimschen Zeitung[2] (Kornackersche Zeitung) und ihrer Mantelausgabe, der Hannoverschen Volkszeitung – zu dieser Zeit war er nebenberuflich als Provinzialsekretär der Zentrumspartei Hannover und als Mitglied des Windhorstbundes tätig[4].

Theaterverbandsarbeit

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Während des Ersten Weltkrieges und der Weimarer Republik wurde Gerst zu einem der wichtigsten Weichensteller und Kulturfunktionäre des deutschen Theaters. Nach der Jahrhundertwende waren im deutschen Katholizismus zunehmend Stimmen publik geworden, die eine aktivere Einstellung zur Kulturpolitik und zum Theater als Mittel der Volksbildung befürworteten, so in den Schriften von Carl Muth, Jakob Overmanns und den Forderungen der Calderon-Gesellschaften. Aus diesem Netzwerk katholischer Jugend- und Kulturvereine sowie dem Augustinus-Verein initiierte Gerst Anfang 1914 die Gründung des Theaterkulturverbandes (Verband zur Förderung deutscher Theaterkultur). Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhindert zunächst die weitere Entwicklung, die erst 1916 mit breiterer Beteiligung liberaler und sozialdemokratischer Entscheider, vor allem aber zusammen mit Theaterkritikern und der Theaterintendanten wiederaufgenommen wurde[5]. Die Gründung des Verbandes erfolgte am 27. August 1916 in Hildesheim, Gerst betrieb die Aufbauarbeit während der folgenden drei Jahre als Geschäftsführer und Hauptschriftleiter.[6] Inhaltliche Differenzen innerhalb des Verbandes, die infolge des Kriegsendes und der Novemberrevolution zutage treten, führten zur Sezession der christlichen Korporationen, die unter Leitung von Gerst[2] 1919 den Bühnenvolksbund gründeten.[7] Diesen Verband, die zweitgrößte Theaterbesucherorganisation Deutschlands, leitete Gerst bis zu seiner Absetzung durch interne Intrigen im Jahr 1928.

Zwischen Weimar und NS-Zeit

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Zwischen 1928 und 1931 war Gerst als Direktor im Konsortium der „Polyphon Grammophon“ für eine mit dem Tobis-Tonbild-Syndikat gegründete Tochterfirma zur Filmton-Synchronisation, der „Topoly“ tätig.[8] Die Erstellung einer Hör-Version des Films „Panzerkreuzer Potemkin“ soll ihn erstmals in Kontakt mit Mitgliedern der Kommunistischen Partei der SU gebracht haben. Nach einer Moskau-Reise trat er der Gesellschaft der Freunde des neuen Rußland (GdF) bei. 1931 organisierte Gerst den „Reichsausschuß für deutsche Volksschauspiele“ und gewann viele der ihm aus früheren Jahren bekannten Theaterautoren wie Ödön von Horvath oder Carl Zuckmayer zur Mitarbeit. Zu dessen Mitgründern gehörten Hanns Niedecken-Gebhard, Hans Brandenburg und Carl Niessen, Aus dieser Initiative erfolgte am 22. Dezember 1932 die Gründung des „Reichsbundes der Deutschen Freilicht- und Volksschauspiele e.V“, der nach 1933 unter der Ägide von Otto Laubinger in die Thingspiel-Bewegung eingegliedert wurde. Seine Arbeit für das Theater musste Gerst 1935 beenden, bei der Gestapo galt er als linkskatholisches Zentrumsmitglied.[9]

1943 kam Gerst wegen der Arbeit an regimekritischen Artikeln zeitweise ins Zuchthaus.[10] Die Denunziation eines Nachbarn führte zu einer Inhaftierung im KZ-Außenlager Bensheim mit anschließender Verurteilung zu eineinhalb Jahren Arbeitsdienst. Mit dem Eintreffen der US-Army wurde Gerst einem Gefängnis bei Darmstadt befreit.[9]

Nachkriegszeit

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Nach dem Zweiten Weltkrieg war er 1945 mit Arno Rudert einer der sieben Gründer der Frankfurter Rundschau, die von der Besatzungsmacht eine Lizenz erhalten hatten.[11] Er wurde in der Zeit auch zum Vorsitzenden des Verbandes hessischer Zeitungsverlage gewählt.[2] Er galt zu dieser Zeit als „sozialistische(r) Vertreter des politischen Katholizismus“.[12] Nach einem Spruchkammerverfahren wurde ihm trotz des für ihn positiven Ausgangs 1946 die Lizenz wieder entzogen. Unter anderem bescheinigte ihm Konrad Adenauer, „ein sehr entschiedener Gegner des Nationalsozialismus“ gewesen zu sein.[13]

Gerst setzte sich dafür ein, in Westdeutschland ebenfalls eine SED zu gründen. Bei der ersten Bundestagswahl 1949 kandidierte er erfolglos für die KPD im Wahlkreis IX (Fulda-Lauterbach-Schlüchtern).[14] Als Redakteur der in Ost-Berlin erscheinenden Berliner Zeitung[15] verteidigte er die Niederschlagung des Aufstands vom 17. Juni 1953 durch „die sowjetische Besatzungsmacht“ als Eingriff „um den Frieden Europas zu retten“.[16] Zugleich war er Mitglied der Bundespressekonferenz in Bonn und arbeitete er als Chefkorrespondent für den Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienst und sah sich mit Vorwürfen konfrontiert, als „Sowjetspion“ militärische Informationen aus der BRD nach Ostberlin geliefert zu haben.[17] Im Jahre 1963 war er geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Arbeitskreises „Pax Vobis“, der dem Umfeld der Deutschen Friedens-Union (DFU) zugerechnet wurde.[18]

Gersts Schwester Margarete (1896–1965) war seit 1922 mit dem Zentrumspolitiker und späteren Mitbegründer der CDU Adolf Leweke verheiratet.[19] Sie leitete in den 1930er Jahren den Sankt-Georg-Verlag in Frankfurt am Main, der sich der katholischen Brauchtumspflege verschrieben hatte.[20] Der eigentliche Verlagsleiter soll aber ab 1940 ihr Bruder gewesen sein. Der Verlag wurde 1950 von Wilhelm Karl Gerst abgemeldet.[21]

Veröffentlichungen

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  • Caritashilfe in der Seelsorge. Beiträge und Studien bearbeitet von Wilhelm Karl Gerst. Caritas-Schriften 21. Freiburg 1911
  • Die deutschen Katholiken und der Theaterkulturverband. Mönchen-Gladbach 1918
  • Das Theater der Kulturgemeinschaft (Bundesschriften des Bühnenvolksbundes, Bd. 3). Innsbruck/Wien/München 1920
  • Gemeinschaftsbühne und Jugendbewegung. Frankfurt am Main 1924
  • Deutsches Heimatspiel (Hg. vom Reichsausschuß deutscher Heimatspiele). Leipzig 1926
  • Vaterländische Spiele. Eine Sammlung neuer Spiele aus dem Gemeinschaftsgeist der deutschen Jugend. 1927
  • Wille und Werk. Bühnenvolksbund Handbuch. Berlin 1928
  • Aufbruch zur Volksgemeinschaft: Eine Sammlung deutscher Volksschauspiele. 1933
  • Gruppen-Spiele des neuen Volkstums: Spiele aus d. Begegnung zwischen Dichter u. Volk (Hrsg. von Leo Weismantel; Wilhelm Karl Gerst). 1933
  • Bundesrepublik Deutschland. Weg und Wirklichkeit. Berlin 1957
  • Bundesrepublik Deutschland unter Adenauer. Berlin 1957
  • Eine Abrechnung. 50 Beiträge zur Charakteristik der Adenauer-Partei. Union Verlag. Berlin 1960
  • Die 12 Grundgesetz-Änderungen. Frankfurt 1961

Sekundärliteratur

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  • Gregor Kannberg: Der Bühnenvolksbund. Aufbau und Krise des Christlich-Deutschen Bühnenvolksbundes 1919–1933. Köln 1997
  • Peter Stoltzenberg: Ernst Leopold Stahl und der „Verband zur Förderung deutscher Theaterkultur“. Dissertation. Köln 1958
  • Sascha Braun: Auf der Suche nach der Volksgemeinschaft – Das nationalsozialistische Thingspiel. München 2004

Einzelnachweise

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  1. Peter Stoltzenberg: Ernst Leopold Stahl und der "Verband zur Förderung deutscher Theaterkultur". In: Albertus-Magnus-Universität zu Köln (Hrsg.): Dissertation. 1958, S. 37 f.
  2. a b c d Wilhelm Karl Gerst im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
  3. Wilhelm Karl Gerst: Caritashiilfe in der Seelsorge. In: Caritas-Schriften (Hrsg.): Beiträge und Studien, bearbeitet von W. K. Gerst. 21. Heft. Freiburg 1911.
  4. Stoltzenberg: Köln 1958. S. 38.
  5. Stoltzenberg: Köln 1958. S. 39 ff.
  6. Wilhelm Karl Gerst: Der Verband zur Förderung deutscher Theaterkultur. Hrsg.: Gesamtausschuss des Verbandes zur Förderung deutscher Theaterkultur. Werbeschrift Nr. 1. Hildesheim 1916, S. 29.
  7. Gerst, Wilhelm Carl (1887-1968) , abgerufen am 20. Juni 2021.
  8. L´Eco del cinema.: Wilhelm Karl Gerst. In: Rivista Mensile. Maggio 1932, No 102. Torino 1932, S. 19.
  9. a b Eva-Juliane Welsch: Die hessischen Lizenzträger und ihre Zeitungen. Hrsg.: Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Dortmund. Dissertation. Dortmund 2002.
  10. Gerst, W.K., Katholiek Documentatie Centrum der Radboud-Universität, abgerufen am 20. Juni 2021.
  11. Gegen das Nazi-Übel der Lüge, Claus-Jürgen Göpfert 31. Juli 2020 in: Frankfurter Rundschau, abgerufen am 20. Juni 2021.
  12. Zeitungslizenz für die Frankfurter Rundschau, 31. Juli 1945, in: Zeitgeschichte in Hessen, Stand: 31. Juli 2020, abgerufen am 20. Juni 2021.
  13. 31. Juli 1945: Bescheinigung für Wilhelm Karl Gerst, Frankfurt/Main, Konrad Adenauer, abgerufen am 20. Juni 2021.
  14. Thomas Pitroff: Theatergeschichte in der Weimarer Republik, davor und danach: Der Fall Wilhelm Carl Gerst. In: In: Raasch, Markus ; Hirschmüller, Tobias (Hrsg.): Von Freiheit, Solidarität und Subsidiarität – Staat und Gesellschaft der Moderne in Theorie und Praxis : Festschrift für Karsten Ruppert zum 65. Geburtstag. Berlin 2013.
  15. Wilhelm Karl Gerst, Der Spiegel 1948/33, 13. August 1948, abgerufen am 20. Juni 2021.
  16. vom 27. Juni 1953 (Samstag), Pressestimmen Ost:, bpb 2004, abgerufen am 20. Juni 2021.
  17. Sozialdemokratischer Pressedienst: Ist Herr Gerst weiterhin tragbar? (Seite 7). 22. Oktober 1952, abgerufen am 22. Oktober 2023.
  18. Union in Deutschland. Informationsdienst der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union.: DFU auf neuen Wegen (Seite 8). 9. Mai 1963, abgerufen am 22. Oktober 2023.
  19. Leweke, Adolf, in: Hessische Biographie, Stand: 15. April 2021, abgerufen am 20. Juni 2021.
  20. Patronale. Abgerufen am 26. August 2022 (deutsch).
  21. Sächsisches Staatsarchiv: Sächsisches Staatsarchiv. Abgerufen am 26. August 2022.