Wissensraum

Mathematische Struktur, um den Wissenserwerb zu modellieren

Ein Wissensraum (Knowledge Space) ist eine mathematische Struktur zur Modellierung des Wissenserwerbs in einem Wissensgebiet. Dazu wird das Wissensgebiet in Lerneinheiten (Topics) unterteilt. Wissenszustände (Knowledge States) sind Kombinationen dieser Einheiten. Ein Wissenszustand enthält mit jeder Lerneinheit auch deren Voraussetzungen. Die Wissensstruktur (Knowledge Structure) besteht aus all diesen Wissenszuständen. Ein Lernraum (Learning Space) ist ein Wissensraum mit speziellen Eigenschaften.

Mathematisch ist eine Wissensstruktur also ein Mengensystem, das durch die Teilmengenbeziehung geordnet ist. Man spricht von einem Wissensraum, wenn mit je zwei Wissenszuständen auch deren Vereinigung dazugehört. Zusätzliche mathematische Annahmen führen auf besonders gut handhabbare Wissensräume, die dann als Lernräume bezeichnet werden.

Geschichte

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Die Theorie zu Wissensräumen wurde ab dem Jahr 1985 von dem kalifornischen Psychologen Jean-Claude Falmagne in Zusammenarbeit mit dem belgischen Mathematiker Jean-Paul Doignon entwickelt.[1] Später wurde sie unter der Bezeichnung Lernräume weiter ausgebaut.[2][3] Zahlreiche Wissenschaftler haben sich mit dem Thema auseinandergesetzt,[4] in Europa z. B. eine Gruppe um Dietrich Albert[5][6] am Knowledge Technologies Institute der Technischen Universität Graz.

Die Theorie zu den Wissensräumen weist enge Parallelen zur Formalen Begriffsanalyse auf,[7] insbesondere bezüglich der Algorithmen.

In einem Wissens- oder Lernraum wird ein Wissensgebiet nach didaktischen Gesichtspunkten in Lerneinheiten zerlegt und dann beschrieben, wie diese Lerneinheiten aufeinander aufbauen. Dies hilft dabei, den Wissensstand eines Lernenden durch relativ wenige Testfragen schnell zu ermitteln. Aus dem Beherrschen einer Lerneinheit kann geschlossen werden, dass deren Voraussetzungen (Prerequisites) ebenfalls bereits verstanden sind. Die Menge aller Lerneinheiten, die ein Lernender beherrscht, beschreibt dann dessen Wissenszustand.

Nachdem ein Wissensstand ermittelt ist, ergibt sich aus der Ordnungsstruktur weiter, für welche noch nicht beherrschten Lerneinheiten der ermittelte Wissensstand ausreicht, so dass eine von ihnen als nächste erfolgreich gelernt werden kann. Diese Lerneinheiten werden äußerer Wissensrand genannt (Outer Fringe).

Anwendung

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In der praktischen Anwendung werden dem Lernenden Erläuterungen und Übungsaufgaben aus dem für ihn ermittelten äußeren Wissensrand angeboten. Zusätzlich wird wiederholt überprüft, ob neu erworbenes Wissen nachhaltig ist oder noch weiterer Übung bedarf.

Aufbauend auf der Theorie der Wissensräume wurde ab 1994 von Falmagne an der University of California, Irvine die Lernsoftware „ALEKS“ entwickelt.[8] 2013 wurde sie an den amerikanischen Schulbuch- und Bildungsverlag McGraw-Hill Education verkauft.[9][10]

An der TU Graz werden derzeit (Stand: 2017) Anwendungen entwickelt, die sich vornehmlich an Schüler und Lehrer richten.[6][11][12]

Einzelnachweise

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  1. Jean-Paul Doignon, Jean-Claude Falmagne: Spaces for the assessment of knowledge. In: International Journal of Man-Machine Studies. Band 23. Elsevier Ltd., 1985, S. 175–196, doi:10.1016/S0020-7373(85)80031-6.
  2. Jean-Paul Doignon, Jean-Claude Falmagne: Knowledge Spaces. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 1999, ISBN 978-3-642-58625-5.
  3. Jean-Claude Falmagne, Jean-Paul Doignon: Learning Spaces – Interdisciplinary Applied Mathematics. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 2011, ISBN 978-3-642-01039-2.
  4. Cord Hockemeyer: Bibliography on Knowledge Spaces maintained by Cord Hockemeyer. 2. November 2017, abgerufen am 2. November 2017 (englisch).
  5. Dietrich Albert: Dietrich Albert. Technische Universität Graz, 2014, abgerufen am 2. November 2017.
  6. a b Michael A. Bedek: LEA's BOX und weSPOT Zwei praktische Anwendungen von Wissensräumen. Technische Universität Graz, 21. Oktober 2017, abgerufen am 2. November 2017.
  7. Bernhard Ganter: Lernen in Wissensräumen – Eine erfolgreiche Lernmethodik mit mathematischer Grundlage. Ernst-Schröder-Zentrum für Begriffliche Wissensverarbeitung e.V., 21. Oktober 2017, abgerufen am 28. Oktober 2017.
  8. Heather Ashbach: Bridging the gap: Adaptive learning program developed at UCI supplements and reinforces math and science skills. UCI News, 10. Juli 2013, abgerufen am 28. Oktober 2017 (englisch).
  9. McGraw-Hill Education Agrees to Acquire ALEKS Corporation, Developer of Adaptive Learning Technology for K-12 and Higher Education. Cision PR Newswire, 20. Juni 2013, abgerufen am 28. Oktober 2017 (englisch).
  10. Testversion von ALEKS. ALEKS, McGraw Hill, abgerufen am 28. Oktober 2017 (englisch).
  11. LEA’s BOX – LEarning Analytics Toolbox. TU Graz, Knowledge Technologies Institute, Cognitive Science Section (CSS), 2014, abgerufen am 16. November 2017 (englisch).
  12. weSPOT – Working Environment with Social and Personal Open Tools for inquiry. TU Graz, Knowledge Technologies Institute, Cognitive Science Section (CSS), 2014, abgerufen am 16. November 2017 (englisch).