Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung

Straftat in Deutschland
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Die Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung ist eine Straftat, die in Deutschland in § 188 StGB normiert ist. Bei dem Delikt handelt es sich um ein Vergehen, das im Fall der Beleidigung Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vorsieht, während der Strafrahmen im Fall der üblen Nachrede bei Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren und bei der Verleumdung zwischen sechs Monaten und fünf Jahren liegt.

Durch die Änderung zum 3. April 2021 wurden Werturteile als Beleidigungen in den Tatbestand aufgenommen. Zuvor waren nur falsche Tatsachenbehauptungen als üble Nachrede oder Verleumdung eine Straftat.[1][2]

Allgemeines

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Die Norm berücksichtigt, dass Personen, die sich politisch betätigen, ehrverletzenden Angriffen in besonderer Form ausgesetzt sind. Sie soll verhindern, dass die öffentliche Auseinandersetzung unnötig emotionalisiert und polarisiert wird.[3] Da der Schutzzweck der Vorschrift darauf zielt, die „Vergiftung des politischen Lebens“ abzuwehren, beruht die qualifizierte Regelung gegenüber den § 186 und § 187 StGB nicht auf einem abgestuften Wert personaler Ehre.

Die Norm ist mit dem Gleichheitssatz des Artikel 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vereinbar; allerdings wird ihr Anwendungsbereich begrenzt, da Personen, die im politischen Leben stehen, höhere Duldungspflichten auferlegt werden. Bei Auseinandersetzungen im politischen Meinungskampf und Angelegenheiten im öffentlichen Interesse geht die Rechtsprechung von einer Vermutung zugunsten der Meinungsäußerungsfreiheit aus (Wahrnehmung berechtigter Interessen).[4]

Das Bundesverfassungsgericht lehnte 1955 für den damaligen § 187a StGB eine Verfassungswidrigkeit ab und schrieb in der Begründung: „Der erhöhte strafrechtliche Ehrenschutz wird den im politischen Leben stehenden Personen nicht um ihrer selbst willen gewährt, sondern um ihr öffentliches Wirken vor unsachlichen Beeinträchtigungen zu schützen und um einer erhöhten Gefährdung der Ehre dieser Personen Rechnung zu tragen.“[5]

Rechtsgut

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Nach herrschender Meinung ist das geschützte Rechtsgut der Vorschrift die Person, nicht hingegen das politische Amt; mittelbar hingegen geht es auch darum, die Funktionsfähigkeit der jeweiligen Ämter zu gewährleisten. Die Norm schützt Personen, die im politischen Leben stehen, dort führende Positionen innehaben und sich mit wichtigen Fragen der Gesetzgebung oder Verwaltung, der Verfassung oder internationalen Politik beschäftigen und das öffentliche Leben wesentlich beeinflussen.[6]

Neben dem Bundespräsidenten und Bundestagspräsidenten, den Mitgliedern der Bundesregierung und der jeweiligen Landesregierungen zählen dazu auch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages und der Landesparlamente sowie führende Politiker der Parteien. Zum 3. April 2021 wurde der Tatbestand auf Kommunalpolitiker erweitert.[7] Andere Personen des allgemeinen öffentlichen Lebens sind hingegen nicht geschützt, selbst wenn sie sich mit Fragen der Wirtschaft oder Wissenschaft, der Kunst oder Weltanschauung befassen, als prominent gelten oder über sonstigen Einfluss verfügen.[8]

Tatbestand

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Die Vorschrift unterscheidet zwischen einer Beleidigung gemäß § 185 StGB, einer üblen Nachrede gemäß § 186 StGB und einer Verleumdung gemäß § 187 StGB.

Zusätzlich müssen für die Qualifikation des § 188 StGB mehrere Tatbestandsmerkmale hinzukommen. Zum einen muss die Tat „öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3)“ verübt worden sein. Des Weiteren greift die Qualifikation nur, wenn die Tat „aus Beweggründen begangen [wurde], die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen“.

Insbesondere muss die Behauptung bzw. das Werturteil des Täters geeignet sein, die öffentliche Betätigung des Betroffenen deutlich zu beeinträchtigen, indem es dessen Lauterkeit oder Glaubwürdigkeit hinterfragt und ihn diskreditiert (ansonsten kommen nur die allgemeinen Vorschriften über Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung zur Anwendung). Auf bestimmte Tätigkeiten des Betroffenen braucht sich der Täter nicht zu beziehen. Ob die Tat geeignet ist, ihn nachhaltig zu tangieren, hängt nach einer Literaturmeinung lediglich vom Inhalt der Behauptungen ab, nicht hingegen von bestimmten Tatumständen oder dem Umfang des beeinflussten Personenkreises.[9] Nach dem Oberlandesgericht Celle und einer weiteren Literaturmeinung[10] ist dagegen die Geeignetheit unter Berücksichtigung der Gesamtumstände – „wie der Glaubwürdigkeit des Täters, der Art der Verbreitung und der Größe des erreichten Personenkreises“[11] – zu bestimmen.

Abwägung mit Meinungsfreiheit

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Eine Meinungsäußerung fällt grundsätzlich in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG). Diese findet in allgemeinen Gesetzen wie z. B. § 188 StGB ihre Schranke. Seit dem Lüth-Urteil des BVerfG ist eine Wechselwirkung zu beachten. Allgemeine Gesetze setzen der Meinungsfreiheit zwar Schranken, müssen ihrerseits aber wiederum im Lichte der Meinungsfreiheit ausgelegt und angewendet werden.[12]

Auch bei der Auslegung des § 188 StGB muss die grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit beachtet werden. Die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) schützt auch Werturteile über Politiker, auch wenn sie womöglich einen ehrschmälernden Gehalt haben. Auch eine polemisch oder verletzend formulierte Aussage kann in den Schutzbereich des Grundrechts fallen. Der Schutz der Meinungsfreiheit ist gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen. Machtkritik erlaubt aber nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern. Der Schutz der Person des politischen Lebens tritt umso mehr zurück, je weniger es sich um eine Äußerung im privaten Bereich in Verfolgung eigennütziger Ziele handelt und umso mehr es sich um einen Beitrag zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt, der Äußernde also in erster Linie zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen will.[13]

Auch hier sind Äußerungen desto weniger schutzwürdig, je mehr sie sich von einem Meinungskampf in die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Fragen wegbewegen und die Herabwürdigung der betreffenden Personen in den Vordergrund tritt. Mit Blick auf Form und Begleitumstände einer Äußerung kann nach den Umständen des Falles insbesondere erheblich sein, ob sie ad hoc in einer hitzigen Situation oder im Gegenteil mit längerem Vorbedacht gefallen ist. Denn für die Freiheit der Meinungsäußerung wäre es besonders abträglich, wenn vor einer mündlichen Äußerung jedes Wort auf die Waagschale gelegt werden müsste. Der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit als unmittelbarer Ausdruck der Persönlichkeit impliziert – in den Grenzen zumutbarer Selbstbeherrschung – die rechtliche Anerkennung menschlicher Subjektivität und damit auch von Emotionalität und Erregbarkeit. Demgegenüber kann bei schriftlichen Äußerungen im Allgemeinen ein höheres Maß an Bedacht und Zurückhaltung erwartet werden. Dies gilt – unter Berücksichtigung der konkreten Kommunikationsumstände – grundsätzlich auch für textliche Äußerungen in den "sozialen Netzwerken" im Internet. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls erheblich, ob und inwieweit für die betreffende Äußerung ein konkreter und nachvollziehbarer Anlass bestand oder ob sie aus nichtigen oder vorgeschobenen Gründen getätigt wurde.[14]

Grundrechtlich geschützt sind nur Meinungen, nicht erfasst sind bewusst oder erwiesen unwahre falsche Tatsachenbehauptungen, insbesondere Fake News.[15]

Rechtfertigung

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Ob die Handlung gerechtfertigt ist, kann im Rahmen des § 193 StGB geprüft werden.[16] Für Verleumdungen kann ein berechtigtes Interesse in aller Regel ausgeschlossen werden.[17]

Diskussion

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In der politischen Debatte kritisierten Juristen und Politiker wie Marcel Schröder und Wolfgang Kubicki, dass sich eine „Anzeige-Industrie“ rund um Spitzenpolitiker gebildet habe.[18] Der Strafrechtler Holm Putzke urteilte: „Dass wegen einer Beleidigung eine Durchsuchung durchgeführt wird – das sehen wir schon länger. Es gibt inzwischen inflationär viele Verfahren, die darauf zurückgehen, dass Politiker jemanden wegen Beleidigung angezeigt haben ... Ich halte solche Maßnahmen allein wegen möglicher Beleidigungsdelikte für problematisch.“[19] Der Journalist Velten Schäfer kommentierte für Der Freitag, dass niemand jede Beschimpfung hinnehmen müsse. „Aber per Abmahn-Startup Bürger verklagen, während man selbst gern gegen Andersdenkende ledert? Die Politik darf nicht vergessen, wer in der Demokratie der Souverän ist“.[20] Der Wirtschaftswissenschaftler Christian Rieck sieht aus spieltheoretischer Sicht einen Einschüchterungsversuch, der in einer Demokratie nichts verloren habe.[21]

Siehe auch

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Einzelnachweise

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  1. Gesetzespaket gegen Hass und Hetze tritt am 3. April 2021 in Kraft abgerufen am 28. Februar 2024
  2. Lukas de Koster: Belei­di­gung als Gefähr­dung des poli­ti­schen Wir­kens? In: Legal Tribune Online. 23. November 2024, abgerufen am 23. November 2024.
  3. Thomas Fischer, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 65. Auflage 2018, § 188, Rn. 1
  4. Thomas Fischer, § 193, Rn. 17a
  5. BVerfG, Beschuss vom 30. November 1955 – 1 BvL 120/53 –, dejure.org = BVerfGE 4, 352.
  6. Thomas Fischer, § 188, Rn. 2
  7. Gesetzespaket gegen Hass und Hetze tritt am 3. April 2021 in Kraft abruf=2024-02-28
  8. Thomas Fischer, § 188, Rn. 2
  9. Thomas Fischer, § 188, Rn. 3 / 3a
  10. Eric Hilgendorf in Leipziger Kommentar. StGB. Band 10 §§ 174-210, herausgegeben von Gabriele Cirener, Henning Radtke, Ruth Rissing-van Saan, Thomas Rönnau und Wilhelm Schluckebier, De Gruyter, Berlin/Boston 2023. § 188 Rn. 4.
  11. OLG Celle, Beschluss vom 23. Juli 2024 – 1 ORs 19/24 –, dejure.org.
  12. Prof. Dr. Tobias Reinbacher, „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!“ Politische Meinungsäußerungen im Internet als strafbare Beleidigung, Zeitschrift für das Juristische Studium, 6/2022, S. 802 ff, [1]
  13. BVerfG 1 BvR 820/24 - Beschluss vom 4. April 2024; zitiert nach hr-strafrecht.de [2], abgerufen am 24. November 2024
  14. BVerfG, Beschluss vom 19.12.2021 - 1 BvR 1073/20; Fundstelle: openJur 2022, 2398, [3]
  15. Prof. Dr. Tobias Reinbacher, „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!“ Politische Meinungsäußerungen im Internet als strafbare Beleidigung, Zeitschrift für das Juristische Studium, 6/2022, S. 802 ff, [4]
  16. Thomas Fischer, § 193, Rn. 28a
  17. Thomas Fischer, § 188, Rn. 5
  18. FDP.de, KUBICKI-Gastbeitrag: Im Zweifel für die Freiheit und nicht für den Strafantrag, 20. November 2024, abgerufen am 24. November 2024
  19. Nach Habeck-Beleidigung: Experte nennt Durchsuchung "hochproblematisch". In: Der Stern. Abgerufen am 24. November 2024.
  20. Robert Habecks „Schwachkopf“-Affäre: Der Anzeigenhauptmeister ist beleidigt. In: Der Freitag. Abgerufen am 24. November 2024.
  21. Youtube, Methoden der Einschüchterung (Habecks Schwachkopf-Anzeige), abgerufen am 24. November 2024