5′-Cap-Struktur

posttranskriptionale Modifikation

Die 5′-Cap-Struktur (von englisch cap ‚Kappe‘) ist ein kappenähnlicher Aufsatz am 5′-Ende von mRNA-Molekülen, der im Zellkern von eukaryotischen Zellen angefügt wird. Die 5′-Kappe schützt nicht nur eine RNA vor Abbau, sondern ist des Weiteren auch für den Export einer mRNA aus dem Kern in das Zytoplasma wichtig sowie für die Translation der mRNA durch Ribosomen.

3D-Stäbchenmodell einer mRNA mit sechs Nukleotiden plus 5′-Cap-Struktur (nach PDB 1AV6)
Schemazeichnung des 5′-Endes einer mRNA mit m7G-Cap-Struktur (links)
Strukturformel der m7G-Cap-Struktur am 5′-Ende

Häufig handelt es sich bei der 5′-Cap-Struktur um ein modifiziertes Guanin-Nukleotid, das über eine seltene 5′-5′-Phosphodiesterbindung an das Kopfende der RNA geknüpft wird. Diese englisch Capping genannte chemische Reaktion findet schon während der Transkription eines Gens statt, sobald eine RNA-Polymerase die ersten Nukleotide einer mRNA verknüpft hat. Im Unterschied zum (kotranskriptionellen) Capping des 5′-Endes ist die Polyadenylierung des 3′-Endes einer mRNA – der Tailing (von englisch tail ‚Schwanz‘) genannte Anbau eines Poly(A)-Schwanzes – eine posttranskriptionelle Modifikation, die erst nach Trennung von mRNA und RNA-Polymerase durchgeführt wird.

Capping wird außer bei mRNA auch bei vielen nichtcodierenden RNAs gefunden. Alternativ zur Cap-Struktur werden von manchen RNA-Viren zur Einleitung der Translation IRES oder Cap-independent Translation Elements verwendet.

Cap-Strukturen

Bearbeiten

Polymerase II

Bearbeiten

Bei mRNAs, die durch die RNA-Polymerase II transkribiert werden, findet sich die klassische m7G-Cap. Hier wird (nach Hydrolyse des terminalen γ-Phosphates durch die Triphosphatase) durch das so genannte Capping-Enzym ein GMP-Rest (von GTP) in Form einer 5′-5′-Triphosphat-Bindung auf das 5′-Ende der RNA übertragen und anschließend an Position 7 des Guanins mithilfe der mRNA-cap-Methyltransferase unter Verbrauch von S-Adenosylmethionin (SAM), ein universeller Methylgruppendonor, methyliert, es resultiert: 5′-5′ m7GpppN. Zusätzlich treten weitere Methylierungen der ersten Basen der mRNA in Position 2′ auf, man spricht dann von Cap1 (nur die erste Base methyliert) oder Cap2 (die ersten beiden Basen methyliert).

Weiterhin findet man z. B. in Trypanosomen weitaus kompliziertere Cap-Strukturen, bei denen nicht nur das erste Nukleotid modifiziert ist, sondern auch darauf folgende (z. B. Trypanosoma brucei Cap-4).

Polymerase III

Bearbeiten

Transkripte der RNA-Polymerase III erhalten keine solchen 5′-Cap Strukturen, bei einigen wenigen RNAs findet sich aber eine Monomethylierung an einem γ-Phosphatrest (z. B. U6 snRNA).

Manche Viren zeigen eine Eigenart im Biosyntheseweg der Cap-Struktur: GTP wird zunächst methyliert und erst anschließend auf die RNA übertragen.

Funktion

Bearbeiten

Wie auch der Poly(A)-Schwanz am 3′-Ende von mRNAs spielt die Cap-Struktur eine wichtige Rolle beim Stabilisieren der mRNAs. Ohne diese Struktur werden die mRNAs im Cytoplasma schnell von 5′ nach 3′ durch Exonukleasen abgebaut.

Auch beim Ausschleusen der RNA aus dem Zellkern durch die Kernporen in das Cytoplasma (RNA-Export) spielt die Cap-Struktur eine wichtige Rolle. Sie wird noch während der Transkription vom Cap-Binding-Komplex gebunden, der im Zusammenwirken mit anderen Faktoren einen effektiven Transport sichert.

Von entscheidender Wichtigkeit ist die Cap-Struktur auch bei der Initiation der Translation. Sowohl gebunden durch CBC (während der ersten Runde der Translation) als auch durch eIF4E (während aller weiterer Runden) sorgt sie dafür, dass das Ribosom rekrutiert wird und mit der Initialisierung beginnt. Dabei kommt es zu einem Ringschluss der RNA (closed loop model of translation), bei dem das 5′-Ende mit dem Poly-A-Schwanz interagiert (über eIF4E, eIF4G und das cytoplasmatische Poly-A-Bindeprotein PABPC).

Da einige Viren ausschließlich im Cytoplasma replizieren, erhalten sie von der zellulären Maschinerie keine Cap-Struktur. Um die Nachteile auszugleichen, die dies mit sich bringt, stehlen sie eine Cap von zellulären mRNAs, man spricht von Cap-snatching. Eine mRNA des Wirtsorganismus wird dabei nahe dem 5′-Ende gespalten (welches ja die Cap-Struktur trägt) und als sogenannter capped-leader dazu benutzt die virale Translation zu initiieren.

Die Tatsache, dass virale Polymerasen kein m7G-Cap produzieren, ermöglicht eine spezifische Unterscheidung von „fremder“ und „körpereigener“ RNA – eine RNA, die lediglich ein ungecaptes Triphosphat am 5′-Ende trägt, kann als Hinweis auf eine Infektion gelten. In der Tat gibt es im angeborenen Immunsystem (dessen grundlegende Aufgabe die Unterscheidung von „Fremd“ und „Selbst“ ist) mit RIG-I einen intrazellulären Rezeptor, der genau diese Struktur als PAMP erkennt und in der Folge eine antivirale Immunantwort auslöst.[1] Die mRNA von Impfstoffen wie Tozinameran, mRNA-1273 oder CVnCoV ist zum Schutz vor frühzeitigem Abbau mit einer 5′-Cap ausgestattet.

Chemisch-synthetische Modifikation

Bearbeiten

Für die medizinische Anwendung von mRNAs kann die m7GpppG-Kappe chemisch-synthetisch modifiziert werden, um die Translationseffizienz und -stabilität von mRNA weiter zu verbessern. Durch Modifikation an der 3‘-Position vom m7G wird dessen Einbau in entgegengesetzter Orientierung – was die Rekrutierung des eukaryotischen Initiationsfaktors 4E (eIF4E) behindern würde – unterdrückt. Solche Anti-reverse cap analogs (ARCA) sind etwa m27,3′-OGpppG und m7d3′GpppG.[2] Bei einem symmetrischen Two-headed cap analog (m7Gpppm7G) ist die Einfügerichtung unerheblich.[3] Das Prinzip der Locked nucleic acid modified cap (LNA modified cap analog, m7, LNAGpppG) erlaubt ebenfalls nur einen Einbau in Vorwärtsrichtung und erhöht die Stabilität gegenüber dem Decapping.[4] Eine erhöhte Affinität der Kappe zu eIF4E und erhöhte Resistenz gegenüber dem Abbau durch den Decapping-Komplex DCP1/DCP2 erhält man auch durch chemische Modifikation an der Phosphatbrücke. Dazu wird die Triphosphat-Struktur zu einer Tetraphosphat-Struktur verlängert und/oder an bestimmten Positionen der Sauerstoff durch Schwefel ersetzt.[5]

Literatur

Bearbeiten
  • Rolf Knippers: Molekulare Genetik. 8. neubearbeitete Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart u. a. 2001, ISBN 3-13-477008-3
  • Alison Galloway, Victoria H. Cowling: mRNA cap regulation in mammalian cell function and fate. In: Biochimica et Biophysica Acta - Gene Regulatory Mechanisms. 2018, Band 1862, Nummer 3, S. 270–279. doi:10.1016/j.bbagrm.2018.09.011.
  • Marcin Warmiński, Adam Mamot, Anaïs Depaix, Joanna Kowalska, Jacek Jemielity: Chemical Modifications of mRNA Ends for Therapeutic Applications. In: Accounts of Chemical Research. 2023, Band 56, Nummer 20, S. 2814–2826. doi:10.1021/acs.accounts.3c00442.
Bearbeiten

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Hornung et al.: 5′-Triphosphate RNA Is the Ligand for RIG-I. In: Science, 10. November 2006, Vol. 314, no. 5801, S. 994–997; doi:10.1126/science.1132505. Originalpublikation in Science über die Erkennung von ungecapter RNA
  2. Ewa Grudzien‐Nogalska, Janusz Stȩpiński, Jacek Jemielity, Joanna Zuberek, Ryszard Stolarski, Robert E. Rhoads, Edward Darżynkiewicz: Synthesis of Anti‐Reverse Cap Analogs (ARCAs) and their Applications in mRNA Translation and Stability. In: Methods in enzymology on CD-ROM/Methods in enzymology. 2007, S. 203–227. doi:10.1016/S0076-6879(07)31011-2.
  3. Ewa Grudzien, Janusz Stȩpiński, Marzena Jankowska‐Anyszka, Ryszard Stolarski, Edward Darżynkiewicz, Robert E. Rhoads: Novel cap analogs for in vitro synthesis of mRNAs with high translational efficiency. In: RNA. 2004, Band 10, Nummer 9, S. 1479–1487 doi:10.1261/rna.7380904
  4. Anilkumar R. Kore, Muthian Shanmugasundaram, Irudaya Charles, Alexander V. Vlassov, Timothy Barta: Locked Nucleic Acid (LNA)-Modified Dinucleotide mRNA Cap Analogue: Synthesis, Enzymatic Incorporation, and Utilization. In: Journal of the American Chemical Society. 2009, Band 131, Nummer 18, S. 6364–6365 doi:10.1021/ja901655p.
  5. Błażej A. Wojtczak, Pawel J. Sikorski, K. Fac-Dabrowska, Anna M. Nowicka, Marcin Warmiński, Dorota Kubacka, Elżbieta Nowak, Marcin Nowotny, Joanna Kowalska, Jacek Jemielity: 5′-Phosphorothiolate Dinucleotide Cap Analogues: Reagents for Messenger RNA Modification and Potent Small-Molecular Inhibitors of Decapping Enzymes. In: Journal of the American Chemical Society. 2018, Band 140, Nummer 18, S. 5987–5999 doi:10.1021/jacs.8b02597.