Agitu Ideo Gudeta

äthiopische Bäuerin, Unternehmerin und Umweltschützerin (1978–2020)

Agitu Ideo Gudeta (Aggituu Ida'o Guddataa; አጊቱ ጉደታ; * 1. Januar 1978 in Addis Abeba; † 28. Dezember 2020 in Frassilongo)[1] war eine äthiopische Oromo[2]-Bäuerin,[3] Unternehmerin und Umweltschützerin. Sie floh nach Italien, nachdem sie aufgrund ihrer politischen Aktivitäten gegen Land Grabbing durch das Militär, welches im Auftrag internationaler Konzerne agierte, verfolgt wurde. Sie gründete einen Ziegenhof, um Molkerei- und Schönheitsprodukte zu produzieren. Dafür züchtete sie die indigene Ziegenrasse Pezzata Mòchena. Gudeta wurde für Presse und Politik ein landesweites Symbol für Umweltschutz und erfolgreiche Flüchtlingsintegration in die italienische Gesellschaft. Sie wurde im Dezember 2020 gewaltsam getötet.

Jugend und Erziehung

Bearbeiten

Agitu Ideo Gudeta wurde am 1. Januar 1978 in Addis Abeba geboren.[4][5] Sie lernte landwirtschaftliche Fähigkeiten von ihren Großeltern, die auf dem Land lebten.[6] Gudeta graduierte an der Universität Trient mit einer Laurea in Soziologie.[7]

Karriere

Bearbeiten

Gudeta kehrte nach Äthiopien zurück, um an nachhaltigen landwirtschaftlichen Initiativen zu arbeiten.[8] Die von ihr geführten Projekte hatten zum Ziel, die Landwirte zu organisieren und die Arbeitsbelastung durch Training, Ausbildung und Maschinen zu vermindern, und für ein adäquates Einkommen zu sorgen.[9] Gudeta wurde politische Aktivistin, die sich bei Protesten in Addis Abeba gegen unregulierte Industrialisierung, Land Grabbing durch die äthiopische Regierung im Auftrag internationaler Konzerne und Enteignungskampagnen engagierte.[10][11][12]

2010 floh sie vor den anhaltenden Konflikten in das Trentino. Nachdem sie die lokalen landwirtschaftlichen Voraussetzungen untersucht hatte, etablierte sie erst im Grestatal und dann im Fersental den Ziegenhof La Capra Felice auf zuvor aufgegebenen Gemeindeflächen.[12] In Frankreich lernte sie, Ziegenkäse herzustellen.[8] Ihr Hof produzierte Molkerei- und Schönheitsprodukte der indigenen Ziegenrasse Pezzata Mòchena.[7][11] Gudeta begann mit 15 Ziegen und vergrößerte bis 2018 die Herde auf 180 Tiere. Sie bewirtschaftete 11 Hektar Land, baute Gemüse auf 4000 m2 an und hielt noch 50 Legehennen.[13]

Die Deutsche Welle strahlte 2019 eine Dokumentation über ihr Leben und ihren Hof aus.[11] Im Juni 2020 eröffnete sie ihren ersten Laden La Bottega della Capra Felice, auf der Piazza Venezia in Trient.[14] Ihr Sortiment umfasste 20 traditionelle Trientiner Käsesorten.[10]

Preise und Ehrungen

Bearbeiten

2015 erhielt sie den Premio Resistenza Caseria Preis (etwa Käserei-Widerstandspreis), der jährlich von Slow Food Italien an Molkereibetriebe vergeben wird, die sich der Natürlichkeit, Tradition und dem Geschmack verpflichtet fühlen.[13] Durch ihr Engagement sowohl in Äthiopien als auch in Italien sei sie ein Symbol für Slow Food geworden.[15]

Das öffentliche Interesse wurde an Gudeta wach, als sie an der Seite der Politikerin und ehemaligen EU-Kommissarin Emma Bonino über ihre Erfahrungen berichten durfte.[16] 2019 wurde sie für den Umweltschutzpreis Luisa Minazzi-Ambientalista dell’anno der italienischen Umweltorganisation Legambiente nominiert.[17]

Sie wurde von den Medien manchmal La Regina delle Capre Felici (deutsch Die Königin der glücklichen Ziegen) genannt.[18][19]

Persönliches Leben und Tod

Bearbeiten

Gudeta lebte auf dem Plankerhoff/Maso Villata in Greut (it. Frassilongo), einer Gemeinde im Fersental in der Provinz Trient, in der Fersentalerisch gesprochen wird.[20][21] Sie war mit der Künstlerin und Schriftstellerin Gabriella Ghermandi befreundet.[6] Im Jahr 2018 wurde sie Opfer rassistischer Bedrohung. Der Täter wurde wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung verurteilt.[16]

Am Nachmittag des 28. Dezember 2020 wurde sie tot in ihrer Wohnung aufgefunden, nachdem Bekannte sie den ganzen Tag nicht erreicht hatten. Laut ersten Untersuchungen war sie durch Hammerschläge auf ihren Kopf getötet und Opfer sexueller Gewalt geworden. Die später vom rechtsmedizinischen Institut der Universität Verona veröffentlichten Obduktionsergebnisse bestätigten die Todesursache, schlossen allerdings einen sexuellen Missbrauch aus.[22] Ein Saisonarbeiter aus Ghana, den sie angestellt hatte und im gleichen Haus wohnte, wurde als dringend Tatverdächtiger festgenommen.[21] Der Mann gestand kurz darauf die Tat. Ursache dürfte eine Auseinandersetzung bezüglich einer ihm verweigerten Gehaltsauszahlung gewesen sein.[23][24]

Nach ihrem Tod reiste Zenebu Tadesse, der äthiopische Botschafter in Italien, nach Trient, um mit dem italienischen Außenministerium zu kooperieren.[8] Der UN-Flüchtlingskommissar (UNHCR) drückte seine Trauer aus und stellte fest, dass Gudeta „zeigte, wie Geflüchtete zu Gesellschaften, die sie aufnehmen, beitragen können. Trotz des tragischen Endes hofft der UNHCR, dass Agitu Ideo Gudeta als Beispiel für Erfolg und Integration erinnert und gefeiert wird und Geflüchtete inspiriert werden, ihr Leben wieder neu auszurichten“.[6]

Ihr Leichnam wurde am 12. Januar 2021 nach Äthiopien überführt und am gleichen Tag in Addis Abeba in einem Staatsakt bestattet.[25] Am 14. Februar 2022 wurde der geständige Saisonarbeiter aus Ghana zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren verurteilt.[26]

Dokumentarfilm

Bearbeiten

Literatur

Bearbeiten
  • Benedetta Capezzuoli: Il mondo di Agitu è anche il nostro. Edizioni del Faro, Trient 2021, ISBN 978-88-5512-213-9.
Bearbeiten
Commons: Agitu Gudeta – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Val dei Mocheni, uccisa la pastora Agitu. In: ladige.it. 29. Dezember 2020, abgerufen am 26. März 2021 (italienisch).
  2. Donatella Parisi: La storia di Agitu Ideo Gudeta ha insegnato agli altri rifugiati a credere nei sogni. In: ilriformista.it. 31. Dezember 2020, abgerufen am 14. März 2021 (italienisch).
  3. Annalisa Camilli: La ragazza etiope che alleva capre felici in Trentino. In: internazionale.it. 7. März 2017, abgerufen am 14. März 2021 (italienisch).
  4. Matthisas Rüb: Ein Mordfall erschüttert ganz Italien. In: faz.net. 1. Januar 2021, abgerufen am 3. März 2021.
  5. Agitu, il collaboratore ghanese confessa: 'L’ho uccisa io'. In: La Voce del Trentino. 30. Dezember 2020, abgerufen am 14. März 2021 (italienisch).
  6. a b c Lorenzo Tondo: Tributes paid to Ethiopian refugee farmer who championed integration in Italy. In: The Guardian. 1. Januar 2021, abgerufen am 14. März 2021 (englisch).
  7. a b Woman hailed as model for refugee integration slain in Italy. In: AP NEWS. 30. Dezember 2020, abgerufen am 14. März 2021 (englisch).
  8. a b c የስደተኞች ተቆርቋሪና የስኬት ተምሳሌቷ አጊቱ ጉደታ ማን ነበረች? In: BBC News አማርኛ. 31. Dezember 2020, abgerufen am 14. März 2021 (amharisch).
  9. La mia vita da pastora: dura ma piena di soddisfazioni. In: giornaletrentino.it. 30. Dezember 2020, abgerufen am 14. März 2021 (italienisch).
  10. a b Ulrike Sauer: Agitu Ideo Gudeta: Käse von bedrohten Ziegen. In: sueddeutsche.de. 8. Januar 2016, abgerufen am 15. März 2021.
  11. a b c Integration with Goat's Cheese. In: dw.com. 1. Dezember 2019, abgerufen am 14. März 2021 (englisch).
  12. a b Ethiopian migrant who became symbol of integration in Italy killed on her goat farm. In: reuters.com. 30. Dezember 2020, abgerufen am 14. März 2021 (englisch).
  13. a b Premio Resistenza Casearia. In: slowfood.it. Abgerufen am 15. März 2021 (italienisch).
  14. La crisi non spaventa Agitu che a Trento apre la prima bottega della Capra Felice: “Non dobbiamo fermarci, con i sogni costruiamo il nostro futuro”. In: ildolomiti.it. 1. Juni 2020, abgerufen am 14. März 2021 (italienisch).
  15. Agitu Ideo: racconteremo il tuo coraggio. In: slowfood.it. Slow Food Italia, 30. Dezember 2020, abgerufen am 15. März 2021 (italienisch).
  16. a b Michael Braun: Mord an Äthiopierin in Italien: Trauer um Unternehmerin Gudeta. In: taz.de. 31. Dezember 2020, abgerufen am 15. März 2021.
  17. Al via la XIII edizione del premio “Luisa Minazzi Ambientalista dell’anno”. In: legambiente.it. 17. Oktober 2019, abgerufen am 16. März 2021 (italienisch).
  18. La regina delle capre felici' è stata uccisa. In: agi.it. 29. Dezember 2020, abgerufen am 14. März 2021 (italienisch).
  19. Luca Pianesi: Agitu, “la Regina delle capre felici” minacciata di morte: “Brutta negra, io ti uccido. Tornatevene nel vostro Paese”. In: ildolomiti.it. 26. August 2018, abgerufen am 14. März 2021 (italienisch).
  20. Agitu Gudeta Ideo (42): Täter hat Vergewaltigungsversuch unternommen. In: suedtirolnews.it. 30. Dezember 2020, archiviert vom Original am 27. Januar 2021; abgerufen am 3. März 2021.
  21. a b Tommaso Di Giannantonio: Agitu Ideo Gudeta, l'assassino è un suo dipendente L'arma del delitto e la scena del crimine. In: corriere.it. 30. Dezember 2020, abgerufen am 14. März 2021 (italienisch).
  22. L’esito dell’autopsia: Ideo Gudeta Agitu, lotta disperata per parare i colpi. In: ladige.it. 16. April 2021, abgerufen am 16. April 2021 (italienisch).
  23. Mord an Agitu Ideo Gudeta: Tatverdächtiger gesteht Mord. In: Südtirol News. 31. Dezember 2020, archiviert vom Original am 27. Januar 2021; abgerufen am 3. März 2021.
  24. L’agghiacciante omicidio di Agitu: dai carabinieri la ricostruzione. In: ladige.it. 30. Dezember 2020, abgerufen am 14. März 2021 (italienisch).
  25. Agitu è di nuovo nella sua Etiopia, funerali di Stato per la pastora uccisa dal suo aiutante. In: giornaletrentino.it. 12. Januar 2021, abgerufen am 26. März 2021 (italienisch).
  26. Processo Agitu, condannato a 20 anni il suo omicida. In: trentotoday.it. Abgerufen am 14. Februar 2022 (italienisch).