Analytische Menge

spezielle Teilmengen polnischer Räume in der deskriptiven Mengenlehre

Analytische Mengen werden in den mathematischen Teilgebieten der Maßtheorie und der deskriptiven Mengenlehre betrachtet, es handelt sich um spezielle Teilmengen polnischer Räume. Sie sind allgemeiner als Borelmengen, haben aber noch gewisse Messbarkeitseigenschaften.

Definition

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Eine Teilmenge   eines polnischen Raums   heißt analytisch, falls es einen polnischen Raum   und eine stetige Abbildung   gibt mit  . Kurz: Analytische Mengen sind stetige Bilder polnischer Räume.[1]

Auch die leere Menge soll analytisch sein. Daher muss man entweder die leere Menge als polnischen Raum zulassen oder die leere Menge explizit hinzunehmen.

Eigenschaften

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  • Abzählbare Vereinigungen und abzählbare Durchschnitte analytischer Mengen sind wieder analytisch.
  • Komplemente analytischer Mengen sind im Allgemeinen nicht wieder analytisch.
  • In einem polnischen Raum ist jede Borelmenge analytisch, die Umkehrung gilt im Allgemeinen nicht.

Projektionen von Borelmengen

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Analytische Mengen lassen sich wie folgt als Projektionen von Borelmengen charakterisieren. Für zwei Mengen   und   sei   die Projektion auf die zweite Komponente. Für eine Teilmenge   eines polnischen Raums sind dann folgende Aussagen äquivalent:

  1.   ist analytisch.
  2. Es gibt einen polnischen Raum   und eine abgeschlossene Menge   mit  .
  3. Es gibt einen polnischen Raum   und eine Borel-Menge   mit  .

Zum Beweis genügt es den Fall zu betrachten, dass   nicht leer ist. Ist   analytisch, so ist definitionsgemäß   für eine stetige Funktion   auf einem polnischen Raum  . Dann ist der Graph   abgeschlossen und  , womit der Schluss von 1. nach 2. gezeigt wäre. Da abgeschlossene Mengen Borelmengen sind, folgt 3. aus 2. Liegt schließlich 3. vor, so gibt es einen polnischen Raum   und eine stetige Abbildung   mit  , denn Borelmengen sind analytisch. Dann ist   stetiges Bild eines polnischen Raums und daher analytisch.

Trennungssatz für analytische Mengen

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Der folgende Trennungssatz für analytische Mengen geht auf N. N. Lusin zurück[2]:

  • Es seien   ein polnischer Raum und   zwei disjunkte analytische Mengen. Dann gibt es zwei disjunkte Borelmengen   mit   und  .[3]

Folgerung: Eine analytische Menge   ist genau dann eine Borelmenge, wenn auch das Komplement   analytisch ist.

Zum Beweis der Folgerung sei zunächst   Borelmenge. Dann ist auch   Borelmenge und daher analytisch. Ist umgekehrt   analytisch, so wende obigen Trennungssatz auf   und   an. Wegen der Disjunktheit muss dann   sein, das heißt   ist eine Borelmenge.

Der Baire-Raum

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Ein spezieller polnischer Raum ist der Baire-Raum   mit der Produkttopologie.   ist der Raum aller Folgen   natürlicher Zahlen, die Topologie wird zum Beispiel von der durch   definierten vollständigen Metrik erzeugt, wobei   der kleinste Index ist, an dem sich die beiden Folgen unterscheiden. Man kann zeigen, dass jeder (nicht-leere) polnische Raum ein stetiges Bild von   ist. Aus der Definition der analytischen Menge ergibt sich daher unmittelbar:

  • Eine nicht-leere Teilmenge   eines polnischen Raums   ist genau dann analytisch, wenn es eine stetige Abbildung   mit   gibt.

Mittels des Raumes   kann man alle analytischen Mengen eines polnischen Raums als Projektion einer festen analytischen Menge erhalten. Es gilt folgender Satz:[4]

  • Sei   ein polnischer Raum. Dann gibt es eine analytische Teilmenge  , so dass
 

genau die analytischen Mengen von   durchläuft.

Wendet man diesen Satz auf   an, so kann man zeigen, dass   eine analytische Menge in   ist, die keine Borelmenge ist.

Im Falle des Baire-Raums lässt sich jede analytische Menge bereits als Projektion einer abgeschlossenen Menge im   darstellen, im Falle der reellen Zahlen und des Cantor-Raums   reichen Projektionen abzählbarer Schnitte offener Mengen im   bzw.  .[5]

Universelle Messbarkeit

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Eine Teilmenge   eines Messraums   heißt universell messbar, wenn es zu jedem endlichen Maß   auf   Mengen   gibt mit   und  . Jede Menge aus   ist universell messbar, denn in diesem Fall kann man   wählen. Offenbar bildet die Menge aller universell messbaren Mengen eine σ-Algebra, die nach dem gerade Gesagten die σ-Algebra   umfasst.

Polnische Räume sind in natürlicher Weise Messräume, indem man sie mit der σ-Algebra der Borelmengen versieht, und bezüglich dieses Messraums ist universelle Messbarkeit in polnischen Räumen zu verstehen. Dann gilt:[6]

  • Jede analytische Menge eines polnischen Raums ist universell messbar.

Insbesondere ist also jede analytische Menge Lebesgue-messbar. Da es analytische Mengen gibt, die keine Borelmengen sind, ist die σ-Algebra der universell messbaren Mengen im Allgemeinen echt größer als die σ-Algebra der Borelmengen.

Schnitte

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Ist   eine surjektive Abbildung, so nennt man eine Abbildung   einen Schnitt von  , falls  . Die Existenz einer solchen Abbildung folgt leicht aus dem Auswahlaxiom, indem man mittels Surjektivität zu jedem   ein Urbild   wählt und   setzt. Sind   und   Messräume und ist   messbar, so stellt sich die Frage, ob man einen messbaren Schnitt   finden kann.

Zur Untersuchung dieser Frage nennen wir einen Messraum   abzählbar separiert, falls es eine Folge   von Mengen aus   gibt, so dass zu je zwei verschiedenen Punkten aus   stets ein   gefunden werden kann, das genau einen der beiden Punkte enthält. Man nennt   einen analytischen Borelraum, falls er als Messraum isomorph zu einem Messraum   ist, wobei   eine analytische Teilmenge eines polnischen Raums   und   die σ-Algebra der Durchschnitte der Borelmengen von   mit   ist. Mit diesen Begriffen gilt folgender Satz:[7]

  • Es seien   ein analytischer Borelraum,   ein abzählbar separierter Messraum und   eine messbare Abbildung. Dann gibt es einen  - -messbaren Schnitt von  , wobei   die σ-Algebra der bezüglich   universell messbaren Mengen sei.

Derartige Sätze spielen eine entscheidende Rolle in der Struktur- und Darstellungstheorie von Typ-I-C*-Algebren, wie im unten angegebenen Lehrbuch von W. Arveson ausgeführt wird[8], oder in der Disintegration von Von-Neumann-Algebren, wie sie etwa in[9] zu finden ist.

Historische Bemerkung

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H. Lebesgue war in einer Veröffentlichung aus dem Jahre 1905 fälschlicherweise der Meinung, gezeigt zu haben, dass die Projektion einer Borelmenge der Ebene   auf die  -Achse wieder eine Borelmenge sei. M. J. Suslin hatte 1917 den darin enthaltenen Fehler aufgedeckt, die analytischen Mengen eingeführt und gezeigt, dass es analytische Mengen gibt, die keine Borelmengen sind.[10]

Siehe auch

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  • Projektive Hierarchie – die analytischen (und koanalytischen) Mengen bilden die erste Stufe der projektiven Hierarchie.

Einzelnachweise

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  1. Donald L. Cohn: Measure Theory. Birkhäuser, Boston MA u. a. 1980, ISBN 3-7643-3003-1, Kapitel 8.2.
  2. Kazimierz Kuratowski: Topology. Band 1. New edition, revised and augmented. Academic Press, New York u. a. 1966, ISBN 0-1242-9201-1, S. 485.
  3. Donald L. Cohn: Measure Theory. Birkhäuser, Boston MA u. a. 1980, ISBN 3-7643-3003-1, Theorem 8.3.1.
  4. Donald L. Cohn: Measure Theory. Birkhäuser, Boston MA u. a. 1980, ISBN 3-7643-3003-1, Satz 8.2.16.
  5. Donald A. Martin, Descriptive Set Theory: Projektive Sets. In: Jon Barwise (Hrsg.): Handbook of Mathematical Logic (= Studies in Logic and the Foundations of Mathematics. Bd. 90). North-Holland, Amsterdam u. a. 1977, ISBN 0-7204-2285-X, S. 783–815, hier S. 790, doi:10.1016/S0049-237X(08)71121-2.
  6. Donald L. Cohn: Measure Theory. Birkhäuser, Boston MA u. a. 1980, ISBN 3-7643-3003-1, Korollar 8.4.3
  7. William Arveson: Invitation to C*-algebras (= Graduate Texts in Mathematics. Bd. 39). Springer, New York NY u. a. 1976, ISBN 0-387-90176-0, Theorem 3.4.3.
  8. William Arveson: Invitation to C*-algebras (= Graduate Texts in Mathematics. Bd. 39). Springer, New York NY u. a. 1976, ISBN 0-387-90176-0, Kapitel 4
  9. Gert K. Pedersen: C*-Algebras and their Automorphism Groups (= L.M.S. Monographs. Bd. 14). Academic Press Inc., London u. a. 1979, ISBN 0-12-549450-5, Kapitel 4.
  10. Richard M. Dudley: Real Analysis and Probability (= Cambridge Studies in Advanced Mathematics. Bd. 74). Cambridge University Press, Cambridge u. a. 2002, ISBN 0-521-00754-2, S. 500.