Armin Nassehi

deutscher Soziologe

Armin Nassehi (* 9. Februar 1960 in Tübingen) ist ein deutscher Soziologe und Hochschullehrer.

Armin Nassehi, 2019

Werdegang

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Nassehis iranischer Vater war 1954 zum Medizinstudium nach Deutschland gekommen. Seine Mutter stammte aus einer schwäbisch-katholischen Familie. Nassehi wurde als Kind katholisch erzogen und ließ sich mit 18 Jahren taufen.[1] Aufgewachsen ist er in Tübingen, München, Landshut, Teheran und Gelsenkirchen. Mit seiner Familie lebte er drei Jahre in Teheran, wo er eine deutsche Schule besuchte.[2]

Er studierte von 1979 bis 1985 Erziehungswissenschaften, Philosophie und Soziologie an der Universität Münster sowie an der Fernuniversität in Hagen. Von 1988 bis 1994 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Münster. 1992 wurde er in Soziologie mit der Arbeit Die Zeit der Gesellschaft promoviert, 1994 folgte die Habilitation mit einer biografieanalytischen Arbeit über ehemalige Insassen sowjetischer Zwangsarbeitslager. Anschließend lehrte er als Privatdozent in Münster.

Nach Lehrstuhlvertretungen in Münster und München übernahm er 1998 als Nachfolger von Walter L. Bühl den Lehrstuhl I für Soziologie an der Universität München.

Im Jahre 2012 wurde Nassehi durch das Interkulturelle Dialogzentrum in München mit dem IDIZEM-Dialogpreis in der Kategorie „Akademiker“ ausgezeichnet. In der Jurybegründung hieß es, Nassehi trage als Wissenschaftler beispielhaft zur Förderung und Bereicherung kultureller Werte und deren Anwendung in der Gesellschaft bei.[3]

Ebenfalls 2012 wurde Nassehi vom Bischof von Hildesheim, Norbert Trelle, zum Mitglied des Vorstands der Stiftung Forschungsinstitut für Philosophie Hannover (fiph) ernannt.[4] Nassehi ist Mitglied des Zentrums Liberale Moderne und seit 2017 Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Fritz-Thyssen-Stiftung. Von 2020 bis 2021 war er Fellow der Konrad-Adenauer-Stiftung.[5]

Im Jahre 2018 wurde Nassehi von der Deutschen Gesellschaft für Soziologie mit dem Preis für Herausragende Leistungen auf dem Gebiet der öffentlichen Wirksamkeit der Soziologie ausgezeichnet.[6] Seit 2018 ist er Mitglied im Stiftungsrat der Katholischen Universität Eichstätt.[7] Armin Nassehi gehörte 2020/21 dem Expertenrat „Corona“ der nordrhein-westfälischen Landesregierung an.[8] Im Jahre 2020 wurde er in den neu eingerichteten Bayerischen Ethikrat berufen, zu dessen stellvertretendem Vorsitzenden er im Februar 2021 gewählt wurde.[9] Ebenfalls 2020 erfolgte die Berufung in den Senat der Deutschen Nationalstiftung.[10] Ebenfalls seit 2020 gehört er dem Beirat des Ethikverbandes der Deutschen Wirtschaft an.[11]

Im Jahr 2020 wurde Armin Nassehi in der Sektion Kulturwissenschaften als Mitglied in die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina aufgenommen.

Für 2021 wurde ihm der Schader-Preis zugesprochen. 2022 war er Mitgründer des PEN Berlin.[12]

Seit 2022 ist Nassehi Mitglied des Kuratoriums des ifo-Instituts und des Hochschulrates der RWTH Aachen.

Seit dem Wintersemester 2023/24 ist Nassehi Vorsitzender des Senats und stellvertretender Vorsitzende des Hochschulrates der Ludwig-Maximilians-Universität München.[13][14]

Zum 10. Oktober 2024 wurde er in den Deutschen Ethikrat berufen.

Wissenschaftliche Arbeit

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Schwerpunkte der wissenschaftlichen Arbeit von Armin Nassehi sind Kultursoziologie, Politische Soziologie, Religionssoziologie sowie Wissens- und Wissenschaftssoziologie. Seine Soziologie schließt vor allem an die Systemtheorie nach Niklas Luhmann an, deren Potenzial er für die Methodologie qualitativer Sozialforschung nutzbar macht. Gesellschaftstheoretisch arbeitet Nassehi an einem Konzept der „Gesellschaft der Gegenwarten“, das den Gesellschaftsbegriff von seinen substantialistischen Elementen zugunsten eines operativen Verständnisses zu befreien trachtet.

Neben der Weiterentwicklung soziologischer System- und Praxistheorie forscht Nassehi vor allem auf dem Gebiet der empirischen Ethikforschung, über medizinische, juristische, ethische und politische Entscheidungen bezüglich multiprofessioneller Organisation von Sterbebegleitung beziehungsweise -hilfe, sowie im Rahmen eines internationalen EU-Projekts über den Transfer wissenschaftlichen Wissens in politische Entscheidungen.

In seinem 2019 veröffentlichten Buch Muster.Theorie der digitalen Gesellschaft unternimmt Nassehi den Versuch, die Digitaltechnik und den Prozess der Digitalisierung in der Moderne selbst zu fundieren.[15][16][17][18][19][20][21][22][23]

In seinem 2020 erschienenen Buch Das große Nein. Eigendynamik und Tragik des gesellschaftlichen Protests untersucht Armin Nassehi die Funktion und die Form von Protest. Protest ist nach Armin Nassehi eine besondere Sozialform in einer funktional differenzierten Gesellschaft. Sie macht Konflikte sichtbar, die in den institutionalisierten Bearbeitungsroutinen nicht klein gearbeitet werden können. In der Buchdruckgesellschaft konnten „Nein-Stellungnahmen“ einigermaßen bearbeitet werden. Im Internetzeitalter gibt es durch die vielen Sprecher fast eine symmetrische Kommunikation, was diese aber unübersichtlich macht. Da Protest dazu auch eine Steigerungslogik inhärent ist, führt dies heute zur Überforderung der Gesellschaft. Es fehlt eine „Stoppregel für Nein-Stellungnahmen“.[24] Das Tragische am Protest ist, dass die Forderungen nie ganz umgesetzt werden können. Protest kann ein „Demokratiegenerator“ sein, wenn er zum Beispiel rationale Entscheidungen in der Politik (Klimawandel) fördert. Im Protest wird der Machtkreislauf sichtbar und Protest will und kann den Machtkreislauf unterbrechen (Fridays for Future) und zwingt die Machthaber, sich dazu zu äußern.[25][26] Protest kann aber auch ein „Demokratiegefährder“ sein, wenn er Gruppen ohne demokratisch erworbenes Mandat (Pegida) zu ermächtigen scheint.[27][28]

Publizistische Arbeit

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Gemeinsam mit Sabine Maasen, Irmhild Saake und Tobias Wolbring gab Nassehi die soziologische Fachzeitschrift Soziale Welt heraus.

Seit 2001 ist er auch als Vortragender und Berater für Unternehmen unterschiedlicher Branchen tätig.

Im Sommer 2010 strahlte der TV-Sender BR-alpha dreizehn Folgen zum Thema „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ aus, in der Nassehi zu soziologischen Themen spricht. Die Reihe wurde im März 2016 erneut ausgestrahlt.

Am 24. und 25. Januar 2013 veranstaltete Nassehi die 1. Münchner Theoriegespräche zum Thema Ist Gesellschaft ein soziologisch gehaltvoller Begriff?, unterstützt durch die Nemetschek-Stiftung München, in den Räumen der Siemens-Stiftung am Nymphenburger Schloss in München.[29]

Seit 2012 ist Nassehi Herausgeber der Kulturzeitschrift Kursbuch. Zudem schreibt er im Wechsel mit Peter Felixberger und Sibylle Anderl, ebenfalls Kursbuch-Herausgeber, die Kolumne Montagsblock auf der Website des Kursbuchs.[30][31]

Seit 1999 schreibt er gelegentlich Gastbeiträge unter anderem für Die Zeit und Zeit online[32], für die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung und Die Welt.

Persönliches

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Nassehi ist verheiratet und hat einen erwachsenen Sohn.[33] Bis 2017 wohnte er mit seiner Familie in Obermenzing.[34] Er ist Fan des FC Schalke 04.[35]

Publikationen (Auswahl)

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Artikel

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Commons: Armin Nassehi – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Interviews

Einzelnachweise

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  1. Armin Nassehi im Munzinger-Archiv, abgerufen am 10. Februar 2021 (Artikelanfang frei abrufbar)
  2. Jung \u0026 Naiv: Soziologe Armin Nassehi über Sterben, Systemtheorie & Wirtschaftssystem - Jung & Naiv: Folge 659 auf YouTube, 14. September 2023, abgerufen am 25. Februar 2024 (Laufzeit: 223:30 min).
  3. Dialog-Preis für Christian Stückl und Uschi Glas. In: Die Welt. 14. Oktober 2012, archiviert vom Original am 2. April 2015; abgerufen am 14. Oktober 2012.
  4. Bischof beruft Armin Nassehi in den Vorstand des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover (Pressemitteilung vom 2. Oktober 2012)
  5. "Der über den Gartenzaun schaut" aus der taz vom 29. September 2020. https://taz.de/Nassehi-bei-Konrad-Adenauer-Stiftung/!5712921&s=Nassehi/ Abgerufen am 30. Oktober 2020.
  6. DGS - Deutsche Gesellschaft für Soziologie: Preis für öffentliche Wirksamkeit der Deutschen Gesellschaft für Soziologie an Armin Nassehi. Abgerufen am 11. November 2018.
  7. Stiftungsrat - Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt. Archiviert vom Original am 8. April 2020; abgerufen am 11. November 2018.
  8. Ministerpräsident Armin Laschet beruft „Expertenrat Corona“, Pressemitteilung vom 1. April 2020. Abgerufen am 30. Oktober 2020.
  9. Protokoll der Ministerratssitzung der bayerischen Staatsregierung vom 1. Oktober 2020. Abgerufen am 30. Oktober 2020.
  10. Gremien der Deutschen Nationalstiftung. Abgerufen am 30. Oktober 2020.
  11. Pressemeldung vom 7. Dezember 2020. https://38f52381-3f10-418d-a2b1-8520d4bbc0a1.filesusr.com/ugd/bd768b_6f7e3fb034864702a61923c9275bdc0f.pdf
  12. Mitgründer:innen. Archiviert vom Original am 7. Juni 2022; abgerufen am 17. Juli 2022.
  13. Senat. Abgerufen am 12. November 2023.
  14. Hochschulrat. Ludwig-Maximilians-Universität München, abgerufen am 7. Dezember 2023.
  15. Armin Nassehi: Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft. C.H. Beck, München 2019, ISBN 978-3-406-74024-4.
  16. Soziologe Armin Nassehi über Digitalisierung - "Dritte Entdeckung der Gesellschaft". Deutschlandfunk Kultur, 24. August 2019, abgerufen am 27. August 2019.
  17. Jürgen Kaube: Überhitzungsmaschine Internet: So scheint es zu sein. 26. August 2019, abgerufen am 27. August 2019.
  18. Marc Reichwein: „Muster“: Armin Nassehis Theorie der digitalen Gesellschaft. 27. August 2019, abgerufen am 27. August 2019.
  19. Armin Nassehi: Gefährdete Privatheit in der digitalen Gesellschaft. In: Digital Society Blog. HIIG – Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft, 26. August 2019, abgerufen am 27. August 2019.
  20. Vera Linß: Armin Nassehi: "Muster" - Wie Technik die Moderne sichtbar macht. Deutschlandfunk Kultur, 30. August 2019, abgerufen am 30. August 2019.
  21. «Muster» von Armin Nassehi - Warum wir Daten anhäufen ohne Ende. SRF, Sternstunde Philosophie, 31. August 2019, abgerufen am 31. August 2019.
  22. Steffen Richter: Die Digitalisierung ist schon seit dem 19. Jahrhundert ein Erfolg. Der Tagesspiegel, abgerufen am 9. September 2019.
  23. Constantin Plaul: Armin Nassehi: Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft, in: Zeitschrift für Evangelische Ethik 64 (2020), S. 152–155
  24. Armin Nassehi: Das große Nein. Eigendynamik und Tragik des gesellschaftlichen Protests. S. 58
  25. Anke Schaefer: Soziologe zum Klimakompromiss der Koalition: „Eigentlich müsste man durchregieren“. Deutschlandfunk Kultur, 16. Dezember 2019, abgerufen am 1. November 2024.
  26. Marc Reichwein: „Durchregieren geht nur in einem Ausnahmezustand“. Die Welt, 18. April 2020, abgerufen am 1. November 2024.
  27. Armin Nassehi: Montagsblock /105, 13. April 2020
  28. Armin Nassehi: Montagsblock /107, 11. Mai 2020
  29. Münchner Theoriegespräche - Allgemeine Soziologie und Gesellschaftstheorie. LMU München, Lehrstuhl für Soziologie, abgerufen am 24. August 2023.
  30. Kursbuch MONTAGSBLOCK | KURSBUCH. Abgerufen am 15. August 2018.
  31. Sibylle Anderl soll neue Aspekte einbringen. In: Börsenblatt. Abgerufen am 24. August 2023.
  32. Liste der Beiträge (aufgerufen am 10. Oktober 2020)
  33. Süddeutsche Zeitung Magazin Nr. 11, 17. März 2017, S. 45.
  34. https://kursbuch.online/montagsblock-95/
  35. Armin Nassehi über das Polykrisen-Jahr 2023 | - Kultur. In: ndr.de. 31. Dezember 2023, abgerufen am 12. März 2024.
  36. Die überforderte Gesellschaft kommt nicht zur Ruhe. In: Spektrum. Abgerufen am 3. Januar 2024.