Barbara Stamm
Barbara Stamm (geborene Stocker; * 29. Oktober 1944 in Bad Mergentheim; † 5. Oktober 2022 in Würzburg) war eine deutsche Politikerin (CSU) und von 2008 bis 2018 Präsidentin des Bayerischen Landtags, dem sie bereits seit 1976 angehört hatte.
Von 1987 bis 1994 amtierte Stamm als Staatssekretärin im Arbeits- und Sozialministerium und 1994 bis 2001 als bayerische Sozial- und Gesundheitsministerin. Von 1998 bis 2001 war sie stellvertretende Ministerpräsidentin Bayerns.
Von 1993 bis 2017 war Stamm als stellvertretende Vorsitzende Mitglied in Präsidium und Parteivorstand der CSU.
Leben
BearbeitenBarbara Stamm wurde als Tochter einer gehörlosen Schneiderin geboren. Sie kam nach der Geburt zu Pflegeeltern. Dies erfuhr sie erst mit acht Jahren, als sie nach der Heirat ihrer Mutter mit einem Hörenden zu ihr zurückkehren sollte. Bis zum Beginn ihrer Lehre hatte sie einen Amtsvormund und lebte zeitweise im Heim, weil ihr gewalttätiger Stiefvater sie immer wieder verprügelte.[1]
Barbara Stamm absolvierte in Gemünden am Main eine Ausbildung zur Kindergärtnerin und Hortnerin (heute: Erzieherin) und arbeitete bis 1970 in diesem Beruf, die letzten vier Jahre beim bischöflichen Jugendamt in Würzburg als Referatsleiterin für die Ausbildung der Gruppenleiterinnen in der Jugendarbeit.[2] Zudem war sie ehrenamtlich im Bistum Würzburg aktiv. Nach der Geburt ihres ersten Kindes arbeitete sie in Teilzeit weiterhin als Erzieherin. Dieser berufliche Hintergrund trug dazu bei, dass sie die ehrenamtliche Funktion der Vorsitzenden des Lebenshilfe-Landesverbandes Bayern innehatte. Zwischen 1974 und 1989 leitete sie, auch neben ihrer Tätigkeit im Landtag, das Schifferkinderheim Würzburg. 2008 erkrankte sie an Brustkrebs.
Bei der jährlichen Faschingsveranstaltung Fastnacht in Franken wurde ihr über viele Jahre eine besondere Darbietung der Gebrüder Narr gewidmet, die jeweils ein neues Lied über sie vorstellten.
Barbara Stamm war mit Ludwig Stamm verheiratet, der beim Würzburger Arbeitsamt Berater für behinderte Menschen war.[3] Das Ehepaar hatte drei Kinder. Tochter Claudia Stamm (* 1970) ist Journalistin und Politikerin und war bayerische Landtagsabgeordnete für Bündnis 90/Die Grünen.
Barbara Stamm starb am 5. Oktober 2022 nach langer Krankheit im Alter von 77 Jahren in Würzburg.[4][5]
Politik
BearbeitenStamm war seit 1969 CSU-Mitglied und von 1972 bis 1987 Mitglied des Würzburger Stadtrats. 1976 zog sie als Nachrückerin über die Liste in den Bayerischen Landtag ein, dem sie insgesamt 42 Jahre bis 2018 angehörte. Sie steht damit auf Rang 3 der dienstältesten Landtagsabgeordneten Deutschlands – hinter Thomas Goppel (CSU, Bayern) und Bernd Ravens (parteilos, Bremen).
Im Landtag arbeitete sie zunächst im Umweltausschuss, später im Ausschuss für Sozial-, Gesundheits- und Familienpolitik. Von September 1987 bis Oktober 1994 war sie Staatssekretärin im Arbeits- und Sozialministerium. 1993 wurde sie zur stellvertretenden Parteivorsitzenden der CSU gewählt und ein Jahr später von Ministerpräsident Edmund Stoiber zur bayerischen Sozial- und Gesundheitsministerin ernannt. Von 1998 bis 2001 war Stamm zudem stellvertretende Ministerpräsidentin Bayerns.
1990 trat Stamm für die CSU als OB-Kandidatin für Würzburg an, bekam aber mit Jürgen Weber Konkurrenz aus der eigenen Partei, der nach seinem Austritt aus der CSU mit der neugegründeten Würzburger Liste als OB-Kandidat antrat. Stamm erreichte im ersten Wahlgang nur den dritten Platz und zog deshalb nicht in die Stichwahl ein.[6]
2001 trat sie wegen des BSE-Skandals als Ministerin zurück, blieb aber stellvertretende Parteivorsitzende und wurde 2003 zur Vizepräsidentin des Bayerischen Landtags gewählt. Am 20. Oktober 2008 wurde sie als Nachfolgerin von Alois Glück Präsidentin des Bayerischen Landtags.[7] 2013 wurde sie wiedergewählt.[8] Zur Landtagswahl 2018 trat Barbara Stamm erneut auf Platz 1 der Liste ihrer Partei in Unterfranken an,[9] konnte aber trotz vieler Zweitstimmen nicht wieder in den Landtag einziehen, da der CSU aufgrund der vielen Direktmandate kein Listenmandat zustand.[10] Ihre Nachfolgerin als Landtagspräsidentin wurde Ilse Aigner.
Bei den Umfragen zum BayernTrend erzielte Stamm in den letzten Jahren immer wieder Spitzenwerte: 2014 und 2015 landete sie auf Platz 1, 2016 hinter Dieter Reiter auf Platz 2 und 2017 mit ihm gleichauf wieder auf Platz 1.[11] Laut der im Januar 2018 veröffentlichten BayernTrend-Umfrage war sie wieder die beliebteste Politikerin Bayerns.[12]
Barbara Stamm war Vorsitzende der Richterwahlkommission des Bayerischen Landtags und Mitglied der Enquete-Kommission „Integration in Bayern aktiv gestalten und Richtung geben“. Sie war außerdem Vorsitzende des Verwaltungsrats des Bayerischen Rundfunks.[13] Des Weiteren war sie Mitglied im Kuratorium der Stiftung der Jakob-Fugger-Medaille des Verbandes der Bayerischen Zeitungsverleger, die in Erinnerung an den Augsburger Kaufherrn Jakob Fugger in unregelmäßigen Abständen für „hervorragende Verdienste und außerordentliche Leistungen in der Zeitschriftenpresse“ verliehen wird. Von 2006 bis Oktober 2014 war Stamm Vizepräsidentin des Familienbund der Katholiken. Sie war viele Jahre Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und hat dort viele wegweisende Beiträge geliefert. Von 2001 bis zu ihrem Tod war sie Vorsitzende der Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung – Landesverband Bayern – und seit 2014 Präsidentin des Bayerischen Volkshochschulverbandes. Außerdem war Stamm Vorsitzende des Kuratoriums der Bayerischen Kinderhilfe Rumänien e. V.,[14] Mitglied des Beirats des Bayernbunds, Vorsitzende des Bundes der Pfalzfreunde sowie Namensgeberin der Akademie Barbara Stamm auf dem Gelände des Klosters Maria Bildhausen, einem Zentrum zu Fort- und Weiterbildung beruflich und privat engagierter Menschen in den Bereichen Pflege, Soziales und Ehrenamt.[15]
Barbara Stamm wurde in erster Linie als Sozialpolitikerin wahrgenommen. Sie hat nie vergessen, was sie als Kind und in ihrer Jugend erlebt hatte. Sie setzte sich dafür ein, die ungleichen Startbedingungen von Kindern auszugleichen, und machte sich stark für Chancengerechtigkeit und die Unterstützung von Familien. Zu ihren Themen gehörten die Einrichtung von Frauenhäusern und Notrufen bei häuslicher Gewalt, Gleichstellung und Inklusion, Erziehungsgeld und Ganztagsschule, Hilfe für Alleinerziehende und Verbesserung der Mütterrente. Stamm bezog den Bereich Prävention in sozialpolitische Lösungen mit ein und verstand es, die unterschiedlichen Lebenslagen und -situationen der Menschen differenziert zu diskutieren. Schon als Stadträtin und auch als Landtagsabgeordnete setzte sie sich auch parteiübergreifend für Frauen-, sozial- und bildungspolitischen Fortschritt ein. Noch als Landtagspräsidentin erreichte sie 2009 die Einrichtung einer Kinderkrippe für die Kinder von Landtagsangehörigen und 2016 des Kinderhauses MiniMaxi für Kinder bis zum Schulbeginn.[16]
Auszeichnungen
Bearbeiten- 1990: Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
- 1997: Ehrendoktorwürde der Medizinischen und Pharmazeutischen Universität Victor Babeș
- 1997: Ehrenbürgerin der Stadt Timișoara
- 1999: Bayerische Verfassungsmedaille in Gold
- 2000: Offizier des Sterns von Rumänien
- 2000: Europäischer Karlspreis der Sudetendeutschen Landsmannschaft
- 2001: Schlesierschild
- 2004: Medaille für besondere Verdienste um Bayern in einem Vereinten Europa
- 2007: Ehrenplakette des Bundes der Vertriebenen
- 2009: Medaille für Verdienste um die Bayerische Justiz
- 2009: Johann Christian von Hofenfels-Medaille
- 2010: Ehrenring der Stadt Würzburg
- 2014: Simon-Snopkowski-Preis
- 2015: Prinz-Eugen-Nadel der Landsmannschaft der Banater Schwaben[17]
- Bayerischer Verdienstorden
- 2018: Kommandeur des Sterns von Rumänien[18]
- 2019: Ehrenbürgerin von Würzburg[19]
- 2019: päpstlicher Gregoriusorden
Literatur
Bearbeiten- Lutz Backes: Barbara Stamm. In: Lutz Backes: Fränkische Köpfe, von Albrecht Dürer bis Markus Söder. PH. C. W. Schmidt, Neustadt a.d. Aisch 2022, ISBN 978-3-87707-256-1, S. 224 f.
- Roman Deininger: Die CSU. Bildnis einer speziellen Partei. C.H. Beck, München 2020, S. 194–203.
- Daniela Neri-Ultsch: Barbara Stamm. Politikerin aus Leidenschaft für die Menschen. Echter-Verlag, Würzburg 2024, ISBN 978-3-429-05980-4.
Weblinks
Bearbeiten- Literatur von und über Barbara Stamm im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Biographie beim Bayerischen Landtag
- Offizielle Website
- Barbara Stamm in der Parlamentsdatenbank des Hauses der Bayerischen Geschichte in der Bavariathek
- Barbara Stamm - direkt, bodenständig, fränkisch. Lebenslinien, BR Fernsehen, 28. Oktober 2019
- Katharina Hamberger: DLF-Zeitzeugengespräch. 27. Mai 2021, abgerufen am 2. September 2024.
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Janna Halbroth: CSU-Politikerin: „Er schlug alles kurz und klein“. In: t-online.de. 3. November 2021, abgerufen am 4. November 2021.
- ↑ Daniela Neri-Ultsch: Barbara Stamm (1944-2022) Konservative Sozialpolitikerin und Kämpferin für die gleichberechtigte Teilnahme von Frauen in Politik und Gesellschaft. in Einsichten und Perspektiven. Bayerische Zeitschrift für Politik und Geschichte. 02/2024. S. 67 f.
- ↑ Katja Auer: Barbara Stamm wird 65: „Politik als sinnvolle Ergänzung“. In: sueddeutsche.de. 17. Mai 2010, abgerufen am 4. November 2021 (Interview mit Ludwig Stamm).
- ↑ Trauer um Barbara Stamm – Ministerpräsident Dr. Markus Söder: „Mutter Bayerns und Maßstab im Einsatz für ihre Mitmenschen“. In: bayern.de. Bayerische Staatsregierung, 5. Oktober 2022, abgerufen am 10. Oktober 2022 (Pressemitteilung der Bayerischen Staatsregierung).
- ↑ CSU-Politikerin Barbara Stamm ist tot. In: focus.de. 5. Oktober 2022, abgerufen am 5. Oktober 2022.
- ↑ Eberhard Schellenberger: 40 Jahre Studio Mainfranken: Dramatische OB-Wahl 1990 in Würzburg. In: br.de. 20. März 2017, abgerufen am 25. Oktober 2018.
- ↑ Bayerischer Landtag konstituiert sich neu – Barbara Stamm (CSU) ist neue Landtagspräsidentin. In: bayern.landtag.de. 20. Oktober 2008, abgerufen am 13. Oktober 2016.
- ↑ Barbara Stamm als Landtagspräsidentin wiedergewählt – Parlament trat zu konstituierender Sitzung zusammen. In: bayern.landtag.de. 7. Oktober 2013, abgerufen am 13. Oktober 2016.
- ↑ Stimmenkönigin: Barbara Stamm tritt wieder an. In: bayernkurier.de. 16. April 2018, abgerufen am 2. Mai 2018.
- ↑ Landtagswahl 2018 in Bayern: CSU-Urgestein Barbara Stamm sitzt nicht mehr im neuen Landtag. In: web.de. 15. Oktober 2018, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 15. Oktober 2018; abgerufen am 10. Oktober 2022.
- ↑ BayernTrend 2017. In: br.de. 11. Januar 2017, abgerufen am 12. Januar 2017.
- ↑ BayernTrend 2018. In: br.de. 10. Januar 2018, abgerufen am 12. Januar 2018.
- ↑ Der Verwaltungsrat. In: br.de. 10. Mai 2017, abgerufen am 2. Juni 2017.
- ↑ Stamm, Barbara Präsidentin des Bayerischen Landtags. In: bayern.landtag.de. Abgerufen am 13. Oktober 2016.
- ↑ Homepage der Akademie Barbara Stamm
- ↑ Daniela Neri-Ultsch: Barbara Stamm (1944-2022) Konservative Sozialpolitikerin und Kämpferin für die gleichberechtigte Teilnahme von Frauen in Politik und Gesellschaft. in Einsichten und Perspektiven. Bayerische Zeitschrift für Politik und Geschichte. 02/2024. S. 65–75.
- ↑ Luise Frank: Prinz-Eugen-Nadel für Landtagspräsidentin Barbara Stamm. In: banater-schwaben.org. 9. Juli 2015, abgerufen am 5. Oktober 2022.
- ↑ Landtagspräsidentin Barbara Stamm erhält Kommandeursgrad des rumänischen Nationalordens „Stern von Rumänien“. In: bayern.landtag.de. 2. Juni 2018, abgerufen am 4. Juni 2018.
- ↑ Würzburg: Barbara Stamm ist Ehrenbürgerin. In: br.de. 29. Mai 2019, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 1. Juni 2019; abgerufen am 30. Mai 2019.
Personendaten | |
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NAME | Stamm, Barbara |
ALTERNATIVNAMEN | Stocker, Barbara (Geburtsname) |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Politikerin (CSU), MdL |
GEBURTSDATUM | 29. Oktober 1944 |
GEBURTSORT | Bad Mergentheim |
STERBEDATUM | 5. Oktober 2022 |
STERBEORT | Würzburg |