Geschichte

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Die erste Synthese von Oktachlordibenzodioxin wurde vermutlich schon 1872 durchgeführt. In den 1950er Jahren wurde nachgewiesen, dass 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin Chlorakne verursacht.[1][2][3]

Der Begriff Chlorakne wurde durch Karl Herxheimer in Anlehnung an die schon bekannte Brom- oder Jodakne geprägt.[4] Er hatte Arbeiter untersucht, die bei Griesheim Elektron in der Chloralkali-Elektrolyse beschäfigt und an einer starken Akne erkrankt waren. Dort war 1890 ein neues Verfahren eingeführt worden, bei dem sich Chlor an Kohlen-Anoden abschied. Wie heute bekannt ist, entstanden dabei auch polychlorierte Dibenzodioxine und Dibenzofurane. Herxheimer ging davon aus, dass Chlor selbst der Auslöser dieser Krankheit sei. Bald gerieten aber gechlorte Teerderivate in den Verdacht, Chlorakne zu verursachen. Als Aufnahmeweg wurde das Verdauungssystem erkannt, allerdings führte das Verfüttern von gechlorten Teerderivaten an Versuchstiere nicht zu Chlorakne, sondern zu unspezifischen Vergiftungen. Karl Bernhard Lehmann empfahl, nur Arbeiter mit „widerstandsfähiger“ Haut zu beschäftigen. Dazu kamen Arbeitsschutzmaßnahmen wie das Wechseln der Arbeitskleidung, Duschen oder die Belüftung der Arbeitsräume. Nach einer Verfahrensumstellung bei der Chloralkali-Elektrolyse verschwanden die Fälle von Chlorakne 1905 schlagartig.

Während des Ersten Weltkriegs traten bei zahlreichen Arbeitern, die Filter für Gasmasken herstellten, Chlorakne-ähnliche Symptome auf. Das Filtermaterial wurde mit perchlorierten Naphthalinen getränkt, daher der Name Perna-Krankheit. Abgase und Stäube bei der Herstellung wurden schließlich durch Absauganlagen ins Freie geleitet, allerdings erkrankte dadurch das Vieh auf den umliegenden Weiden. Nach dem Krieg verwendete man perchlorierte Naphthaline bei der Herstellung von Zündern für den Bergbau, auch hier gab es Erkrankungsfälle, zumal die Unternehmen nicht über die Gefahren aufgeklärt worden waren. Der preußische Landesgewerbearzt Ludwig Teleky erkannte 1927, dass die Gefährlichkeit gechlorter Naphthaline mit dem Chlorierungsgrad anstieg und forderte die Aufgabe der Verwendung gechlorter Kohlenwasserstoffe bei der Herstellung von Zündern. Dennoch stieg der Bedarf an gechlorten Naphthalinen weiter an, vor allem bei der Herstellung neuartiger Konsumgüter wie Radios wurden sie verwendet. In den USA konnte 1936 nachgewiesen werden, dass die gelbe Leberatrophie auf diese Stoffe zurückging. Während des Zweiten Weltkriegs verwendete man in den USA perchlorierte Naphthaline, um Schiffe gegen Magnetminen zu schützen. Wegen der Gesundheitsschäden mussten die Werftarbeiter mit Gewalt an ihre Arbeitsplätze gebracht werden. [5]

Während des Vietnam-Kriegs setzten die Streitkräfte der Vereinigten Staaten dioxinverunreinigte Entlaubungsmittel wie Agent Orange ein, die sowohl bei der vietnamesischen Bevölkerung als auch bei den eigenen Soldaten zu gesundheitlichen Problemen geführt haben sollen. Berichte über eine erhöhte Anzahl an Missbildungen bei Neugeborenen in der vietnamesischen Bevölkerung und bei den Kindern von Vietnam-Veteranen sowie ein erhöhtes Krebsrisiko als Folge der Entlaubungsaktionen sind in der wissenschaftlichen Literatur umstritten.[6][7] Eine neuere Analyse existierender Studien kommt allerdings zu dem Schluss, dass elterliche Agent-Orange-Exposition tatsächlich und dosisabhängig kindliche Missbildungen hervorruft.[8]

Massenvergiftungen (Yusho-Krankheit) durch mit polychlorierten Dibenzofuranen und PCBs belastetes Reisöl traten 1968 in Japan (Yusho) und 1979 in Taiwan (Yucheng) auf.

Mit dem Austritt von 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin aus einem Reaktor der Chemiefabrik Icmesa im italienischen Seveso am 10. Juli 1976 (Sevesounglück) erlangte die Stoffgruppe der Dioxine allgemeine Bekanntheit. Ursache für das Unglück war ein durch Überhitzung entstandener Überdruck im Produktionssystem.[9] Tage nach dem Unglück starben in der näheren Umgebung Vögel und Kleintiere. Bei etwa 190 exponierten Personen wurden Fälle von Chlorakne festgestellt. Als Folge des Unfalls mussten die Häuser von 40 Familien abgerissen werden.[10] Viele Seveso-Opfer erkrankten später an Krebs oder Diabetes. Die Lebenserwartung der Giftopfer liegt im Schnitt um 15 Jahre unter dem Landesdurchschnitt in Italien.

In den USA erregten die Giftmüllskandale von Love Canal (ab 1978) und Times Beach (ab 1982) großes Aufsehen in den Medien.

Vor 1968 wurden in Deutschland mehr als 400.000 Tonnen Schlacke aus der Kupfergewinnung unter der Handelsbezeichnung Kieselrot als Belag für Sport- und Spielplätze verwendet. Erst 1991 entdeckte man, dass Kieselrot stark mit polychlorierten Dibenzodioxinen und Furanen belastet ist. Die Grenzwerte, die das Umweltbundesamt für Dioxine vorgibt, wurden bei diesem Material um das bis zu 10.000-fache überschritten. Sportflächen mit Kieselrot-Deckschicht können bedeutende Dioxinquellen für die nähere Umgebung gewesen sein.[11]

2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin wurde erst zwischen 1955 und 1958 am Institut für Holzchemie der Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft in Reinbek bei Hamburg synthetisiert und seine Struktur aufgeklärt. Der Chemiker, der die Untersuchungen durchführte, und einer seiner Mitarbeiter erkrankten dabei an Chlorakne. In der Hautklinik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) fiel die Ähnlichkeit der Symptome mit Vergiftungserscheinungen auf, die Arbeiter bei der Produktion eines neuen Unkrautvernichtungsmittels 1952 bei Boehringer in Hamburg-Moorfleet erlitten hatten. In der Poliklinik des UKE hatte der Assistenzarzt K. H. Schulz 1952 in Zusammenarbeit mit dem Boehringer-Chemiker G. Sorge in einer mehrmonatigen tierexperimentellen Versuchsreihe und einem Eigenversuch nachgewiesen, dass 2,3,7,8-TCDD die sogenannte Chlorakne auslöst und die höchste Toxizitätsstufe aller Dioxine besitzt.[12][2][13]

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es einige Unfälle bei der Herstellung von Chlorphenolen, die zu Chlorakne bei den Arbeitern führten. Bei Boehringer in Hamburg erkrankten 1954 alle Beschäftigten in der Trichlorphenol-Herstellung an Chlorakne. Kurz vorher war das Herstellungsverfahren auf den sogenannten „Druckphenolprozess“ umgestellt worden. An der Hautklinik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf versuchte der Assistenzarzt Karl-Heinz Schulz zunächst erfolglos, mit Hilfe des Kaninchenohrtests die verursachende Substanz einzugrenzen. Als 1956 Wilhelm Sandermann, Hans Stockmann und Reinhard Casten am Institut für Holzchemie der Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft in Reinbek bei Hamburg erstmals TCDD synthetisierten, trat bei Sandermann und einem Laboranten ebenfalls Chlorakne auf. Durch weitere Versuche von Schulz und Boehringer-Mitarbeitern konnte TCDD eindeutig als Auslöser der Chlorakne bei der Herstellung von Trichlorphenol festgestellt werden. Boehringer stellte die Chlorphenolproduktion 1957 auf das „Niedertemperatur-Verfahren“ um, bei dem deutlich weniger Dioxin entsteht. Diese Erkenntnis wurde zwar nicht veröffentlicht, aber Boehringer wies andere Chemieunternehmen auf die Vorteile des neuen Verfahrens hin. Firmenchef Ernst Boehringer versuchte erfolglos, die Veröffentlichung der Resultate von Schulz zu verhindern. Die Ergebnisse Sandermanns wurden ebenfalls veröffentlicht, allerdings wurden sie in den Chemical Abstracts unter Pentachlorphenol referenziert, auf Dioxin wurde nur am Rande hingewiesen. Dadurch war der Artikel bei Literaturrecherchen kaum zu finden.[5]

Nach dem Sevesounglück 1976 erkrankten nach offizieller Zählung 187 Kinder an Chlorakne. Die Erkrankungsfälle traten in mehreren Wellen auf. Es konnte nicht geklärt werden, ob Kinder empfindlicher als Erwachsene auf Dioxine reagieren oder ob es für sie spezifische Aufnahmewege, beispielsweise über Spielplätze, gibt. Die Bevölkerung der betroffenen Gebiete wurde in drei Screenings auf Chlorakne untersucht. Nach etwa zwei Jahren war der Anteil der Chlorakne-Fälle in Seveso nicht mehr auffällig. Bis auch die schweren Fälle von Chlorakne abgeheilt waren, dauerte es zehn Jahre oder länger.[5]

Im Juni 1998 wurde bei zwei Mitarbeiterinnen des Wiener Textilinstituts eine schwere Dioxinvergiftung festgestellt, drei weitere Mitarbeiter wiesen erhöhte Dioxinkonzentrationen im Blut auf. Die Umstände des Vorfalls konnten bisher nicht geklärt werden.[14]

Auf den ukrainischen Politiker Wiktor Juschtschenko wurde im September 2004 ein Giftanschlag mit 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin verübt, was bei ihm eine Chlorakne auslöste.

Nach dem Inkrafttreten der Stockholmer Konvention 2004 sind die Emission von PCDD/PCDF in die Umwelt durch die Anwendung der besten verfügbaren Techniken so weit wie möglich zu verringern oder zu verhindern.[15]

Seit 1980 findet jährlich DIOXIN, ein internationaler wissenschaftlicher Kongress über Dioxine und andere langlebige Organohalogene statt.[16]

  1. W. Sandermann, H. Stockmann, R. Casten (1957): Über die Pyrolyse des Pentachlorphenols. Chemische Berichte, 90(5), Seiten 690–692, doi:10.1002/cber.19570900506
  2. a b Dieter Lenoir, Heinrich Sandermann Jr.: Entstehung und Wirkung von Dioxinen. Biologie in unserer Zeit 23(6), S. 363–369 (1993), ISSN 0045-205X
  3. K. H. Schulz (1957): Klinische und experimentelle Untersuchungen zur Ätiologie der Chlorakne. Archiv für klinische und experimentelle Dermatologie, Band 206 (1957), Bericht über die 23. Tagung der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft vom 24.–27. Mai 1956
  4. Karl Herxheimer: Über Chlorakne. Münchner Medicinische Wochenschrift 46, S. 278, 1899, zitiert nach Böschen: Risikogenese - Prozesse gesellschaftlicher Gefahrenwahrnehmung, 2003, S. 196-197
  5. a b c Stefan Böschen: Risikogenese - Prozesse gesellschaftlicher Gefahrenwahrnehmung: FCKW, DDT, Dioxin und Ökologische Chemie. Leske + Budrich, Opladen, 2003, S. 196, ISBN 3-8100-2691-3
  6. J. M. Friedmann: Does Agent Orange cause birth defects?. Teratology 29(2), S. 193–221 (1984)
  7. J. David Erickson, Joseph Mulinar: Agent Orange and risks to reproduction. The limits of epidemiology. Teratogenesis, Carcinogenesis, and Mutagenesis 7(2), S. 197–200 (1987)
  8. Ngo AD, Taylor R, Roberts CL, Nguyen TV: Association between Agent Orange and birth defects: systematic review and meta-analysis. International Journal of Epidemiology 2006:1220-30.
  9. Boy Cornils: Zwischenfall in Seveso. Angewandte Chemie, 117(12), S. 1785–1786 (2005), ISSN 0044-8249
  10. Römpp Chemie Lexikon, 5. Auflage, 1982
  11. Ekkehard Schuller, Harald Heinz, Helmut Stoffers: PCDD/PCDF-Kontaminationen aus Kieselrot von Sport- und Spielanlagen. Umweltwissenschaften und Schadstoff-Forschung 7(1), S. 9–14 (1995), ISSN 0934-3504
  12. W. Sandermann, H. Stockmann, R. Casten (1957): Über die Pyrolyse des Pentachlorphenols. Chemische Berichte, 90(5), Seiten 690–692, doi:10.1002/cber.19570900506
  13. K. H. Schulz (1957): Klinische und experimentelle Untersuchungen zur Ätiologie der Chlorakne. Archiv für klinische und experimentelle Dermatologie, Band 206 (1957), Bericht über die 23. Tagung der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft vom 24.–27. Mai 1956
  14. Anfrage der Abgeordneten Petrovic, Freundinnen und Freunde an die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit & Soziales betreffend ausständige Aufklärung der Dioxin-Vergiftung von Arbeitnehmern/innen in Wien im Jahr 1998
  15. Stockholmer Konvention vom 22. Mai 2001, deutsche Übersetzung
  16. DIOXIN – International Symposium on Halogenated Persistent Organic Pollutants (2008, 2009)