Vortrag «Segen und Fluch der Adminwiederwahl» an der AdminConvention 2016. Siehe auch: Benutzer:Gestumblindi/AWW2012 und Wikipedia:AdminConvention 2016/Ergebnisse/Adminwiederwahl.

Hallo zusammen,

diese Präsentation steht unter dem Titel „Segen und Fluch der Adminwiederwahl“. Geläufiger wäre ja die Phrase „Fluch und Segen“ - ich habe aber bewusst diese Wortfolge gewählt, da ich – um schon mit dieser Feststellung einzusteigen – gegenwärtig doch mehr segensreiche als fluchwürdige Auswirkungen des Systems sehe.

Beginnen wir mit einem kurzen historischen Rückblick. Zwar werden sich manche von euch noch aus eigener Erfahrung an die Situation bis 2009 erinnern können, vielleicht auch den Text von 2012 kennen, den ich damals auf Anfrage von Sargoth für die AdminCon, an der ich selbst nicht teilnahm, erstellt hatte – aber eine kleine Gedächtnisauffrischung kann wohl nie schaden.

Wir standen also 2009 vor der Situation, dass es keine offizielle Möglichkeit gab, einen einmal gewählten Admin wieder abzuwählen. Ein Entzug der Adminrechte war nur auf dem Weg via Wikipedia:Administratoren/Probleme möglich.[1] Auf dieser Seite werden Beschwerden über Administratoren behandelt, die „ihre erweiterten Rechte missbräuchlich oder grob fehlerhaft eingesetzt oder mit deren missbräuchlicher Anwendung gedroht haben sollen.“ Die Formulierung oder grob fehlerhaft wurde dabei erst 2014 ergänzt.

In der Praxis kam es schon damals sehr selten vor, dass ein Administrator auf diesem Weg seine Rechte verlor. Damals wie heute ist das Ergebnis der meisten Meldungen, dass kein Missbrauch der Rechte vorliege. Als Admin Fehler zu machen, unfreundlich zu sein oder Entscheidungen zu fällen, die nach Meinung einiger oder vieler in eine falsche Richtung gehen, ist kein Grund für einen Rechteentzug nach diesem Verfahren, solange man sich im Rahmen der Richtlinien bewegt. Trotzdem kann man natürlich im Laufe der Zeit das Vertrauen der Community verloren haben. In solchen Fällen keine Möglichkeit zu haben, den Adminstatus zu überprüfen, wurde zunehmend als Problem empfunden.

Erste Versuche, eine Adminwiederwahl bzw. Abwahl einzuführen, gab es Anfang 2008. Zunächst im Januar – angelegt von Florian Adler – ein zweistufiges Meinungsbild, das zunächst die Frage stellte, ob man grundsätzlich der Einführung von Wiederwahlen zustimme, und gleichzeitig versuchte, die Art der Wiederwahl mit einer Umfrage festzulegen. An der Umfrage hatten sich im Verhältnis zur Gesamtzahl der Abstimmenden nur recht wenige beteiligt, wobei eine periodische Wiederwahl am meisten Zuspruch fand. Da der grundsätzliche Vorschlag jedoch keine Zweidrittelmehrheit (sondern nur eine knappe einfache Mehrheit) erreichte, wurde noch kein Wiederwahlverfahren eingeführt.

Wenig später folgte ein zweites Meinungsbild mit dem Titel „Petitionen zur Wiederwahl von Administratoren“, initiiert von Kh80, womit ein ähnliches System wie das heutige skizziert wurde. Dieses fand noch deutlichere Zustimmung als das vorangegangene Meinungsbild, erreichte mit 58,5% Pro-Stimmen aber ebenfalls nicht die geforderte Zweidrittelmehrheit.

Es folgte die Einführung von zwei freiwilligen Systemen der Adminwiederwahl auf Unterseiten im Benutzernamensraum. Auf der einen Seite konnte man sich als Admin eintragen, wenn man eine Wiederwahl in festem Turnus wünschte, auf der anderen Seite die Bereitschaft zur Wiederwahl auf Antrag – nach selbst festgelegten Bedingungen – kundtun. Schnell ergab sich die Situation, dass praktisch alle neuen Adminkandidaten erklärten, sich einem dieser beiden Systeme anzuschliessen. Um aus meinem Meinungsbild von 2009 zu zitieren:

„Die Frage nach der Wiederwahl ist bei Kandidaturen zum Standard geworden, und wer eine Wiederwahl ablehnt, dürfte damit seine Wahlchancen stark verringern. Wir stehen also vor der Schieflage, dass sich „alte“ Admins auf ihrer Unabwählbarkeit ausruhen können, während aktuellen Kandidaten kaum etwas anderes übrigbleibt, als sich einem solchen Verfahren anzuschliessen.“

Im September 2009 hatten sich 78 von damals 334 Admins einem Wiederwahlverfahren angeschlossen. Es drängte sich also ein weiteres Meinungsbild auf, das ich am 13. September 2009 anlegte. Wir führten eine erfreulich sachliche Diskussion über die Vorschläge, die der Community unterbreitet werden sollten, wobei ich mich vor allem an die Beiträge von Minderbinder, Elop und Mark Nowiasz erinnere. Abgestimmt wurde schliesslich über zwei Varianten: Das inzwischen wohlbekannte System „Antrag bei Bedarf“ und ein System „Festes Zeitfenster“, bei dem nur zweimal im Jahr ein Wiederwahlverfahren durchgeführt worden wäre.

Nun war es soweit – der Antrag auf Einführung einer Wiederwahlregelung wurde mit über 90 Prozent Pro-Stimmen angenommen, und mit einer ebenfalls sehr deutlichen Mehrheit entschied man sich für den Antrag bei Bedarf. In zwei Folge-Meinungsbildern wurden die Regelungen noch leicht modifiziert.

Wie wurde das System zunächst genutzt? Wurden nun Admins zur Wiederwahl aufgefordert, die umstrittene Entscheidungen gefällt hatten? Polarisierende Admins? Ja, vereinzelt. Aber die meisten Wiederwahlaufforderungen und die daraus resultierenden Abwahlen erfolgten anfänglich wegen Inaktivität. Das überraschte mich. An Inaktivität oder geringe Aktivität als Grund für eine Wiederwahlaufforderung hatte ich nicht gedacht. Aber offensichtlich fanden weite Teile der Community, dass Admins, die kaum mehr Aktivitäten entfalten, ebenfalls ein Problem darstellen. Das muss man so wohl akzeptieren.

Auch schien sich das System bis 2012 eingependelt zu haben. Es gab nur noch gelegentliche Wiederwahlaufforderungen und mehr im Sinne der Intention des Meinungsbildes: nämlich aufgrund bestimmter Aktivitäten, nicht wegen Inaktivität. Ich war zufrieden. Bis Mai 2012.

Es begab sich nämlich, dass mit dem Meinungsbild Entzug von Adminrechten bei Inaktivität 2 vorgeschlagen wurde, Admins, die keine allgemeine Stimmberechtigung mehr haben, die Rechte zu entziehen. Als bereits absehbar war, dass der Vorschlag wohl nicht die geforderte Zweidrittelmehrheit erreichen wird, verlegten sich einige Benutzer darauf, ihn auf andere Weise trotzdem durchzusetzen - indem sie AWW-Stimmen an die betroffenen, nicht stimmberechtigten Admins verteilten. Damit schafften sie es bei all diesen rasch, das Quorum von 25 Stimmen innerhalb eines Monats zu erreichen. Um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, wurde damit verbunden erklärt, dass eine Wiederwahl nur in Frage komme, wenn auch die Stimmberechtigung innerhalb der dreissigtägigen Frist wieder erreicht wird - ansonsten Entzug der Rechte ohne Wiederwahl.

Ich liess mich damals zu einem ironisch-polemischen Kurier-Artikel mit dieser Illustration (Bild brennende Tastatur) hinreissen. Das Vorgehen befremdete mich wirklich sehr und war weit davon entfernt, was mir vorschwebte, als ich das Meinungsbild anlegte, das zur Einführung der Adminwiederwahlen führte. Auch heute noch sehe ich geringe Aktivität für sich genommen nicht als ein Problem an – weder bei Benutzern ohne noch solchen mit Admin-Rechten.

Allerdings war auch dies eine Welle, die sich inzwischen wieder gelegt hat. In den letzten Jahren fanden jedes Jahr eine Handvoll Wiederwahlen statt; 2015 waren es sieben nach dem AWW-Verfahren, wobei fünf der Kandidaten bestätigt wurden. Theoretisch wäre das System relativ leicht zu sabotieren bzw. ad absurdum zu führen. Es müsste sich ja nur eine Gruppe von 25 Leuten finden, die Wiederwahlstimmen für alle Admins vergibt. Bis jetzt ist das nicht passiert. Gelegentlich gibt es Leute, die pauschal Wiederwahlstimmen an alle oder viele Admins verteilen, aber auch das kommt eher selten vor.

Meine Verärgerung von 2012 ist vorerst verflogen. Wenn es alle paar Jahre eine Welle von Abwahlen wenig aktiver Admins gibt, ist das vielleicht einfach als der Umgang mit geringer Aktivität anzusehen, den die Community pflegen will. Was kann man nun aktuell an Vor- und Nachteilen des Systems, wie es sich eingespielt hat, sehen?

Vorteile sind:

  • Admins sind nicht mehr unabwählbar. Das mag heute in der deutschen Wikipedia schon fast banal scheinen, ist es aber ganz und gar nicht, wenn man beispielsweise einen Blick auf die englische Wikipedia wirft, wo bis heute kein System für eine Adminwiederwahl eingeführt wurde. Zu diesem Blick über den Tellerrand werde ich gleich nochmal kommen.
  • Es ist ein etablierter Kanal für Feedback bei kontroversen Entscheidungen. Mit einer Wiederwahlstimme kann man einem Admin mitteilen: „Ich bin absolut nicht einverstanden mit deiner Nutzung der Adminrechte“ - und anders als mit einem blossen Kommentar auf einer Diskussionsseite auch mit potentiellen konkreten Auswirkungen.
  • Ein Admin, der sich einer Wiederwahl stellen musste und dabei bestätigt wird, kann anschliessend im Bewusstsein, die deutliche Mehrheit der Community hinter sich zu haben, agieren. Das ist gut gegen Selbstzweifel und stärkt seine Position.

Nachteile sind:

  • Ein Admin kann sich durch Wiederwahlstimmen unter Druck gesetzt fühlen. Eventuell verzichtet er auf potentiell kontroverse Entscheidungen, die er eigentlich richtig finden würde.
  • Das System kann als mehr oder weniger subtile Form eines persönlichen Angriffs missbraucht werden. Admins könnten dabei zögern, auch ziemlich harsche Worte aus einem AWW-Kommentar zu entfernen, um sich nicht dem Vorwurf der Manipulation auszusetzen.
  • Andererseits kann man eine Wiederwahlstimme auch ohne Kommentar abgeben. Auch dies kann verunsichernd sein, wenn sich kein offensichtlicher Grund dafür erkennen lässt. Wie gesagt ist das System im Prinzip auch offen für Missbrauch durch Massenvoten.

Meine persönliche Einschätzung ist, dass die genannten Vorteile die Nachteile überwiegen. Insbesondere schlicht und einfach der Punkt „Admins sind nicht mehr unabwählbar“.

Gelegentlich wird dabei die Frage gestellt, ob nicht eine periodische Wiederwahl aller Admins besser wäre. Als Argumente dafür werden unter anderem angeführt, dass eine verpflichtende periodische Wiederwahl eine gewisse Aggressivität aus dem System nehmen würde, die sich heute in manchen Wiederwahlstimmen findet, und dass es sowieso sinnvoll sei, bei allen Admins regelmässig zu prüfen, ob sie noch die Unterstützung der Community haben.

Ich denke, dass wir mit dem heutigen System besser fahren. Nur schon, um es mal so auszudrücken, aus logistischen Gründen. Es gibt gegenwärtig zwar deutlich weniger Admins als noch 2009, aber es sind aktuell doch noch 242.[2] Jedes denkbare System periodischer Wiederwahlen würde entweder dazu führen, dass zu bestimmten Terminen Dutzende von Admins (oder gar alle) neu zu wählen wären, oder dass wir uns in einem Zustand permanenter Wahlen befänden. Beide Ansätze würden zu pauschalen Stimmabgaben ohne näheres Betrachten der Kandidaten verleiten. Auch scheint mir, dass das System der Wiederwahl bei Bedarf besser dazu passt, dass wir die Adminfunktionen nicht als ein Amt, sondern als ein Set zusätzlicher Möglichkeiten betrachten sollten. Bekanntlich geht man weder mit dem Anlegen eines Benutzeraccounts noch durch Erhalt der Sichterrechte noch durch Erhalt von Adminrechten irgendwelche Verpflichtungen ein. Man hat Möglichkeiten, die man behalten kann, solange man sie im Sinne des Projekts nutzt. Das System der Admin-Wiederwahl hat auf der Stufe der Adminrechte ein funktionierendes Verfahren eingeführt, einem Benutzer einen bestimmten Teil dieser Möglichkeiten zu entziehen, wenn es sich aufdrängt.

Ich hätte mir dabei vorstellen können, dass die Rechte in Verbindung damit auch grosszügiger vergeben werden. Dass Kandidaten eher gewählt werden, da man sie nun ja auch wieder abwählen kann. Das ist nicht eingetroffen. Die Community ist vorsichtig geblieben. Das mag auch damit zu tun haben, dass die Wiederwahlseite nach der Erstwahl immerhin für ein Jahr gesperrt ist. Einen gewissen Schutz vor sofortigen Wiederwahlaufforderungen braucht es dabei meines Erachtens schon. Vielleicht würde ein halbes Jahr reichen. Weitere Ideen, die Wahl von Admins wesentlich zu erleichtern, sind unter anderem an Vorgaben der WMF gescheitert, nach der aus urheberrechtlichen Gründen nicht zu viele Leute Einblick in gelöschte Versionen haben sollen, und für alle Admins in einer Sprachversion grundsätzlich ein einheitlicher Wahlprozess bestehen soll.

Werfen wir zum Schluss noch einen Blick in die englische Wikipedia. Im Laufe der Jahre wurden viele Verfahren für eine Admin-Abwahl oder Wiederwahl vorgeschlagen, weitestgehend erfolglos. Anders als in der deutschen Wikipedia wird in der englischen über solche Dinge auch gar nicht förmlich abgestimmt, sondern es werden Diskussionen geführt, die nur dann zu einem umsetzbaren Resultat führen, wenn ein deutlicher Konsens erkennbar ist. Gerade in der englischen Wikipedia, deren Community sicher nicht weniger vielfältig ist als jene der deutschen, ist es nicht erstaunlich, dass das sehr schwierig ist.

Die zwei bisher letzten Vorschläge wurden ab Juli und August 2015 diskutiert. Der erste Vorschlag lief darauf hinaus, ein Komitee von Bürokraten einzuberufen, das über Anträge auf den Entzug von Adminrechten entscheidet. Ich hatte im Rahmen dieser Diskussion auf unseren Ansatz aufmerksam gemacht, was ein dortiger Wikipedianer tatsächlich zum Anlass nahm, ein ähnliches System vorzuschlagen. Die Diskussionsbeteiligung zu diesem Vorschlag war eher gering und weitgehend ablehnend und er wurde nach gut zwei Wochen aufgrund mangelnder Unterstützung für erledigt erklärt.

Es bleibt in der englischen Wikipedia damit bei einer ähnlichen Situation, wie wir sie bis 2009 hatten. Das dort wesentlich mächtigere Schiedsgericht entzieht Rechte bei schwerwiegenden Problemen. Darüber hinaus gibt es auch eine Art freiwillige Abwahl, bei der sich Admins bereit erklären, bei einer bestimmten Anzahl an Abwahlstimmen freiwillig auf ihre Rechte zu verzichten – was aber anscheinend bislang erst in einem einzigen Fall passiert ist, obwohl in der entsprechenden Kategorie immerhin 156 von gegenwärtig 1314 Admins eingetragen sind.

Ich denke, dass wir uns in einer besseren Lage befinden. Dass es stets die Community ist, die Admins nicht nur wählt, sondern bei Bedarf auch zur Wiederwahl auffordert und abwählen kann, dass man dafür nicht versuchen muss, einen Missbrauch der Rechte zu konstruieren, dass wir ein weitgehend transparentes und nachvollziehbares System haben – ich denke, damit können wir nicht ganz unzufrieden sein.

Anmerkungen

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  1. Nachträgliche Anmerkung: Davon ausgehend - wie Rax in einem Kommentar zum Vortrag "Untotes Wikirecht? Temp-Deadmin und Deadmin" von Man77 angemerkt hatte - dass Wikipedia:Administratoren/De-Admin kein alternatives Verfahren ist, sondern zunächst ebenfalls ein AP voraussetzt.
  2. Gesamtzahl der Benutzer mit technischen Adminrechten; davon sind aber nur 226 gewählte Administratoren.