In der zweiten Hälfte des Jahres 2004 hat es für mich einen großen Schreck gegeben. Da haben sich nämlich Leute darangemacht, "Wörterbucheinträge" ins Wiktionary zu verschieben. "Spinnen denn jetzt alle?" habe ich mich gefragt. Meine eigene Intuition hat nämlich gemeldet: "Was die da veranstalten, ist Quatsch." Ich liefere auf dieser Seite die Gründe dafür, dass man so ein Wörterbucheinträge-Verschieben als Quatsch betrachten muss und breite außerdem Vorschläge aus, wie man mit den betreffenden Themen sinnvoller umgehen kann.

Was läuft da ab, wenn sich Leute auf Sprüche wie "Wörterbucheinträge gehören ins Wiktionary" verlegen? Was da geschieht, hat ein primitives Analogiedenken als Grundlage. Die Leute haben gesehen, dass der Grundsatz "Kochrezepte gehören ins Kochbuch" im Wikipedia-Rahmen gut funktioniert. Also haben sie den Wunsch entwickelt, dass es doch mit den "Wörterbucheinträgen" genauso funktionieren möge. Nun ist es allerdings so, dass es sich bei Kochrezepten um eine klar definierte Textsorte handelt. (Erst kommt die Liste mit den Zutaten; dann wird aufgeführt, welche Schritte bei der Zubereitung nötig sind). Die "Wörterbucheinträge" in der Wikipedia dagegen sind Artikel, die genauso aussehen, wie die anderen auch. Es gilt im Wikipedia-Rahmen für "Wörterbucheinträge" einfach nur sowas:

Man muss auf die Absichten achten, die sich hinter einem Artikel bemerkbar machen. Wenn man sieht, dass der Verfasser Angaben liefern will, die auch für Leute interessant sind, die sich für sprachliche Angelegenheiten nicht so besonders interessieren, dann ist die Welt in Ordnung. Wenn jedoch erkennbar ist, dass der Verfasser es ausschließlich darauf anlegt, über den richtigen Sprachgebrauch aufzuklären, dann hat man das Recht, "Das ist ein Wörterbucheintrag!" zu schreien und die Löschung zu fordern.

Wann immer sich Wikipedia-Leute daranmachen, über "Wörterbucheinträge" zu diskutieren, werden sie sich schnell einigen können, dass man es bei Wikipedia mit Artikeln zu tun bekommt, die "mehr oder weniger ein Wörterbucheintrag" sind. Man macht die Erfahrung, "dass die Übergänge fließend sind". Wegen diesem "die Übergänge sind fließend" verbietet es sich, mit einer Kochrezepte-Analogie zu arbeiten. Kochrezepte sind eine klar definierte Textsorte; "Wörterbucheinträge" dagegen sind Geschmackssache.

Wie ist es mit einem Verb wie beizen? Wenn man bei Wikipedia feststellt, dass es zu diesen Wort enzyklopädischen Gehalt gibt, dann folgt daraus, dass es als Lemma für ein Wörterbuch uninteressant ist? Und wenn es zu schnäuzen keinen Artikel gibt - bedeutet das dann, dass „schnäuzen“ für die Verfasser von Wörterbüchern ganz besonders interessant ist? Wie steht es, wenn jemand eine Kulturgeschichte des Schnäuzens verfasst? Führt das dann dazu, dass die Wörterbuch-Schreiber an „schnäuzen“ das Interesse verlieren? Die Wahrheit ist doch wohl, dass es für die Verfasser von Wörterbüchern vollkommen schnuppe ist, ob bei der Wikipedia ein Artikel als "Wörterbucheintrag" klassifiziert wird oder nicht.

Wenn es bei Wikipedia um das Wörterbucheintragthema geht, dann hat man dabei Artikel im Auge, die ein Wortschatz-Element als Lemma haben. (Namen wie „Inge Meysel“ und „Frankfurter Rundschau“ sind keine Wortschatz-Elemente, und auch Titel wie "Spiel mir das Lied vom Tod" oder "Werthers Leiden“ sind keine Wortschatz-Elemente. Zu den Wortschatz-Elementen gehören vielmehr Wörter wie „laufen“, „Brunnen“ oder „vorgestern“.) Wenn man nun als Motto ausgibt: "Wenn dir bei Wikipedia ein Artikel begegnet, der als Lemma ein Wortschatz-Element hat, dann schau doch gleich mal nach, ob es das Lemma auch schon im Wiktionary gibt", dann kann einem das vernünftig vorkommen. Wenn dagegen das Motto ausgegeben wird: „Mach den Abgleich nur dann, wenn dir der Artikel unmöglich vorkommt", dann wirkt das schwach motiviert.

Wie also geht man beim Wörterbucheintragthema sinnvoll vor? Man will bestimmen, welche Wortschatz-Elemente man sinnvoll als Lemma für einen Artikel ansetzen kann. Und natürlich gibt es bei den Entscheidungen, die es zu treffen gibt, reichlich Möglichkeiten, persönliche Vorlieben ins Spiel zu bringen. Es ist weitgehend Geschmackssache, ob einem ein Artikel mit Wortschatz-Element als Lemma erhaltenswert vorkommt oder nicht. Immerhin lassen sich bei den Entschlüssen, die auf der Löschkandidatenseite gefasst werden, aber Tendenzen feststellen. Nachdem schon seit vielen Jahren um Artikel diskutiert wird, sollte es möglich sein, Grundtendenzen bei der Entscheidungsfindung aufzuzeichnen. Es gibt die Möglichkeit, Beispielsammlungen anzulegen (Seiten, auf denen Löschen oder Nicht-Löschen-Entscheidungen dokumentiert werden, die als besonders typisch angesehen werden können). Es sollte weiter auch möglich sein, ein Schema zu entwickeln, in dem sich die Grundtendenzen aufzeichnen lassen. Meine nachfolgenden Ausführungen bieten so ein Schema.




Regel 1: Die "kleinen Wörter" sind als Lemma nicht geeignet.

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Mit "kleine Wörter" sind hier Präpositionen, Konjunktionen, Pronomen, Adverbien und andere gemeint.

Regel 2: Man wählt Substantive als Lemma.

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Mit Regel 2 werden Adjektive und Verben ausgeschlossen. Die Adjektive und Verben werden allerdings nicht mit derselben Striktheit ausgeschlossen wie die "kleinen Wörter".

Hier sind einige Ausnahmen.

Adjektive: blond, global, international, kubisch, manisch, rational

Verben: angeln, kürzen, jonglieren, färben, bleichen, kolorieren

Adjektive und Verben werden ausgefiltert, wenn es zu ihnen keinen enzyklopädischen Gehalt gibt. (Zum Thema "enzyklopädischer Gehalt" folgen Anmerkungen bei den Erläuterungen zu den Substantiven.) Falls sich mit dem Adjektiv oder Verb enzyklopädischer Gehalt vermitteln lässt, gibt es als weiteren Filter noch die Frage, ob sich dieser Gehalt nicht auch über ein Substantiv-Lemma vermitteln lässt. Sollte das der Fall sein, dann gibt man dem substantivischen Lemma den Vorzug.

Regel 3: Man geht davon aus, dass es Substantive gibt, zu denen es keinen enzyklopädischen Gehalt gibt und dass diese Substantive in der Liste der Lemmata nicht vertreten sein müssen.

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Dies sind Substantive, zu denen es enzyklopädischen Gehalt gibt: Luft, Wasser, Wetter, Eisenbahn, Gesangverein, Hotel

Dies sind Substantive, zu denen es eher keinen enzyklopädischen Gehalt gibt: Kaltschnäuzigkeit, Frohsinn, Durststrecke, Ankunft, Durchfahrt, Gehaltserhöhung

Zu bestimmen, welcher der beiden Gruppen man ein bestimmtes Substantiv zuordnen sollte, kann sich als schwierig erweisen. In vielen Fällen muss der Sachverstand von einer größeren Zahl von Leuten zusammenkommen, wenn man zu einer halbwegs sicheren Einschätzung gelangen will.

Beispielsweise ist "Machbarkeit" ein Ausdruck, der sehr schnöde wirken kann, sodass der Eindruck entsteht, dass das ein Wort ist, mit dem sich kein enzyklopädischer Gehalt verbindet. Es gibt allerdings Leute, die sich mit Projektmanagement beschäftigen und sehr präzise Auskünfte dazu geben können, was man sich unter Machbarkeit vorzustellen hat.

Was passiert, wenn Menschen prüfen, ob es zu einem Substantiv enzyklopädischen Gehalt gibt? Nach meinem Eindruck wird da jeweils geprüft, ob es für das Wort einen deutlichen Zusammenhang mit klar bestimmbaren Tätigkeitsfeldern gibt. Wörter, die sich einer Wissenschaft, einem Berufszweig oder einem allgemein anerkannten Hobby zuordnen lassen, sind immer Wörter, zu denen es enzyklopädischen Gehalt gibt.

Wenn sich ein Wort einer Wissenschaft, einem Berufszweig oder einem Hobby zuordnen lässt, dann heißt das, dass die Zuständigkeit für das Definieren des Worts bei der betreffenden Personengruppe liegt: Angler legen Glossare an, in denen sie zeigen, welches Zubehör für den Angelsport geeignet ist, und Mediziner erläutern in ihren Glossaren, was man sich unter dem kardiovaskulären System vorzustellen hat.

Wenn man fragt: "Gibt es zu diesem Substantiv enzyklopädischen Gehalt?", dann läuft das auf was Ähnliches hinaus wie bei der Frage: "Kann man dieses Wort im weitesten Sinn als ein Fachwort betrachten?" Es gibt Substantive, deren Bedeutung man in Fachglossaren nachschauen kann; für alle anderen Substantive muss man ein Sprachwörterbuch heranziehen. Enzyklopädien sind für das Fachvokabular zuständig.

Ausnahmen

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"Lektüre" ist ein Wort, zu dem sich nicht viel sagen lässt. Man bezeichnet Lesestoffe als Lektüren (siehe etwa: "das ist meine Lieblingslektüre"), außerdem wird auch der Lesevorgang selbst als "Lektüre" bezeichnet (wie etwa in "heute stehen zwei Stunden Lektüre an"). Das ist so ziemlich alles, was sich zu "Lektüre" sagen lässt. Der Artikel Lektüre kann allerdings bei Wikipedia überleben - weil das Wort "Lektüre" eine interessante Etymologie hat.

Neben die Frage "Kann es zu diesem Lemma enzyklopädischen Gehalt geben?" treten somit immer wieder Fragen wie diese: Geht es in dem Artikel um ein Wort, das einen erklärungsbedürftigen Eindruck macht? Kann man sich Leute vorstellen, die das betreffende Wort in das Suchfeld der WP eingeben? Wirkt das Wort insgesamt gesehen interessant genug, damit ein Artikel dazu gerechtfertigt erscheint?

Regel 4: Wenn ein Thema oder ein Begriff bereits durch einen anderen Artikel abgedeckt ist, legt man keinen neuen Artikel dazu an.

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Mit Regel 4 werden Dialektausdrücke und Slangausdrücken als Lemma ausgeschlossen, denn in den meisten Fällen wird es zu Dialektausdrücken und Slangausdrücken hochsprachliche bzw. normalsprachliche Entsprechungen geben. Letztlich gilt bei WP die Regel, dass Dialektausdrücke und Slangausdrücke als Lemma nicht geeignet sind.

Ausnahmen bei Slangausdrücken

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"Gloryhole" hat einen Artikel bei Wikipedia. Es gibt einfach keine normalsprachliche Entsprechung zu dem Ausdruck.

Ausnahmen bei Dialektausdrücken

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Wie steht es mit "bruddeln"? Ein Mensch der "bruddelt" zeigt eine bei den Schwaben verbreitete Art des Schimpfens.

Da es für diese Art des Still-vor-sich-hin-Schimpfens keinen hoschsprachlichen Ausdruck gibt, hat ein bruddeln-Artikel bei WP eine Überlebenschance.

Regel 5: Gelegenheitsbildungen sind als Lemma nicht geeignet.

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Nachdem es einen Gammelfleisch-Skandal gegeben hat, kann es naheliegend erscheinen, in ähnlicher Weise von Gammelkäse oder von Gammelgemüse zu sprechen. Die Verfasser von Wörterbüchern und Verfasser von Enzyklopädien verhalten sich mit Blick auf solche Gelegenheitsbildungen in ähnlicher Weise zögerlich. Man nimmt sowas in das Nachschlagewerk auf, wenn sich etwas eingestellt hat, das man als "gefestigten Sprachgebrauch" bezeichnen kann.

Enzyklopädischer Gehalt - die Aussagen, die von den Vertretern des jeweiligen Fachgebiets als mit dem Lemma verbunden gesehen werden

Wörterbucheintrag - saloppe Bezeichnung für einen Artikel, der gegen eine der Regeln für die Lemmawahl verstößt

Grundlegendes

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Es gibt zu dem Wörterbucheintragthema eine Theorie, die sich in etwa so wiedergeben lässt:

Es lassen sich zu jedem Wort eine Reihe von Angaben liefern:

(1) grammatische Angaben (2) Definitionen (3) etymologische Angaben (4) Erläuterungen zum Begriff, der durch das Wort bezeichnet wird (5) Verwendungsbeispiele

Es wird nun behauptet, dass es Wörter gibt, bei denen der Punkt (4) wegfällt, weil es enzyklopädisch relevante Angaben zu jenen Wörtern einfach nicht gibt. Gegen solche Auffassungen lässt sich kaum was einwenden. (Man kann diese Ideen als "die Wörterbuch-These" bezeichnen.)

Wer solche Ideen als Startpunkt für eigene Betrachtungen nehmen will, der wird damit kaum etwas verkehrt machen. Es gilt allerdings auch dies: Wer sich mit der Wörterbuch-These beschäftigt, wird dabei kaum etwas für die Praxis gewinnen. Einen Hinweis auf die Wörterbuch-These zu geben ist nur angebracht, wenn man es mit jemandem zu tun hat, der völlig ohne Plan in der Wikipedia unterwegs ist. Für die tägliche Arbeit braucht man Hinweise, die konkreter aussehen als die sehr abstrakten "Wörterbucheintrag"-Definitionen, die hier und da mal aufgetaucht sind.