Ich hatte am 1. Juni 2008 bei der Umfrage Akzeptanz des neuen Verfahrens «Gesichtete und geprüfte Versionen» mit „contra“ gestimmt und meine Ablehnung wie nachstehend ausführlich begründet. An meiner Meinung hat sich seither nichts Grundsätzliches geändert, auch wenn sie ggfs. der zur Zeit geschalteten Version der GV nicht in jedem Punkt gerecht werden sollte. Die seit dem 1. Juni stattgefundenen Diskussionen haben mich in meinem Urteil eher bestärkt. Während ich auf der pro-Seite im Wesentlichen (nicht nur) die immer wiederkehrende Begründung „bekämpft den Vandalismus“ vorfand, gab es aus meiner Sicht auf der contra-Seite viele differenzierte Argumente und im Vergleich zu meiner Darstellung zusätzliche Gesichtspunkte.

Dabei ist mir die zur Zeit geschaltete Version relativ Schnuppe. Ich halte allerdings auch sie für überflüssig wie einen Kropf und unterm Strich die GV für eher schädlich. Ich bleibe daher bei meinem Gesamt-contra. --Lienhard Schulz Post 17:50, 2. Aug. 2008 (CEST)

contra vom 1. Juni 2008 in der einschlägigen Umfrage

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  1. Aufgrund des bisherigen Diskussionsverlaufs sollte das Verfahren „Gesichtete Version“ gestoppt werden, bevor die Macht des Faktischen das Verfahren weiter zementiert. Nicht unbedingt die deutliche Mehrheit derer, die gegen das Programm votiert, spricht dafür, sondern vor allem das Gewicht der vorgebrachten Argumente.
    1. Zentrales und letztlich einziges Argument der Befürworter ist die Eindämmung des Vandalismus. Wie oben mehrfach angemerkt wurde, reichten die bisherigen Instrumetarien zur Vandalismusbekämpfung aus.
      1. Vandalismus ist eins der geringsten Wikipedia-Probleme und spielt sich im Promille-Bereich ab.
      2. Auch der Zeitvorteil ist minimal. Dass der Eintrag „Mein Lehrer ist doof“ nun nicht mehr sichtbar ist, dürfte gegenüber der bisherigen Bekämpfungsform von Vandaleneinträgen einen Vorteil von rund einer Stunde ausmachen.
      3. Für diesen marginalen Vorteil nehmen wir eine Leserverwirrung in Kauf und machen die Wikipedia ein Stück benutzerunfreundlich. Kollegin im Büro: „Du kennst Dich doch mit der Wikipedia aus. Da steht jetzt öfter ‚gesichtete Version’, was ist das? Muss ich das vorher anklicken und lesen?“.
      4. Die Bezeichnung „Gesichtete Version“ ist nur für Insider verständlich, wir schreiben/arbeiten hier aber weniger für uns, sondern in erster Linie für den Benutzer der Enzyklopädie.
    2. Der sehr große Aufwand des Verfahrens steht in keinem Verhältnis zu dem geringen Vorteil.
      1. Programmfehler werden festgestellt, diskutiert, korrigiert, ganze Heerscharen beschäftigen sich zur Zeit mit dem „Sichten“. Ich halte die weitere Bindung von Arbeitskraft in diesem Verfahren für unverantwortlich. Sie wird von der Arbeit an wichtigeren Problemfeldern, von der inhaltlichen Arbeit, von Stil- und Korrekturarbeiten, von Löschfragen etc. in sehr hohem Maß abgezogen.
      2. Auch im einzelnen ist der Aufwand größer als zuvor. Ich habe rund 300 Artikel auf der Beobachtungsliste. Bislang habe ich bei IP-Änderungen kurz draufgeschaut, „aha – da wurde ein Rechtschreibfehler korrigiert, Klasse“ und fertig. Nun darf ich zusätzlich auf „gesichtet“ klicken. Nicht dramatisch, aber ein Arbeitsschritt mehr. Vandalenbeiträge bewegten/bewegen sich auch auf den von mir beobachteten Seiten im Promillebereich. Hinsichtlich der Bearbeitung eines tatsächlichen Vandalenbeitrags hat sich nichts geändert. Und selbstverständlich habe auch ich mich – gezwungenermaßen – als Sichter eintragen lassen, um nicht einem Zweiten zuzumuten, Korrekturen, die ich vornehme, „nachsichten“ zu müssen.
      3. Wenn ich das richtig gelesen habe, bindet das Verfahren zudem Rechnerkapazität in einem nennenswerten Ausmaß (mit dem Argument bin ich insofern vorsichtig, als es alle Nase lang, passend oder nicht, als Argument verwendet wird. Hier scheint aber wirklich etwas dran zu sein).
    3. Die eigentlichen Probleme der Wikipedia, die im Artikel Wikipedia (Vandalismus kommt in dem Artikel als Problem nicht vor !) und in den wissenschaftlichen Analysen der Wikipedia aufgezeigt werden, bleiben von dem Verfahren unberührt.
      1. Es ist für meine Arbeit überhaupt kein Vorteil, dass nunmehr viele Änderungen bereits als gesichtet gekennzeichnet sind. Die sind dann zwar vandalismusfrei, aber damit noch lange nicht fehlerfrei. Prüfen muss ich die „gesichteten“ Änderungen nach wie vor.
      2. Geschickt vorgenommene Fälschungen, Diffamierungen und Rechtsverletzungen, die ein sehr viel größeres Problem darstellen als der banale Vandalismus, werden immer erst nach einiger Zeit gefunden werden. Die „gesichtete Version“ verschärft das Problem eher. Sie suggeriert, der Artikel sei in Ordnung. Tatsächlich hat der Sichter lediglich die Vandalismusfreiheit bestätigt und macht keine Aussage über den möglicherweise grundfalschen Inhalt.
      3. Zudem kommen diese subtileren und tatsächlich problematischen Eingriffe eher von angemeldeten Benutzern, zunehmend also von Sichtern selbst.
    4. Das Verfahren „Gesichtete Versionen“ leistet der Hierarchisierung der Wikipedia Vorschub und ist ein Schritt zur geschlossenen Gesellschaft.
      1. Wenn ich die bislang vorliegenden Analysen, die sich wissenschaftlich mit der Wikipedia auseinandersetzen, richtig verstehe, wird als Erfolgsprinzip übereinstimmend die Offenheit des Systems und das, was als Schwarmintelligenz umschrieben wird, herausgestellt.
      2. Warum soll ich als „normaler Benutzer“ in der Wikipedia noch etwas korrigieren, wenn das (so erscheint es dem Benutzer) gar nicht umgesetzt wird? Soll jede IP, die gerade einen Fehler findet, erst einmal die ganzen Texte zu den Sichtungen lesen, um zu verstehen, warum seine Korrektur nicht angezeigt wird? Der „normale Benutzer“ wird seine Arbeit damit zunehmend einstellen, ein Schritt zur geschlossenen Gesellschaft.
      3. Will man das erfolgreiche Wikipedia-Prinzip nicht in Frage stellen beziehungsweise zum Scheitern bringen, sind Macken der Schwarmintelligenz in Kauf zu nehmen. Das heißt nicht, dass wir uns nicht ständig um Verbesserungen bemühen und Justierungen vornehmen sollen, was ja auch permanent mit Erfolg passiert. Die Justierung „Gesichtete Version“ jedoch rüttelt am Wikipedia-Grundprinzip und ist damit ein Schritt in die falsche Richtung. Das Ergebnis der Richtung sehen wir in Totgeburten wie Wikiweise und Citizendium.
      4. Man kann den Initiatoren des Verfahrens ihr Engagement und ihr Bemühen um die Wikipedia nicht hoch genug anrechnen. Schließlich findet auch dieser enorme Einsatz unentgeldlich in der Freizeit statt. Ich glaube auch eher nicht, dass oben geäußerte Vermutungen, das Verfahren stünde im Zusammenhang mit Bertelsmann, zutreffen, sondern sehe ein sehr ernsthaftes Bemühen um die Anhebung der Wikipedia-Qualität. Gleichwohl führt dieses Bemühen nolens volens in die falsche Richtung.
      5. Ich denke eher, dass bei einigen derer, die sich intensiv um den Bestand, die Entwicklung und die Qualität der Wikipedia bemühen, immer dann so etwas wie Panik ausbricht, wenn ein Journalist mal wieder ein Qualitäts-Korn in der Suppe findet. Da scheint ein permanenter Erfolgsdruck hinsichtlich der Qualität der Enzyklopädie zu bestehen. Dabei hat die Wikpedia allen Unkenrufen zum Trotz einen durchschlagenden Erfolg und schneidet in Vergleichen auch qualitativ besser ab als Konkurrenten.
      6. Selbst dann, wenn wir irgendwann neben gesichteten auch „geprüfte“, „endgültig geprüfte“, „total gesichtete und geprüfte“, „wissenschaftlich geprüfte“ oder welche-auch-immer-Versionen hätten, würden Journalisten, die es darauf anlegen, weiterhin faule Äpfel in den Artikeln finden. Wenn ich es darauf anlege, finde ich selbst im total durchgesichteten, durchgeprüften und geschlossenen Brockhaus irgendwo den größten Unsinn. Gibt die Wikipedia ihr Erfolgsprinzip auf, ist sie zudem irgendwann vom Brockhaus (fast) ununterscheidbar und es ist kein wesentlicher Grund mehr vorhanden, zur Wikipedia zu greifen. Dann nehme ich gleich den Brockhaus.
      7. Mit Versuchen, dem (vermeintlichen) Qualitäts-Erfolgsdruck über Hierachisierungen zu begegnen, wird die Wikipedia immer leben müssen. Und das ist keinesfalls schlecht. Die einhergehenden Überlegungen und diskursiven Prozesse können der Selbstfindung der Wikipedia nur dienlich sein. In der Wikipedia-Geschichte gab es vor einigen Jahren sehr harte Auseinandersetzungen auf diesem Feld, die insbesondere zwischen Ulrich Fuchs und Achim Raschka (damals noch Necrophorus ?) geführt wurden. Das Ergebnis war, dass Uli die Wikipedia, zumindest als Autor, verließ und Wikiweise aus der Taufe hob.
    5. „Sichten“ kann auch Spaß machen und einige sind sicher auch ein wenig stolz, Sichter der Wikipedia zu sein. Der Spaß daran, der Spaß am Schreiben und am wie-auch-immer-Mitarbeiten endet für die meisten von uns zwangsweise per Ausschluss spätestens dann, wenn die Wikipedia in der geschlossenen Gesellschaft :-) angekommen ist.
    Der sehr hohe Aufwand, der Abzug von Arbeitskraft aus wichtigen Problemfeldern und der eingeschlagene Weg zur geschlossenen Gesellschaft stehen also in keinem Verhältnis zum marginalen Vorteil, den das Verfahren „Gesichtete Version“ bietet. Zur Macht des Faktischen: „Jetzt haben wir so viel Entwicklungs- und Programmarbeit hier reingesteckt, bereits so viele Versionen gesichtet und die Sache läuft fast rund – da sollen wir das wieder stoppen, alles umsonst?“ Wenn uns etwas an der Wikipedia in ihrer offenen und überaus erfolgreichen Form liegt: Ja!
    Nachsatz: Würde ich das Verfahren für eine gezielte und bewußte Vorbereitung auf einem Weg zur Geschlossenheit halten, was ich nicht tue, würde meine Interpretation angelehnt an das 3-Phasen-Modell von Lewin in etwa so ausfallen: das Verfahren wird vorbereitet und diskutiert. Um diese Phase zusätzlich abzusichern, wird sogar noch nach der Implementierung per Meinungsbild rückwirkend gefragt, ob denn auch ja alle davon gewusst haben („Bekanntheit“; habe ich nichts gewusst, mache ich mich gewissermaßen selbst verantwortlich. Denn seht her: so viele haben es „gewußt“, da hättest auch Du es wissen können/sollen). Das Verfahren wird ohne Placet der Gesamtgemeinschaft eingeführt, kontrolliert und überwacht. Das Placet ist nicht nötig, handelt es sich doch um eine "Testrunde". Die dritte Phase, das Umgewöhnen der Organisation, wird lehrbuchhaft erreicht, in dem möglichst viele Mitarbeiter als „Sichter“ in den Prozeß eingebunden werden, sie sollen "dazugehören". Den Rest erledigt die Macht des Faktischen. Würde das so ablaufen, wäre es eine geradezu klassische Ausformung der Hierarchiesysteme in einem vormals offenen System – wie sollte es auch anders sein. --Lienhard Schulz Post 17:45, 1. Jun. 2008 (CEST)