Gebiet der noch ungeteilten Synagogen-Gemeinde des Kreises Borken, 1847

Das Judentum in Bocholt und Umgebung war ab 1847 im Synagogenbezirk Bocholt organisiert. Der Gemeindebezirk umfasste die Städte Bocholt und Rhede, sowie die Ortsteile Anholt, Werth, Herzebocholt und Dingden und Hamminkeln-Dingden.

Geschichte

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Synagogengemeinde

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Judenordnung des Hochstifts Münster, 1662

Zur Zeit der Erwähnung der ersten Juden auf dem heutigen Gebiet Deutschlands im Jahr 321[1] endete der Machtbereich des römischen Teils allenfalls auf der Südgrenze des Gemeindebezirks.[2]

Ein erster Hinweis auf eine Anwesenheit von Juden, wenn möglicherweise nicht direkt in Bocholt, so doch in seiner unmittelbaren Nähe datiert auf das Jahr 1396.[3] Zu dieser Zeit bestand bereits die Kammerknechtschaft als Zusammenschluss aller Juden im Reichsgebiet. Von der Freiheit unter den Römern hatte sich die Beziehung der Juden zur christlichen Mitwelt über das Judenregal zu einer Art Ware entwickelt. Das Judenregal lag bereits bei den Kurfürsten, sollte sich dann aber zu den Landesherren hin verlagern.

Vereinzelte Nachweise über die Ansiedlung von Juden im Gemeindebezirk gibt es für Bocholt für die Jahre 1557 und 1562[4] und für Anholt für das Jahr 1616[5]. Ab 1650 belegen Geleitbriefe den Beginn einer bis heute andauernden jüdischen Gemeinschaft für Bocholt.[6] Ab 1651 gehörten die Juden von Bocholt und Umgebung mit den weiteren Juden im Hochstift Münster der neu gegründeten korporierten Landjudenschaft an.[7] Diese unterschied sich nicht wesentlich von der zuvor bestehenden Kammerknechtschaft. Sie war ein Zwangszuammenschluss aller Juden des Hochstifts, hatte eine gewisse innere Autonomie und auch einige hoheitliche Rechte. Ab 1662 gab es eine Judenordnung, welche allerdings eher darauf ausgerichtet war die christliche Mehrheitsgesellschaft zu schützen.[8]

Zeitweilig gehörten die Juden und ihre Gemeinden der Judenschaft des Fürstentums Salm an, erlangten während der französischen Annexion sogar das Bürgerrecht. Nach der Eingliederung in das Königreich Preußen wurde die alte Landjudenschaft fortgeführt und Juden galten nicht mehr als Bürger des Staates.[9] Erst ab 1869 bekamen die Juden über den Norddeutschen Bund das Bürgerrecht wieder zuerkannt.[10]

Durch das Gesetz über die Verhältnisse der Juden vom 23. Juli 1847, auch Preußisches Judengesetz von 1847, erhielt die Gemeinde ihren aktuellen Status.[11] Ihre heutige Form erhielt sie 1853 durch die Aufteilung der ursprünglichen Synagogengemeinde in zwei unabhängige Synagogengemeinden.[12] So entstanden die Zwillingsgemeinden von Borken und Bocholt.

Das Kirchenaustrittsgesetz von 1873 und das Gesetz zum Austritt aus jüdischen Synagogen-Gemeinde von 1876, regelt den Austritt aus dem Judentum bzw. den Austritt aus einer ganz bestimmten religionsrechtlichen Körperschaft. In weit geringerem Maße waren die Verfassung des Preußischen Königs von 1848/50 und die Preußische Verfassung von 1920 weitere Rechtsquellen der Gemeinde.

 
Grundgesetz mit Art. 140, 1949

Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 stärkte den Status der Gemeinde, allerdings führte der Freistaat Preußen dessen ungeachtet die Aufsicht, mit umfangreichen Rechten über die Gemeinde bis zu seiner Auflösung durch den Alliierten Kontrollrat im Jahr 1947 fort.

1949 wurden die wesentlichen staatskirchenrechtlichen Artikel der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz inkorporiert. Die Trennung von Staat und Kirche wurde damit auch Realität.

Neben staatskirchenrechtlichen Regelungen auf allen Ebenen von Kommunen, über Länder und Bund bis zur Europäischen Union gibt es auch Staatsverträge, welche die Länder meist mit Landesverbänden abschlossen. Diese enthalten auch Regelungen für nichtverbandsangehörige Gemeinden wie die FJGW.

Einzelne Gemeinden

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Stets bestanden jüdische Gemeinden vor Ort, neben den regionalen, überregionalen oder reichsweiten Zusammenschlüssen. Das jüdische Leben spielte sich überwiegend in diesen jüdischen Gemeinden ab, aber beispielsweise im Bereich der Rechtsprechung sollte über das Reichsrabbinat für eine einheitliche Anwendung des Rechts gesorgt werden[13].

Für Bocholt wird die Gründung der jüdischen Gemeinde für das Jahr 1683 angenommen.[14] Religionsrechtlich wird häufig ein Quroum von zehn religionsmündigen männlichen Juden gefordert, weshalb anzunehmen ist, dass sich spätestens zur Gründung eine solche Anzahl dauerhaft in Bocholt niedergelassen hatte. Entsprechend gab es seitdem auch einen Betraum. Als nächstes dürfte ein Jüdischer Friedhof entstanden sein. Dies wird um das Jahr 1700 vermutet und er befand sich an der Ostmauer.[15] Mindestens ab 1798 gab es dann auch eine Synagoge in Bocholt.[16] Religionsunterricht in privater Form muss es bereits ab 1807 gegeben haben. Der Friedhof wurde vermutlich auf Druck um 1810 zur An der Recke verlegt. Um 1830 wurde das Wohnhaus an der Synagoge als Schule genutzt.[17] Ab 1898 gab es ein neu errichtetes Schulgebäude am Nordwall. Das Gebäude wurde gleichzeitig auch für die Verwaltung der Gemeinde genutzt. So fanden Sitzungen des Vorstands oder der Repräsentantenversammlung dort statt.[18] Die Gräber des Friedhofs an der Recke wurde zwangsweise 1940 nach Stenern verlegt. Jüdische Beerdigungen fanden dort keine statt, allerdings wurde auch ein Grabstein des Rheder Friedhofs hier aufgestellt.

 
Eingang zum jüdischen Friedhof von Anholt

Bocholt war seit der Errichtung der Synagogengemeinden als Hauptgemeinde in unterschiedlicher Form auch für die Betreuung der Gemeindemitglieder der weiteren Untergemeinden zuständig. Unter diesen hatte Anholt durchgängig eine herausragende Stellung und weitergehende Recht als die übrigen Untergemeinden von Rhede, Dingden, Werth und dem Amt Liedern. So verfügte Anholt nicht nur über einen eigenen Friedhof, der auch den Juden aus Isselburg gedient haben soll, welche eigentlich der Synagogengemeinde Rees zugeordnet waren, es gab auch eine eigene Synagoge und entsprechend einen eigenen Haushalt für den Synagogenbetrieb.[19] Ein Betraum lässt sich für Anholt, welches reichsfrei war, ab ca. 1730 nachweisen. Grabsteine des Friedhofs gehen bis 1820 zurück und eine Synagoge gab es ab 1831.[20] Durch die Verfolgung unter den Nazis ging die Mitgliederzahl stark zurück so dass die Gemeinde entschied, dass sie auf ihre weitergehende Selbstverwaltung verzichten müsse.

Auch Rhede verfügte über einen eigenen Friedhof und zeitweise über eine eigene Synagoge.[21] In Dingden ist im Humberghaus eine Mikwe erhalten geblieben. Zeitweise soll auch ein Friedhof in Dingden bestanden haben. Die kleine Gemeinde von Werth hatte keinen Friedhof. Für die Gemeinde des Amts Liedern lässt sich keine Anzahl der Mitglieder feststellen.

 
Straßenname nach Vorsitzendem der Synagogen-Gemeinde Bocholt

Die Synagogengemeinde hatte als Organe den Vorstand und die Repräsentantenversammlung, auch als gemeinsames Organ, und die Gemeindeversammlung. Die Untergemeinden hatten einen Vorsteher und Stellvertreter. Daneben gab es als weiteren Teil der Gemeindeverwaltung Revisoren und einen Rendanten. Einen eigenen Rabbiner hatte die Gemeinde nicht, diese Funktion erfüllten andere Kultusbeamte. In der Regel bestand eine Doppelfunktion von Kantor und Lehrer. Neben Bocholt hatte auch Anholt bis zur Zeit des Nationalsozialismus einen solchen Vorbeter, wie er auch häufig genannt wurde.

Daneben gab es schon früh eine Beerdigungsbruderschaft, Chewra Kadischa, welche auch für Kranke und Bedürftige zuständig war. Ferner gab es einen Wirtschaftlichen Hilfsverein Esrass K'fufim, Hilfe der Schwachen, einen Synagogenchor, einen Verein für jüdische Geschichte und Literatur und einen Israelitischen Frauenverein. Schließlich gab es Ortsgruppen des Central-Vereins deutscher Bürger jüdischen Glaubens, des Reichsbunds jüdischer Frontsoldaten und des Deutsch-jüdischer Wanderbunds „Kameraden“. Zudem fand eine Zusammenarbeit auch in anderen Bereichen statt.

Literatur

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  • Diethard Aschoff: Zur Geschichte der Juden in Bocholt bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges, in: Unser Bocholt, Bocholt 1980/4. S. 3–6.
  • Josef Niebur: 36 Jahre hat Herr Lehrer Nußbaum hier in Bocholt segensreich gewirkt..., in Unser Bocholt, Bocholt 2001/1. S. 7–19.
  • Josef Niebur: Der Abtransport erfolgte am heutigen Tage – Juden in Bocholt während des Nationalsozialismus, in Unser Bocholt, Bocholt 2004/4. S. 23–25.
  • Josef Niebur: Jüdische Begräbnisstätten und Totenbräuche in Bocholt, in Unser Bocholt, Bocholt 2006/3. S. 54–58.
  • Josef Niebur u. a.: Es gibt Momente, bei denen es schwer fällt, zu reden – Übergabe des Denkmals zur Erinnerung an die zerstörte Synagoge am 9. November 2005, in Unser Bocholt, Bocholt 2006/3. S. 61–66.
  • Josef Niebur, Werner Sundermann: Je älter ich werde, desto öfter denke ich daran. Zeitzeugen berichten über das Leben der jüdischen Mitbürger in Bocholt, in Unser Bocholt, Bocholt 1994-1995/4-1. S. 39–47.
  • Josef Niebur, Werner Sundermann: Martha und Bertold Löwenstein. Eine Bocholter Kaufmannsfamilie, in Unser Bocholt, Bocholt 1994-1995/4-1. S. 47–58.
  • B. Brilling: Das Judentum in der Provinz Westfalen 1815–1945, in: Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen 38, Münster 1918, S. 105–143.
  • A. Herzig: Judentum und Emanzipation in Westfalen. Münster 1978.
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Einzelnachweise

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  1. Werner Eck: Köln in römischer Zeit. Geschichte einer Stadt im Rahmen des Imperium Romanum. In: Hugo Stehkämper (Hrsg.), Geschichte der Stadt Köln in 13 Bänden, Band 1. Köln 2004, S. 325 ISBN 3-7743-0357-6.
  2. Ein neues Römerlager? www.clades-variana.com, abgerufen am 2. September 2021
  3. „Seit 1396 werden einzelne Juden in Bocholt erwähnt,...“ unter: [1]
  4. „Suppliken des Rats der Stadt Bocholt wegen des dortigen Juden Joist, 1557, 1562“ auf S. 57 unter: [2]
  5. „1616 ist in einer Steuerliste der landesherrlichen Einkünfte der erste in Anholt registrierte Jude nachweisbar“ auf: [3]
  6. „Geleitbrief des Fürstbischofs Bernhard von Raesfeld für die Juden Michael und Joist für die Stadt Bocholt, 1650“ auf S. 57 unter: [4]
  7. „Dies zeigte sich schon in seiner ersten Maßnahme, die Juden betraf, seinem Edikt vom 1. Oktober 1651. Die Judenschaft des Stifts wurde hier zu einer Gesamtorganisation zusammengefaßt.“ auf S. 1 unter: [5]
  8. „Münsterische Judenordnung des Fürstbischofs Christoph Bernhard von Galen vom 29. April 1662“ Auszugsweise unter: [6] |abruf=2020-06-02
  9. „Obschon diesbezüglich bereits seit 1816 eine eindeutige Regelung vorlag, bestimmte die allerhöchste Kabinettsorder vom 8. August 1830 „ausdrücklich“, dass „bis zu weiterer gesetzlicher Bestimmung“ die Verhältnisse der Juden „nach denjenigen Vorschriften […], welche bei der Besitznahme dieser Provinzen, […] vorgefunden worden sind“ zu regeln seien. Das Emanzipationsgesetz hatte somit in der preußischen Provinz Westfalen keine Geltung.“ aus S. 5 unter: [7]
  10. „Erst durch das am 3. Juli 1869 vom preußischen König als Präsident des Norddeutschen Bundes unterzeichnete Gesetz wurden die noch bestehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses hergeleiteten Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte aufgehoben.“ im Vortrag Die Juden und ihre Emanzipation im Westmünsterland und im Achterhoek und Liemers bis zum 19. Jahrhundert unter: [8]
  11. „Den jüdischen Kultusgemeinden wurde bereits durch preußisches Gesetz über die Verhältnisse der Juden vom 23. Juli 1847 (Preußische Gesetzessammlung --GS-- 1847, S. 263) der Status als öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaft eingeräumt (RG-Urteil vom 7. Juli 1931 III 414/30, RGZ 133, 192),...“ in BFH, Urteil vom 30. Juni 2010, Az.: II R 12/09, u. a. unter: [9]
  12. „Bildung der Synagogengemeinden Bocholt und Borken 1847 - 1848 und 1853“ BOR 01 Landratsamt Borken (1816-1933) Nr. 130 unter: [10]
  13. „Der letzte Reichsrabbiner, Jacob bar Chaim von Worms, hatte spezifische kaiserliche Privilegien verliehen bekommen, die seiner Rechtsprechung reichsweit Geltung verschaffen sollten und somit nicht nur in den gesicherten Eigenentscheidungsbereich der anderen Gemeinden eingriff.“ auf S. 164 von „Jüdische Autonomie in der frühen Neuzeit“ unter: [11]
  14. „1683 wird die jüdische Gemeinde wird gegründet.“ Bocholt/Geschichte unter: [12]
  15. „Der erste Begräbnisplatz wurde um 1700 als ca. 140 m langer und 6 - 8 m breiter Streifen entlang der Ostmauer nachgewiesen.“ in Jüdischer Friedhof – Vardingholter Straße unter: [13]
  16. „Somit ist davon auszugehen, dass die Bocholter Synagoge im Jahre 1798 errichtet und ggf. zwei Jahre später erweitert worden ist. “ Stadtarchiv zu historischem Foto unter: [14]
  17. „Bereits seit etwa 1830 waren in einem Haus vor der Synagoge in Bocholt Kinder unterrichtet worden.“ auf S. 6 in Unbekannt verzogen (ausgewandert) unter: [15]
  18. „1896 wurde am Nordwall 26 eine jüdische Schule mit Lehrerwohnung gebaut. Hier fanden dann auch die Sitzungen der Repräsentantenversammlung und des Vorstandes der Gemeinde, aber auch des Schulvorstandes sowie die Gemeindefeste statt.“in Juden in Bocholt unter: [16]
  19. „In Isselburg gab es keine Synagoge. Die dortigen Juden hatten jedoch enge Beziehungen zu den Juden in Anholt und wurden auch auf dem Friedhof im Dwarsefeld beerdigt.“ in Zur Geschichte der Juden in Anholt, Isselburg en Werth unter: [17]
  20. „Seit ca. 1730 ist in Anholt ein Betraum in einem Wohnhaus nachweisbar; ab dem Jahr 1831 verfügte die kleine jüdische Gemeinschaft über eine neue Synagoge, die in einem schlichten Backsteingebäude in der Niederstraße untergebracht war.“ in Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum, Online-Ausgabe: Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum unter: [18]
  21. „In der zwischen Borken und Bocholt gelegenen Stadt Rhede lässt sich jüdisches Leben bis in die Zeit um 1575 nachweisen, doch erst im beginnenden 19.Jahrhundert wurden Ansätze einer jüdischen Gemeinde erkennbar.“ in Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum, Online-Ausgabe: Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum, Borken/Rhede unter: [19]