Johannes Kinder (geb. 3. Oktober 1912 in Einsiedel; hingerichtet 21. Oktober 1976 in Leipzig) war ein nationalsozialistischer Kriegsverbrecher und Stasi-Informant.
Er wurde am 11. Juni 1976 als Kriegsverbrecher vom Bezirksgericht Karl-Marx-Stadt zum Tode verurteilt und am 21. Oktober 1976 in Leipzig durch „unerwarteten Nahschuss“ hingerichtet. Als Mitglied eines SS-Einsatzkommandos in der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg hatte Kinder persönlich mindestens 260 Menschen erschossen und sich an der Tötung von 214 psychisch kranken und behinderten Kindern und Jugendlichen mittels Gasvergiftung beteiligt. Johannes Kinder war geheimdienstlich von 1945 bis 1948 für die sowjetische Geheimpolizei KGB und von 1962 bis 1972 für die das Ministerium für Staatssicherheit der DDR (StaSi) tätig.
Lebensweg
BearbeitenJohannes Kinders Vater war zunächst Kriminalsekretär und später Mitarbeiter der Gestapo.
Johannes Kinder wurde 1936 zur Wehrmacht einberufen. Mit dem Ziel, anschließend von der Kriminalpolizei als Kraftfahrer übernommen zu werden, verpflichtete Kinder sich freiwillig, über die Dauer seiner Wehrpflicht hinaus ein weiteres Jahr Dienst zu verrichten. Ende 1938 / Anfang 1939 wurde Kinder seinem Wunsch gemäß von der Gestapo übernommen und als Fuhrparkleiter im Range eines SS-Oberscharführers eingesetzt. Kinder arbeitete ab Anfang 1939 als Kraftfahrer bei der Staatspolizeistelle Chemnitz. Später wurde Kinder im damaligen Protektorat Böhmen und Mähren bei den Staatspolizeileitstellen in Reichenberg (Liberec) und Prag eingesetzt. Von März 1939 bis Juni 1941 war Kinder Kraftfahrer bei der Gestapoleitstelle Prag, Außenstelle Jitschin (Jičín). Dort stellte er einen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP, wurde am 1. Juli 1940 deren Mitglied, ohne jedoch in der Folgezeit ein Parteibuch zu erhalten und Mitgliedsbeiträge zu bezahlen. Anfang Juni 1941 wurde Kinder nach Bad Schmiedeberg / Dübener Heide kommandiert und dort dem von Kurt Christmann geführten Sonderkommando 10a der Einsatzgruppe D als Kraftfahrer und Fuhrparkleiter zugeteilt, dem er bis März 1943 angehörte.
Im Juli 1941 fiel das Einsatzkommando 10a vom rumänischen Iași aus in die Sowjetunion ein und begann am vierten Tag seines Einsatzes mit der Festnahme und Tötung von Juden, Komsomolzen, sowjetischen Partei- und Staatsfunktionären. Kinder war vorwiegend als Kraftfahrer innerhalb des Einsatzkommandos 10a oder in einem seiner Teilkommandos eingesetzt. Zugleich war er für die Einsatzbereitschaft der jeweils zu seiner Einheit gehörenden Kraftfahrzeuge verantwortlich. Zu seinen Aufgaben gehörte es auch, die Opfer zu bewachen, sie zu den vorgesehehen Erschießungsstätten zu transportieren und dort auch selbst einige von ihnen zu erschießen. Kinder hat an Erschießungsaktionen der Einsatzgruppe D auf deren Wegstrecke von Iași bis nach Jeisk mitgewirkt, denen mindestens 7 802 Sowjetbürger zum Opfer fielen. Mindestens 260 Menschen hat Kinder eigenhändig getötet.
Am 9. und 10. Oktober 1942 erhielt Kinders Kommando den Auftrag, die im Kinderheim in Jeisk untergebrachten psychisch kranken und körperbehinderten Kinder und Jugendlichen zu ermorden. Dazu wurde dem Kommando ein Lastkraftwagen zur Verfügung gestellt, in dessen abgedichteten Kastenaufbau die Motorabgase geleitet werden konnten, wodurch die Insassen nach 15 bis 30 Minuten qualvoll erstickten. Unter Vortäuschung der Verlegung der Kinder in ein anderes Kinderheim wurden 214 Insassen des Heimes im Alter zwischen vier und 17 Jahren in das Fahrzeug geladen und auf die beschriebene Weise durch Vergasen getötet.
Ende März 1943 wurde Kinder, nach einer Rheumakur, zur Gestapo-Außenstelle Jungbunzlau (Mladá Boleslav) versetzt, in welcher er bis Mai 1945 tätig war.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs arbeitete er zunächst in der holzverarbeitenden lndustrie, betrieb dann von 1953 bis 1966 eine Nutzholzhandlung und war danach in verschiedenen Betrieben beschäftigt, zuletzt als Verkaufsleiter in der Konsumgenossenschaft Karl-Marx-Stadt. Etwa 1946 trat er wieder in die Kirche ein und wirkte aktiv im Kirchenvorstand und bei einem christlichen Männerverband (Männerwerk) mit. Parallel dazu leistete Kinder geheimdienstliche Informantendienste, zunächst – von 1945 bis 1948 – für die sowjetische Geheimpolizei KGB und dann – von 1962 bis 1972 – für die das Ministerium für Staatssicherheit der DDR (StaSi). Kinder alias „Ernst“ galt als einer der besten Inoffiziellen Mitarbeiter (IMs) der StaSi.[1]
Nach einer Verurteilung Kinders wegen einer Straftat erreichte die Staatssicherheit Kinders vorzeitige Haftentlassung und besorgte ihm ein Auto.
Im Jahr 1973 erhielt das MfS von der Bezirksstaatsanwaltschaft Hinweise auf Kinders NS-Vergangenheit, unter anderem darauf, dass sich Kinder an Erschießungen von Juden beteiligt hatte. Weitere Ermittlungen bestätigten diesen Verdacht. Im Oktober 1974 wurde Kinder in Untersuchungshaft genommen. Er gestand von ihm persönlich begangene Verbrechen und gab umfassend Auskunft über das Einsatzkommando, etwa zu Mannschaftsstärke, Marschwegen und der Arbeit mit V-Männern und Kollaborateuren. Aufgrund seiner eigenen Aussagen und der zahlreicher Zeugen sowie aufgrund von Beweisdokumente aus der Sowjetunion verurteilte ihn das Bezirksgericht Karl-Marx-Stadt am 11. Juni 1976 wegen der Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Kinder „an der Ermordung von mindestens 7 802 wehrlosen sowjetischen Bürgern mitgewirkt“ habe, darunter 214 psychisch kranken und zum Teil körperbehinderten Kindern und Jugendlichen eines Kinderheims. Darüber hinaus soll er mindestens 260 sowjetische Juden, darunter Mütter mit ihren Kindern, sowie kommunistische Funktionäre eigenhändig erschossen haben.
Kinder wurde am 21. Oktober 1978 in Leipzig mittels Kopfschuss hingerichtet. Todesursache und Sterbeort wurden gegenüber der Öffentlichkeit geheim gehalten, seine Leiche eingeäschert. Die Erschießung Johannes Kinders war die letzte Hinrichtung eines Zivilisten in der DDR.
Kinders Vorgesetzter beim Einsatzkommandos 10a der Einsatzgruppe D, Kurt Christmann, wurde am 19. Dezember 1980 vom Landgericht München I wegen seiner Beteiligung an Kriegsverbrechen in Krasnodar zu zehn Jahren Haft verurteilte; er wurde jedoch bereits am 10. Dezember 1985 wieder aus der Justizvollzugsanstalt München entlassen.
Rohstoffe
BearbeitenDie Erschießung des NS-Kriegsverbrechers Johannes Kinder am 21. Oktober 1976 war die letzte Hinrichtung eines Zivilisten in der DDR
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Erschie%C3%9Fung#Deutsche_Demokratische_Republik_(DDR)
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Prozess gegen Johannes Kinder (Verbrechen der SS-Einsatzgruppe D in der Sowjetunion)
Enthält u.a.:
- Todesurteil des Bezirksgerichts Karl-Marx-Stadt vom 11. Juni 1976
- Gnadengesuche
https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/7YD6HXNEPO2RRZVDTJCPBWTZFL6WKFEL
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21. Okt. 1976 Johannes Kinder (66) NS BG Karl-Marx-Stadt[74] Für die Mitwirkung an der Ermordung Tausender sowjetischer Bürger als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt und in Leipzig durch „unerwarteten Nahschuss“ hingerichtet. Er hatte als Mitglied eines Einsatzkommandos mindestens 260 Menschen persönlich erschossen und sich an der Tötung von 214 psychisch kranken und z. T. behinderten Kindern und Jugendlichen in einem Gaswagen beteiligt.[75]
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_in_der_DDR_hingerichteten_Personen
75 Henry Leide: NS-Verbrecher und Staatssicherheit. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006, ISBN 978-3-525-35018-8, S. 249 f.
Johannes Kinder als MfS-Mitarbeiter / StaSi-Informant
BearbeitenWas ist z.B. mit Johannes Kinder, den die Stasi („einer unserer Besten“) erst hat fallen lasssen (und der dann zum Tode verurteilt wurde), nachdem seine Frau seine Massenmorde als Scheidungsgrund im öffentlichen Scheidungsverfahren ausposaunt hat? politik-forum.eu, https://politik-forum.eu/viewtopic.php?t=5496
„Selbst ehemalige Nazi-Mörder wie der SD-Einsatzgruppen-Angehörige Johannes Kinder wurden [von der StaSi] zur Mitarbeit herangezogen. Erpressung erübrigte sich hier, wüßten doch besonders braune Täter um die Aussichtslosigkeit, sich dem Staatssicherheitsdienst zu entziehen. Nachdem Kinders Verbrechen, die er während des Zweiten Weltkrieges begangen hatte, in der DDR öffentlich geworden waren, wurde er vom selben Staatssicherheitdienst einem Gericht überstellt, nach festgelegtem Prozeßverlauf zum Tode verurteilt und schließlich hingerichtet.“ Quelle: Ralf Georg Reuth, Ideologisch verblendet und ohne Skrupel. In: Die Welt Online, 26. März 2006, https://www.welt.de/print-wams/article140205/Ideologisch-verblendet-und-ohne-Skrupel.html
„The Stasi sometimes used former Nazis as "unofficial informers" (inoffizielle Mitarbeiter, IMs), keeping them out of the public limelight, [...] this did not protect any perpetrator from being brought to judgment and penalized for crimes under Nazism. Examples for former Stasi informers who were ultimately brought to trial include Johannes Kinder, ...“ Quelle: Mary Fulbrook, Reckonings: Legacies of Nazi Persecution and the Quest for Justice, Oxford University Press, 2018, S. 243, https://books.google.de/books?id=k1RuDwAAQBAJ&pg=PA243&dq=%22Johannes+Kinder%22+StaSi&hl=de&newbks=1&newbks_redir=0&sa=X&ved=2ahUKEwi5oKzSooGJAxV5yAIHHVeRBksQ6AF6BAgHEAI#v=onepage&q=%22Johannes%20Kinder%22%20StaSi&f=false
Oberstes Gericht der DDR, Strafsenat 1b, Urteil vom 23. Juli 1976 gegen Johannes Kinder
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1bOSB 20/76
Im Namen des Volkes
In der Strafsache gegen den Verkaufsstellenleiter Johannes Kinder, geb. am 3. Oktober 1912 in Einsiedel, wohnhaft: Karl-Marx-Stadt, seit dem 10. Oktober 1974 in der UHA (MfS) Karl-Marx-Stadt, Kassbergstr. 12,
hat das Oberste Gericht der Deutschen Demokratischen Republik durch den I b Strafsenat in seiner Sitzung vom 23. Juli 1976 für Recht erkannt:
Die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Bezirksgerichts Karl-Marx-Stadt vom 11. Juni 1976 - 1 BS 1n 6 - wird als unbegründet zurückgewiesen. Die im Rechtsmittelverfahren entstandenen Auslagen hat der Angeklagte zu tragen.
GRÜNDE Das Bezirksgericht hat den Angeklagten wegen mehrfach begangener Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäss Artikel 6 Buchstabe b und c des Statutes für den Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg vom 8. August 1945, in Verbindung mit den Artikeln 8 und 91 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, § 1 Abs.6 des Einführungsgesetzes zum StGB und zur StPO, §§ 91 Abs. l und 2, 93 Abs. l Ziff. 2 und Abs.3 StGB, § 1 Abs. l und 2 des Gesetzes über die Nichtverjährung von Nazi- und Kriegsverbrechen sowie der UNO-Konvention vom 26. November 1968, zum Tode verurteilt. Die staatsbürgerlichen Rechte wurden ihm für dauernd aberkannt.
Dem Urteil liegen folgende Feststellungen zugrunde:
« 1. Die Feststellungen des Bezirksgerichts » Der Angeklagte wurde 1936 zur faschistischen Wehrmacht einberufen und verpflichtete sich freiwillig, über die Dauer der Wehrpflicht hinaus ein weiteres Jahr Dienst zu verrichten mit dem Ziel, anschliessend als Kraftfahrer zur Kriminalpolizei zu kommen. Das gelang ihm auch mit Unterstützung seines zunächst als Kriminalsekretär und später als Mitarbeiter der Gestapo tätigen Vaters. Als politisch zuverlässig wurde der Angeklagte Ende 1938 / Anfang 1939 wunschgemäss von der Gestapo übernommen und im Range eines SS-Oberscharführers als Fuhrparkleiter eingesetzt. Ihm waren die Aufgaben und Praktiken der Gestapo im Rahmen des faschistischen Terrorsystems bei der Verfolgung von Kommunisten und anderen Antifaschisten bekannt. Von März 1939 bis Juni 1941 wurde der Angeklagte als Kraftfahrer bei der Gestapoleitstelle Prag - Aussenstelle Jicin - eingesetzt. Dort stellte er auch einen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP, wurde am 1.7.1940 deren Mitglied, ohne jedoch in der Folgezeit ein Mitgliedsbuch zu erhalten und Beiträge zu bezahlen.
Anfang Juni 1941 wurde der Angeklagte nach Bad Schmiedeberg / Dübener Heide kommandiert und dort der SS-Einsatzgruppe D - Sonderkommando 10a - als Kraftfahrer und Fuhrparkleiter zugeteilt. Aus Gesprächen und durch von Vorgesetzten erhaltene lnformationen wurde ihm bekannt, dass der Überfall auf die Sowjetunion bevorsteht und die Einsatzkommandos die Aufgabe haben, die von der Wehrmacht okkupierten Gebiete durch
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Erfassung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung, der Partei- und Staatsfunktionäre und Komsomolzen "politisch zu sichern". Diese Personengruppen sah der Angeklagte auf Grund seiner faschistischen Grundhaltung als zu hassende Feinde an und er führte deshalb die ihm zur Durchsetzung der faschistischen Eroberungspolitik erteilten Befehle bedingungslos aus. Im Juli 1941 fiel das Einsatzkommando 10a von Jasi/Rumänien aus in die Sowjetunion ein und begann am vierten Tag des Einsatzes mit der Verwirklichung ihrer vorherbestimmten verbrecherischen Aufgabe. Der Angeklagte hat in den verschiedenen Einsatzorten der gesamten Einheit oder deren Teilkommandos auf der Wegstrecke von Jasi bis nach Jeisk an deren Mordaktionen mitgewirkt, denen mindestens 7.802 Sowjetbürger zum Opfer fielen und davon mindestens 260 Menschen eigenhändig getötet. Er war innerhalb des Einsatzkommandos 10a bzw. einer deren Teilkommandos vorwiegend als Kraftfahrer eingesetzt und gleichzeitig für die Einsatzbereitschaft der jeweils zu seiner Einheit gehörenden Kraftfahrzeuge verantwortlich. Insoweit hat er dazu beigetragen, dass das Kommando jederzeit beweglich ist, die Opfer schnell aufgespürt, verfolgt und « zu » den Vernehmungs- und Sammelstellen sowie zu den Erschiessungsorten gebracht werden können.
Der Tatbeitrag des Angeklagten an den Einsätzen des Kommandos bestand ferner darin, die Opfer zu bewachen, zu den vorgenannten Orten zu transportieren und selbst Erschiessungen durchzuführen. Bei der Verfolgung ihrer verbrecherischen Ziele gingen die Kommandos im wesentlichen mit den gleichen Methoden vor. Zur Verschleierung ihres Vorhabens und um Panik unter den Betroffenen zu vermeiden, wurden - soweit sich die Aktionen gegen die jüdische Bevölkerung richteten - der Ältestenrat oder die Rabbiner dazu missbraucht, die zur Ermordung vorgesehenen Personen unter dem Vorwand ihrer Umsiedlung mit dem nötigsten Hab und Gut zusammen zu rufen. Wer nicht "freiwillig" erschien, wurde aus der Wohnung geholt. Die so getäuschten Opfer wurden von diesen Sammelstellen unter Zurücklassung ihres Gepäcks und nach Wegnahme der Wertsachen unter Bewachung zu vorher ausgewählten Erschiessungsstellen - natürliche oder künstliche Bodenvertiefungen - gebracht und dort vorwiegend in Gruppen von etwa 20-25 Personen durch Genick- oder Nahschuss ermordet. Die zum Teil mit Hilfe von Kollaborateuren festgenommenen Komsomolzen, Partei- und Staatsfunktionäre, wurden entweder sofort umgebracht oder mit Misshandlungen verbundenen Verhören unterzogen. Wer sich nicht zum Verrat an seinem Vaterland hergab, wurde ermordet.
Im einzelnen hat der Angeklagte folgende Handlungen begangen:
1. Nach dem Einfall in die Sowjetunion drang das aus ca. 20 Mann bestehende, mit vier bis fünf Pkw ausgerüstete Teilkommando, dem der Angeklagte angehörte, über die Orte Belzy und Jampol bis nach Mjelitopol vor. Auf dieser Wegstrecke war er in einem Zeitraum von ca. drei Monaten mit seiner Einheit in mindestens 30 Ortschaften an Erschiessungsaktionen beteiligt. In den einzelnen Ansiedlungen wurden jeweils mindestens 50 bis 100 Personen umgebracht. Insgesamt sind diesen Massakern mindestens 1.500 sowjetische Bürger zum Opfer gefallen, wovon der Angeklagte mindestens 25 eigenhändig durch Genickschuss tötete.
2. Im Oktober 1941 war das gesamte Einsatzkommando 10a in Mjelitopol stationiert und ermordete dort mindestens 2.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder. Der Angeklagte war an dieser, sich nach einem eingespielten Ablauf vollziehenden Aktion beteiligt, indem er jüdische Bürger aus ihren Wohnungen holte, sie an den Sammelstellen bewachte, an den Ort der Em1ordung transportierte und unmittelbar den Mordschützen zutrieb. Im Verlaufe der zwei Tage währenden Aktion führte er ausserdem mindestens 75 eigenhändige Erschiessungen durch.
3. Während der Stationierung des Sonderkommandos in Mjelitopol und auf dem Marsch nach Simferopol von Oktober bis Dezember 1941 wurde die Verfolgung von Patrioten und
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Bürgern jüdischer Nationalität fortgesetzt. In mehreren Orten - der Angeklagte konnte sich noch an Kirillowka, Karlsruhe (jetzt Obraszowoje), Astrachanka und Konstantinowka erinnern - wurden zwischen ein und fünfzehn Personen festgenommen, zum Teil verhört, dabei misshandelt und anschliessend am Ortsrand erschossen. Der Angeklagte hat bei dieser Aktion die Opfer abgeholt, sie bewacht, zur Erschiessungsstelle gebracht und mindestens zehn der ca. 200 ermordeten Personen eigenhändig umgebracht.
4. In der Zeit von November 1941 bis März 1942 hielt sich das Teilkommando des Angeklagten in Simferopol auf. Den hier durchgeführten Massenexekutionen fielen 300 bis 400 jüdische Bürger zum Opfer. Der Angeklagte hat dabei in gleicher Weise wie an den anderen Bluttaten mitgewirkt, mit einem Offizier eine Erschiessungss1elle erkundet und bei diesem Massaker mindestens 30 Personen eigenhändig getötet. In dieser Zeit ging das Kommando, dem der Angeklagte angehörte, auch gegen die in Simferopol und den umliegenden Orten wohnhaften patriotischen Kräfte vor. Der Aktionsradius der Einheit erstreckte sich in nordöstlicher Richtung bis an das Asowsche Meer und in südlicher Richtung bis an das Schwarze Meer. Dem Angeklagten ist noch bekannt, dass er in Rosenthal, Zürichtal, Zeitler, Alupka über Jalta und Aluschka eingesetzt war. Er wirkte an der Festnahme der Patrioten sowie deren Transport zum Standort mit und ermordete mindestens zehn durch Genickschuss. Die Gesamtzahl der den zahlreichen Einzelaktionen zum Opfer gefallenen Bürger ist nicht mehr feststellbar.
5. Im Juni 1942 traf der Angeklagte vom Heimaturlaub kommend bei seiner zwischenzeitlich in Mariupol, dem heutigen Shdanow, stationierten Einheit ein. ln dieser Stadt verübte die Einheit unter Einsatz aller Kräfte und Fahrzeuge ein stabsmässig organisiertes, mehrere Tage andauerndes Massaker unter der jüdischen Bevölkerung. Der Angeklagte hat an allen Teilhandlungen der Ermordung von mindestens 1.000 Menschen mitgewirkt und dabei mindestens 25 Personen eigenhändig umgebracht.
6. Von Juni 1942 bis Anfang August 1942 war das Sonderkommando 10a in Taganrog untergebracht und führte in einem Zeitraum von ein bis zwei Wochen die Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung und politischen Funktionäre fort. In den drei Tagen, an welchen der Angeklagte an den Massenmorden mitwirkte, wurden mindestens 1.500 Menschen umgebracht und er selbst tötete davon 25 eigenhändig. Während der Stationierung in Taganrog wurden auch in den umliegenden Orten - so in Nikolajewka, Fjedorowka und Pokrowskoje - sogenannte Nachsäuberungen vorgenommen, denen die Personen zum Opfer fielen, die den vorangegangenen Massenmorden entgangen waren. Dabei wurden mindestens 300 Sowjetbürger ermordet und der Angeklagte hat davon mindestens zehn eigenhändig erschossen.
7. Im August/September 1942 hatte das Teilkommando des Angeklagten in Jeisk Quartier bezogen. Im Verlaufe von etwa fünf Monaten wurden in dieser Stadt und deren Umgebung unter Mitwirkung des Angeklagten eine Vielzahl von Mordaktionen durchgeführt. Im Herbst 1942 war er mit drei anderen Kommandoangehörigen in der Nähe von Starominskaja an der Festnahme von sieben Frauen, eines älteren Mannes und eines 15jährigen Jungen beteiligt. Der Jugendliche konnte fliehen, während die anderen Personen unter Mitwirkung des Angeklagten erschossen worden sind. Im Herbst 1942 fuhr der Angeklagte mit dem Leiter und weiteren fünf Angehörigen des Kommandos in ein Dorf in Richtung Krasnodar. Die in diesem Ort im Dorfklub festgehaltenen ca. 100 Personen wurden von dem Kommando übernommen und anschliessend in der Nähe des Bahnhofs umgebracht. Bei den ausserhalb von Jeisk durchgeführten zehn Erschiessungsaktionen wirkte der Angeklagte arbeitsteilig an der Ermordung von mindestens 200 jüdischen Bürgern mit. In der Stadt Jeisk wurden desweiteren insgesamt 150 Funktionäre festgenommen, in der Kommandounterkunft inhaftiert, verhört, unter Beteiligung des Angeklagten bis zur
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Gehunfähigkeit misshandelt und - in etwa 50 Mordaktionen - getötet. Desweiteren hat der Angeklagte in der Nähe des Flugplatzes von Jeisk an der Erschiessung von etwa 15-20 Männern und etwas später an der gleichen Stelle an der Ermordung einer etwa 30jährigen Frau mitgewirkt. Insgesamt sind von dem Mordkommando unter Beteiligung des Angeklagten in dieser Zeit in Jeisk und Umgebung mindestens 458 Bürger der Sowjetunion ermordet worden und der Angeklagte hat davon mindestens 50 selbst umgebracht.
8. Am 9. und 10. Oktober 1942 hat der Angeklagte an einem besonders verabscheuungswürdigen Verbrechen mitgewirkt. Das Kommando des Angeklagten hatte die Aufgabe erhalten, die im Kinderheim in Jeisk untergebrachten psychisch kranken und körperbehinderten Kinder und Jugendlichen zu ermorden. Dazu wurde dem Kommando ein LKW zur Verfügung gestellt, in dessen hermetisch abgedichteten, als Wohnwagen getarnten Kastenaufbau die Motorabgase geleitet werden konnten, wodurch die Insassen nach 15-30 Minuten einen qualvollen Erstickungstod erlitten. Dem Angeklagten war die Zweckbestimmung und Wirkungsweise dieses Mordinstrumentes durch eine bereits in Taganrog vorgenommene genaue Besichtigung bekannt. Unter Vortäuschung der Verlegung der Kinder in ein anderes Kinderheim wurden 214 Insassen des Heimes im Alter zwischen 4 und 17 Jahren in das Fahrzeug geladen und auf die vorgesehene Weise getötet. Der Angeklagte hat an beiden Tagen mit anderen Kommandoangehörigen die gehunfähigen Kinder in das Fahrzeug gebracht und anderen geboten, in dieses einzusteigen. Ende März 1943 wurde der Angeklagte nach einer Rheumakur zur Gestapoaussenstelle Jungbunzlau (Mlada Boleslav CSSR) versetzt, in welcher er bis Mai 1945 tätig war. Nach Kriegsende arbeitete er zunächst in der holzverarbeitenden lndustrie, betrieb von 1953 bis 1966 eine Nutzholzhandlung und war danach in verschiedenen Betrieben, zuletzt in der Konsumgenossenschaft Karl-Marx-Stadt, beschäftigt. Etwa 1946 trat er wieder der Kirche bei und wirkte aktiv im Kirchenvorstand und im Männerwerk mit.
« 11. Zur Berufung des Angeklagten »
Gegen das Urteil des Bezirksgerichts hat der Angeklagte ordnungsgemäss Berufung eingelegt. Mit ihr wird insbesondere unrichtige Feststellung der Anzahl der eigenhändig vorgenommenen Erschiessungen und des Umfangs der Mitwirkung an der Vernichtung der Insassen des Kinderheimes Jeisk sowie unrichtige Beurteilung der Verbrechen als im besonders schweren Fall begangen gerügt. Unter Hinweis auf seine Bemühungen, aus dem Sonderkommando 10a auszuscheiden, und das befehlsmässige Handeln sowie die seit der Tat vergangene Zeit wird eine Milderung der Strafe, insbesondere die Umwandlung der Todes- in eine Freiheitsstrafe erstrebt. Die Berufung konnte keinen Erfolg haben. Das Bezirksgericht hat den Sachverhalt unter Einbeziehung aller der Wahrheitsfindung dienenden Beweismittel umfassend und sorgfältig aufgeklärt und in zweifelsfreier Würdigung der Ergebnisse der Beweisaufnahme richtig festgestellt. Entgegen den nunmehr vom Angeklagten vorgebrachten Bedenken über die festgestellte Anzahl der eigenhändig durchgeführten Erschiessungen von Bürgern der Sowjetunion und den Umfang der Mitwirkung an der Ermordung der Insassen des Kinderheimes Jeisk ist das Beweisergebnis auch insoweit nicht zu beanstanden. Das Bezirksgericht hat sich zutreffend auf die Aussagen des Angeklagten in der Hauptverhandlung gestützt, die auch vollinhaltlich mit seinen während des Ermittlungsverfahrens dazu abgegebenen Erklärungen übereinstimmen. Es trifft zwar zu, dass die Angaben des Angeklagten dazu auf seinen Schätzungen beruhen und seine insoweit abgegebene Erklärung, sich infolge des Zeitablaufs nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern zu können, glaubhaft ist. Davon ist das Bezirksgericht auch ausgegangen. Deshalb hat es zutreffend der Verurteilung
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des Angeklagten nur die von ihm angegebenen Mindestzahlen der eigenhändigen Ermordungen zu Grunde gelegt. Das Bezirksgericht hat die Straftaten des Angeklagten auch rechtsfehlerfrei als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäss Artikel 6 Buchstaben b und c des Statutes für den Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg vom 8.August 1945 in Verbindung mit den Artikeln 8 und 91 der Verfassung der DDR, § 1 Abs.6 des Einführungsgesetzes zum StGB und zur StPO, §§91 Abs.1 und 2, 93 Abs.1 Ziff.2 und Abs.3 StGB, beurteilt und zutreffend festgestellt, dass diese Verbrechen gemäss § 1 Abs. l und 2 des Gesetzes über die Nichtverjährung von Nazi- und Kriegsverbrechen sowie der UNO-Konvention vom 26. November 1968 nicht der Verjährung unterliegen. Gegen diese rechtliche Beurteilung wendet sich der Angeklagte nur insoweit, als das Bezirksgericht einschätzt, die Verbrechen seien im besonders schweren Fall im Sinne der §§ 91 Abs. 2 und 93 Abs. 3 StGB begangen. Angesichts der Mitwirkung an der Ermordung von mindestens 7.802 und der eigenhändigen Tötung von mindestens 260 wehrlosen unschuldigen Bürgern der Sowjetunion geht dieser Einwand fehl. Vielmehr gebietet es das grosse Ausmass der verbrecherischen Aktivitäten des Angeklagten geradezu, die Straftaten als im besonders schweren Fall begangen zu beurteilen. Der vom Bezirksgericht hierzu gegebenen Begründung ist deshalb voll inhaltlich zuzustimmen. Das Bezirksgericht hat bei der Begründung der ausgesprochenen Strafe richtig ausdrücklich betont, dass der Angeklagte keine diesbezügliche Befehlsgewalt hatte, sondern die Verbrechen stets in Ausführung konkreter Befehle seiner Vorgesetzten begangen hat. Der mit der Berufung erneut vorgebrachte Einwand des Angeklagten, er konnte sich diesen Befehlen nicht ohne Gefahr für sein eigenes Leben entziehen, kann allerdings nicht zur erstrebten Strafmilderung führen. Befehlsgemässes Handeln darf nicht isoliert von den Gesamtzusammenhängen des Verbrechens betrachtet werden. Zunächst muss bei der Einschätzung der Bedeutung dieses Umstandes für die Strafzumessung hervorgehoben werden, dass sich der Angeklagte - wenngleich der Wunsch seines bei der Gestapo tätigen Vaters für seine Entscheidung mit von Bedeutung war - freiwillig in dieses bereits zu dieser Zeit auf Hochtouren laufende Terrorinstrument der faschistischen Gewaltherrschaft eingegliedert hat, dessen Aufgaben und Praktiken bei der Verfolgung von Nazigegnern ihm, seinen Einlassungen in der Hauptverhandlung zufolge (Bd. 13 Bl.89 R., 90, 91 d.A.), durch vertrauliche Mitteilungen seines Vaters bekannt waren. Seine bereits darin erkennbare Identifizierung mit den Zielen der faschistischen Machthaber und Bereitschaft, deren Interessen auch mit den Mitteln der "Ausrottung" durchzusetzen, wird schliesslich besonders daraus erkennbar, dass er, nach seinen eigenen Aussagen (vgl. Protokoll über die Hauptverhandlung Bd.13 Bl.95 R., 96 d.A.) "die zu erschiessenden Leute aus der anerzogenen ideologischen Einstellung hasste", "damals hinter der Politik von Mitler stand", die er "im Sonderkommando verwirklichte". Hinzu kommt, dass der Angeklagte während seiner gesamten verbrecherischen Tätigkeit nicht einmal ernsthaft versucht hat, sich den Mordbefehlen zu entziehen und für ihn eine akute lebensbedrohliche Situation nie bestand. Es bleibt daher festzustellen, dass der Angeklagte der Gestapo und SS in Kenntnis deren Aufgaben und Rolle im System des faschistischen Unterdrückungsapparates beigetreten ist und seine dort ausgeübte verbrecherische Tätigkeit auf der von den faschistischen Machthabern propagierten menschenverachtenden Weltanschauung beruhte, mit der er übereinstimmte. Wer aber in ideologischer Gleichgesinnung mit den verbrecherische Befehle erteilenden Vorgesetzten tätig wird, kann daraus, dass er befehlsgemäss handelte, für sich keine Strafmilderung ableiten. Schon gar nicht, wenn er sich über vorhandene "Zweifel" an der
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Richtigkeit der Massnahmen – wie sie der Angeklagte vorgibt gehabt zu haben (Bd.13 Bl.95 R.d.A.) – hinwegsetzt und letztendlich auch die unmenschlichsten Befehle bedingungslos "pflichtgemäss und diszipliniert" ausführt. Dem Bezirksgericht ist entgegen dem Verteidigungsvorbringen auch darin zuzustimmen, dass die Erziehung und ideologische Beeinflussung des Angeklagten im Sinne des Nazismus nicht geeignet ist, das Mass seiner Schuld zu verringern. Es hat dazu richtig ausgeführt, dass es unmöglich und unzumutbar ist, die Frage nach Inhalt und Ausmass strafrechtlicher Verantwortlichkeit für Kriegs- und Menschlichkeitsverbrechen unter Berücksichtigung menschenfeindlicher und verbrecherischer faschistischer Überzeugungen zu beantworten. Dieser vom Obersten Gericht der Deutschen Demokratischen Republik bereits im Urteil vom 6. April 1973 . 1 b Ust 7/73 . 170 herausgearbeitete Grundsatz hat nach wie vor uneingeschränkte Gültigkeit. Der Berufung ist zwar zuzustimmen, dass der Angeklagte nach der Rheumakur Ende März 1943 nicht wieder zum Sonderkommando 10a zurückgekehrt ist. Davon ist das Bezirksgericht auch ausgegangen. Es hat aber auch richtig erkannt, dass sich die Verantwortung des Angeklagten nach dem Inhalt und Umfang der begangenen Verbrechen bestimmt und nicht daran gemessen werden kann, ob er – wenn auch mit Eigeninitiative – es unterlassen hat, sich an diesen faschistischen Greueltaten weiter zu beteiligen. In diesem Zusammenhang muss auch darauf hingewiesen werden, dass sich der Angeklagte damit nicht von der Hitlerdiktatur distanziert, sondern diesem System als Angehöriger der Gestapo und SS bei der Unterdrückung des tschechoslowakischen Volkes in der okkupierten CSR weiter treu gedient hat. Schliesslich kann auch die seit der Begehung der Straftaten des Angeklagten vergangene Zeit keinen Einfluss auf die Strafzumessung haben. Es kann dem Straftäter, der als aktiver Verfechter eines verbrecherischen Systems so schwere Blutschuld auf sich geladen hat, nicht strafmildernd angerechnet werden, dass er es verstanden hat, sich über lange Zeit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu entziehen. Vor allem gebietet es die internationale, durch den Beitritt zur UNO-Konvention über die Nichtverjährung von Kriegsverbrechen völkerrechtlich dokumentierte Pflicht des sozialistischen Staates, solche Verbrechen konsequent zu verfolgen, um damit einen wirksamen Beitrag zu leisten, die Menschheit vor der Wiederholung solcher Greueltaten zu schützen. Die gegen den Angeklagten ausgesprochene Todesstrafe ist nach alledem angesichts der Schwere seiner im Dienste eines menschenfeindlichen Systems begangenen Verbrechen notwendig. Die Berufung des Angeklagten war daher in Übereinstimmung mit dem Antrag des Vertreters des Generalstaatsanwalts der Deutschen Demokratischen Republik als unbegründet zurückzuweisen. Bei dem gemäss §§ 58, 60 Abs. l StGB zwingend notwendigen Ausspruch der Aberkennung der staatsbürgerlichen Rechte hatte es zu verbleiben.
Die Entscheidung über die im Rechtsmittelverfahren entstandenen Auslagen beruht auf § 367 Abs.3 StPO.
170 Siehe Verfahren Lfd. Nr. 1041.
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Quelle: DDR-Justiz und NS-Verbrechen: Sammlung ostdeutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen, Band 1, herausgegeben von C. F. Rüter, L. Hekelaar Gombert, Dirk Welmoed de Mildt, Amsterdam University Press, 2002, 758 Seiten, S. 652–657, https://www.google.de/books/edition/DDR_Justiz_und_NS_Verbrechen/a4usj8DaaRkC?hl=de&gbpv=1&pg=PA652&printsec=frontcover
Leide, NS-Verbrecher und Staatssicherheit, 2011
Bearbeiten[S. 249:]
SS-Einsatzgruppe D - MfS-lnformant - Todesurteil: Johannes Kinder
Der Fall Johannes Kinder (Jg. 1912) belegt, dass eine langjährige IM-Tätigkeit nicht automatisch vor Verurteilung und Hinrichtung schützte. Kinder war Anfang 1939 als Kraftfahrer bei der Staatspolizeistelle Chemnitz angestellt worden. Es folgten Einsätze bei den Stapoleitstellen in Reichenberg (Liberec) und Prag und schließlich in der Außendienststelle Jitschin (Jicin). Im Frühjahr 1941 erfolgte seine Kommandierung zum Einsatz- bzw. Sonderkommando 10a der Einsatzgruppe D, der er bis März 1943 angehörte.366 Dann wechselte er zur Staatspolizeiaußendienststelle in Jungbunzlau (Mladà Boleslav). Nach dem Krieg leistete Kinder von 1945 bis 1948 zunächst für die sowjetische Geheimpolizei367 und von 1962 bis 1972 für die DDR-Staatssicherheit Informantendienste.368 Der Gestapobeamte Kinder alias »Ernst« galt als »einer der besten IM«.369 Die Staatssicherheit erreichte sogar seine vorzeitige Haftentlassung nach einer Verurteilung wegen eines kriminellen Delikts und versorgte ihn mit einem Pkw.370
Das Blatt wendete sich, als das MfS 1973 erneut, diesmal von der Bezirksstaatsanwaltschaft, Hinweise auf seine NS-Vergangenheit erhielt, unter anderem, dass er an Erschießungen von Juden beteiligt war.371 Weitere Ermittlungen bestätigten den Verdacht; Kinder wurde im Oktober 1974 in Untersuchungshaft
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genommen. Er gestand von ihm persönlich begangene Verbrechen und gab umfassend und detailliert Auskunft über das Einsatzkommando, etwa zu Mannschaftsstärke, Marschwegen und der Arbeit mit V-Männern.372 Aufgrund dieser Aussagen sowie zahlreicher Zeugen und Beweisdokumente aus der Sowjetunion verurteilte ihn das Bezirksgericht Karl-Marx-Stadt am 11. Juni 1976 wegen der Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode.373 Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Kinder »an der Ermordung von mindestens 7 802 wehrlosen sowjetischen Bürgern mitgewirkt« hatte, darunter 214 psychisch kranken und zum Teil körperbehinderten Kindern und Jugendlichen eines Kinderheims, die in einen der berüchtigten »Gaswagen« gesperrt worden waren.374 Darüber hinaus soll er mindestens 260 sowjetische Juden, darunter Mütter mit ihren Kindern, sowie kommunistische Funktionäre eigenhändig erschossen haben.375 Kinder wurde am 21. Oktober 1978 in Leipzig mittels Kopfschuss hingerichtet.376 Wie in solchen Fällen üblich, wurden die Todesursache und der Hinrichtungsort gegenüber der Öffentlichkeit geheim gehalten.377 Die ebenso späte wie für den langjährigen inoffiziellen Mitarbeiter sicher unerwartete Wendung hing offenbar mit Ermittlungsverfahren und Prozessen in der Bundesrepublik zusammen. Aufgrund von Ermittlungen der Zentralstelle Ludwigsburg sowie der Staatsanwaltschaft München 1 war es mittlerweile zu einigen Verfahren gegen mittleres Führerpersonal der Einsatzgruppe D gekommen.378 Die in diesen Prozessen verhängten Strafen, durchweg wegen Beihilfe zum Mord, boten der DDR eine günstige Gelegenheit, sich erneut als konsequentere NS-Aufarbeiterin darzustellen. Im Westen wurden selbst Teilkommandoführer lediglich zu Freiheitsstrafen von drei bis fünf Jahren verurteilt.379 Mit Todesurteilen und lebenslangen Haftstrafen präsentierte sich die DDR in dieser innerdeutschen Konkurrenz als Musterland der juristischen Aufarbeitung.380 Zu
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den Nebeneffekten der Hinrichtung zählte, dass Kinder das Wissen aus seinen langjährigen verdeckten Diensten für die sowjetische und die ostdeutsche Geheimpolizei mit ins Grab nahm.
366 (BV Karl-Marx-Stadt, Abt. IX): Vemehmungspro1okoll des Beschuldigten Kinder, Johannes, 11./12.10. 1974; BStU, MfS, HA IX/11, ZUV 43, Akte 1, BI. 74-90.
367 (KGB): Mineilung des Verbindungsoffiziers Taschzew, 28.8.1974; BStU, MfS, BV Chemnitz, AOP 1385/76, Bd. 11. BI. 189.
368 (Objektverwaltung »W« Karl-Marx-Stadt, selbsts1ändiges Referat VII): Bericht über geführte Aussprache und Werbung, 13.7. 1962; Objektverwaltung »W« Karl-Marx-Stadt, selbstständiges Referat VII: Beschluss zum Einstellen eines IM-Vorganges, 14.7. 1972; BStU, MfS, BV Chemnitz, AOP 1385n6, Bd. VI, Bl. 170-172 u. 526 f.
369 (Objektverwaltung »W« Karl-Marx-Stadt), selbstständiges Referat VII: Einschätzung der Ergebnisse der Zusammenarbeit mit dem IM »Ernst«, 14.7.1972; ebenda, BI. 522-525, hier 522.
370 Ebenda, BI. 523; (Objektverwaltung »W« Karl-Marx-Stadt, selbstständiges Referat VII): Aktenvermerk, 22.4. 1963; 23.4 1963; ebenda, Bl. 206 f.
371 Vgl. Information des Staatsanwalts des Bezirkes Karl-Marx-Stadt, Abt. 21/22 an die Untersuchungsabteilung der BV Karl-Marx-Stadt, 19.10. 1973; BStU, MfS, BV Chemnitz, AOP 1385/76, Bd. l, BI. 7-10.
372 Vgl. (BV Karl-Marx-Stadt, Abt. IX): Vemehmungsprotokoll des Beschuldigten Kinder, Johannes, 28.10.1974, 31.10.1974, 19.11.1974, 20. 11.1974, 3.1.1975, 21.10. 1975; ßStU, MfS. HA IX/11 , ZUV 43, Akte3, 81.55-62, 70-76, 112- 119, 124-12611. 129- 134.
373 Urteil (des 1. Strafsenats des Bezirksgerichts Karl-Marx-Stadt) in der Strafsache gegen den Verkaufsstellenleiter Johannes Kinder, o.D. ( 11.6.1976); BStU, MfS, HA IX/11 , ZUV 43, Akte 13, BI.201 - 233.
374 Ebenda, Bl. 230.
375 Ebenda, Bl. 212- 225.
376 Die geheime Todesliste des Henkers. In: Super Illu v. 30.10. 1991, S. 9 f.
377 Die Eintragung auf der Strafregisterkartei der Abt. Pass- und Meldewesen des MdI, wonach Kinder in Magdeburg verstorben sei, ist deshalb falsch und wird von den dort zuständigen Ämtern auch nicht bestatigt; (Mdl), Pass- und Meldewesen, Strafregisterkartei Kinder, Johannes; BStU, MfS, Strafnachrichten.
378 Vgl. Angrick: Besatzungspolitik, 2003, S. 716-730.
379 Vgl. ebenda, S. 727 f. ; AP-Meldung: Urteile im Münchner Judenmordprozess. In: Der Tagesspiegel v. 25.3. 1973; Späte Sühne für Morde an Juden. In: Süddeutsche Zeitung v. 19.11.1974.
380 Vgl. auch den Fall Merben Drabant, der 1975 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Vgl. UA XX/2: Bericht über den Abschluss des OV »Mörder« [ ... ), 30. 1.1975; BStU, MfS, AOP 16060179, Bd. 9, BI. 180-182; Generalstaatsanwalt der DDR, Abt. IA: Information zur Verfolgung der Kriegsver- | brechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der DDR, Mai 1981, Anlage 1: Liste der seit 1965 wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilten Personen; BStU, MfS, HA IX 9647, BI. 23- 30.
Quelle: Henry Leide, NS-Verbrecher und Staatssicherheit: Die geheime Vergangenheitspolitik der DDR, Kap.: SS-Einsatzgruppe D - MfS-lnformant - Todesurteil: Johannes Kinder, S. 249–251, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011, ISBN 9783525350188, https://books.google.de/books?id=GLPkEAAAQBAJ&pg=PA249
Literatur
Bearbeiten- C. F. Rüter, L. Hekelaar Gombert, Dirk Welmoed de Mildt: DDR-Justiz und NS-Verbrechen: Sammlung ostdeutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen, Band 1. Amsterdam University Press, Amsterdam 2002, ISBN 978-3-598-24622-7, S. 652–657. (Auszugsansicht bei Google Books)
- Henry Leide: NS-Verbrecher und Staatssicherheit. Die geheime Vergangenheitspolitik der DDR. Bundesarchiv/Stasi-Unterlagen-Archiv (Hg.), Wissenschaftliche Reihe Band 28, Göttingen 2005, ISBN 3-525-35018-X, S. 249–251. , Kapitel: SS-Einsatzgruppe D – MfS-Informant – Todesurteil: Johannes Kinder
- DDR-Justiz und NS-Verbrechen: Sammlung ostdeutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen, Band 1, herausgegeben von C. F. Rüter, L. Hekelaar Gombert, Dirk Welmoed de Mildt, Amsterdam University Press, 2002, 758 Seiten, S. 652, https://www.google.de/books/edition/DDR_Justiz_und_NS_Verbrechen/a4usj8DaaRkC?hl=de&gbpv=1&dq=%22Johannes+Kinder%22+NS+SS-Einsatzgruppe+D+Sowjetunion&pg=PA652&printsec=frontcover
- Bundesarchiv/Stasi-Unterlagen-Archiv (Hg.), Henry Leide, NS-Verbrecher und Staatssicherheit. Die geheime Vergangenheitspolitik der DDR, Wissenschaftliche Reihe Band 28, 1. Auflage, Göttingen 2005, Vandenhoeck & Ruprecht, ISBN 3-525-35018-X, SS-Einsatzgruppe D – MfS-Informant – Todesurteil: Johannes Kinder, S. 249, https://content.e-bookshelf.de/media/reading/L-3898974-babf558666.pdf
Verlinken in:
Bearbeiten- Oktober 1978, https://de.wikipedia.org/wiki/Oktober_1978
- Liste von in der DDR hingerichteten Personen, https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_in_der_DDR_hingerichteten_Personen
- Erschießung: Deutsche Demokratische Republik (DDR), https://de.wikipedia.org/wiki/Erschie%C3%9Fung#Deutsche_Demokratische_Republik_(DDR)
- Kinder, https://de.wikipedia.org/wiki/Kinder
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Henry Leide, NS-Verbrecher und Staatssicherheit: Die geheime Vergangenheitspolitik der DDR, Kap.: SS-Einsatzgruppe D - MfS-lnformant - Todesurteil: Johannes Kinder, S. 249–251, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011, ISBN 9783525350188, S. 249, Fußnote 369, (Digitalisat) unter Berufung auf: (Objektverwaltung »W« Karl-Marx-Stadt), selbstständiges Referat VII: Einschätzung der Ergebnisse der Zusammenarbeit mit dem IM »Ernst«, 14. Juli 1972; ebenda, Bl. 522-525, hier 522.