Sehr geehrte(r) XXX
Ich bitte im Voraus schon einmal um Entschuldigung, dass ich, bevor ich auf den eigentlichen Punkt komme, ein wenig aushole, da ich das zum Verständnis meines Anliegens als essentiell betrachte. Aber seien Sie unbesorgt, ich bin kein Spendensammler.
Am 16. Juli 2006 sagte der damalige Direktor der Göttinger Staats- und Universitätsbibliothek Elmar Mittler in seiner Einführung des Vortrages vom Mitgründer des Internetlexikons Wikipedia Jimbo Wales im Rahmen der ersten Academy, dass er der Entwicklung der Wikipedia einen ebenso großen Stellenwert wie der Schaffung der Enzyklopädie von Diderot und d'Alembert beimißt. Es ist derzeit müßig, ob das nicht am Ende vielleicht zu viel der Ehre war, dennoch ist auch jetzt schon ersichtlich, dass die Wikipedia vielleicht eines der bedeutendsten Projekte des Jahrzehnts ist. Mittlerweile gehört die Wikipedia zu den größten und am meisten aufgerufenen Webseiten im Internet. Bei den meisten Themen nehmen Artikel aus der Wikipedia die vorderen Plätze im Google-Ranking ein.
Die Berichterstattung in den Medien erfolgt sehr uneinheitlich. Manchmal gibt es große Lobeshymnen, andere Male harsche Kritik. Wie so oft, liegt die Wahrheit wohl in der Mitte. Was oft übersehen wird ist, dass die Wikipedia „Work in progress“ ist. Sie ist weder komplett noch fertig, an vielen Artikeln wird wohl dauerhaft gearbeitet. Das ist manchmal ein Fluch, andererseits aber auch das Pfund, mit dem das Projekt wuchern kann. Kein gedrucktes Lexikon ist so aktuell, kein Internetlexikon ist so umfangreich. Es gibt zwar mehrere ähnliche Projekte, Nachahmer oder gar Abspaltungen unzufriedener früherer Wikipedianer, doch konnte sich keines der anderen Projekte in der Realität neben der Wikipedia ernsthaft behaupten.
Leider sorgen kritische Beiträge wie derzeit eine Kampagne der Bildzeitung oder zuvor vorsätzlich eingebrachte Fehler durch die Süddeutsche Zeitung dafür, dass die Wikipedia vielleicht in einem schlechteren Lichte dasteht, als sie ist. Allzu häufig wird die Wikipedia nicht zuletzt von dieser kritischen Presse falsch dargestellt. Es ist nämlich mitnichten so, dass in der Wikipedia jeder alles schreiben darf. Die Wikipedia - und damit auch die Autoren - ist der Neutralität verpflichtet, Wertungen sollen vermieden werden. Es soll auch nur der anerkannte Wissensstand abgebildet werden, eigene Meinungen und Theorien sollen aus der Wikipedia herausgehalten werden. Das Projekt ist kein Forschungsprojekt, sondern stellt nur das dar, was allgemein anerkannt ist oder kennzeichnet Meinungen und Theorien, die nicht als gängig anzusehen sind, als solche. Das „frei“ im Titel „Wikipedia - die freie Enzyklopädie“ meint, dass die Inhalte der Wikipedia frei nutzbar sind. Auf diesen Punkt werde ich noch einmal zu sprechen kommen.
Nichts desto trotz sind wir uns unserer Probleme und Lücken durchaus bewußt. Oftmals ist die vorgebrachte Kritik berechtigt. Deshalb - und jetzt komme ich endlich zu meinem Anliegen - wende ich mich heute an Sie. Sie sind mir als ausgewiesener Fachmann bekannt, darum wollte ich Sie bitten, ob Sie nicht vielleicht Lust hätten, einmal ganz gezielt einen Artikel für die Wikipedia zu schreiben (am Ende werde ich Ihnen einen direkten Vorschlag machen). Unter den Mitarbeitern finden sich durchaus einige Personen die Ahnung von der Thematik haben. Dennoch sind wir immer noch zu wenige, um allen Artikeln die Aufmerksamkeit zu widmen, die denen zustehen müßte. So sind heute etliche wichtige Themenbereiche in einem noch nicht wirklich guten Zustand. Wir haben zwar schon viele Artikel, die von der Wikipedia-Gemeinschaft als „Lesenswert“ oder gar „Exzellent“ eingestuft werden - so im Bereich der Altertumswissenschaften derzeit etwa 100 - doch ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Deshalb wollen wir einmal probieren, ob wir nicht mit Hilfe von externen Fachleuten (die natürlich, wenn sie es wollen, jederzeit auch „reguläre“ Projektmitarbeiter werden können) das Niveau anheben können. Da ich mit Ihnen und etwa zehn anderen ausgewiesenen Fachleuten beginne, ist auch der Fachbereich „Altertumswissenschaften“ der Vorreiter auf diesem Gebiet.
Persönlicher Text mit speziellen Vorschlägen
Wenn Sie auf meine Bitte eingehen würden, würde ich Ihnen natürlich jederzeit mit Rat und Tat zur Seite stehen. Neben mir könnten Sie sich auch an alle anderen Mitarbeiter der internen Wikipedia-Redaktion Geisteswissenschaften wenden. Ein häufig angesprochenes Problem ist die Sorge der Fachleute, daß ihre Arbeit womöglich nicht gewürdigt oder gar zerstört werden würde. Doch ist es so, dass jeder Artikel in jeder Version durch einen Permanentlink abrufbar und somit jederzeit zitierbar ist. Im allgemeinen werden fachliche Artikel höchstens technisch verändert oder in kleiner Weise ergänzt. Manchmal tritt auch, bedingt durch das offene Wikipediasystem sogenannter Vandalismus auf, der jedoch problemlos und im Normalfall innerhalb kürzester Zeit rückgängig gemacht wird.
Mir persönlich sind einige Professoren bekannt, die in der Wikipedia mitarbeiten. Erwähnen möchte ich hier namentlich nur den Beisitzer im Vereinsvorstand des Vereines Wikipedia Deutschland e.V. Professor Martin Haase und den Althistoriker Volker Fadinger, die sich beide auf ihren Benutzerseiten öffentlich dazu geäußert haben. Hinzu kommen viele weitere Doktoren, Doktoranden oder Magister, die mit ihrem „know how“ versuchen, das Projekt voran zu bringen. Ich kann nur hoffen, dass ich Sie neugierig machen konnte und Sie sich einmal überlegen, ob Sie nicht einmal den Versuch unternehmen wollen, und auch etwas zur Wikipedia beisteuern wollen.
Sicher könnte ich noch vieles schreiben, mit dem Ziel, Ihnen unser Projekt schmackhaft zu machen, doch sollte es hier erstmal genug sein. Für Rückfragen - sei es auf dem Post-, Telefon- oder elektronischem Wege, stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Marcus Cyron
Nachtrag: Neben dem postalischen Weg werde ich Ihnen auch eine E-Mail zukommen lassen, der Sie auf diesen Brief in elektronischer Form in der Wikipedia weiterleitet. Dort sind dann einige Punkte zusätzlich verlinkt, die Sie bei Interesse zu einer weiteren Lektüre einladen sollen und auf ein paar Seiten hinweisen, in denen das Projekt Wikipedia etwas ausführlicher dargestellt wird, als es hier in einem Brief möglich ist.