Kahane war wiederholt Ziel heftiger Angriffe, hauptsächlich von rechtsextremer Seite, die antisemitische und sexistische Stereotype mit dem Aufgreifen ihrer IM-Vergangenheit kombinierten. Bereits 2007 etablierte Thorsten Hinz in einem Artikel in der Jungen Freiheit ein „klassisches rechtsextremes Feindbild: jüdisch, Spitzel und Bolschewiki“[1], wie die Politikwissenschaftlerin Britta Schellenberg schrieb. 2010, im Zusammenhang der Kritik Kahanes an Antisemitismus in der DDR und in der deutschen Gesellschaft allgemein, untersuchte der Historiker Martin Jander Meinungsäußerungen und Hassausbrüche gegen Kahane im Internet und konnte dort das Stereotyp des jüdischen Verräters identifizieren. An diesen Angriffen waren damals neben Rechtsradikalen auch Islamisten, Rechtskonservative und linke Antiimperialisten beteiligt.[2] In einem Gutachten zur „rechten Kampagne gegen die Amadeu-Antonio-Stiftung“, das die Stiftung selbst beauftragt hatte, analysierte der Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn anhand von Medienbeiträgen, Postings in den sozialen Medien und Zuschriften an die Stiftung unter anderem eine weitere Häufung solcher personalisierter Angriffe auf Kahane in den Jahren 2015 und 2016. Auffallend waren insbesondere bildliche Darstellungen: Fotomontagen in den sozialen Medien, die Kahane mit Symbolen des Judentums und des sowjetischen Kommunismus zeigten.[3] Eine solche Montage veröffentlichte später unter anderem auch der AfD-Bundestagsabgeordnete Petr Bystron, wie der Historiker Götz Aly 2018 in einem Zeitungskommentar festhielt.[4] Dazu kamen sexistische Gewaltfantasien, die vor allem in E-Mails an die Stiftung stark vertreten waren.[5] Die Angriffe konnten bis zu Morddrohungen und Mordplänen gehen; so stand Kahane unter anderem auf einer Liste möglicher Anschlagsziele der Gruppe um Franco A., gegen die die Terrorermittlungen gegen Bundeswehrsoldaten 2017 gerichtet waren, wie der Historiker Wolfram Wette berichtete.[6]

  1. Britta Schellenberg: Die Rechtsextremismus-Debatte: Charakteristika, Konflikte und ihre Folgen. 2. Auflage, Springer VS, Wiesbaden 2013, ISBN 978-3-658-04176-2, S. 208 f. und Fn. 843.
  2. Martin Jander: Menschenjäger. Vielstimmige antisemitische Treibjagd auf Anetta Kahane (unveröffentlichtes Manuskript, August 2010), Berlin; zitiert nach Samuel Salzborn: Als Meinungsfreiheit getarnter Hass. Die rechte Kampagne gegen die Amadeu Antonio Stiftung. Wissenschaftliches Gutachten im Auftrag der Amadeu Antonio Stiftung. 2016, S. 30f.
  3. Samuel Salzborn: Als Meinungsfreiheit getarnter Hass. Die rechte Kampagne gegen die Amadeu Antonio Stiftung. Wissenschaftliches Gutachten im Auftrag der Amadeu Antonio Stiftung. 2016, S. 30.
  4. Götz Aly: Der antisemitische Hass gegen Anetta Kahane. In: Berliner Zeitung, 2. Oktober 2018.
  5. Samuel Salzborn: Als Meinungsfreiheit getarnter Hass. Die rechte Kampagne gegen die Amadeu Antonio Stiftung. Wissenschaftliches Gutachten im Auftrag der Amadeu Antonio Stiftung. 2016, S. 35f.
  6. Wolfram Wette: Bundeswehr: Franco A. und die anderen. In: Zeit Online, 12. Mai 2017.

Zweiter Anlauf

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Kahanes Tätigkeit als Informelle Mitarbeiterin der Staatssicherheit war 2002 durch Zeitungsberichte bekanntgeworden, sie selbst hatte sie bis dahin nicht offengelegt.[1] Erst in ihrer Autobiografie „Ich sehe was, was du nicht siehst“ berichtete sie ausführlicher darüber. Sowohl die IM-Tätigkeit selbst als auch ihr Umgang damit fanden ein unterschiedliches Echo in den Medien. So schrieb Uwe Müller 2007 in der WELT, Kahane habe eine Vielzahl von Personen belastet,[2] während Peter Schneider urteilte, sie habe keinen Zweifel daran gelassen, dass sie sich ihres Irrwegs schäme.[3] Kahane selbst beauftragte 2012 den Politikwissenschaftler Helmut Müller-Enbergs, Art und Folgen ihrer Tätigkeit als IM zu untersuchen, und stellte ihm dazu alle ihr zugänglichen Akten zur Verfügung. Müller-Enbergs kam zu dem Ergebnis, dass aus den Akten kein Hinweis auf eine Schädigung anderer Personen durch Kahanes Tätigkeit abzuleiten sei; freilich habe die Übermittlung jeder Art von Informationen das Risiko einer solchen Schädigung impliziert.[4] Der Historiker Hubertus Knabe kam in einem Beitrag für die Zeitschrift Focus hingegen zu dem Schluss, bei Kahanes IM-Tätigkeit habe es sich um einen „mittelschweren Fall“ gehandelt.[5] Dem widersprach wiederum der Zeithistoriker Jens Gieseke: Eine solche Beurteilung könne nur aus der Würdigung der Gesamtpersönlichkeit getroffen werden und nicht allein aus den Akten der Staatssicherheit.[6] Johannes Boie meinte in der Süddeutschen Zeitung, dass Kahanes IM-Vergangenheit „viel diskutiert und kritisiert“ worden sei.[7]

Negative Bewertungen von Kahanes Vergangenheit waren häufig verbunden mit Angriffen auf die aktuelle Tätigkeit Kahanes, insbesondere in der Amadeu-Antonio-Stiftung.[8] Das war insbesondere der Fall, nachdem der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas 2015 zu einer „Task Force“ gegen rechte Hassreden im Internet neben den großen Internetfirmen und verschiedenen zivilgesellschaftlichen Initiativen auch die AAS, vertreten durch ihre Vorsitzende Kahane, eingeladen hatte. So schrieb Vera Lengsfeld, unmittelbar nachdem diese Einladung publiziert worden war, auf ihrer Facebook-Seite, dass Kahane nun „wieder mit Ausarbeitung von Spitzel-Richtlinien“ beschäftigt werde, und wiederholte ähnliche Äußerungen auch im März 2016 auf ihrer Website.[9] Auch in Knabes Focus-Beitrag wurde der Zusammenhang zwischen IM-Tätigkeit und Task Force gegen rechte Hassrede im Internet bereits in der Überschrift hergestellt: „Stasi-IM als Netz-Spionin?“[10]

Im Anschluss an diese und ähnliche Beiträge entwickelte sich in den Jahren 2015 und 2016 im Internet und in rechten Medien eine Häufung von Angriffen auf die Stiftung und Kahane persönlich. Die AAS beauftragte daraufhin den Politikwissenschaftler Samuel Salzborn, das Geschehen wissenschaftlich zu untersuchen. Sein Gutachten wurde auf der Seite der Auftraggeberin veröffentlicht.[11] Salzborn kam zu dem Ergebnis, dass es eine Kampagne gegen die Stiftung im Sinne eines inszenierten und geplanten Vorgehens nicht gegeben habe, wohl aber im Sinne eines Zusammenwirkens punktueller gemeinsamer Interessen unterschiedlicher Akteure.[12] So sei Lengsfelds Facebook-Post noch am selben Tag von diversen AfD-Funktionären verwendet und aufgegriffen worden.[13] Hier sei mit der Zusammenstellung von IM-Tätigkeit und Task Force ein „Vergleich der Bundesrepublik mit der DDR resp. dem damaligen Ministerium für Staatssicherheit“ unternommen worden.[14] Es werde suggeriert, „die BRD folge mit Blick auf das Internet Überwachungspraktiken der DDR“.[15] Nach medialen Auslösern habe es immer wieder Aufgipfelungen von Hassreden im Internet gegeben, die sich 2016 zu einer regelrechten Kampagne gesteigert hätten.[16] Im Zuge solcher Hassreden lasse sich eine Personalisierung auf Anetta Kahane und insbesondere die Aufnahme antisemitischer Züge in ihr öffentliches Bild erkennen.[17]

Ein stereotypes antisemitisches Hassbild von Kahane war in rechtsextremen Kreisen schon länger gezeichnet worden.[18] Die Politikwissenschaftlerin Britta Schellenberg sah dies schon in einem Porträt Kahanes von Thorsten Hinz in der Jungen Freiheit 2007 gegeben, in dem Hinz Judentum, Verrat und Kommunismus in Form eines „klassisch rechtsextremen Feindbilds“ kombiniert habe.[19] Salzborn referiert ein Gutachten des Historikers Martin Jander, der 2010 im Zusammenhang von Äußerungen Kahanes zu Isrealbild und Antisemitismus in deutschen Medien Meinungsäußerungen und Hassausbrüche im Internet sammelte und dort das Stereotyp des „jüdischen Verräters“ identifizieren konnte, das in diesem Fall neben Rechtsextremen auch „Islamisten, Rechtskonservative und linke Antiimperialisten“ gepflegt hätten.[20] Die Untersuchung Salzborns selbst zeigt eine weitere Häufung antisemitischer Angriffe auf Kahane ab 2015, besonders markant in bildlichen Darstellungen: Fotomontagen in den sozialen Medien, die Kahane mit Symbolen des Judentums und des sowjetischen Kommunismus zeigten, unter anderem publiziert von dem AfD-Bundestagsabgeordneten Petr Bystron und danach in zahlreichen sozialen Netzwerken weiterverbreitet.[21] Dazu kamen sexistische Gewaltfantasien, wie sie besonders in E-Mails an die Stiftung stark vertreten waren.[22] Die Angriffe gingen noch darüber hinaus bis zu Morddrohungen und Mordplänen. So stand Kahane auf einer Liste von Anschlagszielen der Gruppe um Franco A.

  1. Barbara Junge: John-Nachfolge: Kandidatin war Stasi-IM. Tagesspiegel, 9. Oktober 2002.
  2. Uwe Müller: Birthler-Behörde ließ Stasi-Spitzel einladen. In: Die Welt, 25. September 2007.
  3. Peter Schneider: Anetta Kahane und die Amadeu Antonio Stiftung. In: Peter Schneider: An der Schönheit kann's nicht liegen, München 2016, S. 232.
  4. Helmut Müller-Enbergs: Zusammenfassende gutachterliche Stellungnahme zu Frau Anetta Kahane und die DDR-Staatssicherheit.
  5. Hubertus Knabe: Stasi-IM als Netz-Spionin? In: Focus, Dezember 2016.
  6. Matthias Meisner: Streit um die Stasi-Vergangenheit von Anetta Kahane, Tagesspiegel, 13. 12. 2016
  7. Johannes Boie: Was heißt hier Hass?, in: Süddeutsche Zeitung. 22. August 2018.
  8. Salzborn-Gutachten, S. 11ff.
  9. Salzborn-Gutachten, S. 11f.
  10. Hubertus Knabe: Stasi-IM als Netz-Spionin? In: Focus, Dezember 2016; Matthias Meisner: Streit um die Stasi-Vergangenheit von Anetta Kahane, Tagesspiegel, 13. 12. 2016.
  11. Salzborn-Gutachten; Matthias Meisner: Weiter Staatsgeld für Amadeu-Antonio-Stiftung, Tagesspiegel, 7. EDezember 2016.
  12. Salzborn-Gutachten, S. 9.
  13. Salzborn-Gutachten, S. 11.
  14. Salzborn-Gutachten, S. 12.
  15. Salzborn-Gutachten, S. 28.
  16. Salzborn-Gutachten, S. 17 ff.
  17. Salzborn-Gutachten, S. 30 ff.
  18. Vgl. Britta Schellenberg: Die Rechtsextremismus-Debatte. Charakteristika, Konflikte und ihre Folgen, 2. Auflage, Springer VS, Wiesbaden 2014, S. 208-209; Salzborn-Gutachten, S. 30ff.; Götz Aly: Der antisemitische Hass gegen Anetta Kahane. Berliner Zeitung, 2. Oktober 2018.
  19. Britta Schellenberg: Die Rechtsextremismus-Debatte. Charakteristika, Konflikte und ihre Folgen, 2. Auflage, Springer VS, Wiesbaden 2014, S. 208-209.
  20. Salzborn-Gutachten, S. 31.
  21. Salzborn-Gutachten, S. 30ff., 34ff.; Paul Garbulski: Wenn virtuelle Gewalt von rechts real wird. Vice.com, 26. April 2016; Götz Aly: Der antisemitische Hass gegen Anetta Kahane. Berliner Zeitung, 2. Oktober 2018.
  22. Salzborn-Gutachten, S. 35.