Als Stoffrecht wird in Deutschland zunehmend ein Teilbereich des Umweltrechts mit Bezügen zum Arbeitsschutz-, Chemikalien- und Gefahrenabwehrrecht bezeichnet. Der Begriff beginnt sich allmählich in der Fachliteratur als eigenständiges Sachgebiet zu etablieren. Er erscheint zunehmend in Monographien,[1] ohne dass sich bisher eine einheitliche Definition herausgebildet hätte. In der österreichischen und schweizerischen Literatur gibt es ebenfalls noch keine einheitliche Definition.
Rezeption des Begriffs durch die Gesetzgeber
BearbeitenIm Gliederungsverzeichnis des Fundstellennachweises A des deutschen Bundesrechts ist der Begriff als eigenständiges Sachgebiet bislang nicht gelistet. Der Begriff erscheint – außer in Wortzusammensetzungen wie Gefahrstoffrecht – auch nicht in deutschen Rechtsvorschriften.
In der Gliederung des österreichischen Rechtsinformationssystem des Bundes findet sich ebenso kein Eintrag.[2] Entsprechendes gilt für eine Suche in den österreichischen Rechtsvorschriften.[3]
In der schweizerischen Systematischen Sammlung des Bundesrechts erscheint der Begriff ebenfalls nicht.[4]
Auch in europäischen Rechtsvorschriften ist der Begriff noch so gut wie unbekannt.[5] Die seit den 1960er Jahren laufenden Harmonisierungsbemühungen in der Europäischen Union, vor allem durch die Richtlinie 67/548/EWG (Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe), konnten bisher keine Systematisierung des Gebiets als solches erreichen. Um ein eigenständiges Rechtsgebiet handelt es sich beim Stoffrecht deshalb bis heute nicht.[6]
Erscheinungsformen in der deutschen umweltrechtlichen Fachliteratur
BearbeitenDie Erscheinungsformen in der umweltrechtlichen Fachliteratur beruhen in der Regel auf autonomen Betrachtungen der jeweiligen Autoren. Die Blickwinkel sind unterschiedlich, sodass sich allgemeingültige objektive Konturen für den Begriff bisher noch nicht herausgebildet haben.
Stoffrecht als vorsorgeorientiertes Umweltrecht
BearbeitenEin Teil der Literatur versteht das Stoffrecht als Teil des vorsorgeorientierten Umweltrechts. Es solle der Beherrschung von Risiken und Gefahren, die von Stoffen ausgehen, und zugleich dem Schutz der Umwelt sowie der in ihr lebenden Menschen dienen. Daneben soll das Stoffrecht aber auch konkret die Personen schützen, die Umgang mit den Stoffen haben. Daher weise es starke Bezüge zum Gefahrenabwehrrecht sowie Verknüpfungen zum Arbeitsschutzrecht auf.
Stoffrecht stehe für eine übergeordnete Rechtsgebietsbezeichnung, die nicht nur künstlich hergestellte oder zumindest aufbereitete chemische Verbindungen (die dem Chemikalienrecht zugeordnet werden), sondern auch die unbearbeitet gebliebenen Stoffe erfasse. Stoffrecht solle über das Gefahrstoffrecht hinausgehen, soweit es nicht nur den Umgang mit Stoffen wegen ihrer bestehenden oder möglichen Gefährlichkeit regele, sondern spätestens seit der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH-Verordnung) Stoffe auch unabhängig von ihrem Gefahrenpotenzial erfasse.[7]
Originäres Stoffrecht und Sektorales Umweltrecht
BearbeitenEin Teil der Literatur unterscheidet zwischen originärem Stoffrecht und sektoralem Umweltrecht. Zum originären Stoffrecht wird die europäische Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH-Verordnung) gezählt, die ein Registrierungsverfahren mit einer Dossier- und Stoffbewertung, ein Zulassungsverfahren für besonders besorgniserregende Stoffe und Beschränkungen für bestimmte gefährliche Stoffe, Gemische und Erzeugnisse vorsieht.
Zum sektoralen Umweltrecht gehören demgegenüber das Wasser- und das Immissionsschutzrecht.
Als europäische Rechtsnormen des Wasserrechts kommen die Richtlinie 2000/60/EG (Wasserrahmenrichtlinie), die Richtlinie 2008/105/EG (Umweltqualitätsnorm-Tochter-Richtlinie) und die Richtlinie 91/271/EWG (Behandlung von kommunalem Abwasser) in Betracht. Die Instrumente des deutschen Wasserrechts zum Schutz vor gefährlichen Stoffen regelt vor allem das Wasserhaushaltsgesetz (WHG).
Zum europäischen Immissionsschutzrecht zählen die Richtlinie 2010/75/EU (Integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) und in Deutschland vor allem das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG).[8]
Stoffrecht und Gefahrstoffrecht
BearbeitenStoffrecht findet sich in der Literatur oft noch aus dem alleinigen Blickwinkel der Gefahrenabwehr in Form des Kompositums Gefahrstoffrecht.
Das Gefahrstoffrecht im engeren Sinne sei auf die präventive Gefahrstoffkontrolle gerichtet und solle die Umwelt durch spezifische Regelungen über das Inverkehrbringen von und den Umgang mit gefährlichen Stoffen schützen. Zentrale praktische Bedeutung komme der europäischen REACH-Verordnung und der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP-Verordnung) zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von chemischen Stoffen und Gemischen im Binnenmarkt zu, die nationales Recht immer mehr überlagerten.
Im nationalen deutschen Recht gehörten zum Gefahrstoffrecht im engeren Sinne das Chemikaliengesetz als allgemeines Gefahrstoffrecht sowie zahlreiche Spezialgesetze, etwa das Pflanzenschutzgesetz, das Düngegesetz, das Arzneimittelgesetz oder das Benzinbleigesetz. Das Chemikaliengesetz werde durch eine Vielzahl nationaler Rechtsverordnungen ergänzt. Dazu gehörten u. a. die Chemikalien-Verbotsverordnung, die Gefahrstoffverordnung, die Chemikalien-Klimaschutzverordnung und die Biozid-Meldeverordnung – (ChemBiozidMeldeV).
Zum Gefahrstoffrecht im weiteren Sinne gehörten dagegen das BImSchG und das WHG.[9]
Bedeutung in der österreichischen Literatur
BearbeitenIn Österreich wird der Begriff stärker als in Deutschland auf den Umgang mit chemischen Substanzen bezogen. Das Arbeitnehmerschutzrecht gilt nicht als Teil des Stoffrechts.[10] Auch das Transportrecht wird dem Stoffrecht nicht zugerechnet.[11][12]
Das österreichische Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus ordnet dem nationalen Stoffrecht Österreichs u. a. das Chemikaliengesetz 1996[13], das Wasserrechtsgesetz 1959 und das Abfallwirtschaftsgesetz 2002 zu.[14]
Auswirkungen auf das nationale Stoffrecht Österreichs haben nach Auffassung des BMNT folgende EU-Rechtsnormen und internationale Übereinkommen:
- die Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen (CLP-Verordnung),
- die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH-Verordnung),
- das RAPEX-Meldeverfahren nach der Richtlinie 2001/95/EG über die allgemeine Produktsicherheit,
- die Verordnung (EG) Nr. 1005/2009 über Stoffe, die zum Abbau der Ozonschicht führen,[15]
- die Verordnung (EU) Nr. 517/2014 über fluorierte Treibhausgase,
- die Richtlinie 2004/10/EG für die Anwendung der Grundsätze der Guten Laborpraxis und zur Kontrolle ihrer Anwendung bei Versuchen mit chemischen Stoffen,
- das Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe (POP-Konvention) vom 22. Mai 2001,
- das Minamata-Übereinkommen über Quecksilber vom 10. Oktober 2013,
- die Verordnung (EU) 2017/852 über Quecksilber und zur Aufhebung der VO (EG) Nr. 1102/2008, die im Rahmen der Umsetzung des Minamata-Übereinkommens über Quecksilber erging,
- die Richtlinie 2010/75/EU über Industrieemissionen.[16]
Bedeutung in der schweizerischen Literatur
BearbeitenIn der Schweiz versteht die Eidgenössische Fachkommission für biologische Sicherheit Stoffrecht und Chemikaliengesetzgebung als Synonyme.[17]
In einem Forschungsbericht im Auftrag des Bundesamts für Umwelt wird als Schutzobjekt des Stoffrechts in der Schweiz die natürliche Umwelt des Menschen angesehen. Die wenigen Bestimmungen des Bundesgesetzes über den Umweltschutz (Umweltschutzgesetz – USG) in diesem Bereich zielten auf den Schutz von Mensch und Umwelt vor Belastungen durch umweltgefährdende Stoffe.[18] Das schweizerische Stoff- bzw. Chemikalienrecht habe in den letzten Jahren zahlreiche Änderungen erfahren, die im Wesentlichen auf Angleichungen an das europäische Recht zurückzuführen seien und damit auch einen höheren Schutz gewährleisteten. Allerdings besteht kein bilaterales Abkommen bezüglich einer Beteiligung der Schweiz am EU-System zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien (REACH).[19][20]
Andere Bedeutungen außerhalb des Umweltrechts
BearbeitenStoffrecht und Filmverwertungsrecht
BearbeitenDas Recht an einem literarischen Stoff, das zum Zwecke der Herstellung eines Films erworben wird, wird in der Rechtsprechung teilweise als Stoffrecht – gemeint ist hier eine Berechtigung („Recht am Stoff“), nicht ein Rechtsgebiet – bezeichnet.[21] Gesetzessystematisch ist es ein Teilaspekt der Urheberrechts. Im Steuerrecht wird das Stoffrecht nicht als eigenständiges Wirtschaftsgut, sondern als Teil des später entstehenden Filmverwertungsrechts gesehen.[22]
Stoffrecht und Sprengstoffe
BearbeitenWeniger aus dem Blickwinkel der allgemeinen Beschaffenheit und Umweltgefährlichkeit von Stoffen befasst sich das Sprengstoffrecht mit der spezifischen Gefährlichkeit von explosionsgefährlichen Stoffen vor allem mit dem Ziel, Leben, Gesundheit und Eigentum der Allgemeinheit vor Schäden zu bewahren. Das Sprengstoffrecht ist nach dem Fundstellennachweis A des deutschen Bundesrechts dem Gewerberecht zugeordnet.
Literatur
Bearbeiten- Klausbruckner, Carmen, Produkt-Stoffrecht, Wien 2018, ISBN 978-3-7097-0180-5 (zum österreichischen Recht).
- Kloepfer, Michael, Umweltrecht, 4. Aufl., München 2016, § 19: Stoffrecht, ISBN 978-3-406-68847-8.
- Koch/Hofmann/Reese, Handbuch Umweltrecht, § 12: Stoffrecht, 5. überarbeitete Auflage, München 2018, ISBN 978-3-406-71058-2.
- Löffler, Lisa, Integrierter Schutz vor gefährlichen Stoffen, Auswirkung und Operationalisierung der REACH-Verordnung im Wasser- und Immissionsschutzrecht, Diss., Baden-Baden 2020, ISBN 978-3-8487-5757-2.
- Merenyi, Stefanie, Stoffrecht: Systematisches Rechtsgebiet oder unkoordinierte Normproduktion?, StoffR 2011, 165–174.
- Merenyi, Stefanie, Der Stoffbegriff im Recht: Eine interdisziplinäre Studie zum Stoffrecht unter Berücksichtigung des auf Stoffe gerichteten Patentwesens. Mohr Siebeck, Tübingen 2019, ISBN 978-3-16-156785-8.
- Rengeling, Hans-Werner, Europäisches Chemikalien- und Stoffrecht – Entwicklungen zur Umgestaltung des deutschen Rechts –, DVBl. 2005, 393 ff.
- Rengeling, Hans-Werner, Europäisches Stoffrecht, Schriften zum deutschen und europäischen Umweltrecht, Band 35, Köln 2009, ISBN 978-3-452-27200-3.
- Rengeling, Hans-Werner, Harmonisierung und Systematisierung im Europäischen Stoffrecht, DVBl. 2009, 605 ff.
- Wagner, Julian und Spiecker gen. Döhmann, Indra, Einführung in das Stoffrecht – Europäisierungstendenzen im Umweltrecht, in JuS 2016, 413 ff.
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Vgl. etwa Kloepfer, Umweltrecht, § 19: Stoffrecht; Pache in Koch/Hofmann/Reese, Handbuch Umweltrecht, § 12: Stoffrecht; Rengeling, Hans-Werner, Europäisches Stoffrecht, Köln 2009.
- ↑ Index des Bundesrechts, abgerufen am 13. Februar 2021.
- ↑ Suchabfrage im konsolidierten Bundesrecht mit dem Stichwort „Stoffrecht“, abgerufen am 13. Februar 2021.
- ↑ Fedlex – Stichwort „Stoffrecht“, abgerufen am 13. Februar 2021.
- ↑ Vgl. lediglich zwei Erwähnungen in der EUR-Lex-Datenbank, abgerufen am 7. Februar 2021.
- ↑ Merenyi, Stefanie, StoffR 2011, 165–174.
- ↑ Zu Vorstehendem: Wagner/Spiecker gen. Döhmann, JuS 2016, 413 ff.
- ↑ Vgl. Löffler, Lisa, Integrierter Schutz vor gefährlichen Stoffen, Auswirkung und Operationalisierung der REACH-Verordnung im Wasser- und Immissionsschutzrecht, Diss., Baden-Baden 2020.
- ↑ Vgl. Uwer in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Risikobereich und Haftung: Umweltrecht.
- ↑ Stellungnahme der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt an das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft in einem Gesetzgebungsverfahren vom 6. Mai 2011.
- ↑ Sušnik, Marko (WKO), CLP/GHS - Die neuen Einstufungs- und Kennzeichnungsvorschriften (PDF; 939 kB), S. 1.
- ↑ Regierungsvorlage zum Chemikaliengesetz 1996 (ChemG-Novelle 2011) vom 11. Oktober 2011 mit Vorblatt und Erläuterungen (PDF; 330 kB), S. 12.
- ↑ Chemikaliengesetz 1996 im RIS
- ↑ Chem News XXV – Stoffpolitische Schwerpunkte der Abteilung Chemiepolitik und Biozide des BMNT (PDF; 8,9 MB), Wien 2018, S. 77 ff., abgerufen am 14. Februar 2021.
- ↑ ABl. L 286 vom 31. Oktober 2009, S.1.
- ↑ ABl. Nr. L 334 vom 17. Dezember 2010, S. 17, in der Fassung der Berichtigung ABl. Nr. L 158 vom 19. Juni 2012, S. 25.
- ↑ Ansicht der EFBS – Risikorelevante Kriterien zur Beurteilung von Tätigkeiten im Bereich synthetischer Biologie und deren Regulierung, Oktober 2018 (PDF; 408 kB), abgerufen am 13. Februar 2021.
- ↑ Brunner, Ursula und Looser, Martin, Schutzintensität und Interessen im Umweltrecht – Eine Auswertung von neun umweltrechtlichen Erlassen – Schlussbericht zu einem Forschungsauftrag des Bundesamts für Umwelt (PDF; 3,76 MB), Zürich 2012, S. 68 ff. (Rdnr. 159 ff.).
- ↑ Brunner/Looser, S. 68 (Rdnr. 162).
- ↑ Chemikaliensicherheit / REACH. Direktion für europäische Angelegenheiten DEA, abgerufen am 14. Februar 2021.
- ↑ OLG München, Urteil vom 4. März 1999 – 29 U 5745/98 –, juris.
- ↑ FG München, Urteil vom 15. Oktober 2014 – 1 K 3521/11 –, juris, rechtskräftig.
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