Remo Althaus

Eugen Bircher, 1935
Hans Frölicher, 1937

Während des Zweiten Weltkrieg gab es verschiedene Schweizerischen Ärztemissionen die in verschiedene vom Krieg direktbetroffene Länder reisten. Die bekanntesten und umstrittensten waren vier Ärztemissionen, die an die deutsch-sowjetische Ostfront reisten. Getarnt als neutrale und humanitäre Missionen unter dem Patronat des Schweizerischen Roten Kreuz (SRK), waren es tatsächlich Ärztemissionen auf deutscher Seite.

Idee für die Ärztemissionen

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Die Idee, eine Schweizer Ärztemission and die Ostfront zu schicken, entstand bei Hans Frölicher und Eugen Bircher. Hans Frölicher war von 1938 bis 1945 der Schweizer Gesandter in Berlin und unterhielt aus der Botschaft heraus enge Kontakte mit diversen Nazigrössen. Eugen Bircher war zu dieser Zeit eine sehr einflussreiche Persönlichkeit in der Schweiz: Er war Chirurg und Direktor des Kantonspital Aarau, Offizier in der Schweizer Armee und ab 1942 auch Mitglied des Nationalrats. Obwohl beide keine Nationalsozialisten oder Frontisten waren, bewunderten sie den deutschen Militarismus und waren klar antikommunistisch eingestellt. Als es am 22. Juni 1941 zur direkten Konfrontation zwischen Deutschland und der Sowjetunion kam, war für beide klar, dass die neutrale Schweiz im Rahmen ihrer Möglichkeiten Deutschland zur Seite stehen muss.

Für die Unterstützung der Ärztemission wandten sie sich an Ferdinand Sauerbruch. Der deutsche Starchirurg hatte von 1910 bis 1918 an der Universität Zürich gelehrt und war eng mit Bircher befreundet. Bei einem Treffen im bündnerischen Tarasp im Juli 1941 sprachen die drei Männer zum ersten Mal über die «Chirurgenmission». Doch der Direktor der Berliner Charité-Klinik riet von dem Vorhaben ab: Die Schweiz gewinne mit dieser Mission nichts. Eine unmittelbare militärische Bedrohung hatte sie nicht zu fürchten, sie bleibt aber auch so bei den Parteigenossen aus weltanschaulichen Gründen sehr unbeliebt, hält Sauerbruch fest. Trotzdem wollte er die Mission unterstützen, so gut er könne.[1]

Komitee für Hilfsaktionen unter dem Patronat des Schweizerischen Roten Kreuzes

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Am 27. August 1941 trafen sich Eugen Bircher, Ernst Ruppanner und Peter Vieli mit Johannes von Muralt, Präsident des Schweizerischen Roten Kreuzes, in Zürich. Dort beschlossen sie die Gründung eines Komitees des Roten Kreuzes, welches die Leitung der Ärztemissionen übernehmen soll.

General Henri Guisan hatte erhebliche Bedenken gegen eine Teilnahme Birchers an einer solchen Mission. Als Kommandant einer Division während eines Krieges, könne er unmöglich ins Ausland geschweige denn, in ein Kriegsgebiet reisen. In einem Brief schrieb der Bundesrat Karl Kobelt an General Guisan das sich der Bundesrat besprochen hatte aber kein Beschluss fiel. Der Bundesrat vertrat jedoch klar die Auffassung das die Mission auf freiwilliger Basis stattfinden müsse. Nachdem bereits eine Ärztemission 1940 nach Finnland geschickt wurde, konnte man eine privat organisierte Mission nicht verbieten. Guisan versuchte die Teilnahme Birchers zu verhindern. Ein Hindernis gilt es noch zu überwinden: Bircher will die Mission unbedingt leiten, und dies lässt sich nur schwer mit seiner Stellung als aktiv im Dienst stehender Divisionskommandant vereinbaren.


Aus grundsätzlichen neutralitätspolitischen Überlegungen lehnt der Bundesrat die Entsendung von Medizinern mitten ins Kriegsgeschehen ab. Doch Bircher bekleidet ein Amt, das seinen Traum von einem Fronteinsatz schliesslich möglich macht: Er gehört der Leitung des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) an. Indem er die Aktion dem Roten Kreuz unterjubelt, versieht er das neutralitätspolitisch äusserst heikle Unternehmen mit einem humanitären Mäntelchen. Formell geschieht dies, indem die beiden Freunde des «Dritten Reiches» das Komitee für Hilfsaktionen unter dem Patronat des Schweizerischen Roten Kreuzes gründen. Die erste Sitzung findet am 27. August 1941 statt. Nach einigem Hin und Her finden General Henri Guisan und Verteidigungsminister Karl Kobelt einen Kompromiss: Bircher werden drei Wochen Urlaub gewährt für die «im Landesinteresse liegende Mission». [2]

Finanzierung

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Finanziert werden soll die «rein private Aktion» hauptsächlich durch Spenden von grossen Schweizer Industriefirmen. Zur Hälfte aus freiwilligen Spenden von Schweizer Firmen die Handel nach Deutschland betrieben, so zum Bespiel von Lonza (20'000 CHF), F. Hoffmann-La Roche AG (20'000 CHF) und vom Schweizerischen Bankverein SBV (10'000 CHF). Später trug auch der Bund mit 600'000 CHF zu den Missionen bei.[3]

Reglement

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Für die Teilnehmer gab es strenge und für eine neutrale Mission fragwürdige Regeln:

"Reglement vom 13. Oktober 1941, Bern[4]

1. Die Mission wird eingeführt und den massgebenden Stellen übergeben durch Oberstdivisionär Eugen Bircher. Sie steht unter der organisatorischen Leitung von Oberstleutnant von Wyttenbach. Ihm ist als fachtechnischer Berater beigegeben Dr. E.Ruppaner, Chefarzt, Kreisspital Samaden.

2. Sämtliche Teilnehmer verpflichten sich zur absoluten strikten Befolgung der von der organisatorischen Leitung beschlossenen Anordnungen.

3. Über alle Beobachtungen und Feststellungen medizinischer Natur gilt das ärztliche Berufsgeheimnis, ebenso ist über alle übrigen Beobachtungen strengstes Stillschweigen befohlen, im Interesse der Aufgabe der Mission.

4. Jegliche Kritik oder Diskussion politischer Natur ist strikte verboten. Taktvolles benehmen gegenüber den deutschen vorgesetzten Stellen und der Bevölkerung ist Ehrensache.

5. Jegliches Photographieren ist verboten.

6. Vorträge oder Publikationen dürfen nur mit Einwilligungen des Komitees stattfinden.

7. Jede Widerhandlung gegen die Vorschriften bedingt sofortige Entlassung und Rücksendung durch den verantwortlichen Leiter."

Was in diesem Reglement nicht direkt festgelegt war, dass die medizinische Hilfe nur bei deutschen Soldaten erlaubt und jeglicher Kontakt mit den gefangenen russischen Soldaten und der Zivilbevölkerung verboten war.

Erste Ärztemission

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Vom 15. Oktober 1941 bis 19. Januar 1942 in Smolensk.

Teilnehmer:

  • 22 Ärzte
  • 30 Krankenschwestern
  • 4 Sekretäre

Zweite Ärztemission

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Vom 8. Januar 1942 bis 14. April 1942 in Warschau.

Teilnehmer:

  • 28 Ärzte
  • 26 Krankenschwestern
  • 4 Krankenwärter
  • 3 Sekretäre

Dritte Ärztemission

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Vom 18. Juni 1942 bis 29. September 1942 in Riga, Dünaburg und Pleskau.

Teilnehmer:

  • 29 Ärzte
  • 30 Krankenschwestern
  • 5 Krankenwärter
  • 6 Sekretäre

Vierte Ärztemission

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Vom 24. November 1942 bis 9. März 1943 in Stalino, Rostow und Charkow.

Teilnehmer:

  • 18 Ärzte
  • 22 Krankenschwestern
  • 6 Krankenwärter
  • 5 Sekretäre

Nach den Ärztemissionen

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Die geheime Vereinbarung

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Vereinbrung zwischen dem Oberkommando des Heeres und dem Komitee für Hilfsaktionen unter dem Patronat des Schweizerischen Roten Kreuzes. Seite 7, Abschnitt 15: Rechtliche und dienstliche Unterstellung

Was nicht im Reglement stand und die Missionsteilnehmer nicht wussten: In einem von General Friedrich Olbricht und von SRK-Präsident Johannes von Muralt unterzeichneten Geheimdokument wurde festgehalten, dass die Schweizer Freiwilligen dem deutschen Militärstrafgesetz und dem deutschen Kriegsstrafverfahrensordnung unterstehen. Dieses verlangte bei Vergehen gegen das «Dritte Reich», auch für die in deutschen Diensten stehenden Ausländer, die Todesstrafe. Die Vereinbarung wurde strengstens geheim gehalten. Kenntnis von diesem Dokument hatten:

  • Alle Komiteemitglieder sowie der Leiter der ersten Ärztemission, Guy von Wyttenbach
  • Im Politischen Departement hatten Minister Pierre Bonna sowie ein nicht bekannter Jurist einen Einblick in die Vereinbarung erhalten
  • Sowie Hans Frölicher, der als Gesandter die Vereinbarung den deutschen Stellen vorgelegt hat[2]

Rudolf Bucher schrieb im letzten Kapitel seines Erlebnisberichtes von 1967 über die Vereinbarung und war damit der Erste, der sie öffentlich machte. Bucher selbst erfuhr es erst durch Otto Köcher, den deutschen Gesandten in Bern.[4]

Verbot von Vortragstätigkeiten

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Nachdem die erste Mission in die Schweiz zurückgekehrt war, fingen einige der Teilnehmer an, Vorträge über ihre Erlebnisse zu halten. Unter diesen befanden sich auch Rudolf Bucher und sein Laborant während der Mission, Anton Weber. Obwohl es ihnen nach dem Reglement vom 13. Oktober 1941 verboten war, über die Mission und ihre Erlebnisse Vorträge zu halten oder Publikationen zu verfassen. So hielt Rudolf Bucher Vorträge im ganzen Kanton Zürich, unter anderem zweimal im Volkshaus Zürich vor je 1200 Personen.

Hinzuzufügen ist jedoch, das im Reglement nicht der eindeutig zeitliche Geltungsbereich des Verbots definiert wurde. Geschrieben wirkt es, als wäre nicht bloss die Dauer des Einsatzes gemeint gewesen. Jedoch stand es im Wiederspruch mit den anderen Punkten des Reglements, wie beispielsweise das Verbot zu Fotografieren, da dieses nur auf die Zeit während der Mission anwendbar ist. Da im Winter 1941/42 die deutsche Offensive stehenblieb, musste die Dauer der Abmachung neu geregelt werden. Deshalb mussten die Missionsteilnehmer vor dem Übertritt in die Schweiz, bei der Heimreise der Mission, eine schriftliche Erklärung unterzeichnen. Sie verpflichteten sich über alle Beobachtungen militärischer Art bei der Wehrmacht Stillschweigen zu bewahren und Veröffentlichungen wie etwa Erlebnisberichte erst nach dem Einverständnis des Oberkommandos des deutschen Heeres / Heeres-Sanität vorzunehmen.

Bucher und Weber kritisierten beide stark Eugen Bircher, da er in Russland

Rudolf Bucher Zeuge einer Massenerschiessung von 62 Geiseln wurde, die Zustände im Warschauer Ghetto sah und Kenntnisse der Massenvernichtung der Juden erhielt und.[3]


Beide wurden von den Behörden 2x dem Armee-Auditor in Kenntnis gesetzt über die Vorträge Buchers. Das erste Mal im Juni 1943, beim zweiten Mal im Januar 1944 geschah es auf Druck des deutschen Militärattachés hin.

Eugen Bircher hielt ebenfalls Vorträge, nachzulesen in der Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitung (heute Militärzeitschrift).[5]

Weitere Schweizer Ärztemissionen im Zweiten Weltkrieg

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Nebst den Ostfrontmissionen, gab es weitere Schweizer Ärztemissionen die in betroffene Länder reisten:[6]

• Ärztemission an der finnisch- russischen Front

• Ärztemission zur jugoslawischen Befreiungsarmee

• Ärztemission zur französischen Armee

• Ärztemission nach Kanada für die Untersuchung von Kriegsgefangenen zur Heimschaffung

• Ärztemission nach Kroatien

Weblinks

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Einzelnachweise

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  1. Aschwanden, E. (2020). Ab an die Ostfront: Schweizer Ärzte pflegen Hitlers verwundete Soldaten. Neue Zürcher Zeitung NZZ
  2. a b Claude Longchamp: Das Umfeld der Schweizerischen Ärztemissionen hinter die Deutsch-Sowjetische Front 1941-1945 (1967/68). Bern 1983.
  3. a b Peter Garoni: Mit der Wehrmacht an die Ostfront. SF 1991
  4. a b Rudolf Bucher: Zwischen Verrat und Menschlichkeit: Erlebnisse eines Schweizer Arztes an der deutsch-russischen Front 1941/42. Frauenfeld 1967.
  5. [1] Eugen Bircher: Kriegserfahrungen, nach einem im Winter 1942/43 in verschiedenen Offiziersgesellschaften der Schweiz gehaltenen Vortrag.
  6. Schweizerisches Bundesarchiv, E27#06.C.3.c.6.e, Ärztemissionen (Serie), 1940 - 1946