Ursprungsversion veröffentlicht in meinem Blog. Ergänzungen und Ideen sind gern gesehen, aber bitte nur von Leuten, die wissen, wovon sie schreiben :-) -- southpark 20:50, 3. Sep 2005 (CEST)

Die Wikipedia ist ein browserbasiertes MMORPG (Massively Multiplayer Online Role-Playing Game). Das wahrscheinlich erfolgreichste MMORPG des Planeten Erde spielt in der aufregenden Welt der Enzyklopädien. Es kann in über 100 Sprachen gespielt werden und obwohl es keine genaueren Statistiken gibt, haben wahrscheinlich schon über eine Milliarde Teilnehmer aller Kontinente an diesem Spiel teilgenommen. Die Teilnahme ist kostenlos.

Spielziele

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Vorgegebenes Szenario ist es, den Anschein zu erwecken, als ob Spielerin oder Spieler an der Erstellung einer Enzyklopädie mitwirken wollte (sogenanntes Rollenspiel, auch RPG). Innerhalb dieses Szenarios kommt es darauf an, einen möglichst großen Einfluss auf die spezielle Gestalt dieser Enzyklopädie zu nehmen. Der Spielablauf ist zeitlich unbegrenzt, so dass es keinen "Gewinner" im eigentlichen Sinn gibt.

Wikipedia zeichnet sich dadurch aus, dass es kein von den Regeln festgeschriebenes Ziel gibt und sich die Regeln andauernd ändern. Anfänger denken oft, das eigentliche Ziel des Spiels wäre es, möglichst viele eigene Artikel zu schreiben oder zu veröffentlichen.

Eine spezielle Gruppe hat dieses Ziel verfeinert: ihr Ziel ist es, den bloßen Anschein zu erwecken, möglichst viele Artikel zu schreiben. (Siehe: Wikipedia:Alternative Benutzerstatistik).

Wer allerdings zu erkennen gibt, dass er tatsächlich ernsthaft am Artikel schreiben interessiert ist, wird als blutiger Anfänger identifiziert und damit zu einem leichten Opfer für fortgeschrittene Spieler.

Fortgeschrittene Spielziele

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Haben sich die Spieler erst einmal eingearbeitet, dehnen sie ihren Zielhorizont bald über das Verfassen eigener Artikel hinaus aus und bemühen sich etwa, ein ganzes Themengebiet in die Hände zu bekommen. Wenn ihnen das gelungen ist, suchen sie nach Einflussmöglichkeiten auf die Wikipedia als Ganzes. In einem Zwischenschritt wird oft versucht, strukturelle Themengebiete wie Löschkandidaten, Urheberrechte oder Exzellente Artikel unter die Fittiche zu nehmen.

Soziologisch betrachtet

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Ausgehend von einer modifizierten Version des RREEMM-Modells (Siegwart Lindenberg, Hartmut Esser) werden die Spieler als rational handelnde Akteure mit den entsprechenden Einschränkungen behandelt. Sinnvollerweise sollte man hier über den engen Rahmen der klassischen Mikroökonomie hinausgehen und einen erweiterten Zielkorridor annehmen. Einzelne Ziele können sein:

  • (a) Materieller Wohlstand - bisher für die große Masse der Spieler zu vernachlässigen, da kurz und mittelfristig der nötige Einsatz in keinem zu rechtfertigenden Verhältnis zum potenziellen Ertrag liegt. Ausnahmen sind kurzfristige Mitarbeiter (Spam, Wikipedia:Selbstdarsteller). Einige schon als professionell zu bezeichnende Spieler konnten jedoch mittlerweile Positionen in der freien Wirtschaft und im öffentlichen Dienst erlangen, von denen aus sie ihre Aktivitäten fortsetzen (sog. Marsch durch die Institutionen, Voraussetzung ist jedoch Aufgabe der Anonymität und aktive Mitwirkung in Real-Life-Applikationen wie Wikimedia Deutschland e.V.).
  • (b) Soziales Ansehen, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gruppe. Während die Möglichkeiten in der Außenwelt soziales Ansehen zu gewinnen bisher gering sind und sich auf einen relativ kleinen Personenkreis beschränken, ist das soziale Ansehen innerhalb der Gruppe eine der Hauptantriebsfedern der Spieler. Dies ist umso wichtiger, da dieses Ansehen nicht nur an sich Spielziel ist, sondern auch existenziell, um andere Ziele erreichen zu können. Spieler, die auch in Real-Life-Applikationen spielen, können durch Annahme von Vorstandsposten o.ä. auch extern einen Ansehensgewinn verbuchen.

Neben den beiden Grundbausteinen jedes RC-Ansatzes scheint es sinnvoll zwei weitere Faktoren hinzuzuzählen.

  • (c) Sich selbst mitteilen, seine Gedanken möglichst weit verbreiten. Das ist in der Wikipedia durch die Forderung eines neutralen Standpunktes sowie die eingeschränkte Themenwahl nur in begrenztem Umfang möglich. Dennoch werden fanatische Verfechter diverser nicht enzyklopädiefähiger Inhalte geradezu magisch angezogen. Immerhin dürfte es wenige Freizeitbeschäftigungen geben, bei denen man mit ähnlich einfachen Mitteln ein potenziell so großes Publikum erreichen kann.
  • (d) Spaß und Unterhaltung

Rahmenbedingungen

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Zentrale Rahmenbedingung des Spiels ist der Satz Wikipedia ist eine Enzyklopädie. Zumindest die Tatsache, dass dieser Anschein nach außen erweckt wird, ist für jeden Spieler von zentralem Interesse. (b) und (d) sind umso aussichtsreichere Spielziele, je größer die Community ist. Je höher das (externe) soziale Ansehen der Mitspieler eingeschätzt wird, desto höher kann auch das interne soziale Ansehen gewichtet werden. Im Falle (d) kommt hinzu, dass Spieler, um Spaß zu haben, von ihren Mitspielern ein ähnliches Niveau und ähnliche Vorstellungen von "interessant verbrachter Zeit" mitbringen. Welches Niveau das ist, ist faktisch egal; allerdings ist der normierende Einfluss des deutschen akademischen Umfeldes unverkennbar, abzulesen am Verhalten ihm zugehöriger älterer Mitspieler neuen Spielern gegenüber. Ziele (a) und (c) sind sogar entscheidend davon abhängig, inwieweit die Wikipedia extern als nützliche Wissensressource aufgefasst wird.

Jeder Spieler ist daran interessiert, dass seine Mitspieler so effektiv wie möglich das Enzyklopädie-Ziel verfolgen, während sich für ihn selber die Anwendung einer Freerider-Strategie als gewinnbringend darstellen könnte, die in der Realität aber nur schwer durchzuhalten ist.

  • Wikipedia ist transparent. Jeder Edit eines Benutzers lässt sich nicht nur ansehen, sondern auch über den link Benutzerbeiträge langfristig finden, so dass bei einer möglichen Überprüfung auch subtilere Freerider-Taktiken offenkundig werden können und erfahrungsgemäß abgestraft werden. Der Anteil der Kommunikation, der "hinter den Kulissen" stattfindet, ist vergleichsweise klein - gerade bei quasi bindenden Aktionen hat sich herauskristallisiert, dass diese erst innerhalb der Wikipedia und damit öffentlich ausdiskutiert werden müssen, bevor sie in Kraft treten. Das schließt nicht aus, dass sie privat vorbereitet werden, jedoch stellt die Nachverfolgbarkeit von Änderungen und Aktionen ein relativ wirksames Kontrollinstrument dar.)
  • Wikipedia ist im Prinzip sehr simpel. Informations-Asymmetrien bezüglich des Systems sind kaum zum eigenen Vorteil auszunutzen. Selbst fachspezifische Informations-Asymmetrien sind kaum ausnutzbar, da man aufgrund der Größe und Community-Zusammensetzung stets Gefahr läuft, mit einem solchen Verhalten aufzufallen. Informations-Asymmetrien können langfristig nur in speziellen Bereichen oder höheren, abstrakteren Ebenen jenseits des Alltagsgeschäfts zum Tragen kommen.

Strategie und Taktik

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Beliebt sind diverse Abkürzungsstrategien. So können Spieler versuchen, mittels der Ein- und Umsortierung von Kategorien ganze Themenfelder zu besetzen ohne jemals einen Artikel schreiben zu müssen. Durch das Setzen von Infoboxen und Navigationsleisten lässt sich der Eindruck erwecken, man sei hauptsächlich an der Schaffung der Enzyklopädie interessiert. Mit dem Verteilen von Warn-, Stub- und Wartungshinweisen macht man sich nicht inhaltlich um ein bestimmtes Thema verdient, vermittelt dafür aber, man kümmere sich um die Verbesserung der Wikipedia als Ganzes in verschiedenen Teilaspekten.

Eine gewisse Antistrategie kann unter Umständen auch funktionieren: durch kontinuierliches Diskreditieren der Arbeit anderer, insbesondere etwa der Administratoren, lässt sich schnell und effektiv Aufmerksamkeit schaffen. Ab einem bestimmten Punkt muss man allerdings den Negativeindruck ummünzen, den man bis dahin erzeugt hat, indem man deutlich macht, dass man selbst trotz aller Vandalenvorwürfe nur das Beste der Wikipedia im Sinn hat und halt bessere Strategien als die etablierten Kreise parat hat. Obwohl man mit dieser Strategie leicht scheitern kann, gilt sie als Überholspur zur Macht und dem Aufbau der Wikipedia als Enzyklopädie.

Diese Strategien sind allerdings hochriskant. Sie können schnell von anderen Spielern entdeckt werden, und so zur sozialen Ächtung führen. Gerade für fortgeschrittene Ziele werden Spieler mit einer solchen Strategie oft als unnötige Last einer wirkungsvollen Allianz gesehen, so dass ihnen echte Erfolge verwehrt bleiben. Einige versuchen gar unter Umgehung aller Regeln sofort die Kontrolle über die Wikipedia zu gewinnen; da dies jedoch nur unter Missachtung aller anderen Spieler geht, scheitern sie zwangsläufig, gelegentlich immerhin in eindrucksvoller Weise.

Meist versuchen die Spieler durch das Bilden von Allianzen und Bündnissen, ihre Ziele zu erreichen. Oft sind diese Bündnisse nur sporadisch zur Erringung eines bestimmten Zieles. Längerfristig lohnt es sich, im Einklang mit der ökonomischen Spieltheorie, auch langfristige Allianzen einzugehen, um einen Kredit an sozialem Kapital zu erwerben, der dann an strategisch günstigen Stellen im Spiel ausgegeben werden kann.

Dabei ist es allerdings notwendig, glaubhaft den Anschein zu erwecken, an der Erstellung einer Enzyklopädie interessiert zu sein und zumindest gelegentlich auch Aktivitäten in diese Richtung zu zeigen. Da sich Fortgeschrittene in ihrem Editierverhalten deutlich von Anfängern unterscheiden, kann der aktuelle subjektiv empfundene Status eines Spielers an dem Verhältnis der Editierschritte in verschiedenen Bereichen der Wikipedia erkannt werden. Freundin Kate gibt jederzeit Auskunft darüber

Spieler, deren Spielerfolg nicht mit ihrem Ehrgeiz in Einklang zu bringen ist, verlassen das Spiel oft wieder, um in einer ihnen passenderen Umgebung ein eigenes Spiel zu beginnen. Man spricht auch von Ausforken.

Der aktuelle Spielstand ist aufgrund der stets wechselnden Regeln nur schwer zu erkennen, allerdings gibt es einen halbwegs funktionierenden Indikator: siehe Vorlage:Vertrauensnetz. In der Spielauswertung ist der Zwischenstand abrufbar.

Das Spiel Wikipedia zeichnet sich durch einfache Spielprinzipien und komplexe Spieldynamik aus. Diese Eigenschaften machen die wenig ausgefeilte grafische Darstellung mehr als wett und führen bei vielen Spielern zu hoher Langzeitmotivation.