Porträt Hans Müller


Gerhard Keiderling Als Sozialdemokrat im »demokratischen Magistrat«  Hans Müller (1906-1962)

»Solange nach demokratischen Regeln das öffentliche Leben unserer Stadt gestaltet wird, sind es Sozialdemokraten, die diesem das entscheidende Gesicht gaben. Die Bevölkerung vertraute der sozialdemokratischen Tradition, die wiederum ihre Wurzel in den fortschrittlichen Gedanken und Plänen ihrer Begründer Marx, Engels und Bebel hatte.« Diese Worte stellte Hans Müller an die Spitze seines programmatischen Leitartikels »Wir sind Sozialdemokraten« in Nummer 1 der »Freien Presse« vom November 1949. Als Chefredakteur dieser in Ost-Berlin erscheinenden »sozialdemokratischen Wochenzeitung« rang er über zehn Jahre lang darum, seine gesellschaftspolitischen Vorstellungen mit den realpolitischen Gegebenheiten der Zeit in Einklang zu bringen. Der Weg, zu dem er sich entschied, war von Anfang an steinig, doch schien er ihm nicht hoffnungslos zu sein. Als bekennender Sozialdemokrat hatte er es nicht leicht im »Arbeiter- und-Bauern- Staat«, dabei schwebte ihm doch auch eine Gesellschaft freier, gleichberechtigter Menschen vor.

Hans Müller in einer Porträtaufnahme vom März 1950 Als Sohn einer Arbeiterwitwe wurde Hans Müller am 25. März 1906 in Berlin- Wedding geboren. Die ohnehin schwere Kindheit überschatteten der Erste Weltkrieg und die Wirren der Novemberrevolution. Als er die Volksschule verließ, mangelte es an Lehrstellen. In seinem Lebenslauf gab er später an: »Anlernberuf: Flächenschleifer«. Zwischen 1920 und 1929 befand sich der junge Mann ständig auf der Suche nach einem sicheren Arbeitsplatz, auf den man auch einen Familienstand gründen könnte. Vielfach musste er sich als Hilfsarbeiter verdingen.



orträt Hans Müller


Die »Segnungen« der Weimarer Republik für die Arbeiterjugend - Lehrplatzmangel, Akkordschinderei und immer wieder Arbeitslosigkeit - lernte er so am eigenen Leib zur Genüge kennen. Eine Überwindung der Missstände konnte er sich nur im politischen Kampf vorstellen. In dieser unsicheren Zeit fand er einen Rückhalt in der Gewerkschaft. Im Jahre 1922 trat er in den ADGB, Ortsausschuss Berlin, ein und nahm am Leben der Gewerkschaftsjugend regen Anteil. Im Jahre 1926 wurde Hans Müller Vorsitzender der Freien Gewerkschaftsjugend von Groß-Berlin, eine verantwortungsvolle Funktion, die dem 20- Jährigen viel abverlangte. In dieser »Schule des Klassenkampfes« weitete sich sein politischer Horizont, er beschäftigte sich mit dem Marxismus und den aktuellen Fragen der Sozialdemokratie und schrieb darüber wie auch zu kulturpolitischen Themen im Organ der Gewerkschaftsjugend. Die Erfahrung in der politischen Arbeit, die er in diesen Jahren sammelte, sollte ihm in seiner späteren Tätigkeit zugute kommen. Folgerichtig wurde Hans Müller 1929 Mitglied der SPD. Ein Parteiamt übernahm er nicht, weil er sich weiterhin der Gewerkschaftsarbeit verpflichtet fühlte. Als Hilfsangestellter im Archiv und in der statistischen Abteilung des ADGB fand er zwischen 1929 und 1933 eine feste Anstellung, sodass er nicht direkt in den Strudel der Weltwirtschaftskrise hineingeriet. Drohend zog die faschistische Gefahr herauf. Am 2. Mai 1933 zerschlugen die Nazis die Gewerkschaften und besetzten ihre Häuser. Am 20. Mai 1933 wurde Hans Müller entlassen. Seine Arbeitslosigkeit dauerte bis Juli 1936, als er in seinem Schleiferberuf endlich wieder eine Arbeitsstelle fand. Inzwischen hatte er Charlotte Robitzki geheiratet; 1934 kamen Tochter Erika und 1936 Sohn Peter zur Welt. Es war nicht leicht, die Familie durchzubringen. Sie wohnte damals in einem Hinterhaus der Reinickendorfer Straße im Arbeiterbezirk Wedding, in der Nähe der legendären »roten« Kösliner Straße. Bei ihrem Aufstieg zur Macht hatten es die Nazis schwer, in diesem Bezirk Fuß zu fassen, um so brutaler übten sie nach 1933 Rache. Der offene Terror traf Kommunisten wie Sozialdemokraten gleichermaßen. Weder gewalttätige Einschüchterung noch soziale Demagogie vermochten Hans Müller zur Anpassung an das System zu bewegen. In den folgenden Jahren verstärkten die am helllichten Tag praktizierte Judendiskriminierung und -deportation - das Jüdische Krankenhaus an der Schulstraße diente ab 1943 als Sammelstelle für KZ- Transporte - sowie der Fronttod von Freunden seine Distanz zum Hitlerregime, ohne in einen organisierten Widerstand überzugehen. Ende 1943 im Wedding ausgebombt, fand die Familie bei sozialdemokratischen Freunden in Mahlsdorf eine Unterkunft.


Porträt Hans Müller


Die »Freie Presse« erschien von November 1949 bis Oktober 1961 im Planet- Verlag

Auch hier vermittelten die Lager ausländischer Zwangsarbeiter einen eindringlichen Anschauungsunterricht über das Nazi- System. Einer Einberufung zum Volkssturm im Frühjahr 1945 leistete Hans Müller keine Folge. Den Einmarsch der Roten Armee erlebte er am 22. April 1945. Als sich Ende April 1945 in Mahlsdorf ein antifaschistischer Ausschuss unter dem Namen »Komitee des Freien Deutschland« bildete und anfangs die Aufgaben einer Verwaltung übernahm, gehörte Hans Müller zu den Mitarbeitern. Nach der Zulassung antifaschistischer Parteien und Organisationen im Juni 1945 trug er sich in Berlin- Lichtenberg in die Mitgliederliste der SPD ein und schloss sich selbstverständlich auch dem FDGB an. Ein berufliches Auskommen fand er damals als Sachbearbeiter bei der Hauptverwaltung der Deutschen Reichsbahn- Direktion Berlin und später in der Deutschen Zentralverwaltung für Verkehr. Dass das neue Deutschland antifaschistisch, demokratisch und auch sozialistisch sein sollte, stand für den Sozialdemokraten und Gewerkschafter Hans Müller außer jeden Zweifel.


Porträt Hans Müller


Über die Wege dahin wurde leidenschaftlich diskutiert, in der SPD und noch mehr mit den Kommunisten, die schon ein fertiges Gesellschaftsmodell vorlegten. Weit verbreitet war die Einsicht, dass eine geeinte Arbeiterpartei der beste Garant für eine solche Perspektive wäre. In der Frage, wie eine solche Einheitspartei aussehen sollte, gingen die Meinungen aber schon wieder auseinander. Die Urabstimmung vom 31. März 1946 in den Westsektoren durchtrennte den Berliner Landesverband der SPD. Während ein Teil im April 1946 in der SED aufging, bewahrte der andere, von Franz Neumann geführte Teil die Unabhängigkeit der Partei. Hans Müller verblieb in der SPD. Im Kreisverband Lichtenberg wirkte er als politischer Sekretär. Die Verhältnisse in der Viersektorenstadt zwangen ihn immer wieder, seine eigene Position zu überprüfen. Auf dem Landesparteitag vom August 1946 hatte sich seine Partei noch »zur Gestaltung der zukünftigen sozialistischen Gesellschaft« bekannt und ein Zusammengehen mit der SED in Grundfragen nicht ausgeschlossen. Nach dem Triumph in der Oktoberwahl brach der Parteivorstand jedoch die Brücke, die als dritte Kraft zwischen Ost und West vermitteln könnte, ab und verkündete eine Kampfansage an den Osten. Der Ausbruch des Kalten Krieges, der die vier Siegermächte entfremdete, riss in Berlin tiefe Gräben auf. In dieser zugespitzten Situation tagte am 8./9. Mai 1948 der 5. Parteitag des SPD- Landesverbandes Groß-Berlin im Studentenhaus am Steinplatz (britischer Sektor). Kurt Mattick, stellvertretender Parteivorsitzender, erklärte, das Bekenntnis zum kommenden Weststaat schlösse eine enge Zusammenarbeit mit den beiden bürgerlichen Parteien CDU und LDP ein, während man die SED als verlängerten Arm der Sowjets gnadenlos bekämpfen müsse. Die Rede löste bei den Linken Widerspruch aus. Vor allem Ostberliner Delegierte beklagten, die Partei sei zu einseitig antisowjetisch, sie befürchteten ein Verbot ihrer Partei im Osten und eine Spaltung der Stadt. Hans Müller, einer der zwölf Delegierten des Kreisverbandes 17 Lichtenberg, mahnte zur Vorsicht: »Wir haben auch im Ostsektor mit Erfolg verhandelt mit den Kommandanturen«, deshalb empfinde er »es als befremdend, dass der wesentliche Bestandteil seines (Matticks) Berichts eine Auseinandersetzung nur mit der russischen Besatzungsmacht gewesen ist.« Und polemisch fügte er hinzu: »Wenn man als Sozialist selbst dann noch als stubenrein gilt, wenn man von der Tribüne des Stadtparlaments den Papst als Schutzpatron für die bedrohte Freiheit Berlins anruft, dürfte es auch zu verantworten sein, wenn man sich einsetzt für eine Zusammenarbeit mit allen Besatzungsmächten und für ein loyales Verhältnis ihnen gegenüber.« 


Porträt Hans Müller


Im schicksalschweren Sommer 1948 stand Hans Müller an einer Wegscheide: Ist die SPD weiterhin eine Arbeiterpartei, die einen demokratischen Sozialismus erstrebt? Kann man auf die SED als ehrlichen Bundesgenossen setzen? Muss die Einheit Berlins und Deutschlands auf den Opfertisch des Ost-West- Konflikts gelegt werden? In Diskussionen mit seinen Parteifreunden rang Hans Müller um eine Antwort auf seine Fragen. Zum tonangebenden Reuter- Flügel in der Partei, der wegen seiner offenen Parteinahme für den Westen jegliche »sozialdemokratische Inselpolitik« ausschloss, selbst wenn die SPD in Berlin die absolute Mehrheit besäße, geriet er immer mehr auf Distanz. Er betrachtete sich als einen »ehrlichen« Sozialdemokraten, der die Traditionen des Sozialismus und des Nationalstaates hochhielt. In der Sowjetunion erblickte er die Besatzungsmacht, die für diese Ziele am aufgeschlossensten war, und die SED, deren Stalinisierung längst sichtbar war, hielt er dennoch für eine politische Kraft, mit der man in grundlegenden Fragen zusammenarbeiten sollte. Als der Kalte Krieg die Viersektorenstadt erfasste, ließen sich die Perspektiven des Ost-West- Gegensatzes nicht abschätzen. Auch war es ein Unterschied, in welchem Sektor Berlins man politisch wirkte. Der SPD- Landesvorstand, der an der Seite der USA mit eingelegter Lanze in die Schlacht mit den Sowjets und ihren deutschen Stellvertretern ging und sich auf die Teilung der Stadt vorbereitete, machte mit den »Ost- Querulanten« und Oppositionellen reinen Tisch. Sie wurden mit oder ohne Parteiverfahren aus der Mitgliederliste gestrichen. Hans Müller wurde im März 1949 wegen »prokommunistischer Haltung« ohne Parteiverfahren aus der SPD ausgeschlossen. Er schloss sich einer Gruppe oppositioneller und gemaßregelter Sozialdemokraten an, die sich an der Wiedergründung des »Demokratischen Block Berlin« am 3. September 1948 beteiligt und die Ausrufung des Ebert- Magistrats am 30. November 1948 mitgetragen hatten. Im April 1949 bildeten sie eine »Sozialdemokratische Fraktion im Demokratischen Block«. In einer von Hans Müller unterzeichneten Arbeitsrichtlinie vom 6. April 1949 hieß es: »Die sozialdemokratische Fraktion im Demokratischen Block ist eine Notgemeinschaft aller Sozialdemokraten, die durch ihre Bereitschaft zur Mitarbeit beim provisorischen Magistrat ihre aktive Opposition gegen die vernunftwidrige Spaltungspolitik der jetzigen Landesverbandsführung der SPD unter Beweis stellen. Zu ihnen gesellen sich Genossen, die durch ihr positives Eintreten für die Einheit Deutschlands, für die Volkskongressbewegung, für die Mitarbeit in der VVN und in den FDGB- Organisationen aus der SPD ausscheiden mussten. (...) Die sozialdemokratische Fraktion im Block bekennt sich offen zum Marxismus und sieht im Zusammenhang damit die weitgehende Zusammenarbeit der sozialistischen Parteien für geboten.« 


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An der Gründung der oppositionellen »Sozialdemokratischen Aktion - SDA« im Oktober 1949 in Frankfurt a. M. war die Berliner Gruppe um Hans Müller beteiligt. Am 5./6. November 1949 fand in Berlin eine Konferenz der »Sozialdemokratischen Aktion« und der »Sozialdemokratischen Fraktion« statt, die ihre gemeinsamen Ziele in einer Resolution zusammenfassten. Seither bezeichneten sich die Berliner Sozialdemokraten, die ihren Parteiausschluss nicht anerkannten, als »Sozialdemokratische Aktion Groß-Berlin«, abgekürzt SDA, als eine »organisierte Opposition der SPD«. In West-Berlin verstoßen, fanden sie in Ost-Berlin ein allerdings reglementiertes Betätigungsfeld. Der Landesrat Groß-Berlin hatte sein Sekretariat in N 113, Wichertstraße 19. Ab November 1949 erschien die »Freie Presse - Sozialistische Wochenzeitung«, als deren Chefredakteur Hans Müller fungierte. An der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 nahm Hans Müller als »Verantwortlicher der Sozialdemokratischen Fraktion im Demokratischen Block von Groß-Berlin« teil. Über die Wahlen zum 3. Deutschen Volkskongress vom 15./16. Mai 1949, wo er im Ostberliner Wahlkreis 3 (Treptow, Köpenick und Lichtenberg) kandidierte, war er zum Mitglied der Provisorischen Volkskammer gewählt geworden, die sich an diesem Tage aus dem vom 3. Volkskongress gewählten Deutschen Volksrat heraus konstituiert hatte. Gleichzeitig gehörte er zu den sieben nichtstimmberechtigten Berliner Vertretern in der Provisorischen Länderkammer, als diese zu ihrer ersten Sitzung am 11. Oktober 1949 zusammentrat. Seine Aufgabe fand er im Volkskammer- Ausschuss für Arbeits- und Gesundheitswesen, also in einem ihm von der Gewerkschaftsarbeit her vertrauten Bereich. Im Februar 1950 nahm die SED eine Umbildung des »Demokratischen Magistrats von Groß-Berlin« im Sinne der »Nationalen Front des demokratischen Deutschland« vor. Hans Müller, inzwischen auch Mitglied des Präsidiums des Berliner Ausschusses der Nationalen Front, avancierte zu einem der vier Bürgermeister, sein Parteifreund Arnold Munter zum Stadtrat für Aufbau. Die Übernahme dieser Ämter wertete natürlich die SDA auf, wie andererseits ihre Einbindung in die sozialistische Entwicklung Ost-Berlins dem eigentlichen Anliegen der SDA, als Opposition innerhalb der Berliner SPD zu wirken, eher abträglich war. Die Möglichkeiten eines selbständigen Mitwirkens im SED- dominierten Magistrat waren begrenzt. Nach drei Jahren kam überraschend das Aus. Bei einer erneuten Umbildung des Magistrats am 19. Januar 1953 schieden die SDA- Vertreter aus. Ein subalterner Funktionär der SED- Bezirksleitung erklärte Hans Müller unvermittelt, »die politische Entwicklung in Berlin hätte den Punkt erreicht, wo die Führung der Staatsorgane auf Seiten der Arbeiterklasse jetzt allein von der SED durchgeführt werden müsste«.


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Zwar versuchte die SED nach dem 17. Juni 1953, die Risse in ihrer Blockpolitik wieder zu kitten, doch die Enttäuschung bei Hans Müller und seinen Genossen saß tief. Von einem echten Vertrauensverhältnis konnte in der Folge nicht mehr die Rede sein. Mitte 1954 stellten mehrere SED- Kreisleitungen ohne Erklärung ihre Arbeit mit der SDA ein. In einem Bericht aus Lichtenberg hieß es, »dass die Zusammenarbeit mit den Genossen der SED nicht mehr so ist, wie es noch vor einiger Zeit der Fall war«. Hans Müller konstatierte, »dass der SDA in allen Bezirken generell die kalte Schulter gezeigt worden ist«. Empört reagierte er auf eine Lektion von Hanna Wolf, Direktorin der SED- Parteihochschule »Karl Marx« im Januar 1954. Sie behauptete, die »verräterische« SPD- Führung sei eine bloße »Agentur der Imperialisten in der Arbeiterklasse«, und fügte drohend hinzu, »das müssen wir den Arbeitern sagen, die von einer Notwendigkeit des Bestehens einer SPD bei uns sprechen. Die einzige Partei, die die Interessen der Arbeiterklasse bei uns vertritt, ist die SED.« Hans Müller, der diese Rede als einen Angriff auf die Existenz der SDA empfand, forderte den zuständigen Sekretär der SED- Bezirksleitung Bruno Baum zu einer Stellungnahme auf: »Wenn die Genossin Wolf feststellt, dass >bei uns< keine Notwendigkeit des Bestehens der SPD vorliegt, so glaube ich, dass mit >bei uns< nicht nur die DDR, sondern auch der demokratische Sektor Berlins gemeint ist.« Im November 1954 legte Hans Müller seine Arbeit in der Redaktion der »Freien Presse« kurzzeitig nieder aus Protest gegen eine kommissarische Verfügung Baums, eine ganze Seite mit einem als nicht »linientreu« empfundenen Artikel über die SPD aus der Ausgabe der »Freien Presse« herauszunehmmen. Die SED- Bezirksleitung und insbesondere der für »Westarbeit« verantwortliche Bruno Baum wichen einer Klärung aus. Ihre Politik gegenüber der Berliner SPD glich seit langem einer Achterbahn zwischen Verteufelung und Annäherung. Die SDA war in diesem taktischen Spiel nur eine Figur, die man hin und her schob. Nach 1956 und noch einmal nach 1958 häuften sich »Aktionseinheits«- Angebote an die SPD, wodurch der politische Wert der SDA zeitweilig stieg. Das ständige Auf und Ab in der Politik gegenüber der SPD zermürbte Hans Müller: »Die Genossen der SDA können nicht ertragen, in einer zwielichtigen politischen Bewertung zu stehen.« Er litt unter den eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten und unter der ungerechten Behandlung seitens der SED. Nicht dass ihm eine steile Karriere verschlossen blieb, die hätte er als Sozialdemokrat ohnehin nicht im Arbeiter- und-Bauern- Staat gehabt.


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Es bedrückte ihn, dass seine sozialdemokratischen Grundauffassungen immer weniger respektiert wurden und dass die Abhängigkeit von der SED die SDA zu deren Handlanger degradierte. Viele seiner Mitstreiter, die ebenso empfanden, resignierten und zogen sich aus der politischen Arbeit zurück. Auf der SDA- Landesratssitzung vom 9. April 1957 meldete Hans Müller noch einmal die Existenzberechtigung seiner Fraktion mit den Worten an, »dass man sich im klaren sein muss, dass die Existenz der SDA für die gesamtdeutsche Politik immer noch von großer Bedeutung ist und man nicht wissen kann, wie es einmal notwendig sein kann, eine verhältnismäßig organisierte Gruppe von oppositionellen Sozialdemokraten beeinander zu haben«. Doch die erhoffte Perspektive verengte sich schnell. Die neue Berlin-Krise, die das Chruschtschow- Ultimatum im November 1958 auslöste und der Mauerbau im August 1961 abschloss, vertiefte den Graben zur SPD auf unüberbrückbare Weise. Nachdem der Berliner Landesvorstand der SPD am 23. August 1961 seine Kreisorganisationen in Ost-Berlin aufgelöst hatte, war auch für die SDA am 24. Oktober 1961 das Ende gekommen. Die Landesratssitzung empfahl den Mitgliedern - es waren nur noch 66 in Ost-Berlin -, »nach freier persönlicher Entscheidung im Rahmen der Nationalen Front mitwirken oder einen Aufnahmeantrag bei der Partei der Arbeiterklasse stellen« zu wollen. Am 28. Oktober 1961 erschien die letzte Nummer der »Freien Presse. Organ der oppositionellen Sozialdemokraten Groß-Berlins«. In seinem letzten Leitartikel »Der richtige Weg« schrieb Chefredakteur Hans Müller resignativ: »Unserer Arbeit lag die einfache Erkenntnis zugrunde, dass wir als oppositionelle Sozialdemokraten Berlins zur kämpfenden Arbeiterklasse gehören. Wir wollten keinen zweiten oder >dritten< Weg gehen, wir wollten ausschließlich zu ständiger Aktion die SPD- Genossen für die Aktionseinheit der Arbeiterklasse gewinnen.«  Hans Müller verstarb am 12. März 1962 in Ost-Berlin.

Der Autor dankt Herrn Peter Müller, Berlin- Mahlsdorf, für die Bereitstellung von Materialien aus dem Nachlass seines Vaters und für wichtige Hinweise. Weiterführende Literatur: Norbert Podewin/ Lutz Heuer: Rote »Blockflöten«. SDA - Die ungeliebten oppositionellen Sozialdemokraten Berlins (1948-1961), Edition Luisenstadt, Berlin 2000

Foto: privat


© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/2001 www.berlinische-monatsschrift.de

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