Wikimania 2024 beim Gruppenfoto

Dokumentation meiner Teilnahme an der Wikimania 2024 in Katowice im Rahmen des WMDE-Stipendienprozesses:

Es handelte sich um meine zweite Vor-Ort-Teilnahme an einer Wikimania (nach Stockholm 2019).

Was hat mir persönlich die Teilnahme an der Wikimania gebracht und konnte ich anderen etwas weitergeben?

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Polen: Die Teilnahme an der Wikimania hat meinen Blick auf Polen und die komplexe deutsch-polnische Geschichte, insbesondere in Schlesien, geschärft. Ich bin schon mehrere Tage vor der Wikimania angereist und habe mir zunächst Krakau angeschaut. Katowice konnte ich dann vor und während der Wikimania auf vielfältige Weise erleben: bei mehreren Restaurantbesuchen in verschiedenen Gruppenkonstellationen, bei eigenen Stadtrundgängen und im Rahmen der von der Wikimania angebotenen Stadtführung durch die Architektur Katowices (mit viel Engagement durchgeführt von Piotr Fuglewicz, einem Katowicer und Wikipedianer). Auch der Besuch des exzellenten Schlesischen Museums in Katowice hat sich gelohnt. Dazu kamen natürlich die Selbstpräsentation des Wikimania-Organisationsteams bei der Eröffnung, das von MBq und 1rhb organisierte Meet-up mit der polnischen Community, aber auch ein Gespräch mit einer polnischen Vertreterin für Tourismus, die einen entsprechenden Stand bei der Wikimania betreute. Bei allen Reisen lernt man leicht viel über den Ort, den man besucht, aber diesmal kam noch hinzu, dass mir bewusst wurde, wie wenig ich (und ich behaupte, viele andere Deutsche auch) über Polen und die komplexe deutsch-polnische Geschichte gerade in Schlesien weiß, viel weniger als ich über unsere Geschichte und unsere Beziehungen z. B. mit Frankreich oder Italien weiß. Dies steht im krassen Gegensatz dazu, wie „präsent“ diese Geschichte „den Polen“ offensichtlich ist, wie es mir in Krakau und Katowice bei vielen Begegnungen und jedem Museumsbesuch deutlich wurde.

Internationale Community: Weder neu noch unerwartet ist dagegen die Erkenntnis, dass die Teilnahme vor Ort es ermöglicht, Menschen aus der internationalen Community im Detail kennenzulernen und im Gesamteindruck die Internationalität, Vielfalt und Diversität des Wikiversums „wirklich“ zu erleben. Es war für mich nicht mehr so ein Flash wie in Stockholm (man gewöhnt sich dran), aber immer noch großartig und inspirierend!

Interaktive Elemente: Wie schon in Stockholm zeigte sich auch bei der Wikimania, wie schwierig es ist, interaktive Programmbeiträge umzusetzen. Einige Male machten die Referent*innen entsprechende Versuche, mit dem Ergebnis, dass die Anwesenden nur zögerlich mitmachten oder gleich aus dem Raum flohen. Die Ursache lag aus meiner Sicht am wenigsten bei den betreffenden Referent*innen, denn die gesamten Rahmenbedingungen standen ihnen entgegen. Das fing bei den Räumen an, die fast alle überfüllt und überhitzt waren (die Klimaanlage des Konferenzzentrums war für die Kühlung des Bankettsaals und des Auditoriums ausgelegt, nicht aber für die kleineren Konferenzräume). Weiter ging es damit, dass interaktive Elemente oder Arbeitsgruppen bei mehr als 40 Teilnehmer*innen per se schwierig sind, dass auch die Online-Teilnehmer*innen einbezogen werden müssen und dass die zugewiesenen Zeitfenster zu kurz sind. So gab es vor allem Frontalvorträge mit anschließender Fragerunde.

Meet-ups: Insofern waren die Meet-ups, bei denen sich die Teilnehmer*innen selbstorganisiert treffen konnten, das beste Format für den Austausch rund um ein Thema. Das Programmkomitee hat in diesem Jahr buchstäblich viel Raum für solche Meet-ups geboten, was auch rege genutzt wurde. Es gab über 50 Meet-ups. Neben dem bereits erwähnten Meet-up mit der polnischen Community habe ich am WikiWomen Lunch und am Les sans pagEs-Meet-up teilgenommen. Beide habe ich als sehr bereichernd empfunden, da die Gespräche sehr intensiv waren.

 
Lightning Talk „Monsters, legends and mythical creatures: A Wikidata Folk(lore) Tale“ von Sara Thomas

Lightning Talks: Irgendwie schienen die meisten längeren Programmbeiträge von den Hauptamtlichen zu kommen. Ich vermisste die Community-nahen, Wikipedia-nahen Beiträge (vs. Software, Policy, Commons, Wikidata etc.), die manchmal schrägen Beiträge, wie ich sie von Stockholm in Erinnerung hatte und dort schätzte. Dann aber stellte ich fest, dass die beiden Lightning Talk Sessions (Nr. 1, Nr. 2) stark von genau solchen Beiträgen geprägt waren. Die Lightning Talks wurden in dieser Form erst zum zweiten Mal angeboten. Ich selbst habe im Rahmen der zweiten Session einen Lightning Talk gehalten, was für mich aufgrund des neuen Formats eine Lernerfahrung war:

Ich hatte einen Lightning Talk eingereicht, der nach dem bisherigen Konzept 10 Minuten gedauert hätte. In Stockholm wurden jeweils 3 Lightning Talks zu einer Session innerhalb eines Tracks zusammengefasst, wobei keine oder nur sehr kurze Fragerunden vorgesehen waren. Mein Talk wurde angenommen, aber in die gemeinsame Lightning Talk Session verschoben und auf 5 Minuten gekürzt. Kurz darauf reduzierten die Organisator*innen das auf 4 ½ Minuten. Sicherheitshalber schrieb ich den gesamten Text auf und sprach ihn mehrmals vor, um sicher zu gehen, dass ich die Zeitvorgaben einhielt.

Während der Wikimania „bestellten“ uns die Organisator*innen zu einem vorbereitenden Treffen (aus meiner Sicht unnötig) und einer Generalprobe (absolut notwendig) ein. Die Lightning Talk Sessions fanden im Auditorium statt. Auf der Bühne standen zwei Vortragspulte. Wenn der vorherige Beitrag zu Ende war, standen wir am anderen Pult bereit. Als das Licht an diesem Pult anging, legten wir los. Auf einem Bildschirm vor uns konnten wir unsere Präsentation sehen und weiterklicken, daneben lief eine große Uhr. Wegen der Filmaufnahmen waren wir massiv beleuchtet, ich konnte das Publikum nicht sehen, ich sprach ins Schwarze. Wie angekündigt, wurde das Licht als Signal für uns nach 4 Minuten und 15 Sekunden langsam gedimmt. Aber ich war so „im Tunnel“, dass ich das zwar irgendwie mitbekam, aber gleichzeitig doch nicht mitbekam. Mein Gehirn hatte keine Kapazitäten mehr, um auf diese Signale zu reagieren. Zum Glück habe ich eine Punktlandung hingelegt. „Thank you for your“ - das letzte Wort war abgeschnitten und das Publikum musste es sich dazudenken.

 
WikiWomenSummit 2024 Gruppenfoto von Nahem
 
Graphisches Wikimania-Protokoll: WikiWomen-Teil mit FemNetz-Spinne

WikiWomen Summit: Auf dieser Wikimania fand der zweite WikiWomen Summit statt. Der erste, 2023 bei der Wikimania in Singapur, war eher als klassischer „Track“ (mit vielen Input-Beiträgen) konzipiert. Diesmal lag der Fokus mehr auf der Weiterentwicklung der Ideen und Strategien, die letztes Jahr im November beim WikiWomen Camp in New Delhi erarbeitet worden waren (Wiki Women Camp Declaration: Paving the Way for Gender Equity in Wikimedia Movement vom 14. November 2023, Engagement Plan). Zu den Camp-Ergebnissen gehört auch, dass ein WikiWomen* Collective gegründet werden soll: „Das Wiki Women Collective (WWC) ist ein zukünftiger Lenkungsausschuss, der sich mit globalen Initiativen zur Schließung des Gender gaps in Wikimedia-Projekten befasst und diese priorisiert. Dieses Projekt ist das Ergebnis der Diskussionen während des Wiki Women Camps, mit dem Ziel, eine strategische und kollaborative Plattform zu schaffen“.

Dies war die Grundlage für den WikiWomen Summit. Auf dem Summit kamen Frauen aus verschiedenen Teilen der Welt, aus verschiedenen Communities, mit unterschiedlichen Rollen im Wikiversum und mit unterschiedlichem Vorwissen über die bereits erarbeiteten Ergebnisse zusammen. Die Herausforderung, diese Unterschiede und die damit verbundenen unterschiedlichen Erwartungen an den Summit zu überbrücken, wurde deutlich. Die Ergebnisse des Camps und des Summits wurden am letzten Tag der Wikimania in Map Up, Rise Up: Outcomes and Next Steps from WikiWomen Camp 2023 präsentiert.

 
Poster zu FemNetz bei Wikimania 2024

Poster: Grizma und ich hatten auch ein Poster über FemNetz eingereicht, das angenommen wurde. So etwas ohne Grafikdesign-Kenntnisse zu entwerfen, ist nicht ohne Tücken. Aber „all in all“ waren wir mit unserem Poster zufrieden.

Im Nachgang: Wie schon lange vor der Wikimania vereinbart, haben vier andere Stipendiatinnen und ich im September einen gemeinsamen 60 Minuten-Beitrag zu Gender & Diversity bei der Wikimania gemacht.

Auf der Wikimania hatte Grizma die englischsprachige Benutzerin Lajmmoore kennengelernt. Sie meldete sich nach der Veranstaltung, da sie einen deutschsprachigen Artikel über Ira Rischowski begonnen hatte und Hilfe brauchte. Mit Begeisterung haben wir ergänzt und sprachlich verbessert. Schließlich wurde der Artikel bei Schon gewusst? vorgestellt. Lajmmoore war begeistert.

Bericht über eine Einzelveranstaltung

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Neben den beiden Lightning Talk-Sessions fand ich folgende Beiträge besonders gut: The Women Genera Project (siehe hierzu Grizmas Wikimania-Bericht), 10 Research Findings and How You Can Use Them in Your Work, Meet the 2024 Wikimedia Foundation Board of Trustees candidates und den Fireside Chat with the Wikimedia Foundation Executives.

Ich möchte hier den Beitrag The Wikiesfera Formula: A Feminist Approach to Bridging the Gender Gap (Präsentation, Aufzeichnung) vorstellen, in dem auf den ersten Blick Altbekanntes präsentiert wird, aber gerade durch den Vortrag deutlich wurde, dass es darauf ankommt, wer eine Formel wie anwendet.

 
Patricia Horrillo bei der Wikimania 2024

Patricia Horrillo hat vor etwa zehn Jahren begonnen, ehrenamtlich (!) an einem Abend pro Woche in einer öffentlichen Bibliothek in Madrid ein Wikipedia-Treffen anzubieten. Daraus hat sich eine regelmäßige Schreibgruppe entwickelt, von der es mindestens einen Ableger gibt (WikiAragón). Im Jahr 2018 wurde eine Benutzergruppe (Wikiesfera) gegründet. Durch den Umzug einer Wikiesfera-Frau nach Lissabon hat sich dort eine weitere Schreibgruppe (WikiEditoras LX) etabliert. Gemeinsam führten Patricia und Vertreterinnen all dieser Gruppen, die teils vor Ort, teils online präsent waren, durch die Präsentation. Stolz sind sie auf einen Artikel im Guardian über ihre Aktivitäten, der im Juni 2024 erschienen ist.

Patricia stellte in ihrem Beitrag die Wikiesfera-Formel vor, wobei sie betonte, dass diese eher locker anzuwenden sei. Jede neue Gruppe nehme die für sie passenden Elemente und entwickle daraus etwas Neues. Zentral für die Wikiesfera-Formel sei es, einen feministischen, offenen und sicheren Raum zu schaffen, in dem sich Frauen treffen könnten. Es gebe keine Anwesenheitspflicht, jede könne nach Zeit und Lust teilnehmen. Statt akademisch-schulischem Lernen gäbe es gemeinsames Lernen, keinen Druck. Niemand mache Vorgaben, die Gruppen haben eine „horizontale Struktur“, d.h. Absprachen und Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. Um neue Frauen zu gewinnen, veranstalten sie regelmäßig kleine Events (Edit-a-thons) zum Thema Frauen und Minderheiten. Vorkenntnisse seien nicht erforderlich und es gebe keinen Wettbewerb (alle gewinnen). Wichtig sei, dass alle ein positives Erlebnis bei den Events haben, vor allem indem sie selbst einen neuen Artikel oder eine Artikelverbesserung veröffentlichen können. Die geheime Zutat der Wikiesfera-Formel seien „Treats“, was sich auf Süßigkeiten und Leckereien bezieht, aber nicht nur, die „Treats“ seien auch der gemeinsame Spaß, das gegenseitige Zuhören und füreinander da sein.

Die Formel und ihre einzelnen Zutaten klingen sehr vertraut, die Schreibgruppen im deutschsprachigen Raum praktizieren viele der genannten Elemente. Die erwähnte „horizontale Struktur“ erinnerte mich an das Bemühen von FemNetz, Hierarchien zu vermeiden. Nichtsdestotrotz: Der gemeinsame Beitrag vermittelte eine bemerkenswerte Energie, Spaß und Freude, die sich nicht so leicht reproduzieren lässt, aber offensichtlich hochgradig „ansteckend“ ist. Das entscheidende Element scheint der Fokus auf die „Treats“ zu sein, die auf jeder Folie angesprochen wurden, insbesondere die nicht essbare Komponente. Mein persönliches Fazit: Wir müssen mehr auf die „Treats“ achten.

Mit Llydias Unterstützung kam ich mit Patricia ins Gespräch. Wir entwickelten die Idee eines deutsch-spanischen Edit-a-thons. Ich hoffe, das sich dieser realisieren lässt und wir uns von der „besonderen Zutat“ der Wikiesfera-Formel anstecken lassen.