Lemniskate von Bernoulli

Algebraische Kurve
(Weitergeleitet von Bernoullische Lemniskate)

Die Lemniskate von Bernoulli, benannt nach dem Schweizer Mathematiker Jakob I Bernoulli, ist eine von mehreren als Lemniskate bezeichneten algebraischen Kurven vierter Ordnung und Spezialfall einer Cassinischen Kurve. Ihr Graph hat wie alle Lemniskaten die Form einer geschlossenen Acht. Meist ist mit „Lemniskate“ die von Bernoulli gemeint. Der Anwendung als Lemniskatenlenker liegt auch die Lemniskate von Bernoulli zugrunde.

Lemniskate mit durch die definierenden Punkte F1 und F2 gelegter Abszisse
Konstruktion einer Lemniskate durch einen Lemniskatenlenker.

Definition

Bearbeiten

Die Lemniskate von Bernoulli wird durch folgende geometrische Eigenschaft definiert:

Gegeben seien eine positive reelle Zahl   und zwei Punkte   und   im Abstand von   voneinander. Die Lemniskate mit den Parametern   ist dann der geometrische Ort aller Punkte P, für die gilt[1]
 .

Gleichungen

Bearbeiten

Es sei der Einfachheit halber vorausgesetzt, dass die Punkte   und   auf der Abszisse liegen und die Mitte zwischen ihnen gerade der Koordinatenursprung ist.

  • Gleichung in kartesischen Koordinaten:[1]
    •  
    •  
  • Gleichung in Polarkoordinaten:[1]
    •  
  • Parametergleichung:
    •  

Eigenschaften

Bearbeiten
 
Lemniskate als am Kreis gespiegelte Hyperbel
 
Lemniskate als Fußpunkt-Transformation einer Hyperbel

Die Lemniskate von Bernoulli hat die folgenden Eigenschaften:

  • Sie ist achsensymmetrisch zur Verbindungsgeraden von   und  .
  • Sie ist achsensymmetrisch zur Mittelsenkrechten zwischen   und  
  • Sie ist punktsymmetrisch zum Mittelpunkt zwischen   und  
  • Auf der Verbindungsgeraden von   und   liegen von allen Punkten der Lemniskate nur der Mittenpunkt zwischen   und   und die diesem fernsten beiden Kurvenpunkte  .
  • Der Mittelpunkt zwischen   und   ist ein Doppelpunkt der Kurve, er wird also zweimal durchlaufen. Er ist kein Berührungspunkt, sondern ein Schnittpunkt. Die beiden Tangenten in ihm schneiden die Verbindungsgerade von   und   in einem Winkel von 45°.
  • Ein Kreis um den Ursprung mit Radius   schneidet sie in ihren Extremwerten, die bei   liegen.
  • Die Lemniskate ist die geometrisch am Kreis invertierte Kurve einer gleichseitigen Hyperbel.
 
Quadratur der Lemniskate: A = 2·a²
  • Die beiden von der Lemniskate eingeschlossenen Teilflächen haben jeweils den Flächeninhalt  .

Bogenlänge

Bearbeiten

Die Gesamtbogenlänge der Lemniskate ist linear in   und kann unter Verwendung des von Giulio Carlo Fagnano dei Toschi um 1750 untersuchten elliptischen Integrals

 

explizit angegeben werden als

 

oder, mit Verwendung der im Jahr 1798 von Carl Friedrich Gauß eingeführten lemniskatischen Konstante

 ,

als

 ,

was ungefähr   ist.

Die Untersuchungen von Fagnano waren über Leonhard Euler, der sie 1750 aufgriff, als er Fagnanos Werke durchsah für dessen beantragte Aufnahme in die Berliner Akademie, der Ursprung der Theorie Elliptischer Integrale, woraus im 19. Jahrhundert die Theorie Elliptischer Funktionen entstand (Carl Gustav Jacobi, Niels Henrik Abel), da der Abstand   eine elliptische Funktion der Bogenlänge   ist, ebenso wie für   die Funktion Weierstraß-p mit der geeigneten Substitution  .

Das betrachtete Integral in der etwas allgemeineren Form:

 

wird als Lemniskaten-Integral betrachtet und tauchte schon bei Jakob I Bernoulli 1691 auf (veröffentlicht 1694) im Rahmen der Elastizitätstheorie (curva elastica).[2] Bernoulli kannte auch den Zusammenhang mit der Lemniskate. Carl Friedrich Gauß untersuchte das Lemniskaten-Integral ebenfalls wahrscheinlich unabhängig von Euler und Fagnano und erzielte tiefliegende Resultate über elliptische Integrale und Funktionen (unveröffentlicht), über die zahlentheoretischen Aspekte der Lemniskate (Disquisitiones Arithmeticae und in seinem Tagebuch), was besonders von André Weil herausgestellt wurde, und er fand die Möglichkeit der gleichmäßigen Teilung der Lemniskate mit Zirkel und Lineal in fünf Teile. Allgemeiner ist die Möglichkeit dieser Teilung dieselbe wie am Kreis auch.

Krümmung

Bearbeiten

Die Krümmung der Lemniskate lässt sich in Polarkoordinaten als   angeben, ist also stets proportional zu ihrem Abstand  . In obiger Parameterdarstellung wird diese Kurve jedoch anders durchlaufen. Hier ist   für   und   für  . Ist sie gar in impliziter kartesischer Form gegeben, lässt sich über das Vorzeichen der Krümmung nichts aussagen – da kein Durchlaufsinn gegeben ist –, und somit nur ihr absoluter Betrag bestimmbar ist. Fordert man ein möglichst natürliches Durchlaufen – differentialgeometrisch möglichst glatt, analytisch also Existenz von möglichst hohen Ableitungen nach der Bogenlänge längs des Kurvenweges – werden die beiden Schlaufen der Kurve jeweils andersherum durchlaufen und das Vorzeichen der Krümmung der Lemniskate ändert sich somit beim Durchgang der Kurve durch den Nullpunkt.

Vorkommen

Bearbeiten

Die Lemniskate tritt als Bewegungskurve im Wattschen Parallelogramm bzw. Wattgestänge auf sowie bei der Lemniskatenanlenkung eines Eisenbahnradsatzes.

Andere Lemniskaten

Bearbeiten
 
Die Lemniskate von Gerono ist eine weitere Lemniskate. Sie ist eine spezielle Lissajous-Figur.

Symbolik in der Freimaurerei

Bearbeiten

Die Freimaurerei kennt die Lemniskate als Symbol für die weltweite Bruderkette. Die Schleife wird mit der Zwölfknotenschnur oder auch beim Vereinigungsband (Liebesseil) gebildet. Man findet sie beispielsweise auf den sogenannten Arbeitsteppichen der kontinentaleuropäischen Johannislogen.

Siehe auch

Bearbeiten

Literatur

Bearbeiten
  • Max Koecher, Aloys Krieg: Elliptische Funktionen und Modulformen. 2. Auflage. Springer, Berlin 2007, ISBN 978-3-540-49324-2.
  • Gino Loria: Spezielle algebraische und transzendente ebene Kurven: Theorie und Geschichte (= B. G. Teubners Sammlung von Lehrbüchern auf dem Gebiete der mathematischen Wissenschaften mit Einschluß ihrer Anwendungen. V,1). 2. Auflage. Erster Band: Die algebraischen Kurven. B. G. Teubner Verlag, Leipzig / Berlin 1910.
  • E. H. Lockwood: A Book of Curves. Cambridge University Press, 1961, LCCN 61-065797, Kap. 12.
  • H. Martyn Cundy: The Lemniscate of Bernoulli. In: The Mathematical Gazette, Band 89, Nr. 514 (März 2005), S. 89–93, JSTOR:3620645
Bearbeiten
Commons: Lemniscate of Bernoulli – Sammlung von Bildern
Wiktionary: Lemniskate – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. a b c Ilʹja N. Bronštejn: Taschenbuch der Mathematik. 11., aktualisierte Auflage. Haan-Gruiten 2020, ISBN 978-3-8085-5792-1, S. 102.
  2. Raymond Ayoub, The lemniscate and Fagnano’s contributions to elliptic integrals, Arch. Hist. Exact Sci., Band 29, 1984, S. 131–149