Bienensegen

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Ein Bienensegen ist eine Form des Zaubersegens, der dazu dienen soll, ein schwärmendes Bienenvolk daran zu hindern, sich außerhalb der Reichweite des Imkers niederzulassen bzw. in seinen Stock zurückzukehren.

Seite der Handschrift Pal. lat. 220. Der Lorscher Bienensegen steht kopfüber am unteren Ende der Seite.

Bekannt ist vor allem der Lorscher Bienensegen, eines der ältesten Zeugnisse der althochdeutschen Sprache, aufgezeichnet im 10. Jahrhundert[1]:

Kirst, imbi ist hûcze
Nû fliuc dû, vihu mînaz, hera
Fridu frôno in munt godes
gisunt heim zi comonne

Sizi, sizi, bîna
Inbôt dir sancte Maria
Hurolob ni habe dû
Zi holce ni flûc dû

Noh dû mir nindrinnês
Noh dû mir nintuuinnêst
Sizi vilu stillo
Uuirki godes uuillon

Christus! das Bienenvolk ist ausgeschwärmt!
Nun fliegt, meine Tiere, (wieder) her,
damit ihr im Frieden des Herrn,
in Gottes Schutz gesund heimkommt!

Sitz, sitz, Biene!
Das hat dir die heilige Maria befohlen:
du sollst keine Erlaubnis haben,
in den Wald zu fliegen,

du sollst mir weder entwischen
noch entweichen!
Sitz ganz still
und tu, was Gott will!

Ein neuhochdeutscher Bienensegen ist[2]:

Maria stand auf eim sehr hohen berg,
sie sach ein swarm bienen kommen phliegen;
sie hub auf ihre gebenedeyte hand,
sie verbot ihn da czuhand,
versprach ihm alle hilen
und die beim verslossen;
sie sazt ihm dar ein fas,
das zent Joseph hat gemacht;
in das sollt er phlügen,
unt sich seines lebens genügen.
In Nomine patris, filij et spiritus sancti. Amen.

Neben den sehr zahlreichen neuzeitlichen deutschen Bienensegen und -sprüchen gibt es auch lateinische Bienensegen, so zum Beispiel den St. Galler Bienensegen aus dem 8. Jahrhundert[3]:

Ad revocandum examen apum dispersum: adjuro te mater aviorum[4] per deum regem coelorum et per illum redemptorem filium dei te adjuro, ut non te in altum levare nec longe volare, sed quam plus cito potes ad arborom venire (velis): ibi te alloces cum omni tuo genere vel cum socia tua, ibi habeo bona vasa parata, ut vos ibi in dei nomine laboretis etc.
Zum Heimholen eines verstreuten Bienenschwarms: Ich beschwöre dich, Bienenmutter, bei dem Gott, dem König der Himmel, und bei dessen Sohn, dem Erlöser, beschwöre ich dich, nicht hoch dich zu erheben oder zu weit zu fliegen, sondern so schnell du kannst zum Baum kommen (wenn du willst): dort sollst du dich niederlassen mit allen mit deiner Art und deinen Gesellen, ich habe dort ein gutes Gehäuse bereit, damit du dort im arbeiten kannst Namen Gottes usw.

Auffällig ist die besondere Bedeutung des Wachses in den Bienensegen, nämlich für die Beleuchtung von Kirchen und Klöstern, was nicht erstaunlich ist, wenn man bedenkt, dass die Autoren der lateinischen Sprüche wohl sämtlich Kleriker waren und zudem die Imkerei im Mittelalter eine Domäne der Mönche war.[5] In folgendem französischen Bienensegen ist vom Bienenhonig zum Beispiel gar nicht die Rede, vielmehr habe Gott die Bienen nur zu Kirchenbeleuchtungszwecken geschaffen[6]:

Mouche [à miel] que Dieu a créée
Pour l’Église illuminer,
Je te conjure par la Sainte-Trinité
De t’arreter.

Biene, die Gott geschaffen hat
Damit die Kirche erleuchtet sei,
Ich beschwöre dich bei der Heiligen Dreifaltigkeit
Dich niederzulassen.

Auffällig ist weiterhin die enge Verbindung zur Jungfrau Maria, der man eine besondere Macht über die Bienen zusprach, was darauf zurückgeführt werden kann, dass man entsprechend antiken Vorstellungen die Bienen für geschlechtslos, mithin keusch hielt, was sie in besondere Beziehung zur unbefleckten Gottesmutter brachte.[7] Zudem galten sie in der Antike wegen diverser Tugenden wie Fleiß und Reinlichkeit als vorbildlich und gaben Göttinnen und mythischen Gestalten ihren Namen, so der jungfräulichen Artemis[8], der Demeter[9] und der (ebenfalls jungfräulichen) Pythia.[10]

Handschriftseite mit Charm wiþ ymbe

Einer der sehr wenigen nicht christlich geprägten Bienensegen ist die altenglische Beschwörungsformel Charm wiþ ymbe, die im 19. Jahrhundert in der Handschrift 41 des Corpus Christi College der Universität Cambridge entdeckt wurde. Hier der Schluss der Beschwörung:

Sitte ge, sigewif, sigað to eorþan!
Næfre ge wilde to wuda fleogan.
Beo ge swa gemindige mines godes,
swa bið manna gehwilc metes and eþeles.

Setzt euch, ihr Siegfrauen, kommt herunter zum Land.
Niemals fliegt ihr wild zum Wald.
Ihr Bienen bedenkt, zu meinem Wohle
so wie jeder Mann es erwartet, dass er sein Fleisch und sein Erbe erhält.

Literatur

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Einzelnachweise

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  1. Übersetzung von Horst Dieter Schlosser. In: Karl Otto Conrady: Das große deutsche Gedichtbuch. Athenäum, 1977, ISBN 3-7610-8006-9, S. 3.
  2. Friedrich Wilhelm Schuster: Siebenbürgisch-sächsische Volkslieder, Sprichwörter, Räthsel, Zauberformeln, und Kinder-Dichtungen. Steinhausen, Hermannstadt 1865, S. 288, Digitalisathttp://vorlage_digitalisat.test/1%3D%7B%7B%7B1%7D%7D%7D~GB%3D~IA%3D~MDZ%3D%0A10120004~SZ%3D318~doppelseitig%3D1~LT%3D~PUR%3D. S. a. Bienensegen 38, CSB. Text vermutlich aus dem 16. Jahrhundert.
  3. Jacob Grimm: Deutsche Mythologie. 4. Aufl. Dümmler, Berlin 1876, S. 1037f. Vgl. auch Bienensegen 40, CSB.
  4. Mit der mater aviorum ist hier die Bienenmutter gemeint, also die Bienenkönigin.
  5. Oskar Ebermann: Bienensegen. In: Festschrift Eduard Hahn zum 60. Geburtstag. Stuttgart 1917, S. 341.
  6. Albert Meyrac: Traditions, coutumes, légendes et contes des Ardennes: comparés avec les traditions, légendes et contes de divers pays. Impr. Du Petit Ardennais, Charleville 1890, S. 180. Zitiert nach: Oskar Ebermann: Bienensegen. In: Festschrift Eduard Hahn zum 60. Geburtstag. Stuttgart 1917, S. 336.
  7. Oskar Ebermann: Bienensegen. In: Festschrift Eduard Hahn zum 60. Geburtstag. Stuttgart 1917, S. 342.
  8. Pindar: Fragment 123
  9. Aristophanes: Die Frösche 1273
  10. Kallimachos: Hymnen 110. Vgl. Christian Hünemörder: Biene. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 2, Metzler, Stuttgart 1997, ISBN 3-476-01472-X, Sp. 650..