Im mathematischen Gebiet der Knotentheorie ist ein amphichiraler Knoten (auch: achiraler Knoten) ein Knoten, der zu seinem Spiegelbild äquivalent ist. Ein chiraler Knoten ist ein Knoten, der nicht zu seinem Spiegelbild äquivalent ist.

Amphichirale Knoten sind von Bedeutung in Biologie und Chemie, weil die Chiralität oder Achiralität von Molekülen von großer Bedeutung für ihre physikalischen und chemischen Eigenschaften ist.[1] Chiral verknotete Moleküle in pharmazeutischen Produkten führten in den 50er Jahren zu schweren Schädigungen bei Neugeborenen,[2] weil spiegelbildlich verknotete Moleküle oft auf völlig unterschiedliche Weise wirken. Dieses Problem tritt bei amphichiral verknoteten Molekülen nicht auf.

Formale Definition

Bearbeiten

Ein Knoten ist eine Äquivalenzklasse von Einbettungen   (oder  ), wobei zwei Einbettungen als äquivalent angesehen werden, wenn es einen orientierungserhaltenden Homöomorphismus des   (oder der  ) gibt, der die eine Einbettung in die andere abbildet.

Das Spiegelbild eines Knotens erhält man, indem man einen orientierungsumkehrenden Homöomorphismus auf das Bild einer den Knoten repräsentierenden Einbettung anwendet. Weil alle orientierungsumkehrenden Homöomorphismen des   (oder der  ) homotop zueinander sind, kommt es bei dieser Definition nicht auf die Wahl des orientierungsumkehrenden Homöomorphismus an.

Das Spiegelbild des Knotens   wird mit   bezeichnet.

Ein Knoten heißt amphichiral (oder achiral), wenn er zu seinem Spiegelbild äquivalent ist, wenn es also nicht nur einen orientierungsumkehrenden, sondern auch einen orientierungserhaltenden Homöomorphismus gibt, der den Knoten auf sein Spiegelbild abbildet.

Ein Knoten heißt chiral, wenn er nicht zu seinem Spiegelbild äquivalent ist.

Beispiele chiraler und amphichiraler Knoten

Bearbeiten
  • Die Kleeblattschlinge ist ein chiraler Knoten: die linkshändige Kleeblattschlinge ist zur rechtshändigen Kleeblattschlinge nicht äquivalent.

Invarianten

Bearbeiten

Die folgenden Invarianten können einen Knoten von seinem Spiegelbild unterscheiden:

  • Signatur: die Signatur des Spiegelbildes hat entgegengesetztes Vorzeichen, die Signatur eines amphichiralen Knotens ist also Null. Mit dieser Invariante kann man die Spiegelbilder von Torusknoten (z. B. der Kleeblattschlinge) von den ursprünglichen Knoten unterscheiden.
  • Chern-Simons-Invariante: die Chern-Simons-Invariante des Spiegelbildes hat entgegengesetztes Vorzeichen, die Chern-Simons-Invariante eines amphichiralen Knotens ist also Null.
  • Kreuzungszahl: die Modulo 2-Reduktion der Kreuzungszahl eines Knotens ist entgegengesetzt zu der des Spiegelbildes, die Kreuzungszahl eines amphichiralen Knotens ist also eine gerade Zahl
  • Jones-Polynom: das Jones-Polynom   des Spiegelbildes   erhält man durch Substitution von   in das Jones-Polynom von  , d. h.  . Das Jones-Polynom eines amphichiralen Knotens ist also palindromisch.

Verwandte Begriffe

Bearbeiten
Anzahl der Knoten jeden Chiralitätstyps zu gegebener Kreuzungszahl
Kreuzungszahl 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Chirale Knoten 1 0 2 2 7 16 49 152 552 2118 9988 46698 253292 1387166
Reversible Knoten 1 0 2 2 7 16 47 125 365 1015 3069 8813 26712 78717
Völlig chirale Knoten 0 0 0 0 0 0 2 27 187 1103 6919 37885 226580 1308449
Amphichirale Knoten 0 1 0 1 0 5 0 13 0 58 0 274 1 1539
Positiv amphichirale Knoten 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 6 0 65
Negativ amphichirale Knoten 0 0 0 0 0 1 0 6 0 40 0 227 1 1361
Völlig amphichirale Knoten 0 1 0 1 0 4 0 7 0 17 0 41 0 113

Literatur

Bearbeiten
  • Gilbert, N. D.; Porter, T.: Knots and surfaces. Oxford Science Publications. The Clarendon Press, Oxford University Press, New York, 1994. ISBN 0-19-853397-7.
  • Murasugi, Kunio: Knot theory & its applications. Translated from the 1993 Japanese original by Bohdan Kurpita. Reprint of the 1996 translation. Modern Birkhäuser Classics. Birkhäuser Boston, Inc., Boston, MA, 2008. ISBN 978-0-8176-4718-6.
Bearbeiten

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Ross S. Forgan/Jean-Pierre Sauvage/J. Fraser Stoddart, »Chemical Topology: Complex Molecular Knots, Links, and Entanglements«, in: Chemical Reviews 111 (2011), 5434–5464
  2. Stereochemistry: Determining Molecular Chirality (Memento vom 10. Mai 2015 im Internet Archive)