Christuskind-Raub
Mit Christuskind-Raub werden Delikte bezeichnet, deren Ziel die Entwendung der Christusfigur aus einer Weihnachtskrippe ist und die teilweise mit Lösegeldforderungen verbunden sind. Die Figur gehört zum Figurenprogramm einer Weihnachtskrippe und bildet dort den Mittelpunkt, um in der Weihnachtszeit an Jesu Geburt zu erinnern. Mancherorts wird die Figur zu Beginn der Christmette in feierlicher Prozession herbeigebracht und in die Krippe gelegt. Als Objekt der Vergegenwärtigung besitzt sie für manche Gläubige eine große Strahlkraft.
Die Diebstähle der Figur sind auf unterschiedliche, meist nicht-religiöse Gründe zurückzuführen. Oft ist es Übermut, überhöhter Alkoholkonsum oder es sind soziale Zwänge, die diese meist nicht gesicherten Figuren zu Beutegut werden lassen. Für kirchenferne, atheistische oder „gelangweilte Jugendliche ist es ein einfacher Streich“, meint eine The-New-York-Times-Berichterstatterin, „während die Besitzer der Krippen keinen Spaß daran hätten“.[1] Hinzu kommt das in der Gesellschaft tradierte Gottvertrauen, man könne sich nicht an derartigen Objekten vergreifen. Diese Raube sind ein weltweites, schon länger währendes Phänomen. So stahlen Unbekannte am 1. Februar 1994 beispielsweise die 500 Jahre alte Olivenholzfigur aus der Kirche Santa Maria in Aracoeli, welche Ziel von Pilgerfahrten war und seitdem nicht wieder aufgetaucht ist.[2]
Schon aus dem Jahr 1897 gibt es ähnliche Berichte. Im Bayrischen Zentral-Polizei-Blatt heißt es dort: „In der Zeit vom 20./21. d. Mts. wurden aus der Pfarrkirche zu Berchtesgaden gestohlen: 1 Figur, das Christkind im Elend darstellend, aus Holz geschnitzt, mit weißem Hemdchen bekleidet und mit vergold. Heiligenschein versehen – aus dem 16. Jahrhundert stammend –, […] Um Spähe und sachdienl. Mittheilung wird ersucht.“[3]
Nada Boškovska schildert in ihrem Buch Die Frühe Neuzeit in der Geschichtswissenschaft einen Gerichtsfall einer Frau mit psychopathischen Praktiken, die angeblich das Christuskind stahl, um es dem Teufel auszuhändigen.[4]
Der Historiker Daniel Silliman (* 1982) bezeichnet diese Beute aus US-amerikanischer Sicht in seinem Land als eine „buchstäbliche Entwendung des Christlichen“. Er bezieht sich dabei auf die im Ersten Verfassungszusatz verankerte Trennung von Staat und Kirche und die Frage, inwieweit das Christentum durch den Staat zu schützen sei. Der Angriff und der Raub des Jesuskinds sei für ihn als „Protest gegen die Kommerzialisierung von Weihnachten, also gegen Weihnachten, gerichtet“ und der Diebstahl als solcher zeige, „wie wenig die kommerziellen und religiösen Aspekte dieses amerikanischen Feiertags voneinander zu unterscheiden seien“.[5]
Nach Sillimans Auffassung sind diese Taten „Dummheiten“ und nur ein „schwacher Protest angesichts der Dominanz dieses Feiertags“. Sie könnten nicht als „Bedrohung […] diesen Lebensstils“ betrachtet werden.[5]
Anders verhält sich es mit dieser Art von Diebstählen in Lateinamerika, die an die Episode Der zwölfjährige Jesus im Tempel erinnern (Lk 2,41ff EU). Tradierte Handlungen ahmen die im Lukasevangelium geschilderten Ereignisse über Jesus’ Aufenthalt im Tempel nach. Mit dem gleichen Respekt, den die Rechtsgelehrten über die Wissbegierigkeit des jungen Jesus gezeigt hatten, gehen die Räuber um, die die Christusfigur mitnehmen und stattdessen einen Zettel mit der Aufschrift „Das Kind wurde gestohlen. Sie werden bald wieder von den Dieben hören“ hinterlassen. Ritualisierte Abläufe folgen: Nach wenigen Tagen, idealerweise am Ersten Weihnachtstag oder am Dreikönigstag, treffen sich die Besitzer der Krippe mit den Räubern und gemeinsam beginnt man mit der Suche, die mit der Begegnung mit dem Kind endet. In einer feierlichen Prozession gelangt das Christuskind am Ende zurück zu seinem ursprünglichen Zuhause. Vorausgehend werden für diese festliche Inszenierung Vorkehrungen getroffen. Rollen werden verteilt, Kostüme angefertigt und Raketen bereitgelegt, die nach der Heimkehr gezündet werden können. Auch Essen und Getränke für die Darsteller und Zuschauer dürfen nicht fehlen.[6]
Mediale Rezeption
BearbeitenMit zahlreichen Buchveröffentlichungen und Bühnenwerken wurde das Thema aufgegriffen. Zu Heiligabend im Jahr 1953 wurde eine Folge der Fernsehserie Dragnet mit dem Titel The Big Little Jesus ausgestrahlt, in der der Raub des Jesuskinds aus einer Krippenausstellung von zwei Polizeibeamten untersucht wird. Die anrührende Geschichte wird aufgeklärt und in neuer, farbiger Fassung erneut 1967 verfilmt. B.J. and the A.C. (Wo ist Jesus?) war eine Folge von The Leftovers aus dem Jahr 2014, die auf dem gleichnamigen Roman von Tom Perrotta beruht. Diese Fernsehserie beschäftigte sich mit übernatürlichen Begebenheiten und dem Thema Entrückung. Ein Buch und eine Bühnenveröffentlichung haben Stealing Baby Jesus zum Titel. Dieses 2020 veröffentlichte Werk einer Familiensaga im Großbritannien der 1960er Jahre dreht sich um Bemühungen, ein perfektes Weihnachten zu zelebrieren und dabei zahlreiche Verwicklungen zu meistern.[7]
Weblinks
Bearbeiten- Die Rückkehr des gestohlenen Christkindes. Dülmener Zeitung, 23. Dezember 2023
- Jannis Holl: Von geklauten Jesuskindern und entführten Nussknackern. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Dezember 2023
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Katie Rogers: Thefts of Baby Jesus Statues Unnerve New Jersey Churches. The New York Times, 28. Dezember 2015.
- ↑ Niklas Hesselmann: Der verschollene Heiland Domradio.de, 1. Februar 2024.
- ↑ Ausforschungen. Kirchen-Diebstahl. Bayer. Zentral-Polizei-Blatt: 1897, S. 40
- ↑ Nada Boškovska: Die Frühe Neuzeit in der Geschichtswissenschaft. Ferdinand Schöningh 1997, ISBN 978-350-6713-06-3, Seite 212.
- ↑ a b Daniel Silliman: Trendwatch: Thieves Taking the Christ out of Christmas. Literally. Religion Dispatches, 8. Dezember 2014.
- ↑ Paradura, robo y búsqueda del niño Jesús. Text aus dem Faltblatt Venezuela Visual Paradura, Raub und Suche nach dem Jesuskind, Fundación Bigott, Caracas.
- ↑ Covertext von Stealing Baby Jesus: A Treasury of Ludicrous Attempts to Rescue Christmas. ISBN 978-0998-78482-3.