Ein Dedekindscher Schnitt ist in der mathematischen Ordnungstheorie eine spezielle Partition der rationalen Zahlen, mit deren Hilfe sich eine reelle Zahl darstellen lässt. Auf diese Weise kann man die reellen Zahlen aus den rationalen Zahlen konstruieren. Benannt ist diese „Methode der Dedekindschen Schnitte“ nach dem deutschen Mathematiker Richard Dedekind, obwohl solche Partitionen schon vorher vom Franzosen Joseph Bertrand beschrieben wurden, wie Detlef Spalt entdeckt hat.[1][2] Sie kann allgemein zur Vervollständigung von Ordnungen verwendet werden, die wie die rationalen Zahlen in sich dicht liegen. Auch bei dieser Verallgemeinerung der Methode sind die Bezeichnungen üblich, die in diesem Artikel definiert und benutzt werden.

Definiert man die reellen Zahlen axiomatisch, so kann man Dedekindsche Schnitte verwenden, um die Ordnungsvollständigkeit der reellen Zahlen zu sichern. In diesem Fall spricht man dann von dem Axiom vom Dedekindschen Schnitt oder kurz vom Schnittaxiom.

Definition

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Dedekindsche Schnitte werden durch ein geordnetes Paar von Teilmengen rationaler Zahlen   (Untermenge) und   (Obermenge) über folgende Axiome definiert:

  1. Jede rationale Zahl liegt in genau einer der Mengen  ,  .[3]
  2. Weder   noch   ist leer.
  3. Jedes Element von   ist kleiner als jedes Element von  .
  4.   hat kein größtes Element, das heißt, für jedes   gibt es ein   mit  .

Da jeweils die Untermenge   oder die Obermenge   für sich einen Schnitt festlegen, kann man auch die folgende Definition benutzen:

Eine Teilmenge   der rationalen Zahlen ist genau dann Untermenge eines Dedekindschen Schnitts, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

  1.   ist nicht leer und umfasst nicht alle rationalen Zahlen ( ).
  2.   ist eine nach unten unbeschränkte Menge, das heißt, wenn  ,   und  , dann ist auch  .
  3.   enthält kein größtes Element.

Diese drei Bedingungen lassen sich zusammenfassend so formulieren:   ist ein offenes, nach unten unbeschränktes und nach oben beschränktes Intervall von rationalen Zahlen. Statt „Untermenge eines Dedekindschen Schnitts“ wird in der Literatur auch die Bezeichnung „offener Anfang“ verwendet.[4] Manchmal wird die Untermenge eines Dedekindschen Schnitts auch selbst als „Schnitt“ bezeichnet.[5][6]

Konstruktion der reellen Zahlen

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Man definiert die Menge   der reellen Zahlen als die Menge aller (Dedekindschen) Schnitte in  . Der Einfachheit halber werden im Folgenden wie oben beschrieben nur die Untermengen von Dedekindschen Schnitten betrachtet und als „Schnitte“ bezeichnet. In die Menge aller Schnitte bettet man die rationalen Zahlen ein, indem man jeder Zahl als Schnitt die Menge aller kleineren Zahlen zuordnet. Der rationalen Zahl   ordnet man also den Schnitt

 

zu. Aber auch die irrationalen Zahlen lassen sich durch Schnitte darstellen. Die Zahl   entspricht zum Beispiel dem Schnitt

 .[7]

Damit man die Schnitte sinnvoll „Zahlen“ nennen kann, muss man die Rechenoperationen und die Ordnung der neuen Zahlen so festsetzen, dass sie die Rechenoperationen auf den rationalen Zahlen und deren Ordnung fortsetzen.

Seien dazu   und   zwei beliebige Schnitte.

Man setzt   genau dann, wenn   echte Teilmenge von   ist.

Dies definiert eine strenge Totalordnung auf  . Diese ist sogar (nach Konstruktion) ordnungsvollständig, das heißt jede beschränkte Teilmenge besitzt ein Supremum. Ist nämlich   eine Menge von Schnitten und   eine obere Schranke, so ist also jeder Schnitt   eine Teilmenge von  . Die Vereinigung aller   ist dann auch ein Schnitt, die kleinste obere Schranke von  .

Addition

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Man definiert  .

Man kann zeigen, dass dies tatsächlich eine Addition, also eine kommutative, assoziative Verknüpfung, definiert und dass es zu jedem Schnitt   ein additiv inverses Element   gibt. Des Weiteren fällt die Definition dieser Addition mit der bereits bekannten Addition auf   zusammen.

Multiplikation

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Für   und   definiert man die Multiplikation wie folgt:

 

Diese Multiplikation kann man auf ganz   ausdehnen, indem man

 

und

 

definiert. Auch diese Multiplikation ist assoziativ, kommutativ und es gibt zu jedem   ein Inverses  . Zudem fällt diese Multiplikation auch mit der auf   zusammen, falls die Faktoren rational sind.

Verallgemeinerungen

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  • Wendet man die Konstruktion Dedekindscher Schnitte erneut auf die geordnete Menge   an, so entstehen keine neuen Elemente, jeder Schnitt entsteht durch eine zugehörige Schnittzahl. Diese Eigenschaft wird auch als Schnittaxiom bezeichnet und ist fast wörtlich äquivalent zum Supremumsaxiom.
  • Jede (in sich) dichte strenge Totalordnung (M,<) lässt sich mit Hilfe von Dedekindschen Schnitten (auf M statt  ) in eine ordnungsvollständige Ordnung N einbetten. Im Sinne der Ordnungstheorie ist eine total geordnete Menge in sich dicht geordnet, wenn zwischen zwei verschiedenen Elementen stets ein drittes liegt. Ob und wie sich andere auf M vorhandene Strukturen (wie hier die Verknüpfungen Addition und Multiplikation) „sinnvoll“ auf N fortsetzen lassen, hängt vom speziellen Anwendungsfall ab (vergleiche hierzu Ordnungstopologie).
  • Eine zu den Dedekindschen Schnitten sehr ähnliche Methode wird zur Konstruktion der surrealen Zahlen benutzt.

Siehe auch

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Literatur

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  • Joseph Bertrand: Traité d'Arithmétique. Crapelet, Paris 1849. (online).
  • Richard Dedekind: Stetigkeit und irrationale Zahlen. Friedrich Vieweg und Sohn, Braunschweig 1872. (online).
  • Oliver Deiser: Grundbegriffe der wissenschaftlichen Mathematik. Springer 2010, ISBN 978-3-642-11488-5, S. 118–120 (Auszug (Google)).
  • K. Mainzer Reelle Zahlen. Kapitel 2 (Paragraph 2 zu Dedekindschen Schnitten) in: Heinz-Dieter Ebbinghaus u. a.: Zahlen., Springer Verlag 1983, S. 30 f.
  • Harro Heuser: Lehrbuch der Analysis. Teil 1. Vieweg + Teubner, Wiesbaden 1980, 6. aktualisierte Auflage. ebenda 1988, ISBN 3-519-42221-2, S. 29–32, 36–38
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Einzelnachweise und Anmerkungen

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  1. Joseph Bertrand: Traité d'Arithmétique. 1849, S. 203 (bnf.fr): „Eine inkommensurabele Zahl kann nur definiert werden, indem angegeben wird, wie die Größe, die sie ausdrückt, durch die Einheit gebildet werden kann. Im Folgenden nehmen wir an, dass diese Definition darin besteht, anzugeben welche kommensurabele Zahlen kleiner oder größer als die Zahl sind....“
  2. Detlef Spalt: Eine kurze Geschichte der Analysis. Springer, 2019, S. 229, doi:10.1007/978-3-662-57816-2.
  3. Dies bedeutet, dass   eine Zerlegung (Partitionierung) der Menge der rationalen Zahlen   darstellen. Es ist  .
  4. Fritz Reinhardt, Heinrich Soeder: dv-Atlas zur Mathematik. Deutscher Taschenbuchverlag, München 1974, Seite 59.
  5. Edmund Landau: Grundlagen der Analysis. Akademische Verlagsgesellschaft M. B. H., Leipzig 1930, Kapitel 3, §1, Definition 28.
  6. Walter Rudin: Analysis. Oldenbourg Verlag, München 2005, ISBN 978-3-486-57852-2, Seite 19.
  7. Das Beispiel lässt sich leicht verallgemeinern: Der Zahl   mit rationalem   entspricht der Schnitt
     .
    Falls   rational ist, fällt dies auf die obige Definition (für  ) zurück.