Erdbeben in Marokko 2023
Am 8. September 2023 um 23:11 Uhr Ortszeit ereignete sich ein Erdbeben in Marokko; es hatte eine Magnitude von 6,8 Mw. Das Epizentrum des Bebens lag 74 Kilometer südwestlich von Marrakesch. Bei dem stärksten Beben in der Region seit über 100 Jahren kamen 2960 Menschen ums Leben.
Erdbeben in Marokko | ||
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Datum | 8. September 2023 | |
Uhrzeit | 22:11:01 UTC | |
Intensität | VIII auf der MM-Skala | |
Magnitude | 6,8 MW | |
Tiefe | 19 km | |
Epizentrum | 31° 3′ 29″ N, 8° 23′ 6″ W | |
Land | Marokko | |
Tote | 2.960 | |
Verletzte | 5.674 | |
Tektonisches Umfeld
BearbeitenNordmarokko liegt in der Nähe der Grenze zwischen der Afrikanischen und der Eurasischen Platte, der Azoren-Gibraltar-Bruchzone. Diese Transformzone geht an ihrem östlichen Ende in eine transpressive Zone über, in der sich große Überschiebungsbrüche bilden. Östlich der Straße von Gibraltar, im Alborán-Meer, geht die Grenze in einen Kollisionstyp über. Der größte Teil der Seismizität in Marokko hängt mit der Bewegung an dieser Plattengrenze zusammen, wobei die größte seismische Gefahr im Norden des Landes in der Nähe der Grenze besteht.[1] Die Konvergenzrate, also die Geschwindigkeit, mit der sich die beiden Platten aufeinander zu bewegen, ist mit 4 Millimeter pro Jahr relativ gering. Die damit verbundene Kompression der Erdkruste wird von einem ausgedehnten Gebiet aufgenommen, das im Süden bis zum Atlasgebirge reicht.[2] Der Hohe Atlas ist von ost-westlich und nordost-südwestlich verlaufenden Blattverschiebungen und Überschiebungen durchzogen.[3] Wegen der langsamen Konvergenz treten große Erdbeben in der Region relativ selten auf.[2]
Im Jahr 2004 wurde Al Hoceïma von einem Erdbeben der Stärke 6,4 Mw heimgesucht, bei dem 628 Menschen starben und 926 verletzt wurden.[4] Bei einem Erdbeben der Stärke 7,3, das 1980 das benachbarte Algerien erschütterte, kamen 2500 Menschen ums Leben.[5] Noch verheerender war das Erdbeben von Agadir 1960, bei dem bis zu 15.000 Menschen ums Leben kamen.[6]
Erdbeben
BearbeitenLaut der US-amerikanischen Erdbebenwarte des United States Geological Survey (USGS) ereignete sich das Beben innerhalb der Afrikanischen Platte, etwa 550 Kilometer entfernt von der Plattengrenze zur Eurasischen Platte. Der Bebenherd lag an einer Verwerfung im Hohen Atlas in einer Herdtiefe von 19 Kilometern. Die geschätzte Größe der Bruchzone beträgt 30 km × 20 km.[3] Nach Angaben des marokkanischen Nationalen Instituts für Geophysik lag das Epizentrum des Bebens in der Provinz Al Haouz,[7] 72 Kilometer südwestlich von Marrakesch.[8] Der Herdvorgang des Erdbebens hatte Aspekte einer Aufschiebung und einer Blattverschiebung.[3] Mittels InSAR gewonnene Daten legen nahe, dass sich der Bruchvorgang an der nach dem Gebirgspass Tizi n’Test benannten, SW-NO-streichenden Tizi-n’Test-Verwerfung ereignete und sich nicht bis zur Erdoberfläche erstreckte.[9] Seit 1900 hat es im Umkreis von 500 Kilometern um das Epizentrum des Hauptbebens nur neun Beben mit einer Magnitude von mindestens 5,0 gegeben; keines davon hatte eine Magnitude von 6,0 oder höher.[3]
Das Erdbeben war das stärkste, das in der modernen Geschichte Marokkos instrumentell aufgezeichnet wurde,[10] und wird nur von den oberen Schätzungen des Erdbebens von Meknes aus dem Jahr 1755 mit einer Stärke von 6,5–7,0 übertroffen.[11] Nach Angaben des Europäisch-Mediterranen Seismologischen Zentrums war das Erdbeben auch in Portugal, Spanien, Mauretanien, Algerien und der Westsahara zu spüren.[12] Die Dauer des Hauptschocks betrug mehrere Sekunden.[13] Ein Nachbeben der Stärke 4,9 mb ereignete sich 19 Minuten nach dem Hauptbeben.[14][15] In den ersten 80 Stunden nach dem Hauptbeben wurden mehr als 85 Nachbeben registriert, bis auf eines alle mit einer Magnitude unter 4,0.[16]
Nach übereinstimmenden Berichten kam es vor dem Ereignis zu Erdbebenlichtern.[17]
Opfer und Schäden
BearbeitenNach vorläufigen offiziellen Angaben, die am Abend des 11. September 2023 vom marokkanischen Innenministerium bekanntgegeben wurden, kamen bei dem Erdbeben mehr als 2900 Menschen ums Leben.[18][19][20] Bedeutende Zahlen von Todesopfern wurden vor allem aus den Provinzen Al Haouz und Taroudant gemeldet.[21][22] Weitere Todesfälle wurden aus den Provinzen Chichaoua, Ouarzazate, Marrakesch und Azilal gemeldet.[23][24] Mehr als 2500 Menschen wurden in Marokko durch das Erdbeben verletzt.[19] Laut UNICEF sind etwa 100.000 Kinder von der Katastrophe betroffen.[25]
Laut Augenzeugenberichten stürzten zahlreiche Gebäude in der Altstadt von Marrakesch[7] sowie Teile der Stadtmauern ein.[26] Viele Gebäude in der Stadt wurden evakuiert; die Bewohner flohen aus ihren Häusern und auf die Straßen.[27] Auf dem zentralen Marktplatz Djemaa el Fna stürzten ein Minarett der Kharboush-Moschee und Teile ihrer Mauern ein und zerquetschten darunter stehende Fahrzeuge.[28] Mehrere alte Gebäude in der Medina von Marrakesch, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, stürzten ebenfalls ein.[21] Die wichtigsten Baudenkmäler der Stadt hielten nach erstem Augenschein dem Beben indessen stand.[29] Berichten zufolge war der Internetzugang aufgrund von Stromausfällen unterbrochen.[30] Nach Berichten der marokkanischen Presse wurde die im 12. Jahrhundert von den Almohaden errichtete Moschee von Tinmal, die knapp 20 km südöstlich des Epizentrums liegt, großenteils zerstört.[31] Laut UNICEF sind tausende Häuser durch das Erdbeben zerstört worden.[25]
Das Innenministerium teilte mit, dass die meisten Schäden außerhalb von Städten und Ortschaften entstanden seien.[14] Der öffentliche Fernsehsender Al Aoula meldete den Einsturz zahlreicher Gebäude in der Nähe des Epizentrums im Hohen Atlas.[32] Dabei, so meldeten andere Medien, seien auch Bewohner unter Trümmern eingeschlossen worden.[23] Die Stromversorgung brach in einigen Gebieten zusammen, und Straßen wurden durch Schäden, herumliegende Trümmer und Verkehrsstaus unpassierbar, was Rettungsaktionen beeinträchtigte.[33] Das Beben war auch in Rabat, Casablanca und Essaouira zu spüren, wo Berichten zufolge Fassadenteile herunterfielen und viele Bewohner aus Angst danach im Freien schliefen.[30]
Laut der Weltgesundheitsorganisation hatte das Beben Auswirkungen auf das Leben von mehr als 300.000 Menschen.[34]
Nachwirkungen und Maßnahmen
BearbeitenIn Marrakesch beseitigten die Menschen die Trümmer von Hand, während sie auf die Ankunft von Geräten warteten. Viele Einwohner blieben aus Angst vor Nachbeben im Freien. In den sozialen Medien wurde gezeigt, wie Menschen ein Einkaufszentrum, Restaurants und Wohnhäuser evakuierten.[35] Auch in der Hauptstadt Rabat – 350 km nördlich des Epizentrums – und in der Küstenstadt Imsouane verließen die Bewohner ihre Häuser.[36] Aus ländlichen Gebieten wurde von Mangel an Notunterkünften, Nahrung und Trinkwasser berichtet.[37]
Der Generalsekretär der Generaldirektion für Innere Angelegenheiten sagte, dass Beamte, darunter auch Sicherheitsteams, Ressourcen für die Bereitstellung von Hilfsgütern und die Bewertung der Schäden zusammenstellten.[38] Die Zahl der Verletzten, die in die Krankenhäuser von Marrakesch eingeliefert wurden, stieg stark an.[39] An die Einwohner der Stadt wurde ein Aufruf zur Blutspende gerichtet.[40]
König Mohammed VI. reagierte über 24 Stunden lang nicht öffentlich auf die Katastrophe.[41] Wie sich herausstellte, hatte er sich offenbar ab 1. September in Frankreich zur Behandlung einer Immunerkrankung aufgehalten.[42] Erst knapp 48 Stunden nach dem Erdbeben ließ Mohammed Hilfe aus vier Ländern zu: Spanien, dem Vereinigten Königreich, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar. Insgesamt hatten über 60 Staaten, einschließlich Deutschland, Hilfe angeboten, die aber vom König abgelehnt wurde.[43]
Siehe auch
BearbeitenLiteratur
Bearbeiten- William L. Yeck, Alexandra E. Hatem, Dara E. Goldberg, William D. Barnhart, Jessica A. Thompson Jobe, David R. Shelly, Antonio Villaseñor und Harley M. Benz, Paul S. Earle: Rapid Source Characterization of the 2023 Mw 6.8 Al Haouz, Morocco, Earthquake. In: The Seismic Record. Band 3, Nr. 4, 2023, S. 357–366, doi:10.1785/0320230040.
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Cherkaoui T-E.: Seismicity and Seismic Hazard in Morocco 1901-2010. In: Bulletin de l'Institut Scientifique, Rabat, section Sciences de la Terre. 34. Jahrgang, 2012, S. 45–55 (researchgate.net [abgerufen am 8. September 2023]).
- ↑ a b Starkes Erdbeben in Marokko. In: gfz-potsdam.de. 9. September 2023, abgerufen am 14. September 2023.
- ↑ a b c d M 6.8 - Al Haouz, Morocco. USGS, abgerufen am 7. Januar 2024 (englisch).
- ↑ Morocco: Al Hoceima, Imzourene, Beni Abdallah. NCEI/WDS Global Significant Earthquake Database. NOAA National Centers for Environmental Information, abgerufen am 9. September 2023 (englisch).
- ↑ Strong 6.8-magnitude earthquake rattles Morocco, CBS News, 9. September 2023 (englisch).
- ↑ Morocco: Agadir. NCEI/WDS Global Significant Earthquake Database. NOAA National Centers for Environmental Information, abgerufen am 9. September 2023 (englisch).
- ↑ a b Morocco earthquake live news: At least 296 killed in magnitude 6.8 quake. In: aljazeera.com. 9. September 2023, abgerufen am 9. September 2023 (englisch).
- ↑ Powerful magnitude 6.8 earthquake rattles Morocco, with five believed dead. Aljazeera, 9. September 2023, abgerufen am 9. September 2023.
- ↑ Kyle Bradley, Judith Hubbard: Satellite images suggest slip on a steep, north-dipping fault in Morocco. In: earthquakeinsights.substack.com. 11. September 2023, abgerufen am 18. September 2023 (englisch).
- ↑ ISC: ISC-GEM Global Instrumental Earthquake Catalogue (1904–2018). International Seismological Centre, 2022, abgerufen am 8. September 2023.
- ↑ A. Poujol, J.-F. Ritz, P. Vernant, S. Huot, S. Maate, A. Tahayt: Which fault destroyed Fes city (Morocco) in 1755? A new insight from the Holocene deformations observed along the southern border of Gibraltar arc. In: Tectonophysics. 712–713. Jahrgang, 2017, S. 303–311, doi:10.1016/j.tecto.2017.05.036.
- ↑ مركز رصد الزلازل الأوروبي: 6 دول تأثرت من زلزال المغرب.. بينها دول عربية. In: El Watan News. 8. September 2023, abgerufen am 9. September 2023.
- ↑ Sam Metz: Powerful earthquake strikes Morocco, killing hundreds and damaging historic buildings in Marrakech, ABC News, 8. September 2023. Abgerufen am 9. September 2023
- ↑ a b Sam Metz: Powerful earthquake strikes Morocco, killing hundreds and damaging historic buildings In: Associated Press News, 9. September 2023
- ↑ M 4.9 – 61 km NE of Taroudant, Morocco. USGS, abgerufen am 9. September 2023 (englisch).
- ↑ Claudio Chiarabba: Terremoto in Marocco, aggiornamento del 12 settembre 2023. In: ingvterremoti.com. 12. September 2023, abgerufen am 14. September 2023 (italienisch).
- ↑ Mysteriöse Lichter in Marokko - Warum es vor Erdbeben manchmal leuchtet. In: spiegel.de. 14. September 2023, abgerufen am 14. September 2023.
- ↑ Morocco earthquake death toll, map and more key details following 6.8 magnitude disaster - CBS News. 12. September 2023, abgerufen am 14. September 2023 (amerikanisches Englisch).
- ↑ a b Séisme au Maroc : le dernier bilan officiel fait état de 2862 morts et plus de 2500 blessés. In: francetvinfo.fr. 11. September 2023, abgerufen am 11. September 2023 (französisch).
- ↑ Erdbeben in Marokko: Hoffnung auf weitere Überlebende schwindet. In: tagesschau.de. 11. September 2023, abgerufen am 11. September 2023.
- ↑ a b Earthquake in Morocco has killed dozens of people, officials say, 9. September 2023
- ↑ Benoît Delmas: Maroc : « Le tremblement de terre du siècle ». In: lepoint.fr. 9. September 2023, abgerufen am 9. September 2023 (französisch).
- ↑ a b Dozens feared dead as powerful earthquake strikes Morocco, 9. September 2023
- ↑ At least 296 reported dead as powerful earthquake hits Morocco, 8. September 2023
- ↑ a b Marokko: Viele Dörfer abgeschnitten - Hilfe läuft schleppend. Abgerufen am 14. September 2023.
- ↑ انهيار مباني بينها صومعة مسجد في مراكش إثر الهزة الأرضية (صور) (deutsch: Buildings collapse, including the minaret of a mosque, in Marrakesh following the earthquake (photos)), 9. September 2023 (arabisch).
- ↑ Safaa Kasraoui: Earthquake Hits Several Moroccan Cities, 8. September 2023
- ↑ انهيار صومعة مسجد بمراكش بفعل الهزة الأرضية القوية (صور) (deutsch: The Collapse Of The Minaret Of A Mosque In Marrakesh Due To The Strong Earthquake (Photos)), 9. September 2023 (arabisch).
- ↑ Ahmed Eljechtimi: Morocco's ancient city of Marrakech assesses quake damage. In: reuters.com. 9. September 2023, abgerufen am 9. September 2023 (englisch).
- ↑ a b At least 34 people reported dead in Morocco quake, 9. September 2023
- ↑ Abdelali El Hourri: La mosquée de Tinmel détruite, des siècles d'historie anéantis par le séisme. In: Medias24. 10. September 2023, abgerufen am 11. September 2023 (französisch).
- ↑ Hamdi Alkhshali: Powerful 6.8 magnitude earthquake strikes Morocco, brings down buildings, 9. September 2023
- ↑ Huge earthquake in Morroco kills hundreds and reduces buildings to rubble, 9. September 2023
- ↑ Alexander Schmitt: Erdbeben in Marokko: Überlebende schildern die Katastrophe. In: Der Spiegel. 11. September 2023, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 11. September 2023]).
- ↑ Ahmed Eljechtimi: Powerful earthquake hits Morocco causing deaths, damage, 9. September 2023
- ↑ At least 296 dead, 153 injured after powerful earthquake hits Morocco, The Straits Times, 9. September 2023
- ↑ Morocco earthquake: Race against time to save survivors buried in rubble. In: bbc.com. 10. September 2023, abgerufen am 10. September 2023 (englisch).
- ↑ Safaa Kasraoui: Preliminary Data: Earthquake in Morocco Kills At Least 296 People, 9. September 2023
- ↑ Powerful earthquake rocks Morocco, killing at least 290, Channel News Asia, 9. September 2023
- ↑ تعبئة عفوية لساكنة مراكش لتقديم يد المساعدة للمتضررين من الهزة الأرضية (deutsch: Spontaneous mobilization of the people of Marrakech to provide assistance to those affected by the earthquake), 9. September 2023 (arabisch).
- ↑ Sonia Delesalle-Stolper: Maroc : après le séisme, la course contre la montre pour trouver des survivants. In: liberation.fr. 10. September 2023, abgerufen am 10. September 2023 (französisch).
- ↑ Séisme au Maroc : le roi Mohammed VI se montre à l’action après un long silence. In: leparisien.fr. 9. September 2023, abgerufen am 10. September 2023 (französisch).
- ↑ Maxi Beigang, Ralph Schulze: Marokko, das Erdbeben und die fehlende Hilfe: Die Wut des Volkes auf den König. In: tagesspiegel.de. 11. September 2023, abgerufen am 12. September 2023.