Die euklidische Transformation, benannt nach dem griechischen Mathematiker Euklid, ist eine abstands- und damit auch winkelerhaltende Transformation des euklidischen Raumes auf sich. Bei der eigentlichen euklidischen Transformation bleibt zusätzlich die Orientierung erhalten, werden also Spiegelungen ausgeschlossen.
In der klassischen Mechanik stellt die eigentliche euklidische Transformation eine Beobachtertransformation dar und bedeutet eine Translation und Rotation des Bezugssystems des Beobachters. Dabei werden nur die eigentlichen Transformationen betrachtet, denn Spiegelungen materieller Körper kommen in der Mechanik, die nur von der Schwerkraft bestimmte physikalische Gesetze in der makroskopischen Welt betrachtet, nicht vor.[1] Anschaulich kann man sich die euklidische Beobachtertransformation als eine Starrkörperbewegung eines Bezugssystems vorstellen, bei der der Ursprung und die angehefteten Koordinatenachsen sich beliebig bewegen, aber die Koordinatenachsen die relative Orientierung und Winkel zueinander beibehalten und nicht gedehnt oder gestaucht werden. Die Galilei-Transformation im euklidischen Raum ist als Spezialfall der geradlinig-gleichförmigen Bewegung mit konstanter Relativgeschwindigkeit enthalten.[2]
In der Mechanik wird die euklidische Transformation zur Definition objektiver oder invarianter Größen benutzt, die von Beobachtern in unterschiedlich bewegten Bezugssystemen in gleicher Weise wahrgenommen werden, siehe Wechsel des Bezugssystems. Objektive Größen, die den Zustand eines materiellen Körpers beschreiben, sind in der Materialtheorie von zentraler Bedeutung, denn es entspricht nicht der Erfahrung, dass ein bewegter Beobachter ein anderes Materialverhalten misst wie ein ruhender. Diese Gesetzmäßigkeit wird materielle Objektivität genannt.
Die Darstellung erfolgt in drei Dimensionen, kann aber in einfacher Weise auf n Dimensionen verallgemeinert werden. Die euklidische Transformation ist eine abstandserhaltende Transformation eines euklidischen Raumes auf sich. Da er eine Abstandsfunktion enthält, ist der euklidische Raum ein Metrischer Raum und die euklidische Transformation eine Isometrie. Bezüglich der Hintereinanderausführung bilden die euklidischen Transformationen eine Gruppe.
Je nachdem welche Art Euklidischer Raum zu Grunde gelegt wird, liegen verschiedene Formulierungen vor:
Die Transformation des euklidischen Punktraumes ist eine Bewegung (Mathematik), die ebenfalls eigentlich genannt wird, wenn die Orientierung erhalten bleibt, und uneigentlich, wenn dies nicht der Fall ist.
Die Transformation des euklidischen Vektorraumes (einem über definierten Vektorraum mit Skalarprodukt) wird hier in einem physikalischen Zusammenhang dargestellt.
zu Grunde, die allen parallelen, gleichsinnigen und gleich langen Verschiebungen von Punkten zu Punkten einen gleichlangen Vektor zuordnet, siehe Bild. Die Bedeutung hiervon wird in der aktiven Interpretation des Beobachterwechsels deutlich.[3]
Passive Interpretation oder Koordinatentransformation
Durch Auswahl von vier nicht in einer Ebene liegenden Punkten , von denen O den Ursprung darstellt, wird eine Basis des entworfen. Der Einfachheit halber sollen die Vektoren paarweise senkrecht aufeinander stehen und jeweils die Länge eins haben, so dass die Basisvektoren eine Orthonormalbasis darstellen. Jedem Punkt können nun Koordinaten zugeordnet werden:
mit den Komponenten
Ein Wechsel des Bezugssystems wird nun durch Auswahl von vier anderen Punkten bewerkstelligt, was auf die neue Orthonormalbasis führt, siehe Bild. Der Punkt erhält im neuen Bezugssystem andere Koordinaten :
Mit
ergibt sich die Vektorgleichung
Den Zusammenhang zwischen den Koordinaten beschreibt die Koordinatentransformation
worin E die Einheitsmatrix darstellt. Falls für die Determinante det(Q) = +1 gilt, sind die Basen und gleich orientiert und es liegt eine eigentliche euklidische Transformation vor.
Aktive Interpretation oder koordinatenfreie Abbildung
Ein Beobachter wird meist sowohl einen anderen Ursprung als auch eine andere Zuordnung des euklidischen Punktraums zu einem Vektorraum wählen als ein anderer Beobachter. Die Bilder von und können höchstens verdreht sein, weil die Abbildung längentreu sein soll und eine Verschiebung hier nicht ins Gewicht fällt, da allen parallelen, gleichsinnigen und gleichlangen Verschiebungen von Punkten nach Punkten derselbe Vektor zugeordnet wird:
Diese Vektorgleichung ist koordinatenfrei, bezieht sich also auf kein Koordinaten- oder Basissystem. Anders als in der passiven Interpretation wird hier die Fähigkeit von Tensoren (hier Q) ausgenutzt, Vektoren von einem Vektorraum, dem Bildraum von , in einen anderen, den Bildraum von , abzubilden, wobei in diesem Fall die beiden Bildräume identisch sind. Falls det(Q) = +1 liegt wiederum eine eigentliche euklidische Transformation vor. Weil jeder Tensor eine lineare Abbildung ist, entspricht dieses Vorgehen der Beschreibung mit Hilfe von linearen Abbildungen.
Der scheinbare Widerspruch löst sich auf, wenn die verschiedenen Basissysteme links und rechts des Gleichheitszeichens berücksichtigt werden:
womit Q die komponentenweise Darstellung
mit Qij wie in der passiven Interpretation bekommt, was die Äquivalenz der passiven und aktiven Interpretationen unterstreicht.
Ein Beobachterwechsel beinhaltet auch einen Wechsel im Zeitmaßstab. In der euklidischen Transformation ist nur eine konstante Versetzung Δt vorgesehen:
was so zu verstehen ist, dass die Beobachter zum selben Zeitpunkt verschiedene Werte auf ihren Uhren ablesen, die Differenz der Werte aber immer dieselbe ist. Die Beobachter haben also ihre Stoppuhren zu verschiedenen Zeiten gestartet.
In der klassischen Mechanik lässt sich ein Beobachterwechsel wie folgt beschreiben:
weil Drehspiegelungen (mit det(Q) = -1) in der von Schwerkraft und Elektromagnetismus dominierten makroskopischen Welt nicht vorkommen.
Die Galilei-Transformation ist der Spezialfall,[2] der nur die sogenannten Galilei-Boosts beinhaltet:
und Q(t) = Q0 = const.
worin eine konstante Verschiebung, eine konstante Geschwindigkeit und Q0 eine konstante Verdrehung bezeichnen. Diese lassen Betrag und relative Winkel von Beschleunigungen unverändert.
Größen, die bei einem Wechsel des Bezugssystems unverändert wahrgenommen werden, werden objektiv oder invariant genannt. Einführend sei der Abstand zweier Punkte betrachtet: Bei jeder euklidischen Transformation bleibt der Abstand zwischen zwei beliebigen Punkten immer konstant und das gilt auch beim allgemeinen Beobachterwechsel. Seien und die Ortsvektoren zweier Punkte P und Q. Das Quadrat ihres Abstandes
bleibt also unverändert, wenn QT · Q = 1 ist und sich der Abstandsvektor gemäß
transformiert. Letzteres kennzeichnet objektive Vektoren. Die Transformationseigenschaft für objektive Tensoren leitet sich aus der Forderung ab, dass ein objektiver Tensor objektive Vektoren auf objektive Vektoren abbildet. Bei objektiven Vektoren und soll also ebenfalls objektiv sein. Aus , und resultiert:
Soll dies für alle objektiven Vektoren und gelten, so muss sich der Tensor gemäß
Die Zeitableitung eines objektiven Vektors ist wegen
meist nicht objektiv und gleiches gilt für die Zeitableitung eines objektiven Tensors :
Für die Formulierung ratenabhängiger Materialmodelle werden in der räumlichen Betrachtungsweise objektive Zeitableitungen für konstitutive Variablen benötigt, denn es entspricht nicht der Erfahrung, dass ein bewegter Beobachter ein anderes Materialverhalten misst als ein ruhender. Somit müssen die Materialmodelle mit objektiven Zeitableitungen formuliert werden. Der DeformationsgradientF beschreibt die lokalen Verformungen an einem Punkt im Material und entsprechend enthält er auch alle Informationen zu Verformungsraten. Es wird der räumliche Geschwindigkeitsgradient
definiert, dessen symmetrischer Anteil d = ½( l + lT) räumlicher Verzerrungsgeschwindigkeitstensor und dessen unsymmetrische Anteil w = ½( l – lT) Wirbeltensor oder Spintensor heißt. Diese Tensoren werden hier, weil sie räumlich formuliert sind, klein geschrieben. In der Materialtheorie interessieren besonders objektive Raten von Verzerrungstensoren und Spannungstensoren. Es wurden mehrere Raten definiert, unter anderem[4]:
Die Zaremba-Jaumann Spannungs-Geschwindigkeit gibt die zeitliche Änderung der Spannungen im bewegten Bezugssystem an. Ein Beobachter, der mit dem materiellen Element rotiert, stellt die zeitliche Änderung der Spannungen fest.[7]
Für einen objektiven Vektor sind die Zeitableitungen
Geometrie: Abstand, Flächeninhalt (Betrag), Volumen (Betrag). Die Volumenform ist nur bei eigentlichen euklidischen Transformationen mit det(Q) = +1 objektiv.
Physik: Temperatur, Masse, Innere Energie und Entropie sind objektive Skalare. Hieraus kann abgeleitet werden, dass auch die auf die Masse oder das Volumen bezogenen spezifischen Größen objektiv sind: Dichte, spezifische innere Energie und spezifische Entropie.
Die obige Transformationseigenschaften für Tensoren gelten für sogenannte räumliche ein-Feld-Tensoren, deren Definitions- und Wertebereich mit der Bewegung rotieren. Daneben existieren in der Kontinuumsmechanik körperbezogene ein-Feld Tensoren, deren Definitions- und Wertebereich durch die Referenzkonfiguration bewegungsunabhängig materiell festgelegt ist, die also für alle Beobachter gleich ist. Die Bildvektoren dieser Konfigurationen sind – anschaulich gesprochen – für alle Beobachter wie ein Etikett lesbar an einen materiellen Punkt geheftet. Körperbezogen objektive Tensoren transformieren sich gemäß
.
Des Weiteren kennt die Kontinuumsmechanik zwei-Feld-Tensoren, die Vektoren und Tensoren zwischen zwei Konfigurationen transformieren. Ein Beispiel hierfür ist der erste Piola-Kirchhoff Spannungstensor, der in konvektiven Koordinaten die Form
besitzt. Darin sind Basisvektoren in der bewegungsunabhängigen materiellen Referenzkonfiguration, Basisvektoren in der bewegten räumlichen Momentankonfiguration und die Komponenten des Tensors. Wenn nun die Basisvektoren für alle Beobachter gleich sind, d. h. es gilt
und die Basisvektoren objektiv sind, sich also gemäß
transformieren, dann ist also ein solcher zwei-Feld-Tensor objektiv, wenn er sich gemäß
Die folgenden Tensoren werden in der Mechanik, insbesondere in der Kontinuumsmechanik, benutzt. Weil spiegelnde Transformationen materieller Körper in der Mechanik nicht betrachtet werden, wird det(Q) = +1 vorausgesetzt.
Die klassische Mechanik und Elektrodynamik sind unter Spiegelungen invariant, denn die Gesetze in diesen beiden Disziplinen werden vollständig von der Schwerkraft und dem Elektromagnetismus bestimmt. Diese Symmetrie gegenüber Spiegelungen wird jedoch in der Quantenmechanik durch Paritätsverletzung der Schwachen Wechselwirkung gebrochen. Die anderen Naturkräfte, insbesondere Schwerkraft und Elektromagnetismus, sind paritätserhaltende Wechselwirkungen.
In der Relativitätstheorie werden zwischen bewegten Bezugssystemen Transformationen verwendet, die die Beträge und relativen Winkel aller Vektoren invariant lassen. Die Transformation zwischen bewegten Bezugssystemen in der vierdimensionalen Raumzeit, die auch Beträge und Winkel von (Vierer-)Geschwindigkeiten und Impulsen invariant lässt, sind die Lorentz-Boosts. Der Unterschied zu Drehungen im vierdimensionalen euklidischen Raum ist, dass der Zeitkoordinate im Vierervektor im Minkowski-Raum ein anderes Vorzeichen als den Raumkoordinaten zugewiesen wird. Dies führt dazu, dass in einer Drehmatrix für Drehungen von Zeit und Raumkoordinaten, Sinus und Kosinus durch Sinus hyperbolicus und Kosinus hyperbolicus ersetzt werden müssen. Die euklidische Gruppe, welche diese Verallgemeinerung enthält, wird Poincaré-Gruppe genannt.
Holm Altenbach: Kontinuumsmechanik. Einführung in die materialunabhängigen und materialabhängigen Gleichungen. 2. Auflage. Springer Vieweg, Berlin u. a. 2012, ISBN 978-3-642-24118-5.
Horst Parisch: Festkörper-Kontinuumsmechanik. Von den Grundgleichungen zur Lösung mit Finiten Elementen. Teubner, Stuttgart u. a. 2003, ISBN 3-519-00434-8.
↑Der "aktive" und "passive" Beobachterwechsel sind nicht zu verwechseln mit der aktiven Bewegung, bei der sich ein Objekt bewegt, und der passiven Bewegung, bei der sich der Beobachter relativ zum ruhenden Objekt bewegt.
↑Die Formelzeichen für die objektiven Raten variieren von Quelle zu Quelle. Die hier angegebenen folgen P. Haupt, S. 48ff. In H. Altenbach wird
für und für benutzt.
↑Diese Ableitung kommt in der Cauchy-Elastizität vor und wird auch nach C. Truesdell benannt. Er selbst benannte die Ableitung aber nach Cauchy und schrieb 1963, dass diese Rate ohne erfindlichen Grund nach ihm benannt wurde („came to be named, for no good reason, after […] me“ ) siehe C. Truesdell: Remarks on Hypo-Elasticity. In: Journal of Research of the National Bureau of Standards - B. Mathematics and Mathematical Physics, Vol. 67B, No. 3, July-September 1963, S. 141.