Explosionen von Pagern und Walkie-Talkies der Hisbollah

koordinierter Sprengstoffanschlag im September 2024

Bei Explosionen von Pagern und Walkie-Talkies der Hisbollah am 17. und 18. September 2024 wurden mehrere tausend Funkmeldeempfänger (Pager) und andere elektronische Geräte der Terrororganisation Hisbollah im Libanon gleichzeitig zur Explosion gebracht. Dabei wurden nach libanesischen Angaben insgesamt mindestens 37 Menschen getötet und rund 3000 verletzt. Die Verantwortung für die Explosionen wird dem israelischen Geheimdienst Mossad zugeschrieben, der die Apparate im Vorfeld mit Sprengstoff präpariert haben soll.

Video einer Überwachungskamera in Beirut von der Explosion eines Pagers

Erste Explosionswelle

Bearbeiten

Tausende von der Hisbollah genutzte Pager vom Typ Gold Apollo AR924[1] wurden kurz vor halb vier am Nachmittag des 17. September 2024 im Libanon und in einigen Orten Syriens gleichzeitig zur Detonation gebracht. Nach libanesischen Angaben wurden durch die Detonationen knapp 2800 Menschen verletzt (davon 200 schwer) und zwölf getötet, darunter zwei Kinder.[2][3][4] Unter den Verletzten befand sich auch der iranische Botschafter im Libanon, Modschtaba Amani; unter den Toten Mehdi Ammar, Sohn von Ali Fadel Ammar, einem Hisbollah-Abgeordneten im libanesischen Parlament.[5][6] Viele Opfer – vom Piepsen des Pagers dazu gebracht, eine Nachricht zu lesen[7][8] – erlitten Verletzungen im Gesicht, an den Augen und den Händen, die teils zu Erblindung, teils zu Amputationen führten, sowie in der Bauchgegend.[9] Der Ministerpräsident des Libanon Nadschib Miqati besuchte noch am 17. September 2024 die südlichen Vororte Beiruts, um dem Parlamentarier sein Beileid auszusprechen.[10]

Der libanesische Gesundheitsminister Firass Abiad gab bekannt, dass die Mehrzahl der Pager-Bomben in Beirut und den südlichen Vororten fernausgelöst worden seien, daher gab es in dieser Region mit 1850 Opfern die meisten Verletzten. Im Süden des Libanon wurden rund 750 Verletzte gemeldet, aus dem Bekaa-Tal weitere 150.[11] Aus Syrien wurden 14 Verletzte in Damaskus und dessen Umland gemeldet.[5]

Zweite Explosionswelle

Bearbeiten

In einer zweiten Explosionswelle am 18. September 2024 detonierten in Beirut, Tyros und anderen Orten im Süden des Libanons erneut funkgesteuerte Geräte.[12] Diesmal detonierten nicht nur Pager, sondern Walkie-Talkies (hauptsächlich das Modell IC-V82 des japanischen Herstellers Icom), aber auch Radios, Smartphones, Gegensprechanlagen, Autobatterien, biometrische Fingerabdrucklesegeräte und Solarstromanlagen für Privathaushalte.[13][14][15]

Das libanesische Gesundheitsministerium teilte am Abend mit, dass bei der zweiten Explosionswelle in den Vororten Beiruts und im Bekaa-Tal 20 Menschen getötet und mehr als 450 verletzt wurden;[16] laut Angaben des libanesischen Gesundheitsministers lag die Opferzahl beider Explosionswellen bei insgesamt mindestens 37 Toten und rund 3000 Verletzten.[17]

Hintergrund

Bearbeiten

Nach israelischen Anschlägen auf Kommandeure der Hisbollah seit Beginn des Kriegs in Israel und Gaza im Jahr 2023 erging innerhalb der Hisbollah der Befehl, auf Mobiltelefone, die geortet werden könnten, zu verzichten und stattdessen über Pager zu kommunizieren.[18]

Die erste Explosionswelle ereignete sich wenige Stunden, nachdem Amos Hochstein, Sondergesandter von US-Präsident Joe Biden für den Nahen Osten, die Region verlassen hatte.[19] Er hatte bei seinem fünften Besuch in Israel seit Beginn des Krieges im Gazastreifen Washingtons Warnungen vor einer Ausweitung des Krieges mit dem Libanon übermittelt. Nach Angaben des israelischen Fernsehens N12 warnte Hochstein die führenden israelischen Politiker vor den gefährlichen Folgen eines regionalen Krieges.[20] Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu teilte dem Sondergesandten Hochstein mit, dass Israel einen „radikalen Wandel“ an der israelisch-libanesischen Grenze fordere.[21] Laut New York Times wurden die Explosionen von Israels Geheimdienst Mossad geplant und ausgeführt; eine libanesische Quelle gab Reuters zufolge an, die Pager seien bereits mit dem Sprengstoff produziert worden. Es sollen insgesamt 5000 Geräte manipuliert worden sein.[22][23][24] Der taiwanische Pager-Hersteller Gold Apollo erklärte, die explodierten Funkempfänger seien in Ungarn von einer Firma produziert worden, die zur Nutzung des Markennamens berechtigt ist.[23] Die ungarische Firma unterhält jedoch keine eigene Produktionsstätte und zumindest teilweise ist das Unternehmensprofil gefakt.[25] Viele Pager sollen aus einer Lieferung stammen, die die Hisbollah-Miliz erst wenige Tage zuvor erhalten hatte.[26][23] Laut Nachrichtenwebsite Axios waren die USA nicht vorab informiert; erst wenige Minuten vor der Anschlagserie soll Israels Verteidigungsminister Joaw Galant seinem US-Kollegen Lloyd Austin telefonisch eine Operation im Libanon angekündigt haben – ohne dies näher zu spezifizieren.[27]

Reaktionen

Bearbeiten

Am 18. September, noch vor der zweiten Explosionswelle, verurteilte UN-Generalsekretär António Guterres die Umwandlung ziviler Objekte zur Waffe: „Es ist sehr wichtig, dass es eine wirksame Kontrolle ziviler Objekte gibt und nicht, dass zivile Objekte zu Waffen gemacht werden. Das sollte eine Regel sein, die Regierungen überall auf der Welt umsetzen können sollten. Der Zusammenhang zwischen dem, was im Libanon passiert, und dem, was in Gaza passiert ist, ist von Anfang an offensichtlich. Ich meine, die Hisbollah hat sehr deutlich gesagt, dass sie ihre Operationen wegen der Ereignisse in Gaza begonnen hat und dass sie aufhören werde, wenn es in Gaza einen Waffenstillstand gibt.“[28] Die UN-Sonderkoordinatorin für den Libanon, Jeanine Hennis-Plasschaert bezeichnete die Explosionen als „besonders besorgniserregende Eskalation“.[29] Francesca Albanese, UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten Gebiete Palästinas, und Volker Türk, UN-Hochkommissar für Menschenrechte, sehen in den Anschlägen eine Verletzung internationalen Rechts.[30] Türk wies darauf hin, dass das humanitäre Völkerrecht den Einsatz von Sprengfallen in Form scheinbar harmloser, tragbarer Gegenstände verbietet,[31] und forderte „eine unabhängige, gründliche und transparente Untersuchung“.[32]

Israel übernahm keine Verantwortung; das Büro von Premierminister Netanjahu soll alle Minister angewiesen haben, zu schweigen.[19] Am 18. September rief Israels Verteidigungsminister Joaw Galant eine „neue Phase“ des Krieges aus; Fokus sei nun die Front im Norden.[33] Galant hatte zwei Tage zuvor bei seinem Treffen mit Amos Hochstein gesagt, dass die Sicherheitslage im Norden Israels „grundlegend geändert“ werden müsse. Zu Israels Kriegszielen gehöre nun – neben der Befreiung der Geiseln aus dem Gazastreifen und der Zerstörung der Hamas – die Rückkehr evakuierter Bürger in ihre Wohnorte. Dies sei nur mit einer Militäroperation an der Grenze möglich.[34][35] Am 19. September 2024 räumte Israels Regierung indirekt eine Beteiligung an den Detonationen ein: Galant verkündete auf einem Luftwaffenstützpunkt in Nordisrael, den Beginn einer „neuen Phase“ des Krieges und lobte die „ausgezeichnete Arbeit“ der Armee, des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet und des Auslandsgeheimdienstes Mossad.[36]

Am 19. September kündigte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah Vergeltung gegenüber Israel an.[37] Irans Außenminister Abbas Araghtschi beschuldigte das Land, einen „Terrorakt“ verübt zu haben.[38] Die USA erhöhten ihre Alarmbereitschaft.[27] Am 20. September 2024 beschoss die Hisbollah den Norden Israels mit einer dreistelligen Anzahl von Raketen. Israel tötete bei einem Luftangriff in einem Vorort von Beirut den militärischen Kommandeur der Hisbollah Ibrahim Aqil und zehn weitere Personen bei einer Besprechung.[39][40]

Gerhard Schindler, Ex-Präsident des Bundesnachrichtendienstes, bewertet bei vermuteter israelischer Urheberschaft die koordinierten Explosionen als „eine äußerst professionelle und herausragende geheimdienstliche Operation [...], die in die Geschichte der außergewöhnlichen nachrichtendienstlichen Aktionen eingehen wird“.[41] Irlands Außenminister Micheál Martin verurteilte den Angriff, denn er zeige „mutwillige Missachtung“ des Lebens von Zivilisten und verstoße gegen die Genfer Konvention gegen wahllose Angriffe.[42] Die stellvertretende Premierministerin Belgiens Petra De Sutter verurteilte ihn ebenfalls.[43]

Die Fluglinien der Lufthansa-Gruppe und der Air France-KLM Holding haben die Flüge nach Tel Aviv bzw. Beirut und Teheran aufgrund der durch die aktuellen Ereignisse angespannten Sicherheitslage vorerst ausgesetzt.[44]

Siehe auch

Bearbeiten

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Wayne Chang, Eric Cheung, Nectar Gan: What we know about the Taiwanese firm caught up in Lebanon’s exploding pagers attack. In: CNN. 18. September 2024, abgerufen am 18. September 2024 (englisch).
  2. „Ein Kind wollte seinem Papa den piepsenden Pager bringen und genau in diesem Moment ist er explodiert“ tagesthemen vom 18. September 2024, bei 4:51 min
  3. Angriff auf Hisbollah: Zwei Kinder unter Opfern der Pager-Explosionen. In: Der Spiegel. 18. September 2024, abgerufen am 18. September 2024.
  4. Funeral held for young girl killed in pager explosion. In: The Washington Post. 18. September 2024, abgerufen am 20. September 2024 (englisch).
  5. a b Hisbollah-Miliz im Libanon: Tote und Tausende Verletzte nach Pager-Explosionen. In: Tagesschau (ARD). 17. September 2024, abgerufen am 18. September 2024.
  6. Live updates: Death toll in Lebanon from the exploding pager attack on Hezbollah climbs to 12. In: AP News. 18. September 2024, abgerufen am 18. September 2024 (englisch).
  7. Frauke Niemeyer: Nahost-Experte: „Die Menschen sind in Panik“. In: n-tv.de. 19. September 2024, abgerufen am 20. September 2024.
  8. ‘Sophisticated evil’: Beirut medics and civilians horrified by pager attacks, The Guardian, 18. September 2024
  9. Israel-Gaza-Krieg: Hisbollah-Mitglieder durch explodierende Pager in Beirut und im Süden des Libanon verwundet. In: Der Spiegel. 17. September 2024, abgerufen am 18. September 2024.
  10. Live Updates: Pagers Explode Across Lebanon in Apparent Attack on Hezbollah. In: The New York Times. 17. September 2024, abgerufen am 17. September 2024 (englisch).
  11. Two children among 12 dead in Lebanon pager blass – Minister. In: The Guardian. 17. September 2024, abgerufen am 18. September 2024 (englisch).
  12. Anna-Lena Schlitt, Lennart Jerke, AFP, Reuters, dpa, AP: Hisbollah: Wieder Explosionen von Funkgeräten im Libanon – 450 Verletzte. In: Die Zeit. 18. September 2024, abgerufen am 18. September 2024.
  13. Nuruddeen M. Abdallah: Smartphones, solar panels, walkie-talkies, intercoms, car betteries explode in Lebanon. In: 21stcenturychronicle.com. 18. September 2004, abgerufen am 19. September 2024 (englisch).
  14. تزامناً مع سلسلة انفجارات جديدة في لبنان، نتنياهو يقول: سنعيد مواطني الشمال إلى ديارهم. In: BBC News Arab. 18. September 2024, abgerufen am 19. September 2024 (arabisch).
  15. اصابة فتاة في المروانية جراء انفجار نظام الطاقة الشمسية في منزل ذويها. In: National News Agency (Libanon). 18. September 2024, abgerufen am 19. September 2024 (arabisch).
    Richard Lawler: 14 people have been killed by a second day of device explosions in Lebanon. In: The Verge. 18. September 2024, abgerufen am 19. September 2024 (englisch).
  16. Laila Bassam, Maya Gebeily: Hezbollah devices explode again in Lebanon, raising fears of wider Israel conflict. In: Reuters. 18. September 2024, abgerufen am 19. September 2024 (englisch).
  17. Tagesschau Liveblog – Krieg in Nahost. In: Tagesschau (ARD). 19. September 2024, abgerufen am 19. September 2024.
  18. Patrick Beuth, Oliver Imhof, Christoph Reuter: (S+) Pager-Attacke auf die Hisbollah im Libanon: Operation »Gold Apollo AR-924«. In: Der Spiegel. 17. September 2024, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 18. September 2024]).
  19. a b Israel keeps silent, US on alert as Hezbollah vows retaliation for pager blasts. In: Ynetnews. 17. September 2024, abgerufen am 18. September 2024 (englisch).
  20. موفد بايدن حذره.. نتنياهو يلوح بتحرك عسكري ضد حزب الله. In: Al-Hadath. 17. September 2024, abgerufen am 18. September 2024 (arabisch).
  21. Israel Seeks Radical Changes. In: americancenter.org. 17. September 2024, abgerufen am 18. September 2024 (englisch).
  22. Hezbollah exploding pager trail runs from Taiwan to Hungary. In: reuters.com. 18. September 2024, abgerufen am 18. September 2024 (englisch).
    Israel Planted Explosives in Pagers Sold to Hezbollah, Officials Say. In: nytimes.com. 18. September 2024, abgerufen am 18. September 2024 (englisch).
  23. a b c Hisbollah im Libanon: Israel-Geheimdienst Mossad soll Pager mit Sprengstoff versehen haben. In: Der Spiegel. 18. September 2024, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 18. September 2024]).
  24. Lukas Mäder: Tausende Pager explodieren in Libanon gleichzeitig: Wie war dieser Anschlag möglich? In: Neue Zürcher Zeitung. 18. September 2024, ISSN 0376-6829 (nzz.ch [abgerufen am 19. September 2024]).
  25. Sergej Maier und Lukas Wilhelm: Spur der explosiven Pager – wer steckt hinter BAC Consulting? In: n-tv.de. 18. September 2024, abgerufen am 20. September 2024.
  26. Hezbollah Pagers Explode in Apparent Attack Across Lebanon. In: wsj.com. 18. September 2024, abgerufen am 18. September 2024 (englisch).
  27. a b Israel didn’t tell U.S. in advance about Hezbollah pager attack, officials said. In: Axios. 18. September 2024, abgerufen am 18. September 2024 (englisch).
  28. Lebanon: 37 Dead, 3,400+ Injured in Wave of Explosions in Electronic Devices Booby-Trapped by Israel. In: Democracy Now! 18. September 2024, abgerufen am 20. September 2024 (englisch).
  29. Top UN official appeals for calm following wave of pager explosions in Lebanon. In: un.org. 17. September 2024, abgerufen am 18. September 2024 (englisch).
  30. Exploding pagers and radios: A terrifying violation of international law, say UN experts.
  31. Eskalation im Libanon: Uno-Menschenrechtschef rückt Pager-Attacke in Nähe von Kriegsverbrechen. In: Der Spiegel. 21. September 2024, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 21. September 2024]).
  32. Walkie-talkies explode in Lebanon day after deadly pager attack. In: CNN. 19. September 2024, abgerufen am 20. September 2024.
  33. Israels Verteidigungsminister ruft »neue Phase des Kriegs« aus. In: Der Spiegel. 18. September 2024, abgerufen am 19. September 2024.
  34. Returning Evacuated Residents to Northern Israel Is Now a War Goal, Netanyahu’s Office Says. In: Haaretz. 16. September 2024, abgerufen am 18. September 2024 (englisch).
  35. Israel sets new war goal of returning residents to the north. In: BBC. 17. September 2024, abgerufen am 18. September 2024 (englisch).
  36. Explosionen im Libanon: Zahl der Toten steigt – Israel vor „neuen Ära des Krieges“. In: Frankfurter Rundschau. 18. September 2024, abgerufen am 18. September 2024.
  37. Hisbollah-Chef kündigt Vergeltung wegen Pager-Angriffe an.
  38. 10.36 Uhr: Pager-Explosion: Iran wirft Israel „Massenmord“ vor. In: BR24. 18. September 2024, abgerufen am 18. September 2024.
  39. Blick: Attentate, Entführungen, Kopfgeld. Das ist über Hisbollah-Anführer Ibrahim Akil bekannt.; 20. September 2024
  40. RedaktionsNetzwerk Deutschland: Libanon: Israel greift Ziel in Beirut an – Hisbollah-Kommandeur Ibrahim Akil offenbar getötet. 20. September 2024, abgerufen am 21. September 2024.
  41. Markus Decker: „Herausragende geheimdienstliche Operation“: Ex-BND-Chef lobt Pager-Explosionen. In: Redaktionsnetzwerk Deutschland. 18. September 2024, abgerufen am 21. September 2024.
  42. Pager attack showed ‘wanton disregard’ for civilian life, Martin says. In: The Argus. 18. September 2024, abgerufen am 20. September 2024.
  43. Belgian deputy premier strongly condemns pager attacks in Lebanon, Syria. Anadolu Ajansı, 18. September 2024, abgerufen am 21. September 2024 (englisch).
  44. BRF: Explodierende Pager: Brussels Airlines und viele andere Fluggesellschaften setzen ihre Flüge aus, 18. September 2024