Florence Bell (Biochemikerin)

britische Röntgenkristallografin

Florence Ogilvy Bell, später Florence Sawyer, (* 1. Mai 1913 in London; † 23. November 2000 in Hereford)[1] war eine britische Biophysikerin und Biochemikerin, die frühe Beiträge zur Aufklärung der DNA-Struktur leistete. Sie wirkte als Röntgenstrukturanalystin im Labor von William Astbury. 1938 veröffentlichte sie zusammen mit Astbury in Nature einen Artikel, in dem sie die DNA-Struktur als „Pile of Pennies“, als „Stapel von Pennymünzen“ qualifizierte.[2] Florence Bell wurde in der wissenschaftshistorischen Literatur nach Rosalind Franklin als die andere Dark Lady of DNA qualifiziert.[3][4]

Leben und Werk

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Ausbildung

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Florence Ogilvy Bell wurde als zweite Tochter des Fotografen und späteren Werbefachmanns Thomas Bell und dessen Frau Annie Mary Lucas in London geboren.[5][6] Sie wuchs in London auf und besuchte die Haberdashers’ Aske’s School for Girls in Acton.[5] Von 1932 bis 1935 studierte sie Naturwissenschaften am Girton College in Cambridge.[3] Hier konzentrierte sie ihre Ausbildung auf die Fächer Physik, Chemie und Mineralogie.[3] Insbesondere wurde sie hier von John Desmond Bernal in die Röntgenstrukturanalyse von biologischen Molekülen eingeführt. Sie wechselte an die University of Manchester, wo sie mit Lawrence Bragg in der Röntgenstrukturanalyse von Proteinen zusammenarbeitete.

1937 fragte William Astbury bei Lawrence Bragg nach einem guten Röntgenstrukturanalysten. Bragg empfahl Florence Bell als „exzellente Kandidatin“.[3] Im selben Jahr wechselte Bell an Astburys Institut an der University of Leeds.[2] Ihre anfängliche Arbeit umfasste die Strukturdarstellung von Protein-Multilayern mittels der Röntgenstrukturanalyse.[7] Nachdem Astburys Labor in Leeds Proben hochgereinigter DNA erhalten hatte, gab Astbury Florence Bell die Aufgabe, als zweiten Teil ihrer Promotion, die Struktur der DNA zu untersuchen.[2][7] Florence Bell erhielt für diese Arbeit den Ph.D. Ihr wissenschaftliches Notizbuch und ihre Arbeit werden in einer Spezialsammlung an der Universität Leeds aufbewahrt.[8][9][10]

Die Forschungen von Florence Bell

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William Astburys ursprüngliche wissenschaftliche Aufgabenstellung für Florence Bell umfasste ein Thema zur Physik von Textilien.[11] Hier hatte man bei Streckung von Wolltextilien eine Veränderung der Keratinstruktur von der Alpha- in die Betaform festgestellt.[11] Noch 1939 hielt Florence Bell während einer Konferenz des Physik-Institutes der Universität Leeds einen Vortrag über die Physik von Textilien. 1937 kam bei Bells Betreuer Astbury das Interesse an der DNA als Forschungsobjekt auf. Er wies Florence Bell an, sich mit diesem biologischen Molekül zu beschäftigen. Bell entwickelte ein Verfahren der Streckung der Fasern und konnte so getrocknete Filme gereinigter DNA herstellen. Sie erstellte Röntgenbeugungsfotos dieser Präparate, die klarer die Struktur der DNA darstellten als alle früheren Verfahren.[2] Ihre Arbeit zeigte, dass die DNA eine regelmäßige, geordnete Struktur mit einer Periodizität von 3,3 bis 3,4 Å entlang der Achse aufwies.[3][8] Bell untersuchte Nukleinsäuren der Hefe, der Bauchspeicheldrüse, des Tabakmosaikvirus und von Kalbsthymus.[11] Sie erkannte, dass „die Anfänge des Lebens eindeutig mit der Wechselwirkung von Proteinen und Nukleinsäuren verbunden sind“.[12] Bell und Astbury veröffentlichten 1938 eine Röntgenstudie über DNA, in der die Nukleotide als „Pile of Pennies“ beschrieben wurden.[13] Astbury präsentierte Bells Arbeit im Cold Spring Harbor Laboratory in den USA.[14] Zu diesem Zeitpunkt war Bell und Astbury nicht bewusst, dass die DNA unter Feuchtigkeit ihre A-Konformation in eine B-Konformation ändert. Entsprechend sind Bells Aufnahmen verschwommener als spätere Aufnahmen von Raymond Gosling um 1952.[7] Die Röntgenuntersuchungen von biologischen Makromolekülen durch Bell und Astbury wurden in Konferenzberichten wie „X-ray and the Stoichiochemistry of Proteins“, „An X-ray Study of Thymonucleic Acid“ und „Optical and X-ray Examination and Direct Measurement of Built-up Protein Multilayers“ veröffentlicht.[15]

Der Zweite Weltkrieg und was folgte

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Während des Zweiten Weltkrieges wurde Florence Bell als Funkerin zur Women’s Auxiliary Air Force eingezogen.[3] Die Universität von Leeds und William Astbury kämpften darum, Bell zurück ins Labor zu holen und ihre Stelle dort offen zu halten.[3] Aber Florence Bell hatte sich in den amerikanischen Soldaten Captain James Herbert Sawyer verliebt.[5] Sie schrieb an Astbury und die Universität Leeds, dass sie heiraten und in die USA ziehen werde.[3] Bell und Sawyer heirateten am 21. Dezember 1942 in der St. Mary's Church in Ambleside. Anschließend zog Florence Bell mit ihrem Ehemann in die Staaten. Sie nahm zunächst eine Stelle bei der British Air Commission in Washington D.C. an. Später arbeitete sie als Industriechemikerin für die Magnolia Petroleum Company in Beaumont (Texas), Texas.[16] Florence Bell starb am 23. November 2000 in Hereford.

Würdigung

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Florence Bells DNA-Forschungen zeigten, dass die DNA eine regelmäßige, geordnete Struktur aufwies, die mit Hilfe röntgenkristallographischer Methoden untersucht werden konnte. Wenn auch einige Merkmale von Bells DNA-Modell sich als nicht korrekt erwiesen, so hatte sie jedoch den Grundstein für spätere Forschungsarbeiten von Maurice Wilkins, Rosalind Franklin und Raymond Gosling gelegt. Weiterhin versorgte sie James Watson und Francis Crick mit ihrer Schlüsselmessung des Abstandes von zwei benachbarten Basen, als diese begannen, ihr DNA-Modell zu konstruieren.[17] Darüber hinaus muss erwähnt werden, dass Florence Bell ihre DNA-Forschungsarbeiten zu einer Zeit durchführte, als die meisten Forscher noch annahmen, Proteine seien für die Vererbung verantwortlich und der DNA komme in diesem Prozess nur eine strukturelle Bedeutung auf der Basis von monotonen Basensequenzen zu.

Florence Bell wurde mit einem biografischen Artikel in der Oxford Dictionary of National Biography gewürdigt.

  • Kersten Hall: Bell (married name Sawyer), Florence Ogilvy. In: Henry Colin Gray Matthew, Brian Harrison (Hrsg.): Oxford Dictionary of National Biography, from the earliest times to the year 2000 (ODNB). Band 4: Barney–Bellasis. Oxford University Press, Oxford 2004, ISBN 0-19-861354-7; doi:10.1093/ref:odnb/369101 (Lizenz erforderlich), Stand: 8. August 2019.
  • Kersten Hall (University of Leeds): Florence Bell: The Other ‘Dark Lady of DNA’? The British Society for the History of Science (BSH), archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 23. Juni 2018; abgerufen am 24. Mai 2020 (englisch).
  • X-Ray Marks the Spot: William Astbury and the Birth of Molecular Biology at Leeds (Florence Bell's PhD Thesis). University of Leeds (Museum of the History of Science, Technology and Medicine), abgerufen am 24. Mai 2020 (englisch).

Einzelnachweise und Anmerkungen

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  1. Der Artikel ist in enger Anlehnung an den entsprechenden Artikel der englischsprachigen Wikipedia verfasst.
  2. a b c d Gareth Williams: Unravelling the Double Helix. Pegasus Books, New York 2019, ISBN 978-1-64313-215-0, S. 159–162 (englisch, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  3. a b c d e f g h Kersten Hall (University of Leeds): Florence Bell: The Other ‚Dark Lady of DNA‘?
  4. Rosalind Franklins Biografin Brenda Maddox prägte den Begriff The Dark Lady of DNA, weil Rosalind Franklins DNA-Forschungen mitentscheidend waren für die Strukturaufklärung der DNA durch James Watson und Francis Crick. Diese Leistung Franklins wurde kontemporär in keiner Weise gewürdigt. Diese Aussagen gelten umso mehr für Florence Bell, auf deren Arbeiten auch die Forschungsarbeit von Rosalind Franklin basierte.
  5. a b c K. T. Butler: Girton College Register, 1869-1946. Cambridge: Privately printed, 1948, S. 456 (Online).
  6. Oxford dictionary of national biography. Online Auflage. Oxford, ISBN 978-0-19-861412-8.
  7. a b c Michael Fry: Landmark experiments in molecular biology. Academic Press, London 2016, ISBN 978-0-12-802108-8.
  8. a b Florence Bell: X-ray and related studies of the structure of the proteins and nucleic acids. In: www.leeds.ac.uk. University of Leeds, 1939, abgerufen am 25. April 2018 (englisch).
  9. Florence Bell’s PhD Thesis, Museum of the History of Science, Technology, and Medicine, University of Leeds, 2010. Abgerufen am 20. Oktober 2019.
  10. Laboratory notebook of Florence Ogilvy Bell - Library | University of Leeds. In: explore.library.leeds.ac.uk. Abgerufen am 27. April 2018 (britisches Englisch).
  11. a b c Kersten Hall: William Astbury and the biological significance of nucleic acids, 1938–1951. In: Studies in History and Philosophy of Science Part C: Studies in History and Philosophy of Biological and Biomedical Sciences. Band 42, Nr. 2, 2011, ISSN 1369-8486, S. 119–128, doi:10.1016/j.shpsc.2010.11.018, PMID 21486649.
  12. Martin Wainwright: Sidelined scientist who came close to discovering DNA is celebrated at last. In: The Guardian. 23. November 2010, abgerufen am 25. April 2018 (englisch).
  13. W. T. Astbury, Florence O. Bell: X-Ray Study of Thymonucleic Acid. In: Nature. Band 141, Nr. 3573, 1938, ISSN 0028-0836, S. 747–748, doi:10.1038/141747b0 (englisch).
  14. Olby, Robert C. (Robert Cecil): The path to the double helix : the discovery of DNA. Dover Publications, New York 1994, ISBN 0-486-16659-7.
  15. W. T. Astbury, Florence O. Bell: Some Recent Developments in the X-Ray Study of Proteins and Related Structures. In: Cold Spring Harbor Symposia on Quantitative Biology. Band 6, 1. Januar 1938, ISSN 0091-7451, S. 109–121, doi:10.1101/SQB.1938.006.01.013 (englisch).
  16. Kersten T. Hall: The Man in the Monkeynut Coat: William Astbury and the Forgotten Road to the Double-helix. Oxford University Press, 2014, ISBN 978-0-19-870459-1, S. 105 (Google Books).
  17. James D. Watson: The Double Helix. Weidenfeld & Nicolson, 1968, S. 54.