Die formalen Potenzreihen in der Mathematik sind eine Verallgemeinerung der Polynome der Polynomringe. Wie bei letzteren stehen bei ihnen die ringtheoretischen Eigenschaften im Vordergrund, während bei den Potenzreihen der Analysis der Schwerpunkt auf den analytischen, den (Grenzwert-)Eigenschaften, liegt.
Gemeinsam ist, dass die Koeffizienten aus einem Ring genommen werden, der hier sehr beliebig sein kann, wogegen er in der Analysis ausschließlich ein vollständigerRing ist, meist der Körper der reellen oder der komplexen Zahlen.
Ein anderer Unterschied ist, dass die „Variable“ eine Unbestimmte ist, die oft mit Großbuchstaben (oder ) notiert und der in der formalen Potenzreihe ein „Wert“ nicht zugewiesen wird.
Die im Nullpunktanalytischen Potenzreihen der Analysis können auch als formale Potenzreihen aufgefasst werden, da sie wie diese beliebig oft differenzierbar sind und dem Koeffizientenvergleich unterliegen.
Wegen der vielen gemeinsamen Eigenschaften und Begriffsbildungen werden die formalen Laurent-Reihen in diesem Artikel mitbehandelt.
Die Definitionen und Eigenschaften sind bei den formalen Laurent-Reihen geringfügig komplexer, enthalten aber sehr häufig die formalen Potenzreihen als Spezialfall.
Unterstützung für das Rechnen mit formalen Potenz- und Laurent-Reihen gibt es in vielen Computeralgebra-Systemen.
Für einen kommutativen Ring mit Einselement (den Ausgangsring) bezeichnet den Ring der formalen Potenzreihen über in der Unbestimmten . Er ist isomorph zum Ring der Folgen
mit , so dass
die zugehörige formale Potenzreihe ist und die Folge der Unbestimmten entspricht.
Der Ring in wird durch die Abbildung
eingebettet.
Die Folgenglieder werden Koeffizienten genannt. Vergleiche dazu auch Polynomring.
Der Ring ist die Lokalisierung von am Element . Er wird Ring der formalen Laurent-Reihen genannt. Er ist genau dann ein Körper, wenn ein Körper ist, und stimmt dann mit dem Quotientenkörper von überein.
Eine formale Laurent-Reihe kann endlich viele Glieder mit negativem Index haben, sie hat also die Form
mit , .
Diese Reihen können in die Menge[1] von unendlichen Folgen eingebettet und auch als
geschrieben werden unter der Vorschrift, dass fast alle Koeffizienten mit negativem Index verschwinden. Der Unbestimmten entspricht die Folge:
weist einer formalen Laurent-Reihe in der Unbestimmten ihre Ordnung in der Unbestimmten zu. Das Minimum existiert für , weil es nur endlich viele Indizes mit gibt.
Hierbei gelten für die üblichen Maßgaben für Vergleich und Addition:
Für alle gilt und .
Damit lassen sich die formalen Laurent-Reihen als Reihen
mit nach unten beschränkter Ordnung und die formalen Potenzreihen
als solche mit nicht-negativer Ordnung charakterisieren.
Der einfacheren Schreibweise halber nehmen wir generell an, dass ein Koeffizient einer formalen Potenz- oder Laurent-Reihe , falls auf ihn mit einem Index zugegriffen wird, den Wert 0 liefert.
Für die Ringoperationen Addition und Multiplikation gelten die Gesetze der kommutativen Ringe.
Die formale Potenz- oder Laurent-Reihe, bei der alle Koeffizienten 0 sind, heißt Nullreihe. Sie ist das neutrale Element 0 der Addition in beiden Ringen, und .
Ein Skalar multipliziert sich wie in der üblichen Skalarmultiplikation. Damit ist 1 die Einsreihe.
Koeffizientenvergleich: Zwei formale Potenz- oder Laurent-Reihen und sind genau dann gleich, wenn sie in allen Koeffizienten
übereinstimmen.
Die Einheiten von sind genau diejenigen formalen Potenzreihen, deren Absolutglied (konstantes Glied) eine Einheit in ist (s. a. den § Multiplikatives Inverses).
Der Polynomring lässt sich in homomorph (und injektiv) einbetten als ein Ring von Folgen mit nur endlich vielen nicht-verschwindenden Koeffizienten. Ist ein Körper, so lässt sich der rationale Funktionenkörper in homomorph (und injektiv) einbetten. Es gelten die Einbettungen
Umgekehrt ist nach den Struktursätzen von Irving S. Cohen jeder vollständige diskrete Bewertungsring gleicher Charakteristik isomorph zum Ring der formalen Potenzreihen über seinem Restklassenkörper.
Die Ordnung hat eine gewisse Analogie zur Gradfunktion in Polynomringen. So heißt der Koeffizient
,
falls
,
falls
auch Leitkoeffizient.
Es gilt für alle
(Enthält keine Nullteiler – präziser: sind die Leitkoeffizienten keine Nullteiler –, dann gilt die Gleichheit.)
.
Die Funktion
erfüllt alle Forderungen eines nicht-archimedischen Pseudobetrags.
Ist ein Körper, dann ist eine (diskrete) Bewertung (ein logarithmisch geschriebener nicht-archimedischer Betrag, engl. valuation) mit dem Ring als dem (oben erwähnten) zugehörigen Bewertungsring.
Man erkennt die -adische Topologie wieder, wo das von erzeugte Ideal der Vielfachen von ist. Es ist das zugehörige maximale Ideal und der Restklassenkörper.
Die sind Polynome in den mit ganzzahligen (multinomialen) Koeffizienten, auch wenn die Rekursionsformel nur dann in einfacher Weise nach aufzulösen ist, wenn und im Ring invertierbar sind.
(Für den Fall s. a. den § Komposition.)
Die formale Potenzreihe hat genau dann ein multiplikatives Inverses , wenn das Absolutglied
invertierbar ist im Ring . Dann ist auch
und rekursiv
Ist ein Körper, dann ist eine formale Potenzreihe genau dann invertierbar in , wenn das Absolutglied nicht 0 ist, das heißt, wenn sie nicht durch teilbar ist.
Ist bei der formalen Potenzreihe das Absolutglied oder handelt es sich um eine formale Laurent-Reihe, dann lässt sich bei invertierbarem Leitkoeffizienten die Reihe in über den Zwischenschritt
Für Körper lässt sich der Körper der rationalen Funktionen (Polynomquotienten) der Form
in den Körper in ähnlicher Weise wie in einbetten.
Ein wichtiges Beispiel ist
.
Allgemeiner: Ist
ein von 0 verschiedenes Polynom, dann ist mit der (Leit-)Koeffizient invertierbar in und mit
. Damit ist multiplikativ invertierbar in mit dem multiplikativen Inversen . Das multiplikative Inverse von ist dann
mit den Koeffizienten
Beispiel
Ist , dann ist und für . Die sind also die (um 1 Position verschobene) Fibonacci-Folge und ihre erzeugende Funktion. Somit ist ein Polynomquotient an seiner Koeffizientenfolge nicht so leicht als rational zu erkennen wie eine rationale Zahl an ihrer periodischen g-adischen Entwicklung.
ist die Vervollständigung des Körpers bezüglich der im § Konvergenz beschriebenen Metrik.
Das einschlägige Konvergenzkriterium ist ein Cauchy-Kriterium für Folgen, und ist die Vervollständigung des Polynomrings bezüglich dieser Metrik.
Diese Metrik erzeugt die Krulltopologie in den Ringen und .
Zwei Folgen von formalen Laurent-Reihen und haben genau dann denselben Grenzwert, wenn es zu jedem ein gibt, so dass für alle
ist, was nichts Anderes bedeutet, als dass für ausreichend große Indizes die Differenzen von Gliedern der beiden Folgen durch beliebig hohe Potenzen von teilbar sind
– kurz: dass die beiden Grenzwerte gleiche Koeffizienten haben.
Zur Konvergenz von Potenzreihen und Laurent-Reihen für „eingesetzte Werte“ von (aufgefasst als Variable) in reeller/komplexer Metrik siehe Laurent-Reihe#Konvergenz von Laurent-Reihen.
Eine formale Potenzreihe ohne Absolutglied lässt sich in eine formale Potenz- oder Laurent-Reihe mit dem Ergebnis
einsetzen (mit ihr verketten). Für die Einsetzbarkeit der Potenzreihe ist wichtig, dass sie keinen konstanten Term (kein Absolutglied) hat, dass also ist. Denn dann hängt nur von einer endlichen Anzahl von Koeffizienten ab.
Ist eine Potenzreihe, also , dann ist auch eine Potenzreihe, und für die Koeffizienten gilt die Formel
Die formale Ableitung der formalen Potenz- oder Laurent-Reihe wird mit oder (wie in der Analysis) mit bezeichnet:
.
Dabei ergibt die Ableitung einer formalen Potenzreihe wieder eine formale Potenzreihe.
Sie ist eine -Derivation, und sie gehorcht den bekannten Rechenregeln der Differentialrechnung einschließlich der Kettenregel:
.
Bezogen auf die Ableitung verhalten sich formale Potenz- oder Laurent-Reihen wie (unendliche) Taylor-Reihen oder Laurent-Reihen. Tatsächlich ist für
und
.
Damit sind in einem Ring mit von 0 verschiedener Charakteristik immer nur endlich viele formale Ableitungen von der Nullreihe verschieden.
Ferner gilt
Eigenschaft (i) ist Teil der exakten Sequenz.
Eigenschaft (ii) folgt aus (i), wenn auf angewendet.
Eigenschaft (iii): Jedes kann als mit und geschrieben werden, woraus Wegen ist invertierbar in woraus folgt.
Eigenschaft (iv): Da kann man mit schreiben. Folglich ist und (iv) folgt aus (i) und (iii).
Eigenschaft (v) folgt direkt aus der Definition.
Hat die formale Potenzreihe den Koeffizienten und ist invertierbar in , dann lässt sich das Inverse der Komposition, die (formale) Umkehrfunktion, von bilden. Ihre Koeffizienten sind ganzzahlige Polynome in und den .
Etwas schwächer, aber leichter hinzuschreiben, sind die Aussagen:
Ist ein Körper der Charakteristik 0, dann wird die Formel
als eine weitere Version der Lagrangeschen Inversionsformel gehandelt.[2][3]
Etwas breiter einsetzbar ist die Formel: Ist beliebig, dann ist
Es gibt verschiedene Formulierungen der Lagrangeschen Inversionsformel (dazu gehört die Formel von Lagrange-Bürmann) häufig mithilfe von höheren Ableitungen und Bell-Polynomen.
Der Ring kann durch die folgende universelle Eigenschaft charakterisiert werden: Sei eine kommutative assoziative Algebra über dem kommutativen und unitären Ring . Ist nun ein Ideal von derart, dass die -adische Topologie auf vollständig ist, und ist dann gibt es ein eindeutiges mit den folgenden Eigenschaften:
Ist ein kommutativer Ring mit 1, dann sind und kommutative Ringe mit 1 und damit auch rekursiv
und
.
Dabei kommt es nicht auf die Reihenfolge der an, m. a. W.: die Ringe aller Permutationen sind isomorph, und man kann jeden Zwischenring als Ausgangsring auffassen.
Allgemein versteht man jede Summe
von Monomen der Form mit ganzzahligen Exponenten als formale Reihe in mehreren Unbestimmten,
und zwar als Potenzreihe, wenn alle Koeffizienten mit einer negativen Indexkomponente verschwinden,
oder als Laurent-Reihe, wenn es eine untere Schranke mit gibt.
Durch eine Monomordnung ist es möglich, die Monome entsprechend anzuordnen und dadurch Begriffe wie Leitkoeffizient zu verallgemeinern.
Die Größe heißt der Totalgrad eines Monoms .
Haben die (nichtverschwindenden) Monome einer formalen Potenz- oder Laurent-Reihe alle denselben Totalgrad, so ist sie eine homogene Reihe; bei einer formalen Potenzreihe handelt es sich dann um ein homogenes Polynom.
aus der Potenz- oder Laurent-Reihe müssen konstruktionsbedingt alle Monome, in denen die Unbestimmte den Grad hat, als Potenz- oder Laurent-Reihe in den anderen Unbestimmten zusammengefasst werden.
Bei der obigen sukzessiven Bildung von geht die Topologie des Ausgangsrings, hier: , verloren: die Topologie des Teilraums in ist konstruktionsgemäß die diskrete.
Man kann aber auch, wenn solches nicht erwünscht ist, das Ergebnis mit dem Produkt der Topologien von und ausstatten.
Für Ringe von formalen Laurent-Reihen gilt Entsprechendes.