Generationale Ordnung

Begriff aus der Kindheitssoziologie

Generationale Ordnung ist ein Begriff der Kindheitssoziologie und beschreibt in den Sozialwissenschaften und der Pädagogik eine Art der gesellschaftlichen Ordnung, die auf der Differenzierung der Gesellschaft auf Grund von Generationszugehörigkeit beruht. Nach der Auffassung der modernen Kindheitssoziologie (generationing) handelt es sich bei den Gruppen Kinder und Erwachsene um gesellschaftlich konstruierte Kategorien, die nicht natürlichen Ursprungs seien[1] und verborgene Hierarchien beinhalten[2], daher wird der darauf basierende sogenannte Adultismus zu dekonstruieren beabsichtigt. Dieser beschreibt machtmissbrauchendes, diskriminierendes und vorurteilsbehaftetes Verhalten gegenüber Kindern aufgrund von ihrer vermuteten Unreife.[3][4][5]

Generationale Ordnung

Kinder stehen als generationale Klasse[6] in einem Spannungsfeld von Markt, Familie und Staat, und ihre Autonomie als „eigene“ Akteure sei zu stärken (agency).

Die fast komplementäre Stellung von Kindern und Erwachsenen werde aufgrund bereits vorherrschender Strukturen immer wieder neu reproduziert, weshalb der Aufbau der Gesellschaft auch als „generational“ kritisch verstanden wird. Das Konzept „generationing“ (Alanen 1992) postuliert, die „generationale“ Ordnung durch eine „relationale“ zu ersetzen, die zwischenmenschliche Bindungen auf Augenhöhe fokussiert.[7]

„Für die große Bedeutung, die intra-generationalen Differenzen und Verhältnissen im Alltag zukommt, zeigt dieser Ansatz [generationing] wenig Verständnis.“, kritisiert Heinz Hengst.[8] Nach Preuss-Lausitz erhöht die Umsetzung der Konzepte der „modernen Kindheitssoziologie“ („new social childhood studies“) die psychische Belastung vieler Kinder, da mit der Verschiebung der Machtverhältnisse die Übernahme von Verantwortung gefordert wird, was Kinder möglicherweise überlaste.[9]

Unter Berufung auf sozialkonstruktivistische Konzepte, so etwa die Soziologin Susanne Achterberg, wird eine unangemessene Sexualität des Kindes in Bezug zu (aufzulösenden) Generationsgrenzen unterschiedlich thematisiert.[10][11][12][13][14][15] Doris Bühler-Niederberger (2011)[16][17] postuliert, dass Kinder durch Erwachsene gesellschaftlich deshalb „generational“ normiert werden, um diese zu späterer „Ordnungsfähigkeit“, der Eingliederung in eine von Erwachsenen dominierte Gesellschaft, zu disziplinieren.[18][19]

Gerhard Amendt zufolge stellt ein Teilaspekt des Gender-Mainstreamings die beabsichtigte Auflösung generationaler Ordnung dar.[20]

Beispiel: Parentifizierung der Tochter aus Partnerersatz für Vater

Die generationale Ordnung in der Psychiatrie, in der Psychoanalyse und in der systemischen Familientherapie

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Sowohl in der Psychiatrie[21], der Psychoanalyse[22][23] als auch in der systemischen Familientherapie wird auf generationale Ordnung Wert gelegt, da eine diesbezügliche Unordnung unter den Generationen (siehe auch Parentifizierung) innerhalb des jeweiligen Familiensystems sich üblicherweise schlecht auf die Entwicklung der betroffenen Kinder auswirke.[24]

Literatur

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  • Bühler-Niederberger, D. (2005): Kindheit und die Ordnung der Verhältnisse – Von der gesellschaftlichen Macht der Unschuld und dem kreativen Individuum, München, Juventa.
  • Dolderer, M. (2010): Man wird nicht als Kind geboren, man wird zum Kind gemacht. Adultismus, die pädagogische Matrix und die generationale Ordnung. Unerzogen, Heft 2/10, S. 12–14.
  • Haim Omer, Arist von Schlippe: Stärke statt Macht. Neue Autorität in Familie, Schule und Gemeinde. Göttingen 2015.

Einzelnachweise

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  1. Leena Alanen: Kindheit als generationales Konzept. In: Kindheit soziologisch (Hg. Heinz Hengst, Helga Zeiher). Wiesbaden 2005, S. 79: „Dann bezieht sich der Begriff einer generationalen Struktur (oder generationalen Ordnung, vgl. Connels ‚gender order‘) auf die komplexe Menge sozialer (relationaler) Prozesse, durch die einige Personen zu ‚Kindern‘ werden (oder als solche ‚konstruiert‘ werden), während andere zu ‚Erwachsenen‘ werden (oder als solche ‚konstruiert‘ werden). (z. B. Alanen 1992; 2001; Honig 1999). [...] Die Schlußfolgerung ist: die beiden generationalen Kategorien Kinder und Erwachsene werden in solchen generationsbildenden, ‚generationing‘-Praxen ständig hergestellt.“
  2. Michael Sebastian Honig: Konzeptuelle Emanzipation? Systemische Probleme der Kindheitssoziologie. In: Wege zum Selbst. Soziale Herausforderungen für Kinder und Jugendliche (Hg. Harald Uhlendorff, Hans Oswald). Stuttgart 2002, S. 14.
  3. Susie Weller: Teenagers' Citizenship. Experiences and Education. London and New York, p. 6: "As women´s studies aimed to deconstruct patriarchal theory, children´s studies aimed to counter ‚adultism‘ (Alanen 1994)."
  4. Sowiport, das Portal für die Sozialwissenschaften zu: Kindheit als generationales Konzept (Alanen, Leena 2005): „[...] in einer Soziologie der Kinder mit starker Betonung der Untersuchung des Alltagslebens, in einer dekonstruktiven Kinder- und Kindheitssoziologie sowie in einer strukturellen Soziologie der Kindheit. Um das Generationsthema zu erschließen, erörtert die Autorin ferner die Verwendung des Konzepts ‚Generation‘ in anderen Bereichen der Soziologie, wozu sie sowohl die Ansätze der Klassentheorie als auch der Gendertheorie in den Blick nimmt. Da die generationale Beschaffenheit des Phänomens Kindheit vor allem Relationalität impliziert, sind Klassen- und Gendertheorien geeignet, denn sie basieren auf einem Denken, das relational und deshalb auch struktural ist. Die Autorin exploriert einige Vorstellungen von Klasse und Gender, damit sie als fruchtbare Analogien beim Überdenken von Generation im Zusammenhang mit Kindheit verwendet werden können. Das Ziel ihrer Ausführungen besteht darin, "Generation" zu einer genuin relationalen Vorstellung zu entwickeln [...].“
  5. Gender Institut Bremen: Glossar: Adultismus
  6. Vgl. Leena Alanen: Kindheit als generationales Konzept. In: Kindheit soziologisch (Hg. Heinz Hengst, Helga Zeiher). Wiesbaden 2005, S. 74 f: „Neben dieser ‚markt-basierten‘ Definition von Klasse [nach Weber 1964] gibt es eine andere (gebräuchlicher in von Marx angeregten Studien), die interessant wird, wenn man sie auf ‚Generation‘ überträgt. Beginnen wir mit der Definition von Klasse durch die ökonomischen Produktionsverhältnisse [...]. Klassenanalyse und ebenso Genderanalyse (und ich möchte hinzufügen, auch Generationenanalyse) [...]. Dann geht es darum, die Beziehungen zwischen Klassen (Geschlechtern/Generationen) als ‚unabhängigen Variablen‘ und vielerlei anderen Phänomenen zu untersuchen. Nützlich ist aber auch Klasse, Gender oder Generation als abhängige Variablen zu behandeln. [...] Dennoch gründet die Analyse auf der Überzeugung, dass Klasse/Gender/Generation in vielen Fällen eine überzeugende strukturelle Ursache ist [...].“
  7. Leena Alanen spricht in diesem Zusammenhang von „Handlungsvermögen (agency)“ der Kinder, kindlicher Macht/fehlender Macht und dahingehend „müssen wir die konkrete soziale Organisation generationaler Strukturen in einer bestimmten Gesellschaft [noch] untersuchen“ [viel mehr kommt von Alanen dazu nicht] – vgl. Leena Alanen: Kindheit als generationales Konzept. In: Kindheit soziologisch (Hg. Heinz Hengst, Helga Zeiher). Wiesbaden 2005, S. 80.
  8. Heinz Hengst: Kindheit. In: Lehr(er)buch Soziologie. Für die pädagogischen und soziologischen Studiengänge. Band 2 (Hg. Herbert Willems). Wiesbaden 2008, S. 569.
  9. Heinz Hengst: Kindheit. In: Lehr(er)buch Soziologie. Für die pädagogischen und soziologischen Studiengänge. Band 2 (Hg. Herbert Willems). Wiesbaden 2008, S. 572.
  10. Susanne Achterberg, Forum Kritische Psychologie (2010): Das sexuell kompetente Kind und Sexualität als Grenze zwischen Kindern und Erwachsenen (PDF; 168 kB), S. 76 f: „Aus der bisher vorgestellten Analyse ergibt sich ein neuer Blick auf Kindheit und Sexualität: Kindliche Sexualität lässt sich mit dem Konzept des kompetenten Akteurs ebenso wie die Sexualität von Erwachsenen nur als ein gesellschaftliches Produkt definieren. Sie ist also nicht natürlicher als diese. Die sexuelle Besonderheit des Kindes, d. h. die mangelnde sexuelle Triebhaftigkeit und die sexuelle Bindungsunfähigkeit, ist demnach nicht das Resultat seiner Natur, sondern Bestandteil der generationalen Ordnung. Kinder sind von Natur aus weder ohnmächtig noch sexuell besonders verletzbar. Sie sind es, weil gesellschaftliche Verhältnisse ihnen nur begrenzte Macht und nur wenig Verfügungsgewalt über den eigenen und den Körper von anderen einräumen.“
  11. Susanne Achterberg: Das Kind als Objekt des Begehrens. Die pädophile Ausbeutung der generationalen Hierarchie (PDF; 1001 kB). In: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, Jg. 20 (2000), H. 2, S. 167–180.
  12. Gerhard Amendt kritisiert laut TAZ hingegen: „Lautmann argumentiert wie ein Pädophiler. Er macht sich deren Leugnung von Generationengrenzen zu eigen.“ (TAZ, Nina Apin, 9. Oktober 2013: Pädophile Positionen bei pro familia. „Bedürfnisse“ und „Moralpanik“)
  13. Stuttgarter Zeitung, Christoph Link, 2014: Pädophilen-Bericht. Grüne Jugend gegen Schlussstrich: „Aus der Schwulenbewegung kam der Druck für Straffreiheit von Sex mit Minderjährigen. Aber es gab früh Widerspruch, etwa von Alice Schwarzer oder dem Sexualwissenschaftler Günter Amendt, die auf das Herrschaftsverhältnis von Erwachsenen zu Kindern hinwiesen, die eine gleichberechtigte Beziehung unmöglich machten.“
  14. FAZ, Antje Schmelcher, 14. Oktober 2014: Unter dem Deckmantel der Vielfalt, S. 3: „In den achtziger Jahren hätten Pädosexuelle sexuellen Missbrauch und die Missachtung der Grenzen zwischen den Generationen als fortschrittliche Sexualpädagogik verkauft.“
  15. Gerhard Amendt: Pädophilie oder: Über sexualwissenschaftliche Trivialisierungen inzestartiger Handlungen. In: Leviathan, Vol. 25, No. 2 (1997): „Altersgrenzen und Generationenfolgen werden vom pädophilen Bekenntnis in der Tat als tragende Elemente der Kulturentwicklung verworfen, theoretisch und praktisch.“
  16. Doris Bühler-Niederberger: Lebensphase Kindheit. Weinheim 2011, S. 70.
  17. Rezension von „Lebensphase Kindheit“
  18. Vgl. Claudia Machold: Kinder und Differenz. Eine ethnografische Studie im elementarpädagogischen Kontext. Wiesbaden 2015, S. 73 f.
  19. Die Grundüberlegungen des Konzepts „Ordnungsfähigkeit“ entsprechen dem Konzept Autorität und Familie aus der kritischen Theorie, insbesondere nach Erich Fromm (1932): „Fromms Untersuchungen über den autoritären Charakter und seine Reproduktionsbedingungen in der bürgerlichen Kleinfamilie als ‚Agentur der Gesellschaft‘ (1932a, GA I, S. 42) wurden z. Zt. der Studentenbewegung wieder aufgegriffen; sie sind aber auch heute noch unverändert aktuell.“ (Helmut Johach: Erich Fromm und die Kritische Theorie des Subjekts, S. 5 bzw. Fromm (1932): Über Methode und Aufgaben einer analytischen Sozialpsychologie. In: Zeitschrift für Sozialforschung, Bd. 1: „Die Familie ist das Medium, durch das die Gesellschaft bzw. die Klasse die ihr entsprechende, für sie spezifische Struktur dem Kind und damit dem Erwachsenen aufprägt; die Familie ist die psychologische Agentur der Gesellschaft.“) sowie nach Max Horkheimer (1936): „Die Familie besorgt, als eine der wichtigsten erzieherischen Mächte, die Reproduktion der menschlichen Charaktere, wie sie das gesellschaftliche Leben erfordert, und gibt ihnen zum großen Teil die unerlässliche Fähigkeit zu dem besonders gearteten autoritären Verhalten, von dem der Bestand der bürgerlichen Ordnung in hohem Maße abhängt.“ (In: Theoretische Entwürfe über Autorität und Familie, S. 49 f). Nach Horkheimer sei der anerzogene Respekt vor dem Vater auch schuld am (reproduzierten) Respekt des Arbeiters gegenüber dem Unternehmer (vgl. Hermann Korte: Einführung in die Geschichte der Soziologie, Wiesbaden 2013, S. 147).
  20. „Es liegt nahe, dass Unterschiede zwischen Erwachsenen und Kindern im Gender-Mainstreaming nicht gerne gesehen werden. [...] Das Gender-Mainstreaming trübt den Blick dafür, dass zwischen der zärtlichen Liebe von Eltern zu ihren Kindern und der erotisch-sexuellen Liebe zwischen Mann und Frau ein grundsätzlicher Unterschied besteht. [...] Die zweite Wurzel des Gender-Mainstreaming springt abermals ins Auge. Es soll zwischen Erwachsenen und Kindern keinen Unterschied geben, denn das wäre ungerecht gegen die Kinder, weil die sich ausgeschlossen fühlen.“ (Gerhard Amendt, 26. Oktober 2007: Kinderliebe, Elternliebe).
  21. Vgl. Norbert Nedopil: Forensische Psychiatrie. Klinik, Begutachtung und Behandlung zwischen Psychiatrie und Recht. Stuttgart 2007, S. 239.
  22. Helmut Thomä, Horst Kächele: Psychoanalytische Therapie. Praxis. Heidelberg 2006, S. 413.
  23. Vgl. Gerhard Vinnai (2010): Sexuelle Grenzüberschreitungen in Erziehungseinrichtungen - Zur Psychoanalyse des sexuellen Missbrauchs. (PDF)
  24. „Die Erschütterung der erzieherischen Autorität im Allgemeinen und der elterlichen im Besonderen während der letzten Jahrzehnte gilt als eine der entscheidenden Ursachen für den dramatischen Anstieg von Gewalt und Kriminalität unter Kindern und Jugendlichen. Heutzutage besteht in der Öffentlichkeit Konsens darüber, dass elterlicher und pädagogischer Autorität eine wichtige Bedeutung zukommen.“ (Idan Amiel im Vorwort von Stärke statt Macht. Neue Autorität in Familie, Schule und Gemeinde. Göttingen 2015, S. 13.)