Giornico

Gemeinde im Tessin in der Schweiz

Giornico [dʒorˈniko], in der alpinlombardischen Ortsmundart [ʒjorˈniːko],[5] deutsch veraltet Irnis, ist eine politische Gemeinde und der Hauptort des Kreises Giornico (Bezirk Leventina) im Schweizer Kanton Tessin. Am 6. April 2025 wird Bodio eingemeindet.

Giornico
Wappen von Giornico
Staat: Schweiz Schweiz
Kanton: Kanton Tessin Tessin (TI)
Bezirk: Bezirk Leventinaw
Kreis: Kreis Giornico
BFS-Nr.: 5073i1f3f4
Postleitzahl: 6745
Koordinaten: 710460 / 139748Koordinaten: 46° 24′ 0″ N, 8° 52′ 30″ O; CH1903: 710460 / 139748
Höhe: 391 m ü. M.
Höhenbereich: 332–2740 m ü. M.[1]
Fläche: 19,52 km²[2]
Einwohner: 795 (31. Dezember 2023)[3]
Einwohnerdichte: 41 Einw. pro km²
Ausländeranteil:
(Einwohner ohne
Schweizer Bürgerrecht)
26,5 %
(31. Dezember 2023)[4]
Gemeindepräsident: Rosolino Bellotti
Website: www.giornico.ch
Giornico
Giornico
Lage der Gemeinde
Karte von GiornicoGelmerseeRäterichsbodenseeGrimselseeToteseeGöscheneralpseeLai da CurneraLai da NalpsLai da Sontga MariaLago di LuzzoneLago di LucendroLago della SellaLago RitómLago di TomLago della StabbioLago di CadagnoLago di DentroLaghi ChièraLago TremorgioLago del SambucoLago di MorghiroloLago LaghettoLago del NarètLago NeroLago SfundauLago di RobieiLago del ZöttLago dei CavagnööLago del ToggiaLago CastelLago di MorascoLago del SabbioneGriessee (Schweiz)Bacino di Val MalvagliaItalienKanton BernKanton GraubündenKanton UriKanton WallisBezirk BellinzonaBezirk BlenioBezirk LocarnoBezirk RivieraBezirk VallemaggiaAiroloBedrettoFaidoBodio TIGiornicoPersonicoPollegioDalpePrato (Leventina)Quinto TI
Karte von Giornico
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Aussprache von Giornico
Giornico mit Pizzo del Sole im Hintergrund. Historisches Luftbild von Werner Friedli (1954)

Geographie

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Das Dorf liegt in der Talsohle der Leventina beidseits des Flusses Ticino. Zwischen den Dorfteilen liegt eine bewohnte Flussinsel. Zur Gemeinde gehört das kleine Dorf Altirolo nordwestlich Giornicos. Von Norden kommend, ist Giornico der erste Ort mit südlichem Charakter.

Die Gemeinde grenzt im Norden und Osten (ehemals Sobrio) an Faido, im Ostsüdosten an Bodio, im Süden an Personico, im Südwesten an Verzasca (ehemals Frasco) und im Nordwesten ebenfalls an Faido (ehemals Chironico).

Geschichte

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Das Dorf findet sich erstmals um 935/40 (Kopie von 1613/1619) in der Phrase «Ego presbiter Franciscus de Iudicibus Giornicensis» erwähnt; 1202 ist die Rede von «sancto N[icolao] de Iornico». Dem Namen liegt womöglich keltisch *iuris oder *iurom «bewaldeter Berg» zugrunde.[5]

Im Mittelalter gehörte Giornico, zusammen mit den drei ambrosianischen Tälern, dem Domkapitel Mailand[6] und war ein Gerichtsort der Leventina. 1403 wurde es erstmals von Uri und Unterwalden erobert.

Am 28. Dezember 1478 kam es als Folge der die Alpen übergreifenden Machtansprüche der Eidgenossenschaft zur Schlacht bei Giornico, der Battaglia dei Sassi Grossi, bei der die Schweizer die Mailänder besiegten. Sie besiegelte die bis 1798 dauernde Herrschaft von Uri über die Leventina.

1803 kam Giornico wie die gesamte Leventina zum neu gegründeten Kanton Tessin.[7]

Giornico bildet nach wie vor eine eigenständige Bürgergemeinde.[8]

Bevölkerung

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Bevölkerungsentwicklung
Jahr 1567[9] 1745[9] 1850[9] 1880[9] 1900[9] 1950[9] 1970[9] 1980 1990 2000[9] 2010[9] 2020
Einwohner 115 Feuerstellen 510 707 2147 768 820 1389 1305 1048 885 848 806

Die starke Zunahme der Einwohner zwischen 1950 und 1970 bzw. die starke Abnahme von 1980 bis 2000 ist auf die Stahlwerke Monteforno zurückzuführen. Diese eröffneten 1946 und beschäftigten 1971 1750 Personen. Nach der Übernahme 1977 durch die Firma Von Roll wurden in den Folgejahren in fortschreitendem Masse Arbeitsplätze abgebaut. Am 31. Januar 1995 wurden die Stahlwerke endgültig geschlossen.

Sehenswürdigkeiten

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Das Dorf ist von Weinbergen und Kastanienwäldern umgeben. Der alte Dorfkern, der im Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS) als schützenswertes Ortsbild der Schweiz von nationaler Bedeutung eingestuft ist,[10] besteht vorwiegend aus Steinhäusern. Bekannt ist Giornico besonders für seine romanischen Kirchen.

Kirchen

  • Die Kirche San Nicolao ist das bedeutendste romanische Baudenkmal im Tessin und stammt aus den 1120er-Jahren. Sie enthält unter anderem mit Tiermotiven verzierte Kapitelle sowie Wandmalereien aus dem 13. und 15. Jahrhundert, darunter ein Tricephalus, die mehrmals verbotene Darstellung der Dreifaltigkeit mittels ineinander übergehender Gesichter.[11]
  • Die Pfarrkirche San Michele wurde 1210 erstmals bezeugt; der heutige Chor datiert von 1644, das heutige Schiff von 1787.[12]
  • Die Kirche Santa Maria di Castello steht an der Stelle einer 1518 auf Betreiben der Urner zerstörten Burg und integriert die Mauern des ehemaligen Palas.[13]
  • Die Kirche San Pellegrino im Ortsteil Altirolo enthält den bedeutendsten Freskenzyklus des späten 16. Jahrhunderts im Tessin.[14]

Wohnhäuser und Museen

  • Im Dorfzentrum des Ortsteiles Chironico steht ein sechsgeschossiger Wohnturm, der mit dem im 10. Jahrhundert wirkenden Bischof Atto von Vercelli in Verbindung gebracht wird. Die heutige Bausubstanz reicht ins 14. Jahrhundert zurück.[15][16]
  • Die Casa Stanga ist ein altes Wirtshaus aus dem 16. Jahrhundert, dessen Fassade um 1589 mit gemalten Wappen berühmter Gäste verziert wurde. Seit 1972 beherbergt es das Regionalmuseum der Leventina.[15][17]
  • La Congiunta ist ein 1992 vom Architekten Peter Märkli entworfenes, dem Bildhauer Hans Josephsohn gewidmetes Museum.

Brücken

  • Zwei romanische Steinbrücken, über die der mittelalterliche Saumpfad führte, verbinden den rechtsseitigen Dorfteil über eine Tessininsel mit dem links des Flusses gelegenen Viertel. Sie wurden im 14. Jahrhundert erstmals erwähnt.[18]
  • Das Biaschina-Viadukt mit seinen Spannweiten bis zu 160 m und einer Höhe von 100 m ist das markanteste Bauwerk der Autobahn A2 und wurde 1978–1980 erbaut.[19]

Weitere Sehenswürdigkeiten und Baudenkmäler

  • das Schlachtendenkmal von 1937 (Bildhauer: Apollonio Pessina)
  • Schalenstein auf der Alp Cramosin im Ortsteil Sprüch (1720 m ü. M.)[20]
  • Wasserfall Cramosina[21]

Verkehr und Wirtschaft

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Giornico war jahrhundertelang ein Bauern- und Säumer­dorf, das vom Gotthardverkehr lebte.

Von der Inbetriebnahme der Gotthardbahn 1882 konnte es trotz einem eigenen Bahnhof nicht wie andere Gemeinden profitieren, da dieser aufgrund der schwierigen topographischen Verhältnisse zwei Kilometer ausserhalb der Gemeinde gebaut werden musste.[22] Die Teilstrecken zu den Nachbarbahnhöfen Lavorgo und Bodio mit 26,8 und 27 ‰ weisen die grössten Steigungen der Gotthardbahn auf. Die spätere Verlegung des Bahnhofs mehr zum Zentrum der Gemeinde hin vermochte den Trend nicht aufzuhalten; heute ist die Station geschlossen. Die Linienführung der Gotthardbahn direkt oberhalb von Giornico ist gekennzeichnet durch zwei unmittelbar aufeinander folgende Spiraltunnel (Travi und Pianotondo) auf der linken Seite des Tessintals, die zusammen auch als Biaschina-Schleifen bezeichnet werden. Bei Giornico befindet sich heute der längste und höchste Autobahnviadukt der A2, der Biaschina-Viadukt.

Die 1946 eröffneten Stahlwerke der Firma Monteforno beschleunigten den Wandel zum Industrieort; sie wurden 1994 allerdings geschlossen. Einen Ersatz bietet die im Jahr 2000 nach Giornico gezogene Tensol Rail, die im Bereich Eisenbahnzubehör und Schienenunterhalt tätig ist. Etwa zwei Drittel der aktiven Bevölkerung sind Wegpendler.

2022 wurde der Autobahnanschluss Giornico-Bodio eröffnet. Auf dem ehemaligen Monteforno-Areal richtete das Bundesamt für Strassen (ASTRA) ein Schwerverkehrskontrollzentrum (SVKZ) ein.[23]

  • Unihockey Giornico[26]

Persönlichkeiten

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Literatur

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Geschichte

Kunstgeschichte

  • Piero Bianconi, Arminio Janner: Giornico. In: Arte in Leventina. Istituto Editoriale Ticinese, Bellinzona 1939, S. 15, 18, 31, 42, 47, 49, 51, 54, 58, 85, 93, 103.
  • Piero Bianconi (Hrsg.): Giornico. In: Inventario delle cose d’arte e di antichità. Le Tre Valli Superiori. Leventina, Blenio, Riviera. Grassi & Co., Bellinzona 1948, S. 82, 89, 92, 94–96.
  • Kunstführer durch die Schweiz. Vollständig neu bearb. Ausgabe. Hrsg. von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte. Band 2. Bern 2005, ISBN 3-906131-96-3, S. 541–546.
  • Peter Märkli: Stiftung La Congiunta. Haus für Reliefs und Halbfiguren des Bildhauers Hans Josephsohn. Hatje, Stuttgart 1994.[27]
  • Simona Martinoli u. a.: Guida d’arte della Svizzera italiana. Hrsg. von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte. Bellinzona 2007.
  • Johann Rudolf Rahn: I monumenti artistici del medio evo nel Cantone Ticino. Tipo-Litografia di Carlo Salvioni, Bellinzona 1894, S. 98–113.
  • Anton-Heinz Schmidt: Schweiz – Theater aus Stein oder Unbiblisches in Tessiner Kirchen. Die wenig erforschten Kirchen San Nicola in Giornico, San Vittore in Muralto. A.-H. Schmidt, Aigen-Voglhub 2011.
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Commons: Giornico – Sammlung von Bildern und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Generalisierte Grenzen 2024. Bei späteren Gemeindefusionen Flächen aufgrund Stand 1. Januar 2024 zusammengefasst. Abruf am 22. August 2024.
  2. Generalisierte Grenzen 2024. Bei späteren Gemeindefusionen Flächen aufgrund Stand 1. Januar 2020 zusammengefasst. Abruf am 22. August 2024.
  3. Ständige Wohnbevölkerung nach Staatsangehörigkeitskategorie, Geschlecht und Gemeinde, definitive Jahresergebnisse, 2023. Bei späteren Gemeindefusionen Einwohnerzahlen aufgrund Stand 2024 zusammengefasst. Abruf am 22. August 2024
  4. Ständige Wohnbevölkerung nach Staatsangehörigkeitskategorie, Geschlecht und Gemeinde, definitive Jahresergebnisse, 2023. Bei späteren Gemeindefusionen Einwohnerzahlen aufgrund Stand 2024 zusammengefasst. Abruf am 22. August 2024
  5. a b Lexikon der schweizerischen Gemeindenamen. Hrsg. vom Centre de Dialectologie an der Universität Neuenburg unter der Leitung von Andres Kristol. Frauenfeld/Lausanne 2005, S. 388 f.
  6. Die ambrosianischen Täler waren laut Historisch-Biographischem Lexikon der Schweiz, Band I, S. 333–335 von Erzbischof Arnulf II. von Mailand (996–1018) dem Mailänder Kapitel geschenkt worden.
  7. Mario Fransioli: Giornico. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 11. Februar 2008, abgerufen am 31. Dezember 2019.
  8. Patriziato di Giornico (italienisch) auf ti.ch/di/sel/patriziati
  9. a b c d e f g h i Mario Fransioli: Giornico. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 18. Januar 2021, abgerufen am 2. September 2024.
  10. Liste der Ortsbilder von nationaler Bedeutung (Memento vom 10. Juli 2018 im Internet Archive), Verzeichnis auf der Website des Bundesamts für Kultur (BAK), abgerufen am 10. Januar 2018.
  11. Kunstführer durch die Schweiz. Vollständig neu bearb. Ausgabe. Hrsg. von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte. Band 2. Bern 2005, ISBN 3-906131-96-3, S. 542 f.
  12. Kunstführer durch die Schweiz. Vollständig neu bearb. Ausgabe. Hrsg. von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte. Band 2. Bern 2005, ISBN 3-906131-96-3, S. 543.
  13. Kunstführer durch die Schweiz. Vollständig neu bearb. Ausgabe. Hrsg. von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte. Band 2. Bern 2005, ISBN 3-906131-96-3, S. 543 f.
  14. Kunstführer durch die Schweiz. Vollständig neu bearb. Ausgabe. Hrsg. von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte. Band 2. Bern 2005, ISBN 3-906131-96-3, S. 545 f.
  15. a b Kunstführer durch die Schweiz. Vollständig neu bearb. Ausgabe. Hrsg. von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte. Band 2. Bern 2005, ISBN 3-906131-96-3, S. 544.
  16. Turm des Bischofs Atto (mit Foto)
  17. Museo di Leventina (mit Fotos)
  18. Steinbrücke Ost (Foto) auf ti.ch/dt/dstm/sst/ubc
  19. Kunstführer durch die Schweiz. Vollständig neu bearb. Ausgabe. Hrsg. von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte. Band 2. Bern 2005, ISBN 3-906131-96-3, S. 546.
  20. Franco Binda: Il mistero delle incisioni. Armando Dadò editore, Locarno 2013, S. 70–71.
  21. Wasserfall Cramosina auf ETHorama
  22. Mario Fransioli: Giornico. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 11. Februar 2008, abgerufen am 31. Dezember 2019.
  23. A2 Giornico: Inbetriebnahme des neuen Schwerverkehrskontrollzentrums. In: admin.ch Bundesamt für Strassen ASTRA. 2. Dezember 2022, abgerufen am 9. Dezember 2022.
  24. Braun, Adolphe, Photographische Ansichten der Gotthardbahn, Dornach im Elsass, ca. 1875
  25. H. Dietler: Gotthardbahn. In: V. Freiherr von Röll: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 5. Berlin/Wien 1912, S. 356 and 358.
  26. Unihockey Giornico auf giornico.sm.edu.ti.ch
  27. Peter Märkli: Stiftung La Congiunta. Haus für Reliefs und Halbfiguren des Bildhauers Hans Josephsohn. Auf portal.dnb.de (abgerufen am 3. Mai 2016.)