Greedy Institutions

Begriff der Soziologie

Greedy Institutions („besitzergreifende Institutionen“) ist ein soziologischer Begriff von Lewis A. Coser zur Bezeichnung von Institutionen, die allumfassende Ansprüche an ihre Mitglieder stellen und deren ausschließliche, ungeteilt auf sie gerichtete Loyalität anstreben. Dies erreichen sie nicht durch Zwang; vielmehr ziehen diese Institutionen die gesamte Persönlichkeit in ihren Bann, wodurch sie ungeteilte Zustimmung und Mitwirkung (compliance) erlangen.[1] Sie verlangen und erreichen ein hohes Maß an Identifikation (Organisationales Commitment) und halten ihre Mitglieder ggf. davon ab, anderweitige Bindungen einzugehen oder zu vertiefen.[2]

Im Gegensatz zur totalen Institution (nach Erving Goffman) werden vorzugsweise keine körperliche Gewalt, sondern vor allem psychischer Druck und „Soziale Sanktionen“ zur Disziplinierung der Zielpersonen (Akteure) angewandt, um sie in Insider und Outsider aufzuteilen. In nur wenig geringerem Maße als totale Institutionen dies tun, erwarten Greedy Institutions von ihren Mitgliedern bedingungslose Loyalität bis hin zum Bruch mit konkurrierenden Institutionen.[3]

Anwendung

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Coser betrachtete in seiner Veröffentlichung von 1974 Mönche, Jesuiten und Leninisten ebenso wie „Hausfrauen und Mütter“.[1] In der Soziologie werden Sekten und Orden (Religionssoziologie), militärische Organisationen (Kriegssoziologie), die Familie (Familiensoziologie) und die Universität[4][5][6] (Wissenschaftssoziologie) mit Hilfe der Kategorie Greedy Institutions untersucht.

Die Soziologin M. Egger de Campo erläutert, dass Cosers Konzept der Greedy Institutions so aufgefasst werden kann, dass im Zuge des Wandels von Gemeinschaft zu Gesellschaft der Modernisierung Herrschern, religiösen Gemeinschaften und Arbeitgebern die Freiheit und Autonomie des Individuums abgerungen werden musste.[7] Zugleich stellt sie die aktuelle Bedeutung dieses Konzepts heraus, dessen Anwendung sie auf Spin-Doctors und Management-Berater, auf rund um die Uhr verfügbare im Haushalt der Arbeitgeber lebende (live-in) Pflegekräfte sowie auf in bestimmte soziale Netzwerke bzw. Netzgemeinschaften Eingebundene erweitert.[8]

Der Soziologe Uwe Schimank analysiert die Zeugen Jehovas als typische „besitzergreifende Gruppe“: Sie verlange von ihren Mitgliedern Opfer, nämlich eine weitgehende Absonderung von weltlichem Geschehen, und verhänge bei Nichtbefolgen Sanktionen bis zum Ausschluss aus der Gruppe; von den Mitgliedern würden hohe zeitliche Investitionen für ihre Tätigkeit innerhalb der Gruppe verlangt; die Gruppenmitglieder leisteten Verzicht auf soziale Kontakte, die den Kontakt zur Gruppe stören könnten; dafür sei die ritualisierte Gemeinschaft innerhalb der Gruppe groß; und die Gruppenmitglieder würden angehalten, nur die Schriften der Gruppe selbst zu studieren (Abtötung). Diese hohen Ansprüche der Gruppe an ihre Mitglieder trügen dazu bei, dass sich die Mitglieder ihr verpflichtet fühlten und die Stabilität der Gruppe seit über einhundert Jahren hoch sei.[9]

Vom Phänomen der Hyperinklusion wird gesprochen, wenn ein Mensch freiwillig seine gesamte Lebensführung in den Dienst einer einzigen Institution stellt, in der Arbeitswelt zum Beispiel als Mitglied des Top-Managements.[10][11] Liegt tatsächlich eine einzige solche Einbindung vor, kann in der Soziologie sowohl eine Betrachtungsweise als Greedy Institution wie auch als eine Analyse der Hyperinklusion Anwendung finden.[10]

Kommen zwei Greedy Institutions zugleich zum Tragen, z. B. Kind einerseits und Hochschule andererseits[6] oder z. B. Familie und Militärdienst,[12][13] resultiert daraus ein Spannungsverhältnis. An diesen Beispielen wird deutlich gemacht, dass dieses Spannungsverhältnis nicht nur im Zeitaufwand begründet ist und sich nicht durch dessen Verringerung allein lösen lässt: Im Fall von Kind und Hochschule als Greedy Institutions erschwert die durch Bedürfnisse eines Säuglings entstehende Auflösung von Rhythmen und Zeitstrukturen die für das Studium erforderliche Konzentration;[6] im Fall von Familie und Militärdienst wird deutlich, „dass sich auch bei einer halbierten Kontingentzeit (wie im Falle von Soldaten, die ihre Einsatzzeit mit einem Kameraden splitten) nicht die mit der Trennung zusammenhängenden Belastungen für die Familien und Soldaten unweigerlich halbieren“, sondern meistens nur komprimiert erlebt werden.[13]

Siehe auch

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Einzelnachweise

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  1. a b Lewis A. Coser: Greedy Institutions. Patterns of Undivided Commitment. The Free Press, New York 1974. Zitiert nach: Jan Currie, Patricia Harris, Bev Thiele: Sacrifices in Greedy Universities: are they gendered? Gender and Education, 2000, Vol. 12, Nr. 3, S. 269–291. S. 270 (in englischer Sprache).
  2. Lewis A. Coser: Greedy Institutions. Patterns of Undivided Commitment. The Free Press, New York 1974. Zitiert nach R. Burchielli, T. Bartram: Work-Family Balance or Greedy Organizations?, érudit, 2008, Vol. 63, Nr. 1, S. 108–133, doi:10.7202/018124ar (in englischer Sprache)
  3. Lewis A. Coser: Greedy Institutions. Patterns of Undivided Commitment. The Free Press, New York 1974. Zitiert nach: Asher Cohen, Bernard Susser: Women Singing, Cadets Leaving. The Extreme Case Syndrome in Religion-Army Relationships, S. 127 ff. In: Elisheva Rosman-Stollman, Aharon Kampinsky: Civil–Military Relations in Israel: Essays in Honor of Stuart A. Cohen, Lexington Books, 2014, ISBN 978-0-7391-9417-1, S. 130.
  4. Rosalind Edwards: Mature Women Students: Separating Or Connecting Family and Education, Taylor & Francis 1993, ISBN 978-0-7484-0087-4, Kapitel 4 ‘Greedy Institutions’: Straddling the worlds of family and education. S. 62 ff.
  5. Jan Currie, Patricia Harris, Bev Thiele: Sacrifices in Greedy Universities: are they gendered? Gender and Education, 2000, Vol. 12, Nr. 3, S. 269–291 (in englischer Sprache).
  6. a b c Waltraud Cornelissen, Katrin Fox: Studieren mit Kind: Die Vereinbarkeit von Studium und Elternschaft: Lebenssituationen, Maßnahmen und Handlungsperspektiven, Springer 2007, ISBN 978-3-531-90652-2, S. 66–67
  7. Zitat: „Coser seems to imply that in the course of modernization, individual autonomy had to be wrested from rulers, religious collectives, and employers […] Coser's comparison […] indicates a deep belief in modern society (Gesellschaft as opposed to Gemeinschaft) that grants freedom and autonomy to the individual. However, individual freedom and autonomy may never be taken for granted, which shall becoe obvious in my following attempts to extend Coser's concept of greedy institutions to present-day phenomena […].“ Marianne Egger de Campo: Contemporary Greedy Institutions: An Essay on Lewis Coser’s Concept in the Era of the ‘Hive Mind’ (Memento des Originals vom 8. August 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/sreview.soc.cas.cz, Sociologický časopis/Czech Sociological Review, 2013, Vol. 49, Nr. 6, S. 969–987 (PDF; 107 kB) S. 970
  8. Marianne Egger de Campo: Contemporary Greedy Institutions: An Essay on Lewis Coser’s Concept in the Era of the ‘Hive Mind’ (Memento des Originals vom 8. August 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/sreview.soc.cas.cz, Sociologický časopis/Czech Sociological Review, 2013, Vol. 49, Nr. 6, S. 969–987 (PDF; 107 kB)
  9. Uwe Schimank, Gruppen und Organisationen, in: Hans Joas (Hrsg.): Lehrbuch der Soziologie, 3. Auflage, Campus, Frankfurt am Main 2007, S. 226 ff
  10. a b Siehe das Beispiel des Spitzensports, das als Greedy Institution einerseits und als Hyperinklusion andererseits dargestellt wird: Jochen Gläser, Grit Laudel: Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse als Instrumente rekonstruierender Untersuchungen. Springer 2009, ISBN 978-3-531-93033-6, S. 266.
  11. P. Erfurt Sandhu: Selektionspfade im Topmanagement, Homogenisierungsprozesse in Organisationen Springer Gabler, 2014, S. 178–188.
  12. M.W. Segal: The Military And the Family As Greedy Institutions, Armed Forces & Society (1986), Vol. 13 Nr. 1, S. 9–38, doi:10.1177/0095327X8601300101 (Zusammenfassung, in englischer Sprache)
  13. a b Maren Tomforde: Gemeinsam dienen: Zur Vereinbarkeit von Soldatenberuf, Dienst und Familie im Einsatz. 4. Dezember 2013, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 1. März 2014; abgerufen am 1. März 2014.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.readersipo.de

Literatur

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  • Lewis A. Coser: Greedy Institutions. Patterns of Undivided Commitment. The Free Press, New York 1974