Integralgeometrie

Zweig der Geometrie

Integralgeometrie ist ein Zweig der Geometrie, der sich mit Maßen beschäftigt, die invariant unter Gruppen von Transformationen des Raumes sind. Sie hat ihre Wurzeln in geometrischer Wahrscheinlichkeitstheorie (Buffonsches Nadelproblem, Croftons Schnittformel). Ein weiteres frühes klassisches Resultat ist die Cauchysche Oberflächenformel, die den Oberflächeninhalt eines konvexen Körpers als Mittel über die Flächen der Parallelprojektionen des konvexen Körpers in alle Raumrichtungen ausdrückt.[1] Der Name „Integralgeometrie“ stammt von Wilhelm Blaschke, der damit das Gebiet von der geometrischen Wahrscheinlichkeitstheorie loslösen wollte und von einer Vorlesung von Gustav Herglotz angeregt wurde.[2]

Blaschke wandte die Integralgeometrie – neben affinen Unterräumen – vor allem auf konvexe Körper im euklidischen Raum an. Der Körper lässt sich im Raum bewegen und in der Integralgeometrie werden Integrale (Mittelwerte) über die Bewegungsgruppe des Körpers (im euklidischen Raum Drehungen und Translationen) gebildet. Das unter der Bewegungsgruppe invariante Maß wird kinematische Dichte genannt. Kinematische Dichten benutzte schon Crofton in einfachen Fällen und danach Henri Poincaré für den Fall des Schnitts einer Kurve mit einer bewegten zweiten Kurven.

Luis Santaló und S. S. Chern dehnten die Integralgeometrie auf glatte (nicht-konvexe) Flächen und nichteuklidische Räume aus, Hugo Hadwiger auf Konvexringe (endliche Vereinigung konvexer Mengen).

Die Rekonstruktionen von Funktionen aus ihren Integralen über affine Unterräume (Radon-Transformation) ist ein Teilgebiet,[3][4] das in der Computertomographie Anwendung findet. Eine andere Anwendung ist die ab den 1970er Jahren entstandene Stochastische Geometrie.

Crofton-Formel

Bearbeiten
 
Die durch   definierte Gerade schneidet   zweimal, d. h.  .
 
Anwendung der Crofton-Formel

Die Crofton-Formel[5] war vorher schon Augustin Louis Cauchy bekannt und wird manchmal auch nach beiden benannt. Sie drückt die Bogenlänge   einer ebenen Kurve   durch ein Integral über die Zahl der Schnittpunkte   mit einer Geraden aus; deren Abstand vom Ursprung sei   (Länge des Lots vom Ursprung auf die Gerade) und der Winkel des Lots mit der x-Achse sei   (siehe Hessesche Normalform der Geradengleichung). Dann ist   ein kinematisch invariantes Maß (invariant unter Drehungen und Translationen der euklidischen Ebene).   sei die Anzahl der Schnittpunkte der durch   parametrisierten Geraden mit der Kurve. Croftons Formel lautet dann:

 

Kinematische Hauptformel

Bearbeiten

Ein Ergebnis von Blaschke ist seine kinematische Hauptformel.

Betrachtet wird der Spezialfall der Ebene und Gebiete   und  , die von stückweise glatten Kurven begrenzt sind.   wird bewegt, wobei die Bewegungsgruppe hier aus zwei Translationen und einer Drehung besteht. Die kinematische Dichte ist  . Die Krümmung von   sei   (mit der Euler-Poincaré-Charakteristik  ), der Flächeninhalt   und der Umfang   (analog beim unbewegten Gebiet  ). Die Krümmung der Schnittmenge von   und   ist  . Dann lautet die kinematische Hauptformel:[6]

 

Für konvexe Gebiete sind   und man hat:

 

Es gibt auch eine n-dimensionale Fassung.

Literatur

Bearbeiten
  • Wolfgang Blaschke: Vorlesungen über Integralgeometrie, 2 Bände 1935, 1937, 3. Auflage VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften 1955
  • Luis Santaló: Introduction to Integral Geometry, Hermann, Paris 1953
  • Hugo Hadwiger: Vorlesungen über Inhalt, Oberfläche und Isoperimetrie, Springer 1957
  • M. I. Stoka: Géométrie Intégrale, Gauthier-Villars 1968
  • Luis Santaló: Integral geometry and geometric probability, Addison-Wesley 1976, Cambridge UP 2004
  • Rolf Schneider, Wolfgang Weil: Integralgeometrie, Teubner 1992
  • Ren De-lin: Topics in integral geometry, World Scientific 1994
  • Klaus Voss: Integralgeometrie für Stereologie und Bildrekonstruktion, Springer 2007
Bearbeiten

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Zum Beispiel Tsukerman, Veomett, A simple proof of Cauchy's surface area formula, Arxiv 2016
  2. Blaschke, Vorlesungen über Integralgeometrie, Hamburger Mathematische Einzelschriften, 1935/37, Chelsea 1949
  3. Sigurdur Helgason: Integral geometry and Radon transforms, Springer 2011
  4. Israel Gelfand, M. I. Graev, Semjon Grigorjewitsch Gindikin: Selected topics in integral geometry, American Mathematical Society, 2003
  5. Crofton On the theory of local probability. Transactions of the Royal Society, Bd. 158, 1868, S. 181
  6. Ren De-lin, Topics in integral geometry, World Scientific 1994, S. 44