Jens-Christian Wagner

deutscher Historiker

Jens-Christian Wagner (* 20. März 1966 in Göttingen) ist ein deutscher Historiker. Von 2014 bis 2020 leitete er die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten. Seither ist er Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Weimar.

Jens-Christian Wagner, 2021

Jens-Christian Wagner wuchs in Herzberg am Harz auf und besuchte das dortige Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium. Als Kind lebte er einige Jahre in Chile.[1] Nach dem Abitur studierte er von 1987 bis 1995 Mittlere und Neuere Geschichte sowie Romanische Philologie an der Georg-August-Universität Göttingen und an der Universidad Metropolitana de Ciencias de la Educación (UMCE) in Santiago de Chile. Er schloss mit einer Arbeit über das KZ Mittelbau-Dora als Magister Artium ab. Anschließend war er im Jahr 1996 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historisch-Technischen Museum in Peenemünde tätig. Von 1997 bis 1999 forschte er im Rahmen des von der Volkswagenstiftung geförderten Projekts „Tat und Bild“ an der Universität Göttingen am Lehrstuhl von Bernd Weisbrod zum KZ Mittelbau-Dora und arbeitete zugleich an seiner Promotion. 1999 promovierte er zum Dr. phil. bei Weisbrod mit der Studie Verfolgungswahn und Tod zur Geschichte des KZ Mittelbau-Dora.[2][3][4]

Im Jahr 2000 war Wagner als Gastwissenschaftler am Forschungsprogramm „Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus“ in Berlin beteiligt. Von 2001 bis 2014 leitete er die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Zudem war er zeitweise als Lehrbeauftragter an der Universität Göttingen tätig. Seit 2010 vertritt Wagner auf Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) die deutschen Bundesländer im Internationalen Komitee der Stiftung Auschwitz-Birkenau in Warschau.[2][3]

Am 1. September 2014 übernahm Wagner das Amt des Geschäftsführers der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten in Celle.[2][3] Seit 2017 gehört er einer Expertengruppe an, die eine Gedenkstätte auf dem Gelände der ehemaligen Colonia Dignidad in Chile konzipierte.[5][6] Er ist seit Oktober 2020 Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in der Nachfolge von Volkhard Knigge.[7] Die Stelle ist gekoppelt mit einer Professur am Lehrstuhl für „Geschichte in Medien und Öffentlichkeit“ an der Universität Jena.[8][9]

Jens-Christian Wagner ist verheiratet und hat zwei Töchter. Er lebte von 2014 bis 2022 mit seiner Familie in Celle.[4]

Forschungsschwerpunkte

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Wagners Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte des Nationalsozialismus, insbesondere der Zwangsarbeit und der Konzentrationslager, sowie die Geschichtspolitik nach 1945. Wagner ist Autor, Mitautor und Herausgeber zahlreicher Veröffentlichungen zur Geschichte der NS-Zwangsarbeit und der -Konzentrationslager sowie zur Erinnerungskultur nach 1945. Er hat mehrere Ausstellungen zu diesem Themenkreis kuratiert[2][3], darunter die 2021 eröffnete Ausstellung „Befreit! Und dann? Wege nach der Befreiung 1945.“[10]

Politische Äußerungen

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Mitte Januar 2023 forderte Wagner die CDU in einem Gastbeitrag in der Jüdischen Allgemeine auf, sich von Hans-Georg Maaßen zu trennen. Hintergrund waren Äußerungen von Maaßen auf Twitter, Ziel der „treibenden Kräfte im politisch-medialen Raum“ sei ein „eliminatorischer Rassismus gegen Weiße“. Maaßen habe damit „erneut in den antisemitischen Giftschrank gefasst“, so Wagner. Mit dem Wort „eliminatorisch“ stelle er ganz bewusst einen Bezug zum Holocaust her. NS-Verbrechen würden mit dem Zerrbild eines auf Vernichtung zielenden „Rassismus gegen Weiße“ gleichgesetzt, so Wagner.[11] Nach einem weiteren Vergleich mit der Judenverfolgung durch Maaßen im August 2023 erstattete Wagner Anzeige wegen Volksverhetzung.[12]

Vor den Stichwahlen am 24. September 2023 um das Bürgermeisteramt in Nordhausen äußerte Wagner am 14. September auf einer Pressekonferenz, dass der im ersten Wahlgang mit 42,1 % gewählte AfD-Kandidat Jörg Prophet[13] zurücktreten müsste, wenn er Äußerungen zur „Beendigung des Schuldkults“ auf seiner AfD-Website bereits im Amt getätigt hätte. Weiter untersagte er dem AfD-Kandidaten, als Gast an Gedenkveranstaltungen der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora teilzunehmen.[14] Auf Twitter ergänzte Wagner, er hoffe die „demokratische Mehrheit“ möge in der Stichwahl halten.[15] Im Anschluss an die Wahl wertete Wagner, dass sich eine kurzfristig gebildete Graswurzelbewegung gegen einen „tumben AfD-Kandidaten“ durchgesetzt habe.[16]

Vor der Landtagswahl in Thüringen 2024 schrieb Wagner im Namen der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora einen Brief an die Thüringer Wähler, in dem er vor der AfD warnte.[17] Bereits zuvor war er Bedrohungen (darunter Hassmails, Morddrohungen, Anrufe von pöbelnden Unbekannten) ausgesetzt.[18] Nach seinem Brief war sein Konterfei auf eine Todesmarschstele geklebt worden.[19]

Auszeichnungen und Ehrungen

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Veröffentlichungen

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Autorenschaft
  • Ellrich 1944–45. Konzentrationslager und Zwangsarbeit in einer deutschen Kleinstadt. Herausgegeben von der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Wallstein Verlag, Göttingen 2009, ISBN 978-3-8353-0438-3;
    französischsprachige Ausgabe: Ellrich 1944–1945. Un camp de la mort lente dans la nébuleuse nazie. Übertragung ins Französische von Jean-Marie Winkler. Edition Tirésias, Paris 2013, ISBN 2-915293-73-2.
  • Landeszentrale für politische Bildung Thüringen (Hrsg.): Zwangsarbeit für den „Endsieg“. Das KZ Mittelbau-Dora 1943–1945. Erfurt 2006, ISBN 3-931426-98-X.
  • mit Hans Hesse: Das frühe KZ Moringen (April–November 1933): „… ein an sich interessanter psychologischer Versuch“. Herausgegeben von der Lagergemeinschaft und Gedenkstätte KZ Moringen e. V. BoD, Norderstedt 2003, ISBN 3-8334-0429-9.
  • Lern- und Dokumentationszentrum Mittelbau-Dora. Die Neukonzeption der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Herausgegeben von der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Weimar 2003, ISBN 3-935598-09-2.
  • mit Bernhard Strebel: Zwangsarbeit für Forschungseinrichtungen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft 1939–1945. Ein Überblick (= Ergebnisse. Vorabdrucke aus dem Forschungsprogramm „Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus“, Nr. 11). Herausgegeben von Carola Sachse im Auftrag der Präsidentenkommission der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. (MPG). Berlin 2003 (PDF; 620 kB).
  • Produktion des Todes. Das KZ Mittelbau-Dora. Herausgegeben von der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Wallstein Verlag, Göttingen 2001, Neuauflage 2015, ISBN 3-89244-439-0 (zugleich Dissertation, Universität Göttingen 1999, unter dem Titel Verfolgungswahn und Tod; Rezension des Buches bei sehepunkte).
Herausgeberschaft
  • mit Regine Heubaum: Zwischen Harz und Heide. Todesmärsche und Räumungstransporte im April 1945 (= Schriftenreihe der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten. Band 5). Wallstein Verlag, Göttingen 2015, ISBN 978-3-8353-1713-0.
  • Wiederentdeckt. Zeugnisse aus dem Konzentrationslager Holzen. Begleitband zur Wanderausstellung. Herausgegeben im Auftrag der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Wallstein Verlag, Göttingen 2013, ISBN 978-3-8353-1350-7.
  • mit Johanna Grützbauch, Regine Heubaum: Konzentrationslager Mittelbau-Dora 1943–1945. Begleitband zur ständigen Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Herausgegeben im Auftrag der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Wallstein Verlag, Göttingen 2007, ISBN 978-3-8353-0118-4.
  • mit Helmut Kramer, Karsten Uhl: Zwangsarbeit im Nationalsozialismus und die Rolle der Justiz. Täterschaft, Nachkriegsprozesse und die Auseinandersetzung um Entschädigungsleistungen PDF (= Nordhäuser Hochschultexte, Band 1). Fachhochschule Nordhausen 2007, ISBN 978-3-9809391-9-5.
  • Das KZ Mittelbau-Dora. Katalog zur historischen Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Herausgegeben im Auftrag der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Wallstein Verlag, Göttingen 2001, ISBN 3-89244-502-8.
  • mit Thomas Rahe: Menschen in Bergen-Belsen. Biografische Skizzen zu Häftlingen des Konzentrationslagers. Göttingen 2019, ISBN 978-3-8353-1631-7.
  • Armament, War and Crimes. The Wehrmacht and the Bergen-Hohne Barracks, Wallstein, 2020
  • mit Martina Staats: Law. Crime. Consequences. Wolfenbüttel Prison under National Socialism, Wallstein, 2021
  • mit Elke Gryglewski, Evelyn Hevia Jordán, Jan Stehle: Colonia Dignidad. Auseinandersetzungen um eine Gedenkstätte, Wallstein, 2024
  • mit Anett Dremel, Michael Löffelsender: Témoignages strasbourgeois. Berichte französischer Überlebender der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora, Wallstein, 2024
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Commons: Jens-Christian Wagner – Sammlung von Bildern
  • Literatur von und über Jens-Christian Wagner im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
  • Dr. Jens-Christian Wagner: Kurzbiographie, Ausgewählte Publikationen. Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, archiviert vom Original am 23. Oktober 2015;.
  • Kristin Müller: Der kritische Geist vom Kohnstein: Jens-Christian Wagner scheute nie deutliche Worte. In: Thüringer Allgemeine. 1. September 2014;.

Einzelnachweise

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  1. Jens-Christian Wagner über Gedenkstättenkonzept Ex Colonia Dignidad bei Nachrichtenpool Lateinamerika vom 19. Oktober 2022
  2. a b c d Dr. Jens-Christian Wagner: Kurzbiographie, Ausgewählte Publikationen. Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, archiviert vom Original am 23. Oktober 2015; abgerufen am 3. November 2020.
  3. a b c d Sebastian Schumacher: Neuer Geschäftsführer der „Stiftung niedersächsische Gedenkstätten“ – Heiligenstadt: „Dr. Jens-Christian Wagner ist ein herausragender Experte deutscher Erinnerungskultur“. Pressemitteilung. In: niedersachsen.de. 13. Mai 2014, abgerufen am 3. November 2020.
  4. a b Kristin Müller: Der kritische Geist vom Kohnstein: Jens-Christian Wagner scheute nie deutliche Worte. In: Thüringer Allgemeine. 1. September 2014, abgerufen am 3. November 2020.
  5. So geschichtspolitisch umkämpft wie die Colonia ist kaum ein anderer Ort. In: Der Colonia Dignidad Public History Blog. 23. Juli 2019, abgerufen am 3. November 2020 (Interview mit Jens-Christian Wagner).
  6. Ute Löhning: Wir müssen aufklären und gedenken in Neues Deutschland vom 13. Oktober 2022
  7. Jens Feuerriegel: Regine Heumbaum verlässt die Gedenkstätte in Nordhausen. In: Thüringer Allgemeine. 13. März 2020, abgerufen am 3. November 2020.
  8. Hanno Müller: Neuer Chef für KZ-Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. In: Thüringer Allgemeine. 22. Februar 2020, abgerufen am 3. November 2020.
  9. Prof. Dr. Jens-Christian Wagner ist neuer Stiftungsdirektor bei Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora
  10. Befreit! Und dann? Wege nach der Befreiung 1945 beim Niedersächsischen Landtag
  11. Nach Rassismus-Äußerungen: CDU drängt Maaßen zum Austritt – er will bleiben www.mdr.de, 25. Januar 2023
  12. Hans-Georg Maaßen: Leiter der KZ-Gedenkstätte Buchenwald zeigt Ex-Verfassungsschutzchef an. In: Der Spiegel. 31. August 2023, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 1. September 2023]).
  13. Jörg Prophet – NordhausenWiki, abgerufen am 15. Oktober 2023.
  14. Phillip Oltermann:"Prospective AfD mayor ‘will be barred from Holocaust events’" Guardian vom 15. September 2023
  15. Stefan Locke: Wahlkampf mit lokalen Themen und ohne Höcke FAZ vom 15. September 2023
  16. Rieke Wiemann: Aufatmen in Nordhausen in taz.de vom 24. September 2023
  17. Warum die Stiftung einen Brief an die Wähler:innen in Thüringen geschrieben hat. In: stiftung-gedenkstaetten.de. 19. August 2024, abgerufen am 5. Oktober 2024.
  18. Jonas Breng: (S+) Rechtsextremismus: Warum immer Thüringen? In: Der Spiegel. 24. August 2024, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 5. Oktober 2024]).
  19. Zentralrat der Juden in Deutschland K.d.ö.R: Drohungen gegen Gedenkstättenleiter. 20. August 2024, abgerufen am 5. Oktober 2024.
  20. Hohe Auszeichnung für Nordhäuser Gedenkstätten-Leiter. In: Thüringer Allgemeine. 11. März 2012, abgerufen am 3. November 2020.