Johann Oldendorp
Johann Oldendorp (* um 1488 in Hamburg; † 3. Juni 1567 in Marburg) war ein deutscher Jurist, Reformator und Politiker.
Leben
BearbeitenJohann Oldendorp wurde als Sohn des Kaufmanns Johann Oldendorp und dessen Ehefrau Elisabeth geb. Krantz geboren. Der Bruder seiner Mutter war der bekannte Historiker Albert Krantz, bei dem er vermutlich auch seinen ersten Unterricht erhielt. 1504 studierte er an der Universität Rostock.[1] Danach folgten Studien an der alten Universität zu Köln und der Universität Bologna. In Bologna wurde er 1511 Sprecher der deutschen Studentenschaft und erhielt 1515 das Lizenziat. 1516 wurde er als Professor nach Greifswald berufen, wo er ab 1517 das Rektorat bekleidete. Die Doktorwürde erlangte er erst 1518. 1520 wirkte er als Professor an der Brandenburgischen Universität Frankfurt in Frankfurt/Oder, 1521 wieder als Ordinarius in Greifswald. In Greifswald wirkte Oldendorp mit großem Eifer für die Belange der Universität, was zu Spannungen mit dem städtischen Rat führte. Grund für Konflikte mit seinem damals noch katholisch strenggläubigen Kollegen, dem späteren Dekan Heinrich Bukow jun., war die reformatorische, praktisch-theologische Denkweise Oldendorps, die er auch öffentlich vertrat. Ein weiterer Grund dürfte in der Tatsache gelegen haben, dass Oldendorp die Feier seines Doktorgrades 1518 mit der der eigenen Trauung verband, er heiratete die Witwe Sophia Lotze. Vor der strengkatholischen, starren Haltung der Universitätsleitung und der städtischen Gremien wich Oldendorp aus und ging 1526 nach Rostock.
Hier herrschten bereits reformatorische Gedanken und Ansichten vor, so dass Oldendorp als Professor und Stadtsyndikus berufen wurde. Neben Joachim Slüter wirkte auch Johann Oldendorp hier für die rasche Einführung der Reformation 1531 und bewegte sich in seiner Entwicklung vom Juristen zum Politiker. Die Trennung von seiner Frau zwang ihn 1534, Rostock zu verlassen. Er begab sich nach Lübeck, wo er bis 1536 Syndicus, Vertrauter und Ratgeber des Bürgermeisters Jürgen Wullenwever während der Endphase der Grafenfehde und bis zu dessen Absetzung und Entmachtung war. Bei den Verhandlungen um die Rückkehr des geflohenen katholischen Bürgermeisters Nikolaus Brömse soll er durchgesetzt haben, dass Lübeck evangelisch bleiben konnte.
Danach begann für Oldendorp eine unstete Zeit: 1536 war er nochmals Professor an der Viadrina in Frankfurt an der Oder. Ab Juli 1538 wurde er Professor und Syndicus an der Universität Köln, wo er sich vermutlich am Versuch des Erzbischofs Hermann V. von Wied und Martin Bucers beteiligte, die Reformation durchzusetzen. 1540 wurde er Professor der Rechte in Marburg und 1541 hier zum Rektor gewählt. Anfang 1543 ging er wieder nach Köln, wurde aber schon bald wegen seines evangelischen Glaubens vom dortigen Rat entlassen und im Juli 1543 durch Landgraf Philipp I. von Hessen nach Marburg zurückgerufen. Dieser hatte hier die erste protestantische Universität ins Leben gerufen, für die Oldendorp eine grundlegende Erneuerung der Verfassung erarbeiten sollte. In Philipp I. von Hessen fand Johann Oldendorp einen Gönner und Förderer, der ihn zum „Rath von Haus aus“ ernannte und es ihm ermöglichte, hier dauerhaft zu arbeiten. In Marburg war er nach 1541 noch 1553, 1555, 159 sowie 1562 Rektor der Universität.
Wissenschaftliches Werk
BearbeitenOldendorp gab bis zu seinem Tod Schriften heraus, deren Themen vielseitig von der Rechtsphilosophie über die Staats- und Soziallehre zur Rechtsgeschichte reichten. Er kommentierte Gesetze und beurteilte Rechtsfälle im Konkreten. Seine Abhandlungen waren praxisbezogen ausgerichtet und vielfach rechtsdidaktisch verfasst. Der systematische Ordnungsrahmen und seine erkenntnistheoretischen Ausführungen stellten sich in eine deutliche Abkehr zum „gestelzten“ Stil der Rechtsliteratur seiner Zeit auf.
Kernstück seiner Rechtsphilosophie ist die Lehre, dass alles menschliche Recht veränderlich, göttliches und natürliches Recht dagegen stetig sei. Mit seinem aus dem Jahr 1539 stammenden Hauptwerk Iuris naturalis gentium et civilis isagoge gilt er damit als einer der frühen Vertreter des „klassischen Naturrechts“.[2] Teilweise wird er auch als Vorläufer des aus dem Naturrecht geborenen Vernunftrechts gesehen, so von Franz Wieacker, der Oldendorps Wurzeln im Humanismus der Renaissance und der lutherischen Reformation gleichermaßen verortet. Im Zusammenhang seiner erkenntnistheoretischen Abhandlungen kommt bei Oldendorp nämlich die Frage des Verhältnisses von Recht und Billigkeit (aequitas) auf.[3][4] Losgelöst von der zu seiner Zeit stark diskutierten Scholastik untersucht Oldendorp in seinem Hauptwerk die Herkunft des Rechts und stößt dabei auf das ius naturale als Recht der natürlichen Vernunft, das unabhängig vom Sündenfall gültig bliebe und das altrömische ius civile (Gewohnheitsrecht, das aus der Väter Sitte herrührte), den Stempel der wandelbaren Vorläufigkeit aufdrückte.[3]
In seinem Werk Wat billich un recht ys, eyne korte erklaring, allen stenden denstlick, geschrieben in niederdeutscher Schrift, beschäftigte sich Oldendorp – angelehnt an die aristotelische Billigkeitslehre – mit dem Verhältnis von Billigkeit zu Gerechtigkeit. Dabei weist er dem weltlichen Recht, dem ius strictum, den Platz der (wandelbaren) Gerechtigkeit zu. Dem göttlichen Recht, dem ius divinum, weist er die (stete) Billigkeit zu (Godtlike und natürlicke rechte bleyven stede, överst menschen gesette unn wertlicke Regiment synt wandelbar). Da die Billigkeit nicht nur „Gottes Wort und Willen“ dient, sondern dem „Gemeinen Besten“, mündet dies in der Offenlegung der Natur der zu vollziehenden Gesetze, in denen sich die Vorstellungen zu spiegeln hätten, die mithin gerecht sein müssten, weil nicht jeder Sachverhalt im Einzelfall geregelt werden könne. Dazu zieht Oldendorp Naturrecht und konkretes (historisches) Recht zusammen („Gerechtigkeit der Positivität“).[3]
Werke
Bearbeiten- Wat billich un recht ys, eyne korte erklaring, allen stenden denstlick, Rostock, 1529.[5]
- Ratmannenspiegel, Rostock, 1530.
- Iuris naturalis gentium et civilis isagoge, Antwerp, 1539.
- Loci communes iuris civilis, Lowen, 1545.
- Tractatus de testibus et universa testimoniorum materia. Johann Gymnich, Köln 1596 (Latein, beic.it).
Siehe auch
BearbeitenLiteratur
Bearbeiten- R. Stintzing: Geschichte der Wissenschaften in Deutschland Bd. 18, 1 Abt. R. Oldenboourg, München, Leipzig 1880, S. 311–338
- Ernst Landsberg: Oldendorp, Johannes. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 24, Duncker & Humblot, Leipzig 1887, S. 265–267.
- Friedrich Bruns: Die Lübecker Syndiker und Ratssekretäre bis zur Verfassungsänderung von 1851 in ZVLGA Band 29 (1938), S. 97–99.
- Erik Wolf: Grosse Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte. 4. Auflage. Mohr, Siebeck 1963, ISBN 3-16-627812-5, S. 138–176.
- Peter Macke: Das Rechts- und Staatsdenken des Johannes Oldendorp. Diss. Köln 1966.
- Sabine Pettke: Oldendorp, Johann. In: Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck. Band 8, 1987, S. 262–268.
- Sabien Pettke: Oldendorp, Johann. In: Lübecker Lebensläufe aus neun Jahrhunderten hrsg. von Alken Bruns. Karl Wachholtz Verlag, Neumünster 1993, ISBN 3-529-02729-4, S. 272–278.
- Heinrich Meyer zu Ermgassen: OLDENDORP, Johannes. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 6, Bautz, Herzberg 1993, ISBN 3-88309-044-1, Sp. 1178–1180 .
- Jochen Otto: Oldendrop, Johann. In: Michael Stolleis (Hrsg.): Juristen. Ein biographies Lexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert. C. H. Beck, München 1995, ISBN 3-406-39330-6, S. 462–463. (=UTB 578)
- Bernhard Pahlmann: Johann Oldendorp. In: Gerd Kleinheyer, Jan Schröder (Hrsg.) Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten. 4. Aufl. C. F. Müller, Heidelberg 1996. ISBN 3-8252-0578-9, S. 313–316.
- Klaus Luig: Oldendorp, Johann. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 19, Duncker & Humblot, Berlin 1999, ISBN 3-428-00200-8, S. 514 f. (Digitalisat).
- Michael Busch: Oldendorp, Johann. In: Franklin Kopitzsch, Dirk Brietzke (Hrsg.): Hamburgische Biografie. Band 3. Wallstein, Göttingen 2006, ISBN 3-8353-0081-4, S. 282–283.
- Martin Grahl: Gott und das Recht. Johann Oldendorps Rostocker Schriften, Hamburg 2024, ISBN 978-3-384-27122-8.
Weblinks
Bearbeiten- Literatur von und über Johann Oldendorp im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von und über Johann Oldendorp in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Literatur über Johann Oldendorp in der Landesbibliographie MV
- Topicorum legalium, hoc est, locorum seu notarum, ex quibus argumenta et rationes legitime probandi sumuntur: infractorum item adversus vitiosas argumentationes, exactißima traditio, 1555, E-Book der Universitätsbibliothek Wien (eBooks on Demand)
- Oldendorp, Johannes. Hessische Biografie. (Stand: 7. Februar 2022). In: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS).
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Eintrag im Rostocker Matrikelportal
- ↑ Uwe Wesel: Geschichte des Rechts. Von den Frühformen bis zur Gegenwart. C. H. Beck, München 2001, ISBN 978-3-406-54716-4, Rnr. 249 (S. 380).
- ↑ a b c Franz Wieacker: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung. 2. Auflage. Göttingen 1967, DNB 458643742 (1996, ISBN 3-525-18108-6). S. 283 f.
- ↑ Guido Kisch: Erasmus und die Jurisprudenz seiner Zeit. Studien zum humanistischen Rechtsdenken. Basel 1960 S. 230 ff und 242; als Repräsentanten reformatorischen Naturrechtsdenkens sieht ihn vor den eigentlichen Vernunftrechtsdenkern Althusius, Grotius und Pufendorf noch Erik Wolf in: Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte. 1939, 4. Auflage 1963, S. 138 ff. (nach Wieacker).
- ↑ Niederdeutsches Original bei Freybe in: Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 14 (1878), S. 100 ff.
Personendaten | |
---|---|
NAME | Oldendorp, Johann |
ALTERNATIVNAMEN | Oldendorp, Johannes |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Jurist und Reformator |
GEBURTSDATUM | um 1488 |
GEBURTSORT | Hamburg |
STERBEDATUM | 3. Juni 1567 |
STERBEORT | Marburg |