Landhaus Bellevue
Das Landhaus Bellevue (französisch für Schönblick) ist ein Gebäude, das sich nach seiner Umsetzung im Jahr 1843 von der linken auf die rechte Neckarseite heute in der Badstraße in Bad Cannstatt befindet.
Das Landhaus wurde zusammen mit einigen Nebengebäuden wohl im Jahr 1802 „auf der ‚Belle Vue‘ bei Cannstatt“ als Türkischrot-Färberei erbaut, die der Unternehmer Wilhelm Zais dort gründete. Oskar Gerhardt schreibt darüber: „Wenn man den eigenen späteren Darlegungen des Fabrikanten Zais (in einem Schreiben vom 31. Dezember 1833, worin er dem König sein damaliges benachbartes neues Anwesen zum Kauf anbot) folgen darf, so ist die einstige ‚Bellevue‘ als die Geburtsstätte der württembergischen mechanischen Baumwollspinnerei zu betrachten.“[1]
1806, also schon vier Jahre später, verkaufte er die Färberei an den württembergischen König Friedrich, der ihm dafür 18.000 fl. zahlte. Im königlichen Besitz wurde das Gebäude zu einem Landsitz ausgebaut;[2] der Architekt Ferdinand Fischer wurde dafür mit dem Zeichnen der Umbaupläne betraut.[3]
Von der Bellevue aus führte am Anfang des 19. Jahrhunderts eine Treppe den Kahlenstein empor, die „Stuttgarter Staffel“ genannt wurde und über die man von Cannstatt nach Stuttgart gelangen konnte. Nachdem sie noch 1816 im Zuge der Gartenerweiterung der Bellevue erneuert wurde, brach man sie schon bei der Anlage des Rosensteinparks wieder ab.[4]
Zu ihrem 28. Geburtstag am 22. Mai 1816[5] oder schon zu ihrer Hochzeit im Januar 1816[6] schenkte der König das Landhaus mit dem darüberliegenden Park seiner Schwiegertochter Katharina Pawlowna als Sommersitz, die das Haus mit ihrem Mann, dem Kronprinzen und später König Wilhelm, noch im gleichen Monat bezog.[7] Zeitgenossen sprachen davon, dass der Lebensstil, den das Paar in dem kleinen Landhaus führte, „schlicht bürgerlich“ gewesen sei.[8] Nach einem Hochwasser im Mai 1817, bei dem das in der Bellevue weilende Königspaar offenbar in Lebensgefahr geriet, verließen König Wilhelm und Königin Katharina das Haus als Wohnsitz.[9] Schon 1820 war von Abrissplänen für das Gebäude die Rede,[10] aber auch mit seiner dritten Ehefrau Pauline hielt sich König Wilhelm in den Folgejahren immer wieder dort auf.[11] Erst 1843 wurde das Landhaus letztlich abgebrochen und die Baumaterialien verkauft, um Platz für den Bau der Wilhelma zu machen; lediglich das Bellevue-Tor erinnert noch an den alten Standort des Gebäudes. Der neue Besitzer baute das Haus am anderen Neckarufer (Badstraße 42 in Cannstatt) wieder auf.[12] In seinem Kaufgesuch an den König schrieb er, er wolle daraus ein „zu Kurzwecken eingerichtete[s] Privathaus“ machen, „in welchem solche chronische Kranke, die an unsrer Quelle und in unsren Bädern Hilfe suchen […], behandelt werden“.[13] Es ist nicht bekannt, ob dieser Zweck tatsächlich umgesetzt wurde. Sicher ist, dass das Haus später ein Finanzamtsgebäude war.[14] Heute wird es von der Stuttgarter Denkmalschutzbehörde als Kulturdenkmal eingestuft. Als Erbauungszeitraum gibt die Behörde das Jahr 1847 an.[15]
Siehe auch
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Oskar Gerhardt: Stuttgarts Kleinod. Die Geschichte des Schloßgartens, Rosensteins sowie der Wilhelma. Silberburg, Stuttgart 1936, S. 52.
- ↑ Friedrich-Franz Wauschkuhn: Die Anfänge der württembergischen Textilindustrie im Rahmen der staatlichen Gewerbepolitik 1806–1848. Diss., Univ. Hamburg 1974, S. 72.
- ↑ Vgl. Nicola Buhl: Fischer, Ferdinand von (1784). In: Allgemeines Künstlerlexikon Online. De Gruyter, 2009, abgerufen am 12. März 2024.
- ↑ Ernst Eberhard Friedrich von Seyffer: Beschreibung des Königlichen Landhauses Rosenstein. J. G. Cotta, Stuttgart/Tübingen 1831, S. 20.
- ↑ Vgl. Jakob Merkle: Katharina Pawlowna Königin von Württemberg. Beiträge zu einer Lebensbeschreibung der Fürstin besonders nach neueren russischen Quellen. W. Kohlhammer, Stuttgart 1889, S. 68; Karl-Johannes Grauer: Wilhelm I. König von Württemberg. Ein Bild seines Lebens und seiner Zeit. Schwabenverlag, Stuttgart 1960, S. 121.
- ↑ Oskar Gerhardt: Stuttgarts Kleinod. Die Geschichte des Schloßgartens, Rosensteins sowie der Wilhelma. Silberburg, Stuttgart 1936, S. 53.
- ↑ Siegfried Hänle: Württembergische Lustschlösser. Band 2: Freudenthal, Solitude, Hohenheim, Bellevue und Rosenstein. Stahel’sche Buchhandlung, Würzburg 1847, S. 212. Vgl. Johann Daniel Georg Memminger: Stuttgart und Ludwigsburg mit ihren Umgebungen. J. G. Cotta, Stuttgart/Tübingen 1817, S. 381.
- ↑ Julius Hartmann: Chronik der Stadt Stuttgart. Greiner & Pfeiffer, Stuttgart 1886, S. 212; vgl. Paul Sauer: Reformer auf dem Königsthron. Wilhelm I. von Württemberg. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1997, S. 126, 142. Zur Beurteilung des Lebensstils des Königspaars in der Bellevue siehe auch Andrea Kittel/Gisela Hengstenberg: Königin Katharina von Württemberg (1788–1819). In: Adelheid M. von Hauff (Hrsg.): Frauen gestalten Diakonie. Band 2: Vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. W. Kohlhammer, Stuttgart 2006, S. 99–119, hier S. 104.
- ↑ Wilhelm Speidel: Giovanni Salucci der erste Hofbaumeister König Wilhelms I. von Württemberg. Sein Leben und Schaffen. W. Kohlhammer, Stuttgart 1936, S. 45.
- ↑ Siehe die Bemerkung im Bauprogramm des Rosenstein-Schlosses des Baumeisters Giovanni Salucci, abgedruckt bei Wilhelm Speidel: Giovanni Salucci der erste Hofbaumeister König Wilhelms I. von Württemberg. Sein Leben und Schaffen. W. Kohlhammer, Stuttgart 1936, S. 106.
- ↑ Vgl. Paul Sauer: Reformer auf dem Königsthron. Wilhelm I. von Württemberg. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1997, S. 206.
- ↑ Vgl. Wilhelm Speidel: Giovanni Salucci der erste Hofbaumeister König Wilhelms I. von Württemberg. Sein Leben und Schaffen. W. Kohlhammer, Stuttgart 1936, S. 39.
- ↑ Zit. nach Oskar Gerhardt: Stuttgarts Kleinod. Die Geschichte des Schloßgartens, Rosensteins sowie der Wilhelma. Silberburg, Stuttgart 1936, S. 55.
- ↑ Oskar Gerhardt: Stuttgarts Kleinod. Die Geschichte des Schloßgartens, Rosensteins sowie der Wilhelma. Silberburg, Stuttgart 1936, S. 55.
- ↑ Landeshauptstadt Stuttgart, Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung, Untere Denkmalschutzbehörde, Liste der Kulturdenkmale. Unbewegliche Bau- und Kunstdenkmale. Stand 25. April 2008 – nach Stadtbezirken ( vom 26. März 2016 im Internet Archive; PDF; 490 kB), S. 136.
Koordinaten: 48° 48′ 16,8″ N, 9° 12′ 44,4″ O