Levonorgestrel

organische Verbindung, Arzneimittel, Kontrazeptivum

Levonorgestrel ist ein synthetisches Gestagen der 2. Generation, welches zur hormonellen Empfängnisverhütung (Kontrazeption) eingesetzt wird.

Strukturformel
Struktur von Levonorgestrel
Allgemeines
Freiname Levonorgestrel
Andere Namen
  • (−)-17β-Hydroxy-18-methyl-19-nor-17α-pregn-4-en-20-in-3-on (IUPAC)
  • (−)-13-Ethyl-17-hydroxy-18,19-dinor-17α-pregn-4-en-20-in-3-on
  • (−)-Norgestrel
Summenformel C21H28O2
Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer
EG-Nummer 212-349-8
ECHA-InfoCard 100.011.227
PubChem 13109
ChemSpider 12560
DrugBank DB00367
Wikidata Q416950
Arzneistoffangaben
ATC-Code

G03AC03 G03AA07 G03AB03 G03DA06 G03FA11 G03FB09 G02BA04

Wirkstoffklasse

Gestagene

Eigenschaften
Molare Masse 312,45 g·mol−1
Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[1]

Achtung

H- und P-Sätze H: 312​‐​332​‐​351
P: 280[1]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet.
Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa).

Eigenschaften

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Levonorgestrel (auch (–)-Norgestrel oder D-Norgestrel) ist eine der isomerenreinen, optisch aktiven Formen von racemischem Norgestrel[2] (dl-Norgestrol, (±)-Norgestrel). Es wurde von der Schering AG, die Norgestrel nach der Entwicklung und Patentierung von Wyeth lizenziert hatte, durch Enantiomerentrennung dargestellt und als pharmakologisch wirksame Form identifiziert. Das Enantiomer Dextronorgestrel (L-Norgestrel, (+)-Norgestrel) ist pharmakologisch inaktiv.[3]

Levonorgestrel ist ein weißes bis fast weißes kristallines Pulver und praktisch unlöslich in Wasser, wenig löslich in Methylenchlorid und schwer löslich in Ethanol 96 %. Die spezifische optische Drehung nach der Arzneibuchmethode beträgt −35 bis −30 (°)·ml·dm−1·g−1 (in Methylenchlorid).[4]

Anwendungsgebiete

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Levonorgestrel wurde 1966 auf den Markt gebracht und gehört damit zur 2. Generation der synthetischen Gestagene (Progestine). Es wird als Wirkstoff auf verschiedene Weise zur hormonellen Empfängnisverhütung eingesetzt:

Ein weiteres Anwendungsgebiet ist die Hormonersatztherapie bei Beschwerden in den Wechseljahren.

Die Wirkung des Levonorgestrels ist abhängig von der Dosis und dem Zeitpunkt der Einnahme in Bezug auf den weiblichen Menstruationszyklus. Im Rahmen der Kontrazeption (als Bestandteil der Antibabypille, der Minipille oder von Langzeitkontrazeptiva wie der Hormonspirale) hemmt Levonorgestrel die Ausschüttung von sogenannten gonadotropen Hormonen aus der Hirnanhangsdrüse. Die gonadotropen Hormone LH und FSH steuern die Aktivität der Eierstöcke und Umbauvorgänge in der Gebärmutterschleimhaut.

Weiterhin wird durch die Wirkung von Levonorgestrel das Sekret des Gebärmutterhalses zäher. Dies führt dazu, dass Spermien nicht oder nur sehr vereinzelt die Gebärmutter erreichen können. Weitere Effekte des Levonorgestrels betreffen die Tubenmotilität der Eileiter.

Die genaue Wirkung des Levonorgestrels im Rahmen der Notfallkontrazeption (Pille danach) ist unklar. Diskutiert werden eine Hemmung des Eisprungs, ein hemmender Effekt auf den Transport der Eizelle oder Spermien in den Eileitern sowie eine Störung der Einnistung der befruchteten Eizelle.

Abgabe und Erstattungsfähigkeit

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In Deutschland sind, bis auf die Ausnahme der „Pille danach“ alle Medikamente, die Levonorgestrel enthalten, verschreibungspflichtig. Die Kostenübernahme als Antibabypille durch die gesetzliche Krankenversicherung ist abhängig von Alter und Indikation.

In den USA wurde das 1973 zugelassene orale Kontrazeptivum Opill, das racemisches Norgestrel als einzigen Wirkstoff enthält, im Juli 2023 aus der Verschreibungspflicht entlassen. Es stellt damit das erste „Antibabypillen“-OTC-Produkt in den USA dar.[5] Die 75-µg-Dosierung in Opill entspricht der einer „Minipille“, weswegen das Präparat jeden Tag zur gleichen Zeit einzunehmen ist.[6] Zulassungsinhaber von Opill ist Laboratoire HRA Pharma (HRA).[5] Das Unternehmen wurde 2021 vom OTC-Arzneimittel-Hersteller Perrigo gekauft,[7] der ankündigte, das Mittel ab 2024 zu vertreiben.[8]

„Pille danach“

Die Pille danach war in Deutschland bis März 2015 verschreibungspflichtig. Obwohl sich der zuständige Ausschuss des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bereits 2004 dafür ausgesprochen hatte, die „Pille danach“ mit dem Wirkstoff Levonorgestrel aus der Rezeptpflicht zu entlassen, war die Abgaberegelung nicht geändert worden.

Pro familia startete im Mai 2012 die Kampagne „Pannenhilfe nach 6“ mit dem Ziel, die „Pille danach“ rezeptfrei zu machen.[9] In einem offenen Brief vom November 2012 sprachen sich der Berufsverband der Frauenärzte (BVF) und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) gegen die Rezeptfreiheit von Levonorgestrel aus.[10]

Mit Entlassung aus der Rezeptpflicht[11] zum 15. März 2015 wurde auch die Kostenübernahme durch die Krankenkasse für Patientinnen unter 20 Jahren (seit März 2019 unter 22 Jahren[12]) verordnet. Die Abgabe im Versandhandel ist nicht erlaubt, eine direkte Werbung für das Präparat ist verboten.[13] Jugendliche ab 14 Jahren können Levonorgestrel in Deutschland auch ohne Einwilligung der Erziehungsberechtigten erwerben. Eine umfassende Beratung der Betroffenen vor dem Kauf wird empfohlen.[14]

In der Schweiz ist die „Pille danach“, nach einem persönlichen Gespräch in der Apotheke, rezeptfrei erhältlich. Auch in Österreich wird Levonorgestrel zur Notfallverhütung ohne Rezept abgegeben, ebenso in vielen anderen Ländern der EU, vgl. Abgabevoraussetzungen für Levonorgestrel.

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen

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Die Auswertung von Nebenwirkungsmeldungen in der VigiBase-Datenbank des Uppsala Monitoring Centre der WHO ergab, dass Levonorgestrel wie auch andere antikontrazeptiv eingesetzte Wirkstoffe bzw. Wirkstoffkombinationen (Medroxyprogesteron, Drospirenon/Ethinylestradiol, Etonogestrel, Ethinylestradiol/Etonogestrel, Desogestrel, Ethinylestradiol/Norelgestromin, Ethinylestradiol/Norgestimat und Desogestrel/Ethinylestradiol) bei systemischer Anwendung ein Potential für einen vollständigen Verlust der Libido aufweist. Die Autorin folgert, dass ein deutlicher Hinweis auf diese mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkung in den Präparateinformationen empfehlenswert sei, um einen möglichen Verlust der Lebensqualität durch eine veränderte Wahl der Geburtenkontrolle zu vermeiden.[15]

Synthese

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Eine vielstufige enantioselektive Synthese von Levonorgestrel ist – ausgehend von 6-Methoxy-1-tetralon – in der Fachliteratur beschrieben:[16]

 
Synthese von Levonorgestrel

Analytik

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Zur zuverlässigen qualitativen und quantitativen Bestimmung in verschiedenen Untersuchungsgütern wie z. B. Serum bzw. Plasma,[17][18] Urin[19] oder Abwasserproben[20][21] wird die Kopplung der Chromatographie mit der Massenspektrometrie nach adäquater Probenvorbereitung eingesetzt. Auch für die Bestimmung in abwasserexponierten Regenbogenforellen findet diese analytische Vorgehensweise Verwendung.[22]

Handelsnamen

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Monopräparate

Tabletten: Levogynon (D), Microlut (D), 28 mini (D), NorLevo (CH), Postinor (A), Unofem (D), Vikela (A)

Wirkstofffreisetzungssysteme: Jaydess, Kyleena, Levosert, Mirena (alle D, A, CH)

Kombinationspräparate

Asumate (D), CycloÖstrogynal (D), Cyclo-Progynova (D), Fem7 Combi (D, A), Femigoa (D), Femigyne (D), Gravistat (D), Illina (D), Klimonorm (D), Leios (D), Leona (D), Leonore (A), Levomin 20 (D), Loette (A), Madonella (A), Microgynon (D, A, CH), Minisiston (D), Minisiston 20 fem (D), Miranova (D, CH), MonoStep (D), NovaStep (D), Ologyn (CH), Östronara (D), Rigevidon (A), Selina mite Gynial (A), Swingo (D), Triette (D), Trigoa (D), Triquilar (D), Triregol (A), Trisiston (D), Wellnara (D), Xyliette (A)

Literatur

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Einzelnachweise

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  1. a b Datenblatt (−)-Norgestrel bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 7. April 2011 (PDF).
  2. Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zu Norgestrel: CAS-Nr.: 6533-00-2, EG-Nr.: 229-433-5, ECHA-InfoCard: 100.026.758, PubChem: 16051930, ChemSpider: 10481953, Wikidata: Q7051185.
  3. M. Filshie, J.Guillebaud: Contraception: Science and Practice. Elsevier Science, 2013. S. 12 f. ISBN 978-1-4831-6366-6.
  4. Monographie „Levonorgestrel“, European Pharmacopoeia 10th Edition, 1st Suppl. (Ph. Eur. 10.1), EDQM Council of Europe, 2020.
  5. a b FDA Approves First Nonprescription Daily Oral Contraceptive, Pressemitteilung FDA vom 13. Juli 2023, abgerufen am 14. Juli 2023.
  6. FDA entlässt Gestagenpräparat aus der Verschreibungspflicht, DAZ vom 14. Juli 2023, abgerufen am 15. Juli 2023
  7. Omega-Mutterkonzern Perrigo kauft HRA Pharma. In: Apotheke Adhoc. Abgerufen am 29. November 2024 (deutsch).
  8. USA: Zulassung für rezeptfreie Antibabypille. In: Apotheke Adhoc. Abgerufen am 29. November 2024 (deutsch).
  9. Pille danach* muss rezeptfrei sein! Kampagne "Pannenhilfe nach 6". In: profamilia.de, 21. Mai 2012.
  10. An die Abgeordneten des Deutschen Bundestages – Offener Brief von BVF und DGGG zur Rezepfreiheit von Levonorgestrel vom 9. November 2012.
  11. Bundesrat stimmt rezeptfreier "Pille danach" zu. In: Süddeutsche Zeitung. 6. März 2015.
  12. Celine Müller: Kassen zahlen Antibaby-Pille bis zum Alter von 22 Jahren. In: DAZ.online. 5. April 2019, abgerufen am 21. Juni 2019.
  13. Bundestag gibt „Pille danach“ frei. In: apotheke-adhoc.de, 27. Februar 2015.
  14. Bundesapothekerkammer: Rezeptfreie Abgabe von Notfallkontrazeptiva („Pille danach“). S. 10. (Memento vom 2. April 2015 im Internet Archive) Stand vom 28. Januar 2015, abgerufen am 28. Februar 2015.
  15. WHO Pharmaceuticals Newsletter No. 5, 2017
  16. Axel Kleemann, Jürgen Engel, Bernd Kutscher, Dieter Reichert: Pharmaceutical Substances. 5. Auflage. Thieme-Verlag, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-13-558405-8, S. 799–800; zusätzlich online mit halbjährlichen Ergänzungen und Aktualisierungen.
  17. R. Wang, Y. Tian, L. Zhang, Z. Zhang: Simultaneous determination of levonorgestrel and two endogenous sex hormones in human plasma based on LC-MS/MS. In: Bioanalysis. 8(11), Jun 2016, S. 1133–1144. PMID 27211854
  18. S. Ananthula, D. R. Janagam, S. Jamalapuram, J. R. Johnson, T. D. Mandrell, T. L. Lowe: Development and validation of sensitive LC/MS/MS method for quantitative bioanalysis of levonorgestrel in rat plasma and application to pharmacokinetics study. In: J Chromatogr B Analyt Technol Biomed Life Sci. 1003, 15. Okt 2015, S. 47–53. PMID 26409262
  19. P. G. Zanchetta, O. Heringer, R. Scherer, H. P. Pacheco, R. Gonçalves, A. Pena: Evaluation of storage and evaporation in the removal efficiency of D-norgestrel and progesterone in human urine. In: Environ Monit Assess. 187(10), Okt 2015, S. 619. PMID 26353967
  20. P. Avar, G. Maasz, P. Takács, S. Lovas, Z. Zrinyi, R. Svigruha, A. Takátsy, L. G. Tóth, Z. Pirger: HPLC-MS/MS analysis of steroid hormones in environmental water samples. In: Drug Test Anal. 8(1), Jan 2016, S. 123–127. PMID 26059287
  21. F. F. Al-Qaim, M. P. Abdullah, M. R. Othman, J. Latip, Z. Zakaria: Multi-residue analytical methodology-based liquid chromatography-time-of-flight-mass spectrometry for the analysis of pharmaceutical residues in surface water and effluents from sewage treatment plants and hospitals. In: J Chromatogr A. 1345, 6. Jun 2014, S. 139–153. PMID 24768127
  22. J. Fick, R. H. Lindberg, J. Parkkonen, B. Arvidsson, M. Tysklind, D. G. Larsson: Therapeutic levels of levonorgestrel detected in blood plasma of fish: results from screening rainbow trout exposed to treated sewage effluents. In: Environ Sci Technol. 44(7), 1. Apr 2010, S. 2661–2666. PMID 20222725
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