Lipodystrophie
Klassifikation nach ICD-10 | |
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E88.1 | Lipodystrophie, anderenorts nicht klassifiziert |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Unter Lipodystrophie versteht man eine Veränderung des Unterhautfettgewebes, die lokal oder auch generalisiert auftreten kann. Die Veränderungen können je nach Ursache reversibel sein. Die Lipodystrophie zählt zu den sehr seltenen Erkrankungen (Orphan Diseases).
Nicht mehr gebräuchliche Bezeichnung: Simons-Syndrom.[1]
Formen der Lipodystrophie
BearbeitenFamiliäre Lipodystrophie-Syndrome
BearbeitenHierbei handelt es sich um sehr selten auftretende, genetisch bedingte Erkrankungen. Beim Typ I oder Köbberling-Syndrom betrifft die Lipodystrophie die untere Körperhälfte, beim Typ II oder Dunningan-Syndrom betrifft die Lipodystrophie auch den Körperstamm. Daneben kommt es zu einer Vermehrung des Fettgewebes im Gesicht und am Hals, was bei den Betroffenen zu einem cushingoiden Aussehen führt. Bei den Betroffenen, typischerweise junge Frauen nach der Pubertät, kommt es zu einem Hirsutismus, die Frauen wirken aufgrund des fehlenden subkutanen Fettgewebes und der damit hervorstehenden Muskulatur und der Blutgefäße muskulös. Tatsächlich aber leidet der Körper unter einer pathologischen, aber visceral gelegenen Fettansammlung und einer massiven Hypertriglyceridämie, die einerseits zu akuten Bauchspeicheldrüsenentzündungen und andererseits über eine erhöhte Insulinresistenz zu einem Diabetes mellitus führen kann. Ferner gibt es noch weitere Formen, siehe unter Familiäre Lipodystrophie, sowie die Lipodystrophie Typ Berardinelli mit weiteren Auffälligkeiten.
- Behandlung
In den USA ist seit 2014 seitens der amerikanischen Zulassungsbehörde (FDA) ein einziges Medikament zur Behandlung der familiären Lipodystrophie zugelassen: Metreleptin (Myalept).[2][3][4][5] Metreleptin ist ein rekombinantes Analogon des humanen (also menschlichen) Leptin. Für Europa hat das Herstellerunternehmen (Novellion resp. Aegerion) den Zulassungsantrag im Dezember 2016 gestellt. Vorgesehener Handelsname ist Myalepta.[6]
Nicht familiäre Syndrome
BearbeitenDie Syndrome mit erworbener Lipodystrophie können unterteilt werden in:[7]
- Generalisierte Form Lawrence-Syndrom
- Partielle Formen Barraquer-Simons-Syndrom und Parry-Romberg-Syndrom
- Behandlungsbedingte Lipodystrophien (z. B. durch subkutane Injektionen und durch antiretrovirale Therapie)
Lipodystrophie durch subkutane Injektion von Insulin
BearbeitenBei wiederholter subkutaner Injektion von Insulin an einem sehr begrenzten Hautareal kann es durch unterschiedliche Prozesse sowohl zu einer lokalen Verminderung (Lipoatrophie) als auch zu einer Vermehrung (Lipohypertrophie) des subkutanen Fettgewebes kommen[8][9]. Mögliche Folgen sind eine schlechtere Resorption des Insulins und infolgedessen eine Stoffwechselverschlechterung.
Lipohypertrophie (Fettgewebe-Wucherung) bei Insulinbehandlung
- Ursachen
Diese Veränderung an den Insulin-Injektionsstellen wird auf die direkte Aktivität des ins Unterhautfettgewebe gespritzten Insulins zurückgeführt (Insulin ist ein zellwachstumsförderndes Hormon). Sie entsteht eher durch Normalinsulin (z. B. bei Behandlung mit einer Insulinpumpe) als durch Verzögerungsinsulin. Andere begünstigende Faktoren sind nicht bekannt.
- Behandlung
Striktes Vermeiden von Insulin-Injektionen in die Fettgewebe-Wucherungen, die sich dann sehr langsam – über Jahre – zurückbilden. Eine Alternative ist die Fettgewebeabsaugung (Liposuction).[10][11] Häufiger Wechsel der Injektionsstellen vermeidet die Insulin-Lipohypertrophie.
Lipoatrophie (Fettgewebe-Schwund) bei Insulinbehandlung
- Ursachen
Diese Veränderung an den Insulin-Injektionsstellen tritt vorwiegend bei Patienten mit autoimmunologischen Störungen auf – z. B. bei Patienten mit Typ-1 Diabetes mellitus und Hashimoto-Schilddrüsenentzündung – und eher bei Verwendung von Verzögerungsinsulin als von Normalinsulin. Es bilden sich Einsenkungen (Dellen) bis hin zu "Löchern" im Unterhautfettgewebe, die sich allmählich verbreitern; mikroskopisch sind im Gewebepräparat beschädigte, atrophierte Fettzellen zu sehen, dagegen kaum typische Entzündungszellen (Leukozyten, Lymphozyten). Der Verlauf ist völlig schmerzlos, Frauen sind öfter betroffen als Männer. Die Insulinart ist unbedeutend: Lipoatrophie wurde bei Anwendung von Rinderinsulin, Schweineinsulin, Humaninsulin und von Insulin-Analoga (Glargin, Detemir, Lispro) beschrieben. Auslöser kann, nach jahrelanger problemloser Insulintherapie, eine akute Erhöhung des Tumor-Nekrose-Faktor (TNF) sein, infolge eines Virusinfektes oder einer Impfung. TNF-alpha hemmt die Reifung von Fettzellen (Adipozyten) aus ihren Vorstufen (Präadipozyten) und lässt reife Fettzellen schrumpfen. Die Insulin-induzierte Lipoatrophie kann mittels niedrig-dosierter Kortisontherapie behandelt werden.[12] Im Fall von nicht komplett insulinabhängigem Typ-2 Diabetes mellitus kann die Umstellung von Insulininjektionen auf Tablettenbehandlung zur spontanen Wiederherstellung des Fettgewebes führen.
Lipodystrophie durch subkutane Injektion anderer Substanzen
BearbeitenLokale Lipoatrophie wurde beobachtet nach Injektion von
- HPV-Impfstoff,
- Corticosteroid,
- Wachstumshormon (spontane Rückbildung nach Beendigung der Injektionen)
- Somatostatin-Analog (Octreotid)
Lipodystrophiesyndrom unter antiretroviraler Therapie
BearbeitenDie Lipodystrophie ist ein Stoffwechselsyndrom, das bei HIV-Infizierten unter antiretroviraler Therapie auftreten kann. Ältere Studien wiesen auf ein Auftreten bei 30–50 % unter HAART stehender Patienten hin. Untersuchungen bei aktuellen Behandlungsregimes zeigen jedoch ein deutlich selteneres Auftreten, so wird in der Erstlinientherapie eine jährliche Inzidenz von nur 5–10 % ausgewiesen, die in den Folgejahren weniger fortzuschreiten scheint.[13] Die Lipodystrophie geht einher mit einer Erhöhung der Blutfette und des Serumcholesterins sowie einer Umverteilung des Fettgewebes, wobei sowohl atrophische als auch hypertrophische Veränderungen auftreten können. Die Betroffenen entwickeln typischerweise Fettauszehrungen im Gesichtsbereich (Lipoatrophie), sowie an den Extremitäten; dagegen entsteht oft ein „Stiernacken“ und ein größeres Fettpolster im Bauchbereich („Rettungsring“). Außerdem kommt es zu einer Insulinresistenz. Die Lipodystrophie beeinträchtigt die Infizierten kosmetisch stark und erhöht in noch unbekanntem Ausmaß das Risiko der HIV-Infizierten, an Diabetes oder kardiovaskulären Leiden zu erkranken.
Siehe auch
Bearbeiten- Morbus Whipple (intestinale Lipodystrophie)
Literatur
Bearbeiten- Das HIV-assoziierte Lipodystrophiesyndrom. In: Medizinische Klinik, 2001; doi:10.1007/PL00002220
Weblinks
Bearbeiten- kompetenznetz-hiv.de (PDF) S2-Leitlinie, AWMF-Registernummer 055/005 (Volltext), Stand 12/2004
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Bernfried Leiber (Begründer): Die klinischen Syndrome. Syndrome, Sequenzen und Symptomenkomplexe. Hrsg.: G. Burg, J. Kunze, D. Pongratz, P. G. Scheurlen, A. Schinzel, J. Spranger. 7., völlig neu bearb. Auflage. Band 2: Symptome. Urban & Schwarzenberg, München u. a. 1990, ISBN 3-541-01727-9.
- ↑ FDA Approved Drug Products. FDA, Approval Date(s) and History, Letters, Labels, Reviews for BLA 125390; abgerufen am 20. Juli 2017
- ↑ Eintrag zu Lipodystrophie, familiäre partielle, Typ Dunnigan. In: Orphanet (Datenbank für seltene Krankheiten), abgerufen am 20. Juli 2017.
- ↑ Lipodystrophie. springermedizin.de, Abstract. In: Der Internist, April 2011.
- ↑ People with GL do not have enough leptin. WebSite des Herstellers; abgerufen am 20. Juli 2017
- ↑ Novelion Therapeutics’ Subsidiary Files for European Approval for Metreleptin as a treatment for Generalized Lipodystrophy and a Subset of Patients with Partial Lipodystrophy. Novelion, Pressemitteilung, 21. Dezember 2016; abgerufen am 20. Juli 2017
- ↑ Rare Diseases
- ↑ Lipodystrophie als unerwünschte Arzneimittelwirkung? Abgerufen am 19. Mai 2022.
- ↑ A. Holstein, H. Stege, P. Kovacs: Lipoatrophie unter dem Insulinanalogon Glargin. In: Diabetologie und Stoffwechsel. Band 5, S 1, April 2010, ISSN 1861-9002, S. P198, doi:10.1055/s-0030-1253926.
- ↑ H.J. Ziegelasch, R.Mett: Therapie einer massiven Lipohypertrophie bei Typ-1-Langzeitdiabetes. In: Diabetologie und Stoffwechsel. Nr. 5, 2010, S. P96, doi:10.1055/s-0030-1253824.
- ↑ H. Hauner, R. R. Olbrisch: Behandlung einer Typ-I-Diabetikerin mit insulininduzierter Lipohypertrophie durch Fettgewebssaugung. In: Deutsche Medizinische Wochenschrift. Band 119, Nr. 12, 1994, S. 414–417, doi:10.1055/s-2008-1058709.
- ↑ E.A.Chantelau, R.Praetor, J.Praetor, L.W.Poll: Relapsing insulin-induced lipoatrophy, cured by prolonged low-dose oral prednisone: a case report. In: Diabetology & Metabolic Syndrome. Band 3:33, 2011, doi:10.1186/1758-5996-3-33.
- ↑ Kapitel 8: Das Lipodystrophie-Syndrom. hivbuch.de, Das HIV-Buch. 2012; abgerufen am 5. Januar 2012