Lise Cristiani

französische Cellistin

Lise Cristiani, auch Lisa Cristiani, Lisa Christiani (* 4. Dezember 1825 in Paris;[Anm. 1]24. Oktober 1853 in Nowotscherkassk, Russland) zählte zu den ersten Cellistinnen der Musikgeschichte sowie zu den bekanntesten Spielern des Instruments im 19. Jahrhundert.[1]

Lise Cristiani, Lithographie von H. J. J., nach Thomas Couture, ca. 1860 (https://www.sophie-drinker-institut.de/cristiani-lise)

Lise Cristiani wurde als uneheliches Kind geboren, ihr Vater ist unbekannt. Sie wuchs im Haus ihres Großvaters auf, des Kunstmalers Nicolas Alexandre Barbier (1789–1864),[Anm. 2] der ihr musikalisches Talent erkannte und förderte.

Ihren ersten Unterricht in Tonsatz, Gesang und Klavier erhielt Lise Cristiani bei Auguste Wolff (1821–1887), einem französischen Pianisten und Klavierfabrikanten, der später Dozent am Pariser Konservatorium wurde. Zur Cellistin wurde sie bei Bernard Bénazet (1781–1846), einem Schüler von Bernhard Romberg, ausgebildet.[2]

Ab 1844 gab sie Konzerte, sowohl in solistischer als auch kammermusikalischer Besetzung, in Paris, Rouen und Brüssel. Ihr „Repertoire bestand aus Bearbeitungen beliebter Melodien (Schubert, Donizetti, Ernst), Fantasien über Opernthemen (Batta) und wenigen Originalkompositionen (Offenbach, Franchomme). Ergänzt wurde es durch Kammermusik (Hummel, Rossini, Beethoven, Mayseder), die sie mit ortsansässigen Musikern aufführte.“[2] Ab 1845 unternahm sie eine Konzertreise nach Wien, Linz, Passau, Regensburg, Nürnberg und Baden-Baden. Anschließend spielte sie im Leipziger Gewandhaus und wurde hier u. a. von Felix Mendelssohn Bartholdy begleitet, der ihr seine Romance sans paroles in D-Dur für Violoncello und Klavier (op. 109, MWV Q 34) sowie ein Andante pastorale in C-Dur für Klavier (MWV U 193) widmete. Außerdem reiste Lise Cristiani weiter u. a. nach Berlin, Stettin, Dresden, Magdeburg sowie 1846 nochmals nach Berlin, Freiberg, Braunschweig, Hannover und Hamburg. Es folgten weitere Konzertreisen nach Dänemark und Schweden, nochmals nach Deutschland sowie 1847 u. a. nach Petersburg, Moskau und Sibirien. Über Moskau (1850) reiste sie weiter in die Ukraine (1852), bis sie Ende September 1853 Nowotscherkassk erreichte, wo sie an der Cholera erkrankte und wenige Tage später starb. Sie wurde nur 27 Jahre alt.[2]

Cristiani war die erste professionelle Cellistin, die eine öffentliche Karriere wagte – zu einer Zeit, als das Cellospiel wegen der Haltung des Instruments zwischen den Knien und des Klangs, der die Regionen einer Bassstimme erreichte, für Frauen als unschicklich galt.[3]

Sie gehörte neben Anna Kull, Hélène de Katow (um 1830 – nach 1876) und Róza Szuk (1844–1921) zu einer Gruppe von Musikerinnen, die neue Kompositionen und Bearbeitungen entscheidend prägten; insbesondere die Ausweitung des Repertoires um Genrestücke, Fantasien und Bearbeitungen populärer Opernthemen zeigte, wie vielfältig das Cello in dieser Zeit eingesetzt werden konnte.[4]

Obwohl bereits bekannt war, dass Cristiani weite Reisen unternahm, verdeutlicht ihre Konzertpraxis das Ausmaß, in dem sie und andere Cellistinnen ihrer Generation europaweit neue Musik zugänglich machten; dabei war nicht nur die Begeisterung des Publikums groß; auch etablierte Komponisten bemerkten ihre Kunst und unterstützten sie aktiv.[4]

Schon zu Lebzeiten wurde ihre unkonventionelle Art, in auffälligen Kleidern aufzutreten und ohne Scheu mit einem sperrigen Cellokasten zu reisen, in Musikerkreisen wie beim Publikum aufmerksam verfolgt.[4] Obwohl sie jung starb, hinterließ sie wichtige Impulse für das Cellospiel und trug dazu bei, dass sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts viele weitere Komponisten – darunter einige Frauen – dem Violoncello zuwandten.[4] Ihr eigenes, 1700 von Antonio Stradivari erbautes Instrument, galt lange als Symbol für ihren Mut und ihre künstlerische Strahlkraft.[4] Es befindet sich heute als Teil der Fondazione Walter Stauffer im Museo del Violino, Cremona.[5]

Literatur

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  • Freia Hoffmann: Instrument und Körper. Die musizierende Frau in der bürgerlichen Kultur. Insel, Leipzig und Frankfurt a. M. 1991, ISBN 3-458-32974-9.
  • Freia Hoffmann: Cristiani, Lise, Barbier. In: Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite Ausgabe, Personenteil, Band 5 (Covell – Dzurov). Bärenreiter/Metzler, Kassel u. a. 2001, ISBN 3-7618-1115-2, Sp. 94 (Online-Ausgabe, für Vollzugriff Abonnement erforderlich)
  • Freia Hoffmann: Lise Cristiani in Sibirien. In: Freia Hoffmann (Hrsg.): Reiseberichte von Musikerinnen des 19. Jahrhunderts : Quellentexte, Biographien und Kommentare. Olms, Hildesheim 2011, ISBN 978-3-487-14437-5, S. 149–180.
  • Freia Hoffmann, Volker Timmermann (Hrsg.): Quellentexte zur Geschichte der Instrumentalistin im 19. Jahrhundert. Olms, Hildesheim u. a. 2013, ISBN 978-3-487-15020-8.
  • Katharina Deserno: Cellistinnen. Transformationen von Weiblichkeit in der Instrumentalkunst (= Musik – Kultur – Gender. 14). Böhlau, Köln 2018, ISBN 978-3-412-50171-6, besonders das Kapitel zu Lise Cristiani S. 111–272; eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche.
  • Kate Kennedy: Cello : a journey through silence to sound. Head of Zeus, London 2024, ISBN 978-1-80328-703-4.
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Commons: Lisa Cristiani – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

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  1. In den meisten Nachschlagewerken lautet die Angabe 24. Dezember 1827. Der Musikhistoriker Waldemar Kamer präsentierte in dem Dokumentarfilm Mit dem Cello ans Ende der Welt (Deutschland 2024) die lange Zeit verschollen geglaubte Geburtsakte Lise Cristianis, die das Datum 4. Dezember 1825 belegt. Die Angabe 24. Dezember findet sich erst später in der Heiratsakte ihrer Mutter. Außerdem wurde sie von ihrem Großvater zwei Jahre jünger gemacht, möglicherweise, um sie als Wunderkind für das Publikum interessanter zu machen.
  2. vgl. Nicolas Alexandre Barbier in der französischen Wikipedia

Einzelnachweise

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  1. Vgl. Silke Wenzel: Anna Kull. In: Beatrix Borchard, Nina Noeske (Hrsg.): MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen. Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2003 ff. Stand vom 25. September 2018; vgl. Freia Hoffmann, Volker Timmermann (Hrsg.): Quellentexte zur Geschichte der Instrumentalistin im 19. Jahrhundert, Hildesheim u. a. 2013, S. 14.
  2. a b c Freia Hoffmann: Art. „Cristiani, Christiani, Chrétien, Barbier, Lise, Lisa, Elise. In: Europäische Instrumentalistinnen des 18. und 19. Jahrhunderts. 2007/2010. Online-Lexikon des Sophie Drinker Instituts, hrsg. von Freia Hoffmann.
  3. Vgl. Freia Hoffmann: Art. „Cristiani, Christiani, Chrétien, Barbier, Lise, Lisa, Elise. In: Europäische Instrumentalistinnen des 18. und 19. Jahrhunderts. 2007/2010. Online-Lexikon des Sophie Drinker Instituts, hrsg. von Freia Hoffmann; vgl.auch Freia Hoffmann, Volker Timmermann (Hrsg.): Quellentexte zur Geschichte der Instrumentalistin im 19. Jahrhundert, Hildesheim u. a. 2013, S. 7 f.; vgl. auch Freia Hoffmann: Instrument und Körper, Leipzig und Frankfurt a. M. 1991, S. 41.
  4. a b c d e Französische Cellomusik beim Palazzetto BruZane. 3. Januar 2025, abgerufen am 5. Januar 2025.
  5. Antonio Stradivari 1700 "Stauffer" ex "Cristiani" cello. In: Google Arts & Culture. Abgerufen am 1. März 2025.