Marquardts Samoa–Völkerschau 1895–97, 1900/01 und 1910/11
Marquardts Samoa–Völkerschau 1895–97, 1900/01 und 1910/11 war eine Serie von drei Völkerschauen (im heutigen Sprachgebrauch auch Menschenzoo), bei der Gruppen von jeweils etwa 30 indigene Samoanerinnen und Samoanern in zahlreichen Städten zur Schau gestellt wurden, wobei der Anteil von Frauen jeweils deutlich überwog.
![](http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/0/00/Samoa_V%C3%B6lkerschau_Carl_und_Fritz_Marquardt_mit_Frauen_der_Samoa-Truppe_1896.jpg/220px-Samoa_V%C3%B6lkerschau_Carl_und_Fritz_Marquardt_mit_Frauen_der_Samoa-Truppe_1896.jpg)
Veranstalter dieser Völkerschau waren die Brüder Fritz (1862–nach 1912) und Carl Marquardt (1960–1915), die von 1896 bis 1914 zahlreiche Völkerschauen veranstalteten.
Impresarios
BearbeitenFritz Marquardt kam 1887 nach Samoa und arbeitete für die Deutsche Handels- und Plantagengesellschaft und unter anderem auch für den Kaufmann Eugen Brandeis. Er stieg 1892 zum Polizeisergeant und 1894 Chief of Police auf. 1895 trat er von diesem Posten zurück, um gemeinsam die erste Völkerschau–Gruppe nach Deutschland zu bringen. Nach seiner Rückkehr nach Samoa im Dezember 1897 wurde er als Verwalter der Villa Vailima des Kunstmäzen Gustav Kunst angestellt.[1] 1899 heiratete er Marie Denise Devère, Tochter einer Samoanerin und eines Franzosen. 1900 brach er zur zweiten Völkerschau nach Europa auf, kehrte anschließend zeitweilig nach Samoa zurück und reiste 1910 zum dritten Mal mit einer Völkerschau–Gruppe ins Deutsche Reich. Von dort kehrten Fritz und Marie Denise Marquardt noch einmal kurz nach Samoa zurück, um 1912 nach Hamburg zurückzukehren, wo sich ihre Spur verliert.[2] Carl Marquardt war Journalist mit einem Interessenschwerpunkt in der Ethnologie. 1899 veröffentlichte er das Buch Die Tätowierung beider Geschlechter in Samoas. Carl Marquardt organisierte eine Reihe weiterer Völkerschauen wie „Die Tunesen“ (1904), „Die Futa“ (1905), „Wild–Afrika“ (1906), „Das Sudanesendorf“ oder „Das afrikanische Dorf“ (beide 1910).[3]
Vorgeschichte
BearbeitenMarquardts Völkerschau war nicht die erste Zurschaustellung indigener Menschen aus Samoa. Der Impresario Robert A. Cunningham tourte von 1889 und 1890 mit einer Gruppe von neun Männern aus Tuitula durch die USA und Europa. Sieben Mitglieder der Gruppe starben während der Tournee an Infektionskrankheiten und Mangelernährung. 1892 rekrutierte der amerikanische Kaufmann Jarry Jay Moors eine Gruppe von 25 Personen (darunter vier Samoanerinnen), die er 1893 auf der Weltausstellung in Chicago zur Schau stellte.[4]
Samoa als deutsche Kolonie
BearbeitenDer westlicher Teil der Inselgruppe Samoa wurde 1899 deutsche Kolonie. Die deutsche, britische und amerikanische Einflussnahme hatte bereits in den Jahrzehnten zuvor begonnen. Die Politik und Kultur Samoas war geprägt durch die Konkurrenz zwischen den dort herrschenden Häuptlingen. Zwei der drei Völkerschau-Truppen wurden von ranghohen Häuptlingen begleitet.[5]
Erste Samoa-Völkerschau 1895–97
BearbeitenZur ersten Samos–Völkerschau gehörten sieben Männer und etwa 25 Frauen.[6] Die Männer waren in Samoa strafrechtlich auffällig geworden. So war Marquardt in seiner Funktion als Polizeisergeant mit ihnen in Kontakt gekommen. Über die Frauen gibt es nur wenige Überlieferungen. Aufmerksamkeit wurde vor allem Siamau zuteil, die eine gute Tänzerin war.[7] Die Behörden in Apia verlangten zum Schutz der Völkerschau–Darsteller einen sorgfältig ausgearbeiteten Vertrag, der die Tourneedauer oder die Bezahlung genau regelte.[8] Die Gruppe brach am 26. Juni 1895 in Samoa auf und erreichte um den 27. Juli 1895 Bremerhaven. Die Völkerschau–Tournee begann am 19. September 1895 in Berlin, wo sie bis zum 1. Januar 1896 im dortigen Passage–Panoptikum auftrat. Weitere Stationen waren Kopenhagen, Stettin, Hannover, Köln, Elberfeld, Düsseldorf, Münster, Frankfurt am Main, Leipzig, Dresden, Warschau, Riga, St. Petersburg, ab März 1897 nochmals Berlin, danach Wien und nochmals Dresden, Leipzig und schließlich Frankfurt am Main. Im Dezember 1897 kehrte die Gruppe nach Samoa zurück.[9] 1897 kam es in Berlin zu einer intensiven Auseinandersetzung zwischen dem des Passage Panoptikums und Carl Marquardt, der verhindern wollte, dass die Frauen der Völkerschau–Gruppe nackt gezeigt und von Männern „unanständig berührt“ wurden.[10]
Zweite Samoa-Völkerschau 1900/01
BearbeitenDie zweite Samoa-Völkerschau wurde von Te'o Tuvale (1855–1919) angeführt. Tuvale kalkulierte nach der Gründung von Deutsch–Samoa als aufstrebender Häuptling, durch die Reise nach Deutschland Vertreter der neuen Kolonialmacht kennenzulernen. Die Brüder Marquardt hatten ihm die Verantwortung für die Durchführung der Schauen übertragen, um von vornherein Unruhe in der Gruppe zu vermeiden.[11] Zur Gruppe gehörten zehn Männer und etwa 20 Frauen.[12] Die Gruppe brach am 17. Januar 1900 in Samoa auf war zunächst auf der Pariser Weltausstellung zu sehen. Im Deutschen Reich trat die Gruppe zuerst in Köln auf. Weitere Stationen waren Berlin, Hamburg, Breslau, Stuttgart, München, Zürich, Wieder Köln, anschließend Hagen, München, Budapest, Dresden, Frankfurt am Main, Leipzig, Chemnitz, Halle, Posen und schließlich Königsberg.[13]
Dritte Samoa-Völkerschau 1910/11
BearbeitenDie dritte Samoa-Völkerschau wurde vom Häuptling Tupua Tamasese Lealofi (1863–1915) angeführt,[14] der am 26. Mai 1911 von Kaiser Wilhelm II. im Berliner Schloss empfangen wurde.[15] Zur Gruppe gehörten neun Männer und 17 Frauen.[16] Die Gruppe brach am 10. Februar 1910 in Samoa auf und erreichte Hamburg am 6. Mai 1910. Dort trat die Gruppe ab dem 12. Mai auf, anschließend in Frankfurt am Main, Köln, Breslau, Dresden, München, Berlin, Leipzig, Chemnitz, Düsseldorf, Elberfeld, wieder Hamburg und zuletzt in Bremen auf.[17]
Literatur
Bearbeiten- Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Die Zurschaustellung „exotischer“ Menschen in Deutschland 1870–1940. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-593-37732-2.
- Clemens Maier-Wolthausen, Franziska Jahn: Die Zurschaustellung von Menschen im Zoo Hannover 1878–1932. Ein Forschungsbericht im Spiegel zeitgenössischer Quellen. Broschüre des Zoo Hannover, Hannover 2024.
- Hilke Thode-Arora (Hrsg.): From Samoa. With Love? Samoa Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. Hirmer-Verlag, München 2014, ISBN 978-3-7774-2237-4.
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Hilke Thode-Arora: Die Brüder Fritz und Carl Marquardt. Völkerschau-Impresarios und Ethnogrphica-Händler. In: dies. (Hrsg.): From Samoa. With Love? Samoa Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. München 2014, S. 47–78, hier S. 47f f.
- ↑ Hilke Thode-Arora: Die Brüder Fritz und Carl Marquardt. Völkerschau-Impresarios und Ethnogrphica-Händler. In: dies. (Hrsg.): From Samoa. With Love? Samoa Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. München 2014, S. 47–78, hier S. 53f .
- ↑ Hilke Thode-Arora: Die Brüder Fritz und Carl Marquardt. Völkerschau-Impresarios und Ethnogrphica-Händler. In: dies. (Hrsg.): From Samoa. With Love? Samoa Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. München 2014, S. 47–78, hier S. 70f f.
- ↑ Hilke Thode-Arora: Für fünfzig Pfennig um die Welt. Das Phänomen der Völkerschauen. In: dies. (Hrsg.): From Samoa. With Love? Samoa Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. München 2014, S. 79–90, hier S. 89.
- ↑ Hilke Thode-Arora: Einleitung. In: dies. (Hrsg.): From Samoa. With Love? Samoa Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. München 2014, S. 14–18, hier S. 14.
- ↑ Hilke Thode-Arora: „Samoanische Mädchenschönheiten“. Die Samoa-Schau von 1895–1897. In: dies. (Hrsg.): From Samoa. With Love? Samoa Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. München 2014, S. 93–113, hier S. 93.
- ↑ Hilke Thode-Arora: „Samoanische Mädchenschönheiten“. Die Samoa-Schau von 1895–1897. In: dies. (Hrsg.): From Samoa. With Love? Samoa Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. München 2014, S. 93–113, hier S. 94.
- ↑ Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Frankfurt am Main 2005, S. 66.
- ↑ Hilke Thode-Arora: „Samoanische Mädchenschönheiten“. Die Samoa-Schau von 1895–1897. In: dies. (Hrsg.): From Samoa. With Love? Samoa Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. München 2014, S. 93–113, hier S. 108. Zu Hannover s. Clemens Maier-Wolthausen, Franziska Jahn: Die Zurschaustellung von Menschen im Zoo Hannover 1878–1932. Ein Forschungsbericht im Spiegel zeitgenössischer Quellen. Broschüre des Zoo Hannover, Hannover 2024, S. 75.
- ↑ Anne Dreesbach: Gezähmte Wilde. Frankfurt am Main 2005, S. 171.
- ↑ Hilke Thode-Arora: „Unsere neuen Landsleute“. Die Samoa-Schau von 1900–1901. In: dies. (Hrsg.): From Samoa. With Love? Samoa Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. München 2014, S. 115–136, hier S. 115.
- ↑ Hilke Thode-Arora: „Unsere neuen Landsleute“. Die Samoa-Schau von 1900–1901. In: dies. (Hrsg.): From Samoa. With Love? Samoa Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. München 2014, S. 115–136, hier S. 118 f.
- ↑ Hilke Thode-Arora: „Unsere neuen Landsleute“. Die Samoa-Schau von 1900–1901. In: dies. (Hrsg.): From Samoa. With Love? Samoa Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. München 2014, S. 115–136, hier S. 126.
- ↑ Hilke Thode-Arora: Ein diplomatischer Besuch? Tamasese in Deutschland und die Samoa-Schau von 1910/11. In: dies. (Hrsg.): From Samoa. With Love? Samoa Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. München 2014, S. 137–178 hier S. 140.
- ↑ Hilke Thode-Arora: Ein diplomatischer Besuch? Tamasese in Deutschland und die Samoa-Schau von 1910/11. In: dies. (Hrsg.): From Samoa. With Love? Samoa Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. München 2014, S. 137–178 hier S. 165.
- ↑ Hilke Thode-Arora: Ein diplomatischer Besuch? Tamasese in Deutschland und die Samoa-Schau von 1910/11. In: dies. (Hrsg.): From Samoa. With Love? Samoa Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. München 2014, S. 137–178 hier S. 139 f.
- ↑ Hilke Thode-Arora: Ein diplomatischer Besuch? Tamasese in Deutschland und die Samoa-Schau von 1910/11. In: dies. (Hrsg.): From Samoa. With Love? Samoa Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich. Eine Spurensuche. München 2014, S. 137–178 hier S. 164.