Martin Wihoda

tschechischer Historiker

Martin Wihoda (* 14. Februar 1967 in Opava, Tschechoslowakei) ist ein tschechischer Historiker. Er ist Professor für Geschichte des Mittelalters an der Masaryk-Universität in Brünn. Seine Arbeiten lieferten der Mediävistik zu den verfassungshistorischen Grundlagen Böhmens und Mährens unter den Přemysliden neue Impulse.

Martin Wihoda, aufgenommen 2015 von Werner Maleczek auf einer Reichenautagung des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte.

Leben und Werk

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Martin Wihoda besuchte das Gymnasium in Opava. Er studierte an den Universitäten Brünn, Würzburg und Marburg. Ab 1990 arbeitete er als Assistent und Dozent. Er wurde 1999 promoviert. Seine 2004 in Brünn vorgelegte Habilitation erschien 2005 in tschechischer Sprache über die Sizilianischen Goldenen Bullen von 1212.[1] Seit April 2010 lehrt er als Professor für Geschichte des Mittelalters an der Masaryk-Universität. Er ist seit 2019 korrespondierendes Mitglied der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica.

Wihoda befasst sich mit den Wandlungen Mittelosteuropas im Früh- und Hochmittelalter. Sein Schwerpunkt liegt auf der Europäisierung der am östlichen Rand des Römisch-deutschen Reiches angesiedelten mittelalterlichen gentes. Er ist mit verschiedenen Studien zu Mähren im 11. und 12. Jahrhundert hervorgetreten. Über Mährens Geschichte veröffentlichte er 2010 eine Darstellung, die sich von 906 bis 1197 erstreckt.[2] Er legte damit die erste moderne Geschichte Mährens vor. Über den 1222 verstorbenen mährischen Markgrafen Vladislav Heinrich veröffentlichte er 2007 eine Biografie, die 2015 überarbeitet und erweitert in englischer Sprache erschienen ist. Es handelt sich wegen der schmalen Quellengrundlage zu diesem Markgrafen weniger um eine Biografie im klassischen Sinne, sondern Wihoda zeichnet den umfassenden Wandel Mährens zu Lebzeiten des Protagonisten detailliert nach.[3] Er veröffentlichte 2015 eine Darstellung über die ersten böhmischen Königreiche.[4]

Seine Darstellung über die Sizilischen Goldenen Bullen von 1212 erschien 2012 in deutscher Sprache.[5] Die Urkunden hatten in der Nachwelt hohe Bedeutung für das tschechische Nationalbewusstsein und der tschechischen Staatlichkeit. Wihoda versuchte die Urkunden zu entmythologisieren. Er lieferte jedoch keine diplomatische Analyse in seiner Untersuchung[6], sondern schilderte ausführlich die Beziehungen der böhmischen Herrscher zum Reich von den Ottonen bis in die Zeit Karls IV. Nach seinem Ergebnis waren die Urkunden weder unmittelbar nach ihrer Ausstellung (etwa 1216 bei der Bestätigung der Wahl des Königssohnes Wenzel zum böhmischen König durch Friedrich II.) noch unter Karl IV. ausschlaggebend für das politische Wirken der böhmischen Herrscher. Dass die Urkunden zum „unzweifelhaften Denkmal der böhmischen Staatlichkeit“ werden konnten, schreibt er vor allem den Schulbüchern der letzten 100 Jahre zu.[7] Er stellt fest, „daß die sizilische goldene Bulle auf dem Altar nationaler Auseinandersetzungen geopfert wurde, in denen der Sinn der Ereignisse von 1212 verloren ging“.[8]

Mit Knut Görich veranstaltete er im Oktober 2015 eine Tagung am Institut für Geschichte der Philosophischen Fakultät der Masaryk-Universität in Brünn zu der Frage, wie Kaiser Friedrich I. Barbarossa von der Nationalgeschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts in Mittel- und Osteuropa wahrgenommen wurde.[9] Die Ergebnisse der Vorträge von Historikern aus Deutschland, Polen und Tschechien wurden 2017 in einem Sammelband herausgegeben.[10] Auf einer in Brünn veranstalteten Tagung wurden 2017 die Konsequenzen der politischen Beziehungen zwischen Friedrich Barbarossa und den weltlichen und geistlichen Eliten Mittelosteuropas für die politische Gestalt Ostmitteleuropas im 12. Jahrhundert hinterfragt. Die Tagungsergebnisse von deutschen, polnischen, tschechischen und ungarischen Historikern wurden 2019 von Görich und Wihoda in einem Sammelband veröffentlicht.[11] Wihoda hat sich in diesem Zusammenhang mit den Bischöfen von Prag befasst und die große Bedeutung einzelner Persönlichkeiten bei der Herstellung politischer Kontakte betont. Er kam zum Ergebnis, dass die Bischöfe jeweils dann an den Hof Friedrich Barbarossas von den böhmischen Herzögen entsandt worden, wenn sie sich nicht selbst in die Reichspolitik einschalten wollten oder konnten.[12]

Er arbeitet mit Anna Kernbach an einer Edition der Chronik des Gerlach von Mühlhausen mit Vinzenz von Prag und dem sogenannten Ansbert.[13]

Schriften

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Monographien

  • Zlatá bula sicilská. Podivuhodný příběh ve vrstvách paměti (= Edice Historické myšlení. Bd. 26). Argo, Prag 2005, ISBN 80-7203-682-3.
    • Die Sizilischen Goldenen Bullen von 1212: Kaiser Friedrichs II. Privilegien für die Přemysliden im Erinnerungsdiskurs (= Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Bd. 33). Böhlau, Wien u. a. 2012, ISBN 978-3-205-78838-6.
  • Vladislav Jindřich (= Knižnice Matice Moravské. Bd. 21). Matice Moravská, Brünn 2007, ISBN 978-80-86488-00-4.
    • Vladislaus Henry: The Formation of Moravian Identity (= East Central and Eastern Europe in the Middle Ages 450–1450. Bd. 33). Übersetzt von Kateřina Millerová. Brill, Leiden u. a. 2015, ISBN 978-90-04-25049-9.
  • Morava v době knížecí 906–1197 (= Česká historie. Bd. 21). Nakl. Lidové Noviny, Prag 2010, ISBN 978-80-7106-563-0.
  • První česká království (= Edice Česká historie. Bd. 32). Nakladatelství Lidové noviny. Prag 2015, ISBN 978-80-7422-278-8.

Herausgeberschaften

  • mit Knut Görich: Friedrich Barbarossa in den Nationalgeschichten Deutschlands und Ostmitteleuropas (19.–20 Jh.). Böhlau, Köln 2017, ISBN 3-412-50454-8.
  • mit Knut Görich: Verwandtschaft – Freundschaft – Feindschaft. Politische Bindungen zwischen dem Reich und Ostmitteleuropa in der Zeit Friedrich Barbarossas. Böhlau, Köln u. a. 2019, ISBN 978-3-412-51207-1.
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Anmerkungen

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  1. Vgl. dazu Karel Hruza: Zlatá bula sicilská: sic transit gloria? K nové knize Martina Wihodi. In: Časopis Matice Moravské 125 (2006), S. 145–157; Besprechung von Karel Hruza in: H-Soz-Kult, 16. März 2006 (online); Karel Hruza: Die drei „Sizilischen Goldenen Bullen“ Friedrichs II. von 1212 für die Přemysliden. Zu einem neuen Buch, diplomatischen Fragen und einer „Historikerdebatte“ in der tschechischen Forschung. In: Archiv für Diplomatik 53 (2007), S. 213–249.
  2. Vgl. dazu die Besprechungen von Karel Hruza in: H-Soz-Kult, 7. September 2011, (online); Ivan Hlaváček in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 68 (2012), S. 796 (online); Pavel Spunar in: Listy filologické. Folia philologica. 136, (2013), S. 284–286.
  3. Vgl. dazu die Besprechungen von Roman Zehetmayer in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 124, 2016, S. 478–480 (online); Jonathan R. Lyon in: Early Medieval Europe 25 (2017), S. 411–413.
  4. Vgl. dazu die Besprechung von Martin Nodl in: Bohemia 58 (2018), S. 156–159 (online)
  5. Vgl. dazu die Besprechungen von Daniel Bagi in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 3 [15. März 2015], (online); Daniel Bagi in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 63 (2014), S. 573–575 (online); Knut Görich in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 71 (2015), S. 227–228 (online); Bettina Pferschy-Maleczek in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 122 (2014), S. 474–476 (online); Christian Friedl in: Bohemia 53 (2013), S. 188–190 (online).
  6. Karel Hruza: Die drei „Sizilischen Goldenen Bullen“ Friedrichs II. von 1212 für die Přemysliden. Zu einem neuen Buch, diplomatischen Fragen und einer „Historikerdebatte“ in der tschechischen Forschung. In: Archiv für Diplomatik 53 (2007), S. 213–249, hier: S. 223.
  7. Martin Wihoda: Die Sizilischen Goldenen Bullen von 1212: Kaiser Friedrichs II. Privilegien für die Přemysliden im Erinnerungsdiskurs. Wien u. a. 2012, S. 257.
  8. Karel Hruza: Die drei „Sizilischen Goldenen Bullen“ Friedrichs II. von 1212 für die Přemysliden. Zu einem neuen Buch, diplomatischen Fragen und einer „Historikerdebatte“ in der tschechischen Forschung. In: Archiv für Diplomatik 53 (2007), S. 213–249, hier: S. 216.
  9. Knut Görich, Martin Wihoda: Einleitung. In: Dies. (Hrsg.): Friedrich Barbarossa in den Nationalgeschichten Deutschlands und Ostmitteleuropas (19.–20 Jh.). Köln 2017, S. 7–11, hier: S. 7.
  10. Vgl. dazu die Besprechungen von Alheydis Plassmann in: Rheinische Vierteljahrsblätter 83 (2019), S. 342 (online); Ferdinand Opll in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. 127 (2019), S. 252–254 (online).
  11. Vgl. dazu die Besprechungen von Tomasz Jurek in: Roczniki Historyczne 85 (2019), S. 239–241 (online); Ferdinand Opll in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. 128, 2020, S. 431–433 (online); Michael Lindner: Friedrich Barbarossa und kein Ende. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters. 76, 2020, S. 165–175; Timo Bollen in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands. 65, 2020, S. 236–238.
  12. Martin Wihoda: In zweierlei Diensten: Die Bischöfe von Prag zwischen Friedrich Barbarossa und den böhmischen Herzögen. In: Martin Wihoda, Knut Görich (Hrsg.): Verwandtschaft – Freundschaft – Feindschaft. Politische Bindungen zwischen dem Reich und Ostmitteleuropa in der Zeit Friedrich Barbarossas. Köln u. a. 2019, S. 221–246, hier: S. 246.
  13. Martina Hartmann: Monumenta Germaniae Historica. Bericht über das Jahr 2021/22. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 78, 2022, S. I–XIX, hier: S. XII