Miniatur (Schach)

eine spezielle Form einer Schachkomposition mit maximal sieben Spielsteinen

Eine Miniatur, auch Schachminiatur oder (selten) Schachepigramm, ist eine spezielle Form einer Schachkomposition mit maximal sieben Spielsteinen. Darstellungen davon sind seit dem 13. Jahrhundert bekannt. In der Neuzeit wurden sie etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts in Unterhaltungsmagazinen und Schachzeitschriften verbreitet.

Oscar Blumenthal (ca. 1905) prägte den Begriff der Schachminiatur.

Der Begriff „Schachminiatur“ – in der heutigen Fachliteratur meist nur „Miniatur“ – wurde aber erst 1902 von dem deutschen Schriftsteller, Kritiker, Bühnendichter, Schachspieler und Schachkomponisten Oscar Blumenthal (1852–1917) als Benennung eingeführt.[1][2]

In Abgrenzung dazu bezeichnet man als "Miniaturpartie" (oder kurz auch "Miniatur") eine Kurzpartie mit nicht mehr als 20 bis 25 Zügen.

Begriffsverwendung

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Schachkomposition mit maximal sieben Steinen

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Geschichte

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Libro de los juegos (1283)
Problem 103: Sieben Steine; Schwarz setzt in elf Zügen Matt.[3]

Frühe Darstellungen von Schachstellungen finden sich im Libro de los juegos („Buch der Spiele“), das von Alfons X. in Auftrag gegeben und 1283 fertiggestellt wurde. Von den dortigen 103 Problemen, die analysiert und kommentiert wurden,[4] sind 15 Miniaturen: Zwölf Siebensteiner (d. h. Miniatur mit sieben Steinen),[5] zwei Sechssteiner,[6] und ein Fünfsteiner[7].

In der Neuzeit findet man Miniaturen ab Mitte des 19. Jahrhunderts zuerst in englischen und amerikanischen Unterhaltungsmagazinen[8], später auch in Schachzeitschriften.[9]

Künstlerischer Aspekt

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„Miniatur“ und „(Schach)Komposition“ lehnen sich an die musikalischen Begriffe „Miniatur“ und „Komposition“ an. Die Verwendung Epigramm im Synonym „Schachepigramm“[2] schafft eine Beziehung zur Lyrik.

Der künstlerisch tätige Blumenthal verwendete im Vorwort seiner Miniaturen-Sammlung[2] an Kunst und Malerei angelehnte Formulierungen: „zierliche Kleingemälde“ in „engstem Rahmen“, „zur höchsten künstlerischen Vollendung“ und „ästhetischem Wohlgefühl“, sowie „...mit sparsamster Kunst aus wenigen Steinen zusammengesetzt...“. Als Motto dafür hatte er Emanuel Laskers Simplex sigillum veri[10] („Das Einfache/Einfachheit ist das Siegel des Wahren“) gewählt.

In der amerikanischen, von 1933 bis 1969 erscheinenden Chess Review stand 1937 eine poetische Metapher mit Parallelen zur Musik.

“A chess miniature may be compared to a string symphony by one of the classical composers; the involved fugue of the full orchestral symphony is absent, but the single melody only stands out the more, making interpretation easier and more pleasurable.”

„Eine Schach-Miniatur kann mit einer Streichersymphonie von einem der klassischen Komponisten verglichen werden; die verwickelte Fuge der Symphonie für volles Orchester fehlt, aber die einzelne Melodie hebt sich nur noch mehr heraus und macht eine Interpretation leichter und vergnüglicher.“

Chess Review (1937)[11]

Technischer Aspekt

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U. Bonn
(1846)[12]
  a b c d e f g h  
8                 8
7                 7
6                 6
5                 5
4                 4
3                 3
2                 2
1                 1
  a b c d e f g h  
Matt in 3 Zügen

Entsprechend Blumenthals Definition besteht eine Schachminiatur maximal aus sieben Spielsteinen, die er poetisch als „die heilige Siebenzahl“ bezeichnete.[13]

Die einfachste Miniatur ist eine Komposition mit drei Spielsteinen („Dreisteiner“) – beispielsweise weiße Dame, weißer König, schwarzer König – in der der schwarze König mit einem Zug mattgesetzt wird. Im linken Dreizüger-Beispiel von U. Bonn wäre das eine Miniatur mit der Stellung vor dem letzten Zug Dc4–c1.

Lösung:
1. Ka4–b4 Kb2–b1
2. Kb4–b3 Kb1–a1 (Zugzwang)
3. Dc4–c1# (Matt)

Falls 1. … Kb2–a1, so 2. Kb4–b3 Ka1–b1 3. Dc4–f1 matt.

Die meisten Miniaturen verwenden vier bis sieben Spielsteine, wobei die Anzahl der komponierten Miniaturen von Viersteinern über Fünfsteiner und Sechssteiner bis zu Siebensteinern – dies sind die von Blumenthal verwendeten Bezeichnungen[13] – wegen der größeren Anzahl der möglichen Kombinationen zunimmt. Miniaturen mit drei oder vier Steinen werden „Wenigsteiner“ genannt.[14]

Samuel Loyd
Chess Monthly, April, 1858
  a b c d e f g h  
8                 8
7                 7
6                 6
5                 5
4                 4
3                 3
2                 2
1                 1
  a b c d e f g h  
Matt in 5 Zügen

Neben der Anzahl der Steine ist die Miniatur durch die Anzahl der Züge bis zum Matt charakterisiert: Je mehr eindeutige Züge erforderlich sind, desto schwieriger ist die Aufgabe und desto sorgfältiger muss komponiert werden. Dreizüger findet man als mittelschwere Aufgaben häufig, aber beide Blumenthal-Sammlungen präsentieren auch Vierzüger und Fünfzüger.[2][13]

Lösung:
1. Sg3–f5, Ke1–f1
2. Sf5–e3+, Kf1–e1
3. Kc1–c2, f3–f2
4. Kc2–c1, f2–f1D (Bauernumwandlung: Dame)
5. Se3–c2# (Matt)

Komponisten und Sammler

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In der großen Zahl der Schachkomponisten waren einige Spezialisten für Miniaturen. Andere Schachspieler legten bedeutende Sammlungen von Miniaturen an. In Folge eine Auswahl (in alphabetischer Reihenfolge):

 
Mitglieder der böhmischen Schule (auch Miniatur-Schule)
  • Oscar Blumenthal (1852–1917) komponierte selber etwa 100 Miniaturen und gab zwei Miniaturensammlungen heraus.[2][13]
  • Die böhmischen Schule, auch „Miniatur-Schule“ genannt, darunter Eduard Mazel[2] (1859–1943), bestand aus einer Gruppe von Miniatur-Spezialisten.[15]
  • Der auf Hilfsmatt-Miniaturen spezialisierte Wolfgang Alexander Bruder verfügt ebenfalls über eine bedeutende Miniaturensammlung.
  • Der Österreicher Konrad Erlinger (1856–1944; Pseudonym „Konrad Erlin“) komponierte zahlreiche, auch mit Preisen prämierte Miniaturen.[2]
  • Alexander Galitsky (1863–1921) komponierte etwa 1850 Schachprobleme, darunter viele Miniaturen.[16]
  • Gerhard Kaiser (1890–1966) komponierte mehr als 100 Miniaturen und hatte eine Sammlung, die nahezu 10.000 Miniaturen umfasste.
  • Johannes Kohtz (1843–1918) und Carl Kockelkorn (1843–1914) waren die Begründer der Neudeutschen Schule der Schachkomposition.
  • Wladimir Koschakin (Владимир Кожакин), Magadan, besaß 2007 46.000 Miniaturen.[17]
  • Samuel Loyd (1841–1911) war nach Blumenthals Meinung der „Meister aller Meister“.[2]
  • Wilhelm Maßmann (1895–1974) komponierte 646 Miniaturen und erweiterte die Sammlung seines Vaters, Peter Asmus Maßmann, auf 18.000 Einträge.
  • Gleb Nikolajewitsch Sachodjakin (1912–1982) veröffentlichte seit 1929 mehr als 100 Schachstudien, hauptsächlich Miniaturen; 25 seiner Kompositionen erhielten Auszeichnungen, acht einen ersten Preis.
  • William Anthony Shinkman (1847–1933) war in Blumenthals Beurteilung ein „geistreicher amerikanischer Problemdichter“.[2]
  • Klaus-Peter Zuncke (1954–2007), komponierte ab den 1970er Jahren etwa 250 Miniaturen und übernahm die Miniaturen-Sammlung von G. Kaiser, die er bis 2007 um die Sammlungen von P. H. Törngren und W. Maßmann auf etwa 61.000 Einträge erweiterte.[18]

Kurzpartie mit maximal 25 Zügen

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Mit „Miniatur“ oder „Miniaturpartie“ wird weiterhin eine abgeschlossene Kurzpartie mit weniger als 20[19] bis 25[20][21][22] Zügen bezeichnet. Bekannte Miniaturen dieser Art sind das Narrenmatt (franz. mat du lion; Matt in 2 Zügen), Schäfermatt (franz. coup du berger; Matt in 4 Zügen), Seekadettenmatt (franz. mat de Legal; Matt in 7 Zügen) und die partie de l’opéra (Matt in 17 Zügen).

Auch bei Schachturnieren ergeben sich immer wieder spektakuläre Miniaturen.[23]

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  • Schachdatenbank von Die Schwalbe. März 2017: mehr als 390.000 Schachprobleme und Kompositionen, darunter die Sammlungen von Gerhard Kaiser und Klaus-Peter Zuncke; u. a. absuchbar nach Jahr und Anzahl der Spielsteine.

Literatur

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Es gibt Hunderte von Büchern, die sich mit Miniaturen beschäftigen. Die gelisteten Werke stellen eine minimale Auswahl dar.

Einzelnachweise und Erläuterungen

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  1. Manfred Zucker: Große deutsche Problemmeister (14). In: Schach, Nr. 5, 1994, S. 76.
  2. a b c d e f g h i Oscar Blumenthal: Schachminiaturen. Eine Problemsammlung. Veit & Comp., Leipzig 1902.
  3. Problem 103: Folios 63r, 63v und 64r; 7 Steine: Schwarz zieht und gewinnt in 11 Zügen (Dissertation S. Musser Golladay, S. 366).
  4. Sonja Musser Golladay: Los Libros de Acedrex Dados e Tablas: Historical, Artistic und Metaphysical Dimensions of Alfonso X’s Book of Games (PDF , Dissertation 2007), The University of Arizona.
  5. Seitenangaben nach Diss. S. Musser Golladay: Problem 68: Folios (Fols.) 44v und 45r; 7 Steine: Weiß gewinnt in 3 Zügen (S. 299); Problem 76: Fols. 48v und 49r; 7 Steine: Schwarz gewinnt in 5 Zügen (S. 313); Problem 77: Fols. 49r und 49v; 7 Steine, Schwarz gewinnt in 8 Zügen (S. 320); Problem 82: Fols. 51v und 52r; 7 Steine: Schwarz gewinnt in 3 Zügen. 589 (S. 325); Problem 84: Fols. 52v und 53r; 7 Steine: Weiß gewinnt in 6 Zügen. 594 (S. 328); Problem 85: Fols. 53r und 53v; 7 Steine: Weiß (at left) plays und gewinnt in 7 Zügen (S. 330); Problem 86: Fols. 53v und 54r; 7 Steine: Weiß gewinnt in 14 Zügen (S. 332); Problem 87: Fols. 54r und 54v; 7 Steine: Weiß gewinnt in 3 Zügen. (S. 334); Problem 91: Fols. 56r, 56v und 57r; 7 Steine: Schwarz gewinnt in 9 Zügen (oder verliert) (S. 343); Problem 94: Fols. 58r und 58v; 7 Steine: Schwarz zieht aber verliert in 4 Zügen (S. 349); Problem 103: Fols. 63r, 63v und 64r; 7 Steine: Schwarz gewinnt in 11 Zügen. (S. 366).
  6. Seitenangaben nach Diss. S. Musser Golladay: Problem 69: Fols. 45r und 45v; 6 Steine: Schwarz gewinnt in 9 oder mehr Zügen (S. 301); Problem 80: Fols. 50v und 51r; 6 Steine: Schwarz gewinnt in 3 Zügen (S. 322).
  7. Problem 93: Fols. 57v und 58r; 5 Steine: Weiß gewinnt in 3 Zügen (Dissertation S. Musser Golladay, S. 347).
  8. Blumenthal (1903) zeigt Miniaturen aus American Monthly, Family Herald und Saturday Evening Gazette, alle aus dem jahr 1858.
  9. Blumenthal (1902) zeigt Miniaturen aus American Chess Journal (ab 1860er Jahre), Dubuque Chess Journal (1870er Jahre), British Chess Magazine (1890er Jahre) und Deutsche Schachzeitung (ab den 1870er Jahren).
  10. Elke-Vera Kotowski, Susanna Poldauf und Paul Werner Wagner: Emanuel Lasker: Homo ludens – homo politicus : Beiträge über sein Leben und Werk. Verlag für Berlin-Brandenburg, 2003, ISBN 978-3-935035-15-6, S. 85 (google.com).
  11. Chess Review. Chess Review, 1937, S. 263 (google.com).
  12. thechessworld.com@1@2Vorlage:Toter Link/www.thechessworld.com (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im März 2022. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.; abgerufen am 25. März 2017.
  13. a b c d Oscar Blumenthal: Schachminiaturen. Neue Folge. Veit & Comp., Leipzig 1903.
  14. Jeremy Morse: Chess Problems. Tasks and Records. 3. Auflage. Troubador Publishing Ltd, Kibworth Beauchamp, Leicestershire 2016, ISBN 978-1-78589-143-4, S. 413 (books.google.com).
  15. Internationales Schach-Jahrbuch 1948/49 (PDF; 4,5 MB).
  16. Lubomir Kavalek: Chess by Lubomir Kavalek for Oct. 26, 2009. In: The Washington Post. 26. Oktober 2009; abgerufen am 26. März 2017 (washingtonpost.com).
  17. КУДЕСНИК. (Memento des Originals vom 2. April 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.selivanov.ru (PDF) Sonderausgabe, Juli 2007, S. 11.
  18. Die Schwalbe. Heft 229, 2008, S. 263.
  19. Branko Tadić, Goran Arsović: Encyclopedia of chess miniatures. Belgrad 2015, ISBN 978-86-7297-071-5, S. 7.
  20. J. Du Mont: 200 Miniature Games of Chess. 1941.
  21. Irving Chernev: 1000 Best Short Games of Chess. A Treasury of Masterpieces in Miniature. Ishi Press International, New York / Tokyo 2013, ISBN 978-4-87187-574-5 (Erstausgabe: 1955).
  22. Wiener Schachzeitung. 1912, S. 202.
  23. Chessgames.com: Sammlung von 66 Miniaturpartien; abgerufen am 25. März 2017.