Neue Sachlichkeit (Architektur)
Als Neue Sachlichkeit bezeichnet man in der Architektur – wie auch in der Literatur und in der Kunst – die Abgrenzung vom Expressionismus der frühen 1920er Jahre bis in die ersten Nachkriegsjahre des Zweiten Weltkrieges. Die Neue Sachlichkeit in der Architektur gehört gemeinsam mit weiteren Stilrichtungen zur Bewegung des Neuen Bauens.
Begriff
BearbeitenDer Begriff Neue Sachlichkeit verdankt seine Entstehung auch der Tatsache, dass es mit der Abkehr prominenter Künstler vom Jugendstil vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland bereits eine gewisse „erste“ Sachlichkeit in Architektur und Kunstgewerbe gegeben hatte. Die Ansätze zur formalen Vereinfachung im Kunstgewerbe wurden bereits auf der 3. Deutschen Kunstgewerbe-Ausstellung 1906 in Dresden erkennbar. Mit der Gründung des Deutschen Werkbundes 1907 wurden in Ausstellungen und Publikationen die Begriffe Sachlichkeit, Zweckhaftigkeit und Moderner Zweckstil zusammen mit den ersten Ansätzen zu einem Industrial Design in einer zunehmend breiteren Öffentlichkeit thematisiert.
Die Steiff-Fabrikhalle von 1903 war ein Vorreiter der Neuen Sachlichkeit, sie verwendete erstmals eine verglaste Vorhangfassade.[1]
Das Ende dieser „ersten“ Sachlichkeit in der Architektur kann auf den Beginn des Ersten Weltkrieges mit den ersten bereits sichtbar werdenden Ansätzen des Expressionismus und im Zusammenhang mit den Streitigkeiten im Vorfeld der großen Kölner Werkbundausstellung 1914 datiert werden, wo sich in einer Art Richtungsstreit die Rebellion einer jungen Künstlergeneration (unter anderem Walter Gropius und Bruno Taut) gegen Hermann Muthesius ankündigte.
Bauten
BearbeitenZur Neuen Sachlichkeit gehören aber auch zahlreiche Bauten und städtebauliche Projekte von Architekten wie Bruno Taut oder Ludwig Mies van der Rohe, wie beispielsweise die Weißenhofsiedlung aus der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. Zu den wichtigsten Propagandisten des Übergangs vom Expressionismus zur Neuen Sachlichkeit oder dem sogenannten „Rationalismus“ gehört der Kritiker Adolf Behne, dabei insbesondere seine 1925 erschienene Schrift Der moderne Zweckbau.
Als typischer Sakralbau dieser Epoche darf die katholische Kirche St. Josef in Remscheid betrachtet werden. Hier verbinden sich die vertikalen Linien und kubischen Körper der "Neuen Sachlichkeit" auf harmonische Weise mit den Traditionselementen von kirchlichen Bauten, wie beispielsweise den Rundbogenfenstern.[2] Eine typische, modernistische Wohnblock-Bebauung dieser Phase ist in der Tunnelstraße ab 1928 in Frankfurt (Oder) entstanden.
Die Neue Sachlichkeit endete in Deutschland mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten mit ihrer entsprechenden Kulturpolitik, die unter anderem auch zur Schließung des Bauhauses und der Emigration vieler Vertreter dieser Richtung in die USA führt.
In den Niederlanden wird die entsprechende architektonische Strömung Nieuwe Zakelijkheid genannt.
In Österreich ist vor allem das Werk des Architektenduos Emil Hoppe und Otto Schönthal erwähnenswert, die neben Marcel Kammerer zum innersten Kreis der Schule Otto Wagners gezählt werden. Zu den wenigen erhaltenen Beispielen ihres Schaffens zählen Hallenbad (1932) und Foyer (1934) des Semmeringer Südbahnhotels.
Nach dem Zweiten Weltkrieg knüpfte in erster Linie Franz Mörth an die Tradition der Neuen Sachlichkeit an. Zu seinen bedeutendsten Werken zählen der Neubau der Arbeiterkammer Wien und der Umbau des ehemaligen Sanatoriums Wienerwald 1952.
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Fritz Konzert: Städtisches Hallenbad Innsbruck-Pradl,
erbaut 1928/29
Literatur
Bearbeiten- Architektur 1900–1929 in Deutschland. Reprint der vier blauen Bücher: „Bauten der Arbeit und des Verkehrs“, 3. und letzte Auflage 1929, „Wohnbauten und Siedlungen“, 3. und letzte Auflage 1929, „Bauten der Gemeinschaft“, 3. und letzte Auflage 1929, „Die deutsche Wohnung der Gegenwart“, 4. und letzte Auflage 1932. Im Anhang: Text der Erstausgabe von Walter Müller-Wulckow: „Bauten der Arbeit“, 1925 u. a. Neu herausgegeben von Hans-Curt Köster. Langewiesche, Königstein im Taunus 1999, ISBN 3-7845-8041-6.
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Anke Fissabre: Die Steiff Spielwarenfabrik in Giengen. Geymüller Verlag, Aachen 2013, ISBN 978-3-943164-03-9.
- ↑ Heinrich Otten, Silke Kammann: Gottes Häuser. Remscheids Kirchen in Text und Bild. 2008, ISBN 978-3-923495-96-2, S. 160.