Polycom ist ein Schweizer Funknetzwerk auf Basis von Tetrapol. Mit der Erschliessung des Kantons Zug ist es seit 2015 landesweit verfügbar.[1]

Polycom-Umsetzer (2011)
Polycom-Basisstation bei Erstfeld (Kanton Uri) am Eingang des Gotthard-Basistunnels

Infrastruktur

Bearbeiten

Polycom ist das nationale Funksystem der Behörden und Organisationen für Rettung und Sicherheit (BORS) und arbeitet im UHF-Frequenzbereich auf Frequenzen zwischen 380 und 400 Megahertz.[2] Das Netzwerk mit zirka 55'000 Teilnehmern wurde seit dem Jahr 2000 schrittweise in der gesamten Schweiz eingeführt.[3] Unter der Federführung des Schweizer Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) wurden die Teilnetze durch die Kantone und das damalige Schweizer Grenzwachtkorps (GWK) projektiert, erstellt und danach auch betrieben. Das erste Teilnetz wurde im Kanton Thurgau für die BORS-Organisationen inklusive dem damaligen Schweizer Grenzwachtkorps (GWK) in Betrieb genommen. Polycom ermöglicht den drahtlosen Nachrichtenaustausch innerhalb sowohl zwischen den verschiedenen Organisationen Grenzwacht, Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, Zivilschutz und Verbänden der Schweizer Armee.

Das Netzwerk wurde von Siemens errichtet und wird von Siemens und vom Schweizer Rüstungsbetrieb RUAG technisch betreut.[4][5]

Aufgrund von Budgetüberschreitungen und veralteter Technologie steht Polycom seit längerem in der Kritik der Öffentlichkeit.[6][7][8] 250 der 750 Basisstationen wären technisch veraltet und müssten ersetzt werden.[9] Auch die Verwaltung und Ausschreibung des Projekts stiess auf Kritik.[10]

Aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung des Fürstentums Liechtenstein von 5. Januar 2004 wurde Polycom auch bei der Liechtensteiner Landespolizei eingeführt.[11]

Geschichte

Bearbeiten

In der Schweiz gibt es schon seit den 1940er-Jahren Funknetze für Behörden und Organisationen für Rettung und Sicherheit. Dies geschah ohne grosse Koordinationsbemühungen der beteiligten Organisationen. Es wurden verschiedene Funknetze für die unterschiedlichen Bedürfnisse aufgebaut. Die PTT sorgte für die Zuteilung der Frequenzen. Diese befanden sich mehrheitlich im VHF-Bereich. Für die Zusammenarbeit mehrerer Organisationen wurden Koordinationskanäle festgelegt. Ein häufig benutzter Kanal ist die Frequenz 158,625 MHz.[12]

Im Allgemeinen kann man aber sagen, dass die Systeme der verschiedenen Organisationen wenig kompatibel waren. Ein einheitliches Funksystem, wie es zum Beispiel die Bundesrepublik Deutschland mit seinem BOS-Funk kannte und kennt und welches jedem Teilnehmer einer BOS-Organisation ermöglichte, mit jedem anderen Teilnehmer einer BOS-Organisation innerhalb eines geografischen Gebiets Kontakt aufzunehmen, existierte in der Schweiz nicht. In Deutschland war dies möglich, da dort Vielkanal-Geräte eingesetzt wurden, die auch die Frequenzen aller anderen Organisationen schalten konnten, während in der Schweiz Wenigkanal-Geräte eingesetzt wurden, also Geräte, die sich nur zur Nutzung der Organisations eigenen Kanäle eigneten. Seit 1996 gab es Bestrebungen, dies zu ändern, es scheiterte aber vorerst an den verschiedenen Bedürfnissen der beteiligten Organisationen. Der Grundstein für das Schweizer Polycom-Netz wurde durch den Beschluss des Bundesrats vom 21. Februar 2001 gelegt. Dabei sah der Bundesrat eine gemeinsame Übernahme der Kosten durch Bund, Kantone und Gemeinden sowie durch die betroffenen Organisationen vor.

Aufgrund der föderalen Struktur der Schweiz zog sich der Aufbau über mehrere Jahre hin.[13] Als letzter Kanton führte Zug das System 2015 trotz Widerständen lokaler Politiker ein. Auch nach der Einführung betreiben viele Organisationen ihre alten analogen Netze weiter. Dies hat verschiedene Gründe. So betreibt die REGA zum Beispiel ein analoges Notfunk-Netz landesweit auf der Frequenz 161,300 MHz, welches jedermann zur Verfügung steht.[14] Würde die REGA auf Polycom umstellen, dann könnte sie diesen Service nicht mehr anbieten, da in Polycom nur zugelassene Geräte am Funkverkehr teilnehmen können. Andere Organisationen haben einfach nicht genügend Kennungen um ihr Funknetz umzustellen, zum Beispiel die kantonale Rettung Wallis.[15] Wieder andere scheuen schlicht die Kosten, da sämtliche vorhandenen Funkgeräte ausgetauscht werden müssten.

Polyalert

Bearbeiten

Polycom dient auch in den meisten Fällen zur Steuerung der zirka 5000 Sirenen der Schweiz. Die Steuerung der Sirenen wird Polyalert genannt. Nach der Migration aller Sirenen auf das neue Steuerungssystem können alle Sirenen der Schweiz zentral gesteuert werden. Federführend war das Bundesamt für Bevölkerungsschutz, Lieferant der Steuerungen ist Siemens.

Nummerierung der Endgeräte

Bearbeiten

Jedes Funkgerät im Polycom-Netzwerk hat eine individuelle Nummer. Sie setzt sich aus einer dreistelligen Netzwerkkennung (Regionalnetz) einer einstelligen Flottennummer, einer einstelligen Sub-Flottennummer und einer vierstelligen Gerätenummer zusammen. Beispiel Feuerwehrfahrzeug in Thurgau 301550001, also 301 für Thurgau, 55 für Feuerwehr Gerätenummer 0001.

Regionen

Bearbeiten

Polycom besteht aus mehreren unabhängigen Teilnetzen. Jedes Teilnetz verfügt über eine eigene Regionalnetz-Kennung. Zurzeit (2017) sind folgende Teilnetze in Betrieb:[16][17]

Regionalnetz Betreiber (Kanton / Organisation) Kürzel
111 Aargau AG
141 Basel-Landschaft BL
151 Basel-Stadt BS
161 Stadt Bern BE 1 (Stadt)
162 Kanton Bern BE 2
163 Kanton Bern BE 3 (OL)
164 Kanton Bern BE 4 (OL)
165 Kanton Bern BE 5 (Jura)
181 Genf GE
191 Glarus GL
201 Graubünden GR 1
202 Graubünden GR 2
203 Graubünden GR 3
204 Graubünden GR 4
211 Jura JU
221 Luzern LU
231 Neuenburg NE
241 Nidwalden, Obwalden NW / OW
261 St. Gallen, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden SG / AI / AR 1
262 St. Gallen, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden SG / AI / AR 2
271 Schaffhausen SH
281 Schwyz SZ
291 Solothurn SO
301 Thurgau TG
311 Tessin TI 1
312 Tessin TI 2
313 Tessin TI 3
321 Uri UR
331 Waadt VD 1
332 Waadt VD 2
341 Wallis VS 1
342 Wallis VS 2
343 Wallis VS 3
351 Zug ZG
361 Stadt Zürich ZH 1
362 Kanton Zürich ZH 2
371 Fürstentum Liechtenstein FL
501 Kanton Bern BE Transit
901 Eidg. Ausbildungszentrum Schwarzenburg EAZS 1
902 Eidg. Ausbildungszentrum Schwarzenburg EAZS 2
994 Siemens Test Siemens
995 RUAG Test RUAG
996 Siemens Test Siemens
Bearbeiten
  • Projekt "Sicherheitsfunknetz Polycom" erfolgreich abgeschlossen. In: sg.ch. 10. Dezember 2015, archiviert vom Original am 12. März 2017;.
  • Mit POLYCOM beginnt ein neues Funkzeitalter. In: gr.ch. 3. September 2012;.
  • Behelf POLYCOM für kommunale und regionale Führungsstäbe. (PDF) In: vs.ch. 1. Juni 2014, archiviert vom Original am 12. März 2017;.
  • POLYCOM – Führungs- und Einsatzkommunikation. In: bsm.sid.be.ch.

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Wie steht es um das Funksystem Polycom? In: zentralplus.ch. 2. November 2016, archiviert vom Original am 12. März 2017; abgerufen am 26. Oktober 2024.
  2. Richard Amweg: POLYCOM. In: amweg.ch. Abgerufen am 26. Oktober 2024.
  3. Führungs- und Einsatzkommunikationssysteme. Polycom: das Sicherheitsfunknetz der Schweiz. In: babs.admin.ch. Archiviert vom Original am 29. März 2017; abgerufen am 26. Oktober 2024.
  4. Peter Folini & Samuel Mazan: Polycom: Mit Blaulicht und einheitlichem Funknetz. In: Handelszeitung. 26. Februar 2003, abgerufen am 26. Oktober 2024.
  5. Max Uhlig: Neuartiges Sicherheitsfunknetz in Glarus. (PDF) In: w1.siemens.ch. Februar 2004, archiviert vom Original am 12. März 2017; abgerufen am 26. Oktober 2024.
  6. "Polycom"-Funknetz wird weitere Millionen verschlingen. In: inside-it.ch. 26. Juni 2015, archiviert vom Original am 14. Juni 2017; abgerufen am 26. Oktober 2024.
  7. Sicherheitsfunknetz ist noch nicht fertig, aber schon wieder alt. In: Blick. 25. Juni 2015, abgerufen am 26. Oktober 2024.
  8. Fabian Vogt: Polycom kostet 700 Millionen Franken mehr als geplant. In: computerworld.ch. 11. Januar 2016, abgerufen am 26. Oktober 2024.
  9. Fabian Vogt: Funksystem von Polizei, Sanität und Feuerwehr muss dringend erneuert werden. In: computerworld.ch. 29. Juni 2015, abgerufen am 26. Oktober 2024.
  10. Dominik Meier: Bund vergibt Millionenauftrag für Funksystem ohne Ausschreibung. In: Schweizer Radio und Fernsehen. 5. Januar 2016, abgerufen am 26. Oktober 2024.
  11. Vereinbarung zwischen der Regierung des Fürstentums Liechtenstein und dem Schweizerischen Bundesrat über die Teilnahme des Fürstentums Liechtenstein am Sicherheitsnetz Funk "POLYCOM". In: Liechtensteinisches Landesgesetzblatt. 19. Dezember 2014, abgerufen am 26. Oktober 2024.
  12. Analog-Funk Einsatzkonzept Feuerwehr. In: www.gvz.ch. Gebäudeversicherung Kanton Zürich, ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 28. März 2023.@1@2Vorlage:Toter Link/www.gvz.ch (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
  13. Gabriele Schwarz: POLYCOM Portal: Servicesupport für das Sicherheitsnetz Funk der Schweiz. In: experience-online.ch. 24. August 2007, abgerufen am 26. Oktober 2024.
  14. Wie funktioniert die Alarmierung der Rega per Notfunk? In: Schweizerische Rettungsflugwacht. Archiviert vom Original am 26. März 2015; abgerufen am 26. Oktober 2024 (Der Emergency- oder Notfunk-Kanal (161,300 MHz) steht gesamt schweizerisch allen für die Alarmierung in Notfällen zur Verfügung, wenn der Alarm per Telefon nicht möglich ist. Über diese Frequenz kann direkt Hilfe angefordert werden. Der Notfunk-Kanal wird von der Einsatzzentrale der Rega überwacht.).
  15. Kommunikationsmittel. In: ocvs.ch. Archiviert vom Original am 12. März 2017; abgerufen am 26. Oktober 2024.
  16. Stabsassistent. (PDF) Behelf. In: zivilschutzarbon.ch. 1. Juni 2010, archiviert vom Original am 17. Januar 2018; abgerufen am 26. Oktober 2024.
  17. POLYCOM / TETRAPOL. (PDF) Fachkurs in Erlen. In: thurgaufire.ch. Archiviert vom Original am 17. Januar 2018; abgerufen am 26. Oktober 2024.